Der bekannte Gewerkschaftsboss Arch Mix ist spurlos verschwunden. Als Ermittlungen von FBI und CIA scheinbar erfolglos bleibe, wird der frühere Wahlkampfberater Harvey Longmire von einer neugegründeten Organisation, die sich der Aufdeckung von Verschwörungen verschrieben hat, hinzugezogen. Auf seinen Nachforschungen im Washington kurz nach der Watergate-Affäre gerät er in ein raffiniert gesponnenes Netz politischer Intrigen und Verschwörungen, das sich nicht nur auf Gewerkschaften, sondern auch auf die kommenden Wahlen auszuwirken droht. Doch wer steckt dahinter? Eine Reihe von Morden macht Harveys Ermittlungen nicht einfacher ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2010Bloß keine gelben Hunde wecken
Und was passiert, wenn die Müllmänner streiken? Ross Thomas zeigt in seinem Politthriller, wie schmutzig amerikanische Wahlkämpfe sein können.
Sie kommen am helllichten Tag und bringen einen Köder. Ward Murfin und May Quane sollen im Auftrag der Vullo Foundation dem verschwundenen Gewerkschaftsboss Arch Mix auf die Spur kommen. Harvey Longmire, ihr ehemaliger Kompagnon, soll ihnen dabei helfen. Der dubiose Auftraggeber ist ein millionenschwerer Erbe, der als Stiftungsziel angibt: Aufklärung von Verschwörungen. Longmire hat in einem früheren Leben sehr erfolgreich Wahlkämpfe geleitet und dabei Arch Mix näher kennengelernt. Jetzt führt er ein beschauliches Leben, dichtet Texte für Grußpostkarten. Zehntausend Dollar, die ihm Vullo für zwei Wochen Ermittlung anbietet, kommen gelegen.
Longmire findet sich alsbald in einem sehr unübersichtlichen Gelände wieder, dessen Landmarken ihm aber noch vertraut sind. In dem Gemisch widersprüchlicher Interessen von Geheimdiensten, Gewerkschaften und Politik zeigt sich Washington, D.C. als Verschwörungshauptstadt der Welt. Anwälte, CIA-Agenten, Kongressabgeordnete, bis hinauf zum Präsidentschaftskandidaten wird im politischen Machtkampf agiert. Da ist zum Beispiel Longmires Onkel Slick, der eigentlich Jean-Jacques Le Gouis heißt und als Sohn französischer Einwanderer Karriere im Militärgeheimdienst gemacht hat. Da ist seine verwitwete, drogenerfahrene Schwester Audrey, die gut mit dem Gewehr umgehen kann. Der schwarze Gewerkschaftsvize Warner B. Gallops ist so zwielichtig wie Senator William Corsing ambitioniert. Dann findet Longmire Quane mit durchgeschnittener Kehle. Je konkreter seine Theorie über Arch Mix' Abgang wird, desto bleihaltiger wird die Luft.
Ein Yellow Dog Contract, so steht es auch im Glossar, ist ein Arbeitsvertrag, der dem Arbeitnehmer die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft verbietet. Ein probates Mittel in den zwanziger Jahren, das 1932 verboten wurde. Ross Thomas nutzt die historische Folie für seinen Roman, der kurz nach der Watergate-Affäre spielt, die im August 1974 zum Rücktritt von Präsident Nixon führte. Da war der gelbe Hund schon sprichwörtlich: als Synonym für einen feigen, ehrlosen Typ.
Stück für Stück setzt Longmire mit der heute seltenen Ermittlertugend des kombinierenden Nachdenkens ein Puzzle zusammen. Eine Kaperfahrt in den größten zwölf Städten des Landes hat mit Hilfe von zweihundert Usurpatoren sämtliche Chefs der Müll-Gewerkschaft ihrer Posten enthoben - mit Bestechung oder mit Gewalt. Zwei Monate vor dem Wahltermin wäre ein Müllnotstand, anders als im heutigen Italien, der sichere Untergang des demokratischen Kandidaten. Aber so kurz nach Watergate traut Longmire den Republikanern eine solche Schandtat nicht zu. Wer also steckt dahinter? Wer hat das bezahlt?
Der 1926 in Oklahoma geborene und 1995 in Kalifornien gestorbene Ross Thomas ist mit diesem Roman, der auf Deutsch 1978 unter dem Titel "Geheimoperation Gelber Hund" erschienen war, einmal mehr sehr nah an seiner eigenen Lebensgeschichte, wenn er Longmire berichten lässt: "Mit zweiunddreißig hatte ich eine Karriere als Student, Polizeireporter, Abgeordneter, Auslandskorrespondent und Wahlkampfleiter hinter mir. Manche würden mir gern noch Geheimagent anhängen, aber das ist eine böswillige Unterstellung." Mit Anfang vierzig besitzt Longmire eine Plantage mit Weihnachtsbäumen, denen er beim Wachsen zusieht. Außerdem verfügt er über eine wunderbare Frau, die stets "Mr. Nixon" sagt, wenn sie über den gefallenen Präsidenten spricht.
Das Buch setzt die im Berliner Alexander Verlag auf acht Bände angewachsene Rehabilitierung eines der großen Thriller-Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts fort. Ein Unternehmen, das Respekt verdient. Das Cover mit dem Piktogramm eines Handschlags zitiert die amerikanische Erstausgabe, für die im Antiquariat 400 Dollar verlangt werden, wenn sie signiert ist. Denn Ross Thomas hat eine Fangemeinde, die seinen Blick fürs Detail schätzt: wenn er Anzüge charakterisiert, Krawattennadeln oder Autos. Mit wenigen Strichen schafft er eine genaue Zeichnung. Seine tote Katze, deren Grabhügel als Stolperschwelle in der Zufahrt dient, hatte Longmire "Tupamaro" genannt, nach der Guerrillabewegung in Uruguay.
Ross Thomas schaut auch ins Innenleben seiner Figuren, bleibt dabei aber immer schön lakonisch, wenn er etwa seinen Ich-Erzähler Longmire über Quane nachdenken lässt: "Quane veränderte sich. Er blieb so schnell und klug wie eh und je, aber er verlor seine Illusionen. Und als er sie verloren hatte, trat nichts anderes an ihre Stelle, nicht einmal Ehrgeiz, denn um ehrgeizig zu sein, muss man daran glauben, dass alles eine Bedeutung hatte, und Quane wusste es besser." Verbrechen ist nur eine Zustandsbeschreibung für den Fäulnisgrad der Gesellschaft. Idealisten werden nicht bevorzugt. Dem Autor sind kühle Macher und professionelle Verbrecher lieber, weil sie ihren Eigennutz nicht verschleiern.
Der Polit-Thriller, wie ihn Thomas beherrscht, ist keine Meterware; er bezieht seine Faszination aus dem Plot, der sich wie ein nasses Wollknäuel verfilzt und der am Ende nicht bündig aufgelöst wird. So beiläufig die Spannung einsetzt, so rasant kulminiert sie am Ende in einem Gewaltexzess, der nicht in Superzeitlupe ausgewalzt, sondern wie nebenbei erledigt wird - lässig, ohne Interesse an der Gewalt an sich, diese nur als Teil des Jobs verstehend. Eigentlich will Longmire wie die meisten Helden Ross Thomas' gar nicht in den Krieg ziehen. Er säße lieber auf der Veranda mit seiner schönen Ruth. Profit schlägt er auch nicht aus dem Auftrag, obwohl ihm der Präsidentschaftskandidat im Fall eines Wahlsiegs angeboten hatte: "Was halten Sie vom Job des Pressechefs im Weißen Haus?" "Nicht viel", sagte ich. "Genaugenommen gar nichts."
HANNES HINTERMEIER.
Ross Thomas: "Der Yellow-Dog-Kontrakt". Roman.
Übersetzt von S. Diedrich, G. Haefs, E. Massmann. Alexander Verlag, Berlin 2010, 272 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und was passiert, wenn die Müllmänner streiken? Ross Thomas zeigt in seinem Politthriller, wie schmutzig amerikanische Wahlkämpfe sein können.
Sie kommen am helllichten Tag und bringen einen Köder. Ward Murfin und May Quane sollen im Auftrag der Vullo Foundation dem verschwundenen Gewerkschaftsboss Arch Mix auf die Spur kommen. Harvey Longmire, ihr ehemaliger Kompagnon, soll ihnen dabei helfen. Der dubiose Auftraggeber ist ein millionenschwerer Erbe, der als Stiftungsziel angibt: Aufklärung von Verschwörungen. Longmire hat in einem früheren Leben sehr erfolgreich Wahlkämpfe geleitet und dabei Arch Mix näher kennengelernt. Jetzt führt er ein beschauliches Leben, dichtet Texte für Grußpostkarten. Zehntausend Dollar, die ihm Vullo für zwei Wochen Ermittlung anbietet, kommen gelegen.
Longmire findet sich alsbald in einem sehr unübersichtlichen Gelände wieder, dessen Landmarken ihm aber noch vertraut sind. In dem Gemisch widersprüchlicher Interessen von Geheimdiensten, Gewerkschaften und Politik zeigt sich Washington, D.C. als Verschwörungshauptstadt der Welt. Anwälte, CIA-Agenten, Kongressabgeordnete, bis hinauf zum Präsidentschaftskandidaten wird im politischen Machtkampf agiert. Da ist zum Beispiel Longmires Onkel Slick, der eigentlich Jean-Jacques Le Gouis heißt und als Sohn französischer Einwanderer Karriere im Militärgeheimdienst gemacht hat. Da ist seine verwitwete, drogenerfahrene Schwester Audrey, die gut mit dem Gewehr umgehen kann. Der schwarze Gewerkschaftsvize Warner B. Gallops ist so zwielichtig wie Senator William Corsing ambitioniert. Dann findet Longmire Quane mit durchgeschnittener Kehle. Je konkreter seine Theorie über Arch Mix' Abgang wird, desto bleihaltiger wird die Luft.
Ein Yellow Dog Contract, so steht es auch im Glossar, ist ein Arbeitsvertrag, der dem Arbeitnehmer die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft verbietet. Ein probates Mittel in den zwanziger Jahren, das 1932 verboten wurde. Ross Thomas nutzt die historische Folie für seinen Roman, der kurz nach der Watergate-Affäre spielt, die im August 1974 zum Rücktritt von Präsident Nixon führte. Da war der gelbe Hund schon sprichwörtlich: als Synonym für einen feigen, ehrlosen Typ.
Stück für Stück setzt Longmire mit der heute seltenen Ermittlertugend des kombinierenden Nachdenkens ein Puzzle zusammen. Eine Kaperfahrt in den größten zwölf Städten des Landes hat mit Hilfe von zweihundert Usurpatoren sämtliche Chefs der Müll-Gewerkschaft ihrer Posten enthoben - mit Bestechung oder mit Gewalt. Zwei Monate vor dem Wahltermin wäre ein Müllnotstand, anders als im heutigen Italien, der sichere Untergang des demokratischen Kandidaten. Aber so kurz nach Watergate traut Longmire den Republikanern eine solche Schandtat nicht zu. Wer also steckt dahinter? Wer hat das bezahlt?
Der 1926 in Oklahoma geborene und 1995 in Kalifornien gestorbene Ross Thomas ist mit diesem Roman, der auf Deutsch 1978 unter dem Titel "Geheimoperation Gelber Hund" erschienen war, einmal mehr sehr nah an seiner eigenen Lebensgeschichte, wenn er Longmire berichten lässt: "Mit zweiunddreißig hatte ich eine Karriere als Student, Polizeireporter, Abgeordneter, Auslandskorrespondent und Wahlkampfleiter hinter mir. Manche würden mir gern noch Geheimagent anhängen, aber das ist eine böswillige Unterstellung." Mit Anfang vierzig besitzt Longmire eine Plantage mit Weihnachtsbäumen, denen er beim Wachsen zusieht. Außerdem verfügt er über eine wunderbare Frau, die stets "Mr. Nixon" sagt, wenn sie über den gefallenen Präsidenten spricht.
Das Buch setzt die im Berliner Alexander Verlag auf acht Bände angewachsene Rehabilitierung eines der großen Thriller-Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts fort. Ein Unternehmen, das Respekt verdient. Das Cover mit dem Piktogramm eines Handschlags zitiert die amerikanische Erstausgabe, für die im Antiquariat 400 Dollar verlangt werden, wenn sie signiert ist. Denn Ross Thomas hat eine Fangemeinde, die seinen Blick fürs Detail schätzt: wenn er Anzüge charakterisiert, Krawattennadeln oder Autos. Mit wenigen Strichen schafft er eine genaue Zeichnung. Seine tote Katze, deren Grabhügel als Stolperschwelle in der Zufahrt dient, hatte Longmire "Tupamaro" genannt, nach der Guerrillabewegung in Uruguay.
Ross Thomas schaut auch ins Innenleben seiner Figuren, bleibt dabei aber immer schön lakonisch, wenn er etwa seinen Ich-Erzähler Longmire über Quane nachdenken lässt: "Quane veränderte sich. Er blieb so schnell und klug wie eh und je, aber er verlor seine Illusionen. Und als er sie verloren hatte, trat nichts anderes an ihre Stelle, nicht einmal Ehrgeiz, denn um ehrgeizig zu sein, muss man daran glauben, dass alles eine Bedeutung hatte, und Quane wusste es besser." Verbrechen ist nur eine Zustandsbeschreibung für den Fäulnisgrad der Gesellschaft. Idealisten werden nicht bevorzugt. Dem Autor sind kühle Macher und professionelle Verbrecher lieber, weil sie ihren Eigennutz nicht verschleiern.
Der Polit-Thriller, wie ihn Thomas beherrscht, ist keine Meterware; er bezieht seine Faszination aus dem Plot, der sich wie ein nasses Wollknäuel verfilzt und der am Ende nicht bündig aufgelöst wird. So beiläufig die Spannung einsetzt, so rasant kulminiert sie am Ende in einem Gewaltexzess, der nicht in Superzeitlupe ausgewalzt, sondern wie nebenbei erledigt wird - lässig, ohne Interesse an der Gewalt an sich, diese nur als Teil des Jobs verstehend. Eigentlich will Longmire wie die meisten Helden Ross Thomas' gar nicht in den Krieg ziehen. Er säße lieber auf der Veranda mit seiner schönen Ruth. Profit schlägt er auch nicht aus dem Auftrag, obwohl ihm der Präsidentschaftskandidat im Fall eines Wahlsiegs angeboten hatte: "Was halten Sie vom Job des Pressechefs im Weißen Haus?" "Nicht viel", sagte ich. "Genaugenommen gar nichts."
HANNES HINTERMEIER.
Ross Thomas: "Der Yellow-Dog-Kontrakt". Roman.
Übersetzt von S. Diedrich, G. Haefs, E. Massmann. Alexander Verlag, Berlin 2010, 272 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hannes Hintermeier liebt den Hardboiled-Stil von Ross Thomas' Polit-Thriller. Lakonisch, plotlastig, ohne bündiges Ende, aber durchaus mit Interesse für das Innenleben der Figuren und für Details - so kennzeichnet er Thomas' Größe als Thriller-Autor. Dem Alexander Verlag ist er sichtlich dankbar für eine Neuauflage nicht nur dieses Textes um Intrigen und Verschwörungen zwischen Geheimdiensten, Politik und Gewerkschaften im Washington kurz nach der Ära Nixon. Einen Helden, wie den in dieser Geschichte auftretenden hedonistischen Ermittler Longmire, der die Arbeitsweise des kombinierenden Nachdenkens noch beherrscht, trifft Hintermeier leider nur noch selten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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