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Auch seine Aufzeichnungen, entstanden zur Zeit der Biermann- Ausbürgerung und ergänzt durch unbekannte Stasi-Dossiers, zeigen die Mechanismen der Einschüchterung und Manipulation des DDR-Staatsapparats auf. Gleichzeitig ist das Buch jedoch ein Beispiel für den Widerstand von DDR- Intellektuellen lange vor der Wende und läßt sich ebenso als persönlicher Erlebnisbericht wie auch als brisantes politisches Lehrstück lesen.

Produktbeschreibung
Auch seine Aufzeichnungen, entstanden zur Zeit der Biermann- Ausbürgerung und ergänzt durch unbekannte Stasi-Dossiers, zeigen die Mechanismen der Einschüchterung und Manipulation des DDR-Staatsapparats auf. Gleichzeitig ist das Buch jedoch ein Beispiel für den Widerstand von DDR- Intellektuellen lange vor der Wende und läßt sich ebenso als persönlicher Erlebnisbericht wie auch als brisantes politisches Lehrstück lesen.

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Autorenporträt
Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In den 50er Jahren, gefährdet durch die Intellektuellenverfolgung des Senators McCarthy, kehrte er nach Europa zurück und fand Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er vielfach ausgezeichnet und international bekannt und gilt heute als einer der bedeutenden Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.1996

Vermutlich fehlbare Primaten
Kein Badewetter in der DDR: Stefan Heyms grimmiger Nachruf

Die Aufzeichnungen, die der dreiundachtzigjährige Stefan Heym in diesem Frühjahr vorlegt, stammen der Form nach von ihm, in der Substanz dagegen vom Regime der DDR und von dessen ausführenden Organen. Wie bei solchem Autoren-Kollektiv nicht anders zu erwarten, kommt ein Schauerroman dabei heraus, und das Schauerlichste ist, daß er aus blanker Realität besteht. Alle Schrecknisse, alle Widerlichkeiten haben sich wirklich zugetragen, im November 1976, als die DDR den Sänger Wolf Biermann aus dem Land trickste und ihm dann die Staatsbürgerschaft entzog.

Das Faktum ist bekannt. Bekannt auch, daß etliche DDR-Autoren ihrer Regierung ins Gewissen zu reden versuchten und daraufhin selbst zu feindlichen Elementen avancierten. Über den Protest und sein Echo, die Standhaftigkeit dieser und das Zurückweichen jener Protestierer ist seinerzeit und nachher viel geredet und geschrieben worden. Und doch zeigte sich damals nur die Spitze des Eisbergs, in toto konnte er erst nach der Wende, insbesondere nach der Öffnung der Stasi-Archive, ausgemessen werden. Freilich wurde da zunächst nicht viel gemessen, das Ganze lag schon so weit zurück, inzwischen hatten andere, nicht weniger bedrückende oder erregende Ereignisse die Szene beherrscht.

Jetzt aber tritt das alte Unrecht wieder zutage, und zwar gleich zwiefach, denn außer dem Schriftsteller Heym hat ja auch der Schauspieler Manfred Krug Erinnerungen vorgelegt (F.A.Z. vom 18. April). Warum diese Häufung gerade jetzt, läßt sich nur vermuten. Entweder wirkte das Zwanzig-Jahre-Jubiläum der Biermann-Affäre, oder es braucht seine Frist, bis Erlebtes mitteilungsgerecht verarbeitet ist und präsentiert werden kann. Das Zeitgleiche ist übrigens nicht zwangsläufig wesensgleich, was sich schon an den Titeln zeigt: Krugs "Abgehauen" klingt wie "bis hierher und nicht weiter". Heyms Formel "Der Winter unsers Mißvergnügens" - eine Anleihe bei Shakespeares "Richard III." im Deutsch August Wilhelm von Schlegels - signalisiert Kummer und Gram angesichts der sozialistischen Welt, in der Heym 1976 leben mußte. Das heißt, so richtig gemußt hat er natürlich nicht. Die DDR hätte den verbesserungswütigen, subordinationswidrigen Moralisten wohl ebenso ziehen lassen wie viele andere störende Schriftsteller auch. Aber für Heym lag es außerhalb des Vorstellbaren, dort zu leben, wo seine Bücher erschienen, nämlich im "kapitalistischen" Westen. Er wollte sich nur in der DDR denken - wenngleich nicht in dieser DDR.

In seinem Buch erhebt Heym Klage gegen die Verwalter der sozialistischen Heimstatt, weil sie blind waren gegenüber dem kostbaren Erbe in ihren Händen, taub gegenüber den Lehren der großen Väter, unempfindlich gegenüber den Verheißungen aus der Vergangenheit. Er schildert die spießige Büttelmentalität der Funktionäre, die hinter jeder Abweichung von der jeweils gültigen Linie das Sakrileg witterten und hinter jeder kritischen Anmerkung die Konterrevolution. Er verzeichnet die staatlichen Maßnahmen, öffentliche und "konspirative", mittels deren die Abweichler eingeschüchtert, zur Räson gebracht, im Bedarfsfall ruiniert werden sollten. Er beschreibt die Ängste der Betroffenen, auch die eigene Angst, den Aufwand an Zivilcourage, den die Standhaftigkeit kostete, die Zusammenbrüche derer, die sich überwältigen ließen.

Das Szenarium ist bekannt, war es auch 1976 schon; Polit-Massaker an gutwilligen Querdenkern hat es durch die DDR-Jahrzehnte zuhauf gegeben. Heym weiß das, nicht nur, weil sich ihm vom Ende der fünfziger bis zum Beginn der siebziger Jahre die DDR-Verlage verschlossen. Dem guten Beobachter konnte nicht entgehen, daß das von der SED installierte Gemeinwesen wenig mit der sozialistischen Menschengemeinschaft zu tun hatte, von der die Parteiparolen kündeten und auf die er hoffte. Oft genug hat er in seinen Romanen die Malaise beschrieben, literarisch verfremdet und mit listigem Spott. Jetzt berichtet er ohne Schnörkel aus verwundeter Seele: So war er, unser sozialistischer Alltag, dies alles hat man uns zugemutet.

Wenn es aber so war - was hielt den Bürger Heym im mißlungenen Staat? Und als der zerfiel - was trieb ihn, ausgerechnet die Überlebenden jener politischen Kraft, die das alles angerichtet hatte, im Bundestag zu vertreten? Nicht nur Heym provoziert derlei Fragen, auch so mancher seiner Kombattanten von 1976, etwa Christa Wolf, Stephan Hermlin, Volker Braun. Sie und andere mehr porträtiert Heym ausgiebig in seinem Erinnerungsbuch, und es wird deutlich, daß diese Schriftsteller um so größere Nöte mit der Vernunft hatten, je näher sie der Partei standen. Das erschütterndste Beispiel in dieser Hinsicht bietet der feinsinnige Stephan Hermlin, der seit seinem sechzehnten Jahr, also seit 1931, eingeschriebener Kommunist war. Wie muß er gelitten haben, als sein moralischer Impetus in Sachen Biermann und seine Parteidisziplin einander ins Gehege kamen. Und wie fassungslos gewahrt der Leser Hermlins partielle Unterwerfung, für die der kultivierte Künstler doch ebenso zu gut war wie seine subalternen Parteirichter zu mies.

Die Crux dieser Intellektuellen ist es gewesen, daß sie der DDR immer abgenommen haben, sie sei, weil die sozialistische, die ideale Version eines Staates. Das wog offenbar schwerer als die Enttäuschungen und Verletzungen in diesem Staat und durch ihn. Es zählte auch mehr als die Tatsache, daß dem selbstverpaßten antifaschistischen Glorienschein die Methoden widersprachen, mittels deren die DDR ihr Regiment ausübte, vor allem dann, wenn sie wirklich oder vermeintlich Andersdenkende verfolgte. In Heyms Buch gibt es zahlreiche Hinweise auf unangenehme Parallelen zwischen den DDR-Usancen und denen des Dritten Reiches.

Dennoch hat der gepeinigte Parteigänger sich von seiner Utopie nicht lösen mögen. Im Sozialismus, darauf bestand er und bestanden andere mit ihm, besaß die Menschheit zum ersten Mal ein klares Rezept für ihre glückliche Fortentwicklung. Ein Programm, von den Denkern der Aufklärung gezeugt, von den Erzvätern Marx und Engels gepäppelt, ein Meisterwerk intellektuellen Schöpfertums. Wie konnten Intellektuelle sich einem derartigen Vermächtnis verweigern? Wenig bis kein Raum blieb für die Erwägung, daß das Projekt nicht nur am Stumpfsinn der Funktionäre scheiterte, daß alle irdischen Phänomene, auch die geistigen, ihre helle und ihre dunkle Seite haben und ihre Wertigkeit nicht beständig ist, sondern sich ändert im Wandel der geschichtlichen Konstellationen.

Und daß der Titel Mensch, der laut Gorki so stolz klingt, ein recht jämmerliches Wesen schmückt, das seine eigenen Morallehren selten befolgt und nicht sehr begabt ist, aus Fehlern zu lernen. Wir sind keine besonders netten Primaten, und das Beste, was wir tun können, ist, uns unserer Unvollkommenheit bewußt zu werden und um unserer Endlichkeit willen Erbarmen miteinander zu haben. Die letztgenannte Einsicht übrigens kann man hier und da aus Heyms Buch herauslesen, wenngleich sie nur zwischen den Zeilen steht. Vielleicht hat der Autor sie nicht einmal beabsichtigt, aber sie wärmt das Herz bei der Lektüre. SABINE BRANDT

Stefan Heym: "Der Winter unsers Mißvergnügens. Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant". Goldmann Verlag, München 1996. 222 S., br., 13,- DM.

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