Eine eindringliche Verbindung von gewaltiger Naturbeschreibung und berauschter Fantasie: Der Wolf schildert die letzten Tage eines sterbenden Tieres aus dessen Sicht. Zärtlich und brutal zugleich, ist die Novelle eine feinsinnige Reflexion über Leben und Tod. Der Winter ist lähmend grau und eisig. Ein einsamer Wolf streift mit letzter Kraft durch den Wald auf der Suche nach Beute, er ist ausgehungert und geschwächt, seit Tagen unterwegs. Der Schnee knirscht unter den Pfoten, der Atem stockt. Er ist das Raubtier, die Gesetze der Natur sind auf seiner Seite, aber Furcht macht sich bedrohlich breit in seinen Gedanken. Er erinnert sich an gerissene Tiere, hilflose Opfer und an den bitteren Geschmack ihres Blutes auf den Lefzen. Er merkt, seine unbestrittene Übermacht ist jetzt in Gefahr - und mit ihr sein Selbstverständnis: Das Ende lauert überall. Er trifft auf einen Fuchs, ein Raubtier wie er selbst, auch dieser gezeichnet von Hunger. Der Wolf weiß, er sollte den Konkurrenten töten, aber zum ersten Mal zögert er. Er folgt dem Fuchs, und eine bislang unbegangene Fährte führt ihn hinaus aus der Sicherheit des bekannten Waldes. Er wird schwer verletzt, und es gibt kein Zurück. Während seines letzten Kampfes muss der Wolf erkennen, was für ihn lange unvorstellbar war: Auch für ihn, zeit seines Lebens allen überlegen, ist die größte Herausforderung der gnadenlose Lauf der Natur. Der Wolf ist eine einzigartig sprach- und bildmächtige Novelle. Mit den Augen eines jagenden Tieres lässt sie den Leser die Welt neu sehen, in all ihrem Schrecken, ihrer Grausamkeit und ihrer magischen Schönheit.
"Der Wolf ist ein äußerst gelungenes, eindrückliches kleines Buch." -- THE GUARDIAN
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zwiespältig bespricht Burkhard Müller das Erstlingswerk des englischen Schriftstellers Joseph Karol Smith, "Der Wolf". Den Versuch des Autors, aus der Perspektive eines Wolfs zu schreiben, der mit einem ausgeprägten Reflexionsvermögen ausgestattet ist, findet der Rezensent originell. Mit großem Einfühlungsvermögen und Talent, so Müller, schildert Smith die komplexen Seelenzustände des Wolfs, der sich mit den existentiellen Fragen seines grausamen Daseins auseinandersetzt. Müller ist beeindruckt von der Schilderung der tierischen Wahrnehmung. Zugleich, so Müller, will die Novelle aber auch eine Fabel sein. Und das funktioniert seiner Ansicht nach nicht, weil der Autor den Widerspruch zwischen einer Existenz als Tier und menschlichem Reflexionsvermögen nicht auflösen kann. Übertrieben findet er auch die Schilderung der Beziehung des Wolfs zu einem Schwan, die "absurde Züge einer mystischen Telepathie" annehme.
© Perlentaucher Medien GmbH
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