Robert graut vor Mathematik. Bis er eines Nachts von einem Zahlenteufel träumt, der so spannend und unterhaltsam mit den Zahlen zu jonglieren versteht, daß Robert und den Lesern ein Licht nach dem anderen aufgeht. Nein, Mathematik braucht kein Albtraum zu sein. Das begreift jeder, der zusammen mit Robert und dem Zahlenteufel zwölf Nächte verbringt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997Der rechnende Robert
Und der hopsende Enzensberger - teuflische Wege zur Mathematik
Der Legende nach hat König Ptolemäus von Euklid einen Königsweg zur Mathematik verlangt, den ihm aber selbst der erfolgreichste Wissenschaftsautor aller Zeiten nicht zeigen konnte. Uns geht es nach mehr als 2000 Jahren nicht besser: Wir haben den Königsweg immer noch nicht gefunden. Sicher, da sind zahllose Lehrbücher der Mathematik für jeden Wissensstand (nicht alle besser als der gute alte Euklid) und neuerdings ausgefeilte Lernprogramme zum Gebrauch am heimischen PC. Und es gibt ein Heer von Mathematikern, die alle unter anderem auch daran arbeiten, den Zugang zur Mathematik einfacher zu gestalten. Mit der größten Gruppe unter ihnen, den Mathematiklehrern, macht jeder einmal seine Erfahrungen - leider nicht immer die glücklichsten.
Trotz aller Fortschritte erweist sich die Mathematik immer noch als recht unzugänglich. Das soll nicht heißen, daß man sie nicht mehr erlernen und mit dem größten Vergnügen betreiben könnte. Im Gegenteil, wenn man ein ordentliches Stück auf dem Weg ins Gebirge der Mathematik hinter sich gebracht hat, dann wird der Anreiz zum Fortschreiten plötzlich so stark, daß man auch erhebliche Mühen, Umwege, Sackgassen und Steilhänge in Kauf nimmt und trotzdem vorankommt. Es kommt also offenbar darauf an, den Schwung zu einem ersten Einstieg zu finden, und das möglichst früh im Leben, weil sich auch das Verständnis für Mathematik recht früh entwickelt.
Ausgeprägte mathematische Begabungen scheinen sich häufig ohne alles äußere Zutun zu entwickeln, Einsicht und Motivation wachsen ihnen gleichsam im Schlaf zu. Das wäre natürlich ein Königsweg zur Mathematik, wenn man im Schlaf das nötige Wissen aufnehmen könnte, sei es durch hilfreiche Erscheinungen im Traum, sei es mit Hilfe eines unter das Kopfkissen geschobenen Buches. Leider gelingt das auch hochtrainierten Mathematikern nur äußerst selten, doch die Vorstellung bleibt verführerisch.
Sie hat wohl auch Hans Magnus Enzensberger zu seinem "Zahlenteufel" inspiriert. Robert, der offensichtlich eine weniger glückliche Erfahrung mit seinem Mathematiklehrer, einem gewissen Doktor Bockel, gemacht hat, begegnet in zwölf Träumen einem seltsamen und ziemlich rüden Gesellen. Der entpuppt sich als der Zahlenteufel Teplotaxl, und sein erklärtes Ziel ist es, Robert mit den Zahlen bekannt zu machen und damit allmählich für die Mathematik zu interessieren. Das gelingt so gut, daß Robert schließlich im Palast der Zahlenteufel in den pythagoräischen Zahlenorden fünfter Klasse aufgenommen wird. Bereits am nächsten Tag zeigt die Initiation ihre Wirkung, denn Robert vermag nun selbst Doktor Bockels Unterricht etwas abzugewinnen; er hat seinen Schwung zum Einstieg in die Mathematik gefunden.
Wird das auch den jungen (und weniger jungen) Lesern dieses Buches gelingen? Ich meine, daß sie mindestens eine gute Chance haben. Enzensberger breitet eine Fülle von untereinander locker, aber sinnvoll verbundenen elementaren Gegenständen der Zahlentheorie und der Geometrie aus, die begrifflich leicht zugänglich sind. Die verknüpfende Erzählung und der Kunstgriff verfremdeter Fachwörter ("unvernünftige" statt "irrationale" Zahlen, "Wumm!" statt "Fakultät", "dorthinaus" oder "aschgrau" statt "unendlich", "hopsen" statt "potenzieren") mildern die Abschreckung durch Abstraktion und sorgen für die nötige Redundanz. Bei der Präsentation der Gegenstände beginnt Enzensberger durchweg mit einem verblüffenden Effekt, wodurch das Interesse geweckt wird und die Aufnahmebereitschaft für weitere, auch kompliziertere Konstruktionen wächst. So entsteht eine spannende und unterhaltsame Reise durch die Anfangsgründe der höheren Mathematik. Einen buchstäblich erleuchtenden Dienst leisten zudem die hübschen Illustrationen von Rotraut Susanne Berner, vor allem die "Hasenplage" (das Wachstum der Fibonacci-Zahlen) und das Pascalsche Dreieck werden sehr sinnfällig dargeboten.
Natürlich haben wir es nicht mit einem Fachbuch oder gar mit neuen mathematischen Einsichten zu tun, dieser Anspruch wird auch nirgendwo erhoben. Aber die ausgewählten Gegenstände überzeugen: Sie entstammen überwiegend nicht den Schullehrplänen, sind jedoch glänzend geeignet für eine erste nähere Bekanntschaft mit dem mathematischen Denken. Und selbstverständlich nutzt der Zahlenteufel weidlich den Reiz der ersten Begegnung und vermeidet die methodischen Tretmühlen, die das tägliche Brot der Doktor Bockel sind.
An manchen Einzelheiten könnte sich ein Fachmann stören (die geometrische Reihe als einer der wichtigsten Bausteine der Mathematik könnte mit Gewinn vollständig behandelt werden, das Zahlenmonstrum 141421356237309 ist offensichtlich durch drei teilbar und also sicher keine Primzahl), aber den Gesamteindruck dieses im ganzen erfreulich (druck-)fehlerfreien Buches können solche Kleinigkeiten nicht trüben. Die Mathematik darf eine Hommage entgegennehmen, die durchaus ihrem hierzulande bescheidenen öffentlichen Ansehen aufhelfen könnte. Die Mathematiker sind sich zwar ihrer teuflischen Verwandtschaft nicht sicher, freuen sich aber darauf, viele junge Zauberlehrlinge nach dem Abschied von Teplotaxl in Empfang nehmen zu können, um sie - nicht mühelos, aber mit dem nötigen Schwung - zu höheren pythagoräischen Ordensklassen zu führen. JOCHEN BRÜNING
Hans Magnus Enzensberger: "Der Zahlenteufel". Hanser Verlag, München 1997. 264 S., geb., 36,- DM. Für Jugendliche und Erwachsene.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und der hopsende Enzensberger - teuflische Wege zur Mathematik
Der Legende nach hat König Ptolemäus von Euklid einen Königsweg zur Mathematik verlangt, den ihm aber selbst der erfolgreichste Wissenschaftsautor aller Zeiten nicht zeigen konnte. Uns geht es nach mehr als 2000 Jahren nicht besser: Wir haben den Königsweg immer noch nicht gefunden. Sicher, da sind zahllose Lehrbücher der Mathematik für jeden Wissensstand (nicht alle besser als der gute alte Euklid) und neuerdings ausgefeilte Lernprogramme zum Gebrauch am heimischen PC. Und es gibt ein Heer von Mathematikern, die alle unter anderem auch daran arbeiten, den Zugang zur Mathematik einfacher zu gestalten. Mit der größten Gruppe unter ihnen, den Mathematiklehrern, macht jeder einmal seine Erfahrungen - leider nicht immer die glücklichsten.
Trotz aller Fortschritte erweist sich die Mathematik immer noch als recht unzugänglich. Das soll nicht heißen, daß man sie nicht mehr erlernen und mit dem größten Vergnügen betreiben könnte. Im Gegenteil, wenn man ein ordentliches Stück auf dem Weg ins Gebirge der Mathematik hinter sich gebracht hat, dann wird der Anreiz zum Fortschreiten plötzlich so stark, daß man auch erhebliche Mühen, Umwege, Sackgassen und Steilhänge in Kauf nimmt und trotzdem vorankommt. Es kommt also offenbar darauf an, den Schwung zu einem ersten Einstieg zu finden, und das möglichst früh im Leben, weil sich auch das Verständnis für Mathematik recht früh entwickelt.
Ausgeprägte mathematische Begabungen scheinen sich häufig ohne alles äußere Zutun zu entwickeln, Einsicht und Motivation wachsen ihnen gleichsam im Schlaf zu. Das wäre natürlich ein Königsweg zur Mathematik, wenn man im Schlaf das nötige Wissen aufnehmen könnte, sei es durch hilfreiche Erscheinungen im Traum, sei es mit Hilfe eines unter das Kopfkissen geschobenen Buches. Leider gelingt das auch hochtrainierten Mathematikern nur äußerst selten, doch die Vorstellung bleibt verführerisch.
Sie hat wohl auch Hans Magnus Enzensberger zu seinem "Zahlenteufel" inspiriert. Robert, der offensichtlich eine weniger glückliche Erfahrung mit seinem Mathematiklehrer, einem gewissen Doktor Bockel, gemacht hat, begegnet in zwölf Träumen einem seltsamen und ziemlich rüden Gesellen. Der entpuppt sich als der Zahlenteufel Teplotaxl, und sein erklärtes Ziel ist es, Robert mit den Zahlen bekannt zu machen und damit allmählich für die Mathematik zu interessieren. Das gelingt so gut, daß Robert schließlich im Palast der Zahlenteufel in den pythagoräischen Zahlenorden fünfter Klasse aufgenommen wird. Bereits am nächsten Tag zeigt die Initiation ihre Wirkung, denn Robert vermag nun selbst Doktor Bockels Unterricht etwas abzugewinnen; er hat seinen Schwung zum Einstieg in die Mathematik gefunden.
Wird das auch den jungen (und weniger jungen) Lesern dieses Buches gelingen? Ich meine, daß sie mindestens eine gute Chance haben. Enzensberger breitet eine Fülle von untereinander locker, aber sinnvoll verbundenen elementaren Gegenständen der Zahlentheorie und der Geometrie aus, die begrifflich leicht zugänglich sind. Die verknüpfende Erzählung und der Kunstgriff verfremdeter Fachwörter ("unvernünftige" statt "irrationale" Zahlen, "Wumm!" statt "Fakultät", "dorthinaus" oder "aschgrau" statt "unendlich", "hopsen" statt "potenzieren") mildern die Abschreckung durch Abstraktion und sorgen für die nötige Redundanz. Bei der Präsentation der Gegenstände beginnt Enzensberger durchweg mit einem verblüffenden Effekt, wodurch das Interesse geweckt wird und die Aufnahmebereitschaft für weitere, auch kompliziertere Konstruktionen wächst. So entsteht eine spannende und unterhaltsame Reise durch die Anfangsgründe der höheren Mathematik. Einen buchstäblich erleuchtenden Dienst leisten zudem die hübschen Illustrationen von Rotraut Susanne Berner, vor allem die "Hasenplage" (das Wachstum der Fibonacci-Zahlen) und das Pascalsche Dreieck werden sehr sinnfällig dargeboten.
Natürlich haben wir es nicht mit einem Fachbuch oder gar mit neuen mathematischen Einsichten zu tun, dieser Anspruch wird auch nirgendwo erhoben. Aber die ausgewählten Gegenstände überzeugen: Sie entstammen überwiegend nicht den Schullehrplänen, sind jedoch glänzend geeignet für eine erste nähere Bekanntschaft mit dem mathematischen Denken. Und selbstverständlich nutzt der Zahlenteufel weidlich den Reiz der ersten Begegnung und vermeidet die methodischen Tretmühlen, die das tägliche Brot der Doktor Bockel sind.
An manchen Einzelheiten könnte sich ein Fachmann stören (die geometrische Reihe als einer der wichtigsten Bausteine der Mathematik könnte mit Gewinn vollständig behandelt werden, das Zahlenmonstrum 141421356237309 ist offensichtlich durch drei teilbar und also sicher keine Primzahl), aber den Gesamteindruck dieses im ganzen erfreulich (druck-)fehlerfreien Buches können solche Kleinigkeiten nicht trüben. Die Mathematik darf eine Hommage entgegennehmen, die durchaus ihrem hierzulande bescheidenen öffentlichen Ansehen aufhelfen könnte. Die Mathematiker sind sich zwar ihrer teuflischen Verwandtschaft nicht sicher, freuen sich aber darauf, viele junge Zauberlehrlinge nach dem Abschied von Teplotaxl in Empfang nehmen zu können, um sie - nicht mühelos, aber mit dem nötigen Schwung - zu höheren pythagoräischen Ordensklassen zu führen. JOCHEN BRÜNING
Hans Magnus Enzensberger: "Der Zahlenteufel". Hanser Verlag, München 1997. 264 S., geb., 36,- DM. Für Jugendliche und Erwachsene.
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