Zwei Frauen, eine spricht die Sprache der Musik, die andere die der Wissenschaft.Reichenbach zwischen Aufstieg und Fall: ein Imperium erbaut auf Licht, der Mann, dem es gehört, gestrickt aus Hunger. Es ist das Jahr 1844 und in Carl Ludwig Freiherr von Reichenbach brennt der Wissensdrang so nah an der Oberfläche wie Kometen kurz vor dem Einschlag. Er sucht unerbittlich nach der Bestätigung seiner These: der Existenz von "Od". Jene wie ein Feuerschein aus allen Dingen und Lebewesen strömende Kraft, die zu sehen nur wenigen vergönnt ist. Reichenbach ist ein Emporkömmling der ersten Klasse, klammert an der Leiter, die Ruhm verspricht. Adelstitel, Renommee und Schloss hat er sich hart erarbeitet. Von Rückschlägen geprägt, ist er es gewohnt, dass die Gerüste seiner Existenz stets zu bröckeln drohen. Von Stuttgart und Tübingen über Blansko in Mähren hat das Schicksal ihn und seine zwei Töchter Hermine und Ottone nach Wien, zum Schloss Cobenzl, verschlagen. Dort ist Reichenbach dem "Od"auf der Spur, unterstützt durch Hermine, die sich wie der Vater der Forschung verschrieben hat. Experimente mit "Sensitiven" sollen beweisen, was Reichenbach bereits weiß. Welche Möglichkeiten hat man als Frau des 19. Jahrhunderts wirklich?Es sind die Zeiten, die Hermine und Ottone im Wege stehen, aber auch neue Wege für sie aufschlagen denn die Revolution rüttelt nicht nur Europa wach - sondern auch die Töchter Reichenbachs. Sie stehen dem Patriarchen entgegen: beide voller Wut und Ambitionen, beide verliebt in Männer, die ihnen nahestehen und doch ferngehalten werden. Beide über zwanzig und unverheiratet. Und dennoch: jedes einzelne "Nein", jede Ablehnung, den Wünschen und Bedürfnissen der Töchter Raum zu geben, jede Missachtung und Missbilligung des Vaters hallt tief bis in die Knochen. Und errichtet gleichzeitig ein Schloss, das nicht von Mauern und Zauber aufrecht gehalten wird, sondern durch Säulen aus Resilienz und Widerstand. Wer wird die erste sein, die ausbricht? Bettina Balàka spielt mit allen Arten von Feuer Beim Zauberer am Cobenzl spitzt sich die Lage immer weiter zu. Wird er die ewigen Zweifler überzeugen können? Wird er seine Töchter, die sich nicht mehr dem neigen, was der Vater sich wünscht, versöhnlich stimmen? Wird ihm der Aufstieg ein letztes Mal gelingen? Ist das "Od" - dem er so gänzlich verfallen scheint - sein Untergang? Oder sind es seine Töchter? Mit "Der Zauberer vom Cobenzl" schnürt Bettina Balàka eine Geschichte aus Magie und Wissenschaft, Feuer und Forschung und der Befreiung einer Frau, die ihrem Vater in nichts nachsteht.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gründlich misslungen scheint dem Rezensenten Anton Thuswaldner Bettina Balàkas historischer Roman "Der Zauberer vom Cobenzl". Die österreichische Autorin schildert hier Aufstieg und Untergang von Carl Ludwig Freiherr von Reichenbach, der sich als Anhänger der Od-Lehre, einer Theorie über geheime, magnetische Kräfte, zum gesellschaftlichen Außenseiter machte. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht seiner Tochter Hermine. Hier wird es problematisch, meint Thuswaldner, denn Balàkas macht diesen Charakter zur "Identifikationsfigur" für heutige Leser, samt Bewusstsein für Gender und Naturschutz. Das ist Kitsch, urteilt der Rezensent, und ein Armutszeugnis für den Literaturbetrieb.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2023Historie im Labor
Bettina Balàkas "Der Zauberer vom Cobenzl"
Das alte Lied, das traurige Lied von Aufstieg und Fall: Ein Mann von vielen Talenten bringt es zu Ansehen und Besitz, er steht an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts und setzt Neuerungen im Eisenhüttenwesen durch. Im mährischen Blansko bringt er den dortigen Betrieb hoch. Unter dem Nachfolger des Fürsten Salm-Reifferscheidt wird er entlassen, siedelt sich im Schloss Cobenzl bei Wien an und betreibt Studien, die ihn aus dem Bereich der Wissenschaft ins Spekulative führen, was ihn zum Außenseiter werden lässt. Die Od-Lehre, wonach die Materie von geheimen Kräften durchwirkt ist, lässt ihn zum Spinner absinken. Bettina Balàka nimmt sich alle Freiheiten, um den Untergang einer einst so verheißungsvollen Karriere in einen Roman zu übertragen.
Dass sich ein Roman nicht streng an Fakten hält, ist üblich. Historische Romane, häufig ins Triviale schwenkend, sind aber immer dann erledigt, wenn sie so tun, als könnten sie Vergangenheit gleichermaßen im Reagenzglas der Phantasie nachstellen. Ohne Reflexion, kritische Sichtung von Dokumenten und Distanz zum Geschehen ist literarische Geschichtsarbeit nicht zu haben. Ereignisse in der Vergangenheit sind zuallererst einmal fremd. Es ist uns unmöglich, in das Denken, Fühlen und Wirken von Menschen aus früheren Jahrhunderten hineinzufinden, zu verschieden ist deren Lebenswelt, die deren Sein ausmacht, von der unsrigen. Wenn eine Autorin wie Bettina Balàka Wesen aus dem 19. Jahrhundert zu Identifikationsfiguren von heute erklärt, befinden wir uns im Reich des Kitsches.
Deutlich wie selten zeigt Balàka unbeabsichtigt die Grenzen der Empathie auf. Als Erzählerin fungiert Hermine, eine Tochter des Wissenschaftlers, die Autorin schreibt gleichsam aus deren Kopf und Herzen heraus. Ilse Aichinger, eine unschlagbare Größe in der österreichischen Literatur, meinte einmal, dass ihr alles fremd sei - Balàka ist gar nichts fremd. Sie macht Hermine gleichsam zu einer der Ihren, spricht mit dem Bewusstsein von heute aus einem von sehr viel früher. Mit Einfühlung kommen wir nicht weiter, wenn wir Vergangenheit annähernd verstehen wollen. Ein paar Stunden in einem vernünftigen Geschichtsseminar können einem den Glauben an die Erreichbarkeit der Toten rauben. So aber bleiben wir eben in der Schwundstufe von Literatur hängen.
Balàka steht ihrer Erzählerin derart nahe, dass sie ihr - der Text wurde von der 1869 verfasst - Kommentare in den Mund legt, die aus dem 21. Jahrhundert stammen. "Die meisten ärmeren Frauen hatten ohnehin zu viele Kinder und zu wenig Essen", heißt es, "um sich den Luxus zu gönnen, über die intellektuellen Möglichkeiten ihres Geschlechts zu räsonieren." Der Erzählerin wird kurzerhand Balàkas Vernunft untergejubelt. Vollends einen Kniefall vor unserem Zeitgeist müssen wir erschreckend zur Kenntnis nehmen, wenn von "Erdarbeitern und Erdarbeiterinnen" die Rede ist - ein gravierendes Beispiel für fehlendes Geschichtsbewusstsein in einem Roman, der Geschichte simuliert. Die völlig andere Lebenswirklichkeit schlägt nicht durch auf Sprache, Haltung, Bewusstsein der Erzählerin.
Hermine steht unter Zwang. Sie muss erfüllen, was ihr Balàka aufträgt, und so hat sie alles abzuklappern, was uns heute zusetzt. Sie kommt nicht um die Gender-Thematik herum und muss sich Gedanken über die Natur machen, wie sie uns nachgehen. Hermine bewegt sich gern im Freien und liebt es, "sich als Mensch in der Natur zu imaginieren, auch wenn die Natur eine gebändigte war". Hier werden Gedanken über Wildnis und deren Zähmung vorgebracht, die später bedeutsam werden. Aber Balàka will ja unbedingt eine Heldinnengeschichte schreiben. Und wenn auch noch sprachliche Patzer passieren, wurde jede Hoffnung auf freundliche Aufnahme verspielt: "Als die Blätter abfielen, begannen sich jene der Revolution zu wenden."
Ein Roman als Fake, hier ist er. Ein anerkannter Literaturverlag, eine Autorin mit Meriten, die solch ein Mängelwerk vorlegt, eine Kritik, die sogar lobende Worte findet: Es sieht nicht gut aus im in Durchschnittlichkeit versinkenden Literaturbetrieb heute. ANTON THUSWALDNER
Bettina Balàka: "Der Zauberer vom Cobenzl". Roman.
Haymon Verlag, Innsbruck 2023. 243 S., geb., 19,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bettina Balàkas "Der Zauberer vom Cobenzl"
Das alte Lied, das traurige Lied von Aufstieg und Fall: Ein Mann von vielen Talenten bringt es zu Ansehen und Besitz, er steht an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts und setzt Neuerungen im Eisenhüttenwesen durch. Im mährischen Blansko bringt er den dortigen Betrieb hoch. Unter dem Nachfolger des Fürsten Salm-Reifferscheidt wird er entlassen, siedelt sich im Schloss Cobenzl bei Wien an und betreibt Studien, die ihn aus dem Bereich der Wissenschaft ins Spekulative führen, was ihn zum Außenseiter werden lässt. Die Od-Lehre, wonach die Materie von geheimen Kräften durchwirkt ist, lässt ihn zum Spinner absinken. Bettina Balàka nimmt sich alle Freiheiten, um den Untergang einer einst so verheißungsvollen Karriere in einen Roman zu übertragen.
Dass sich ein Roman nicht streng an Fakten hält, ist üblich. Historische Romane, häufig ins Triviale schwenkend, sind aber immer dann erledigt, wenn sie so tun, als könnten sie Vergangenheit gleichermaßen im Reagenzglas der Phantasie nachstellen. Ohne Reflexion, kritische Sichtung von Dokumenten und Distanz zum Geschehen ist literarische Geschichtsarbeit nicht zu haben. Ereignisse in der Vergangenheit sind zuallererst einmal fremd. Es ist uns unmöglich, in das Denken, Fühlen und Wirken von Menschen aus früheren Jahrhunderten hineinzufinden, zu verschieden ist deren Lebenswelt, die deren Sein ausmacht, von der unsrigen. Wenn eine Autorin wie Bettina Balàka Wesen aus dem 19. Jahrhundert zu Identifikationsfiguren von heute erklärt, befinden wir uns im Reich des Kitsches.
Deutlich wie selten zeigt Balàka unbeabsichtigt die Grenzen der Empathie auf. Als Erzählerin fungiert Hermine, eine Tochter des Wissenschaftlers, die Autorin schreibt gleichsam aus deren Kopf und Herzen heraus. Ilse Aichinger, eine unschlagbare Größe in der österreichischen Literatur, meinte einmal, dass ihr alles fremd sei - Balàka ist gar nichts fremd. Sie macht Hermine gleichsam zu einer der Ihren, spricht mit dem Bewusstsein von heute aus einem von sehr viel früher. Mit Einfühlung kommen wir nicht weiter, wenn wir Vergangenheit annähernd verstehen wollen. Ein paar Stunden in einem vernünftigen Geschichtsseminar können einem den Glauben an die Erreichbarkeit der Toten rauben. So aber bleiben wir eben in der Schwundstufe von Literatur hängen.
Balàka steht ihrer Erzählerin derart nahe, dass sie ihr - der Text wurde von der 1869 verfasst - Kommentare in den Mund legt, die aus dem 21. Jahrhundert stammen. "Die meisten ärmeren Frauen hatten ohnehin zu viele Kinder und zu wenig Essen", heißt es, "um sich den Luxus zu gönnen, über die intellektuellen Möglichkeiten ihres Geschlechts zu räsonieren." Der Erzählerin wird kurzerhand Balàkas Vernunft untergejubelt. Vollends einen Kniefall vor unserem Zeitgeist müssen wir erschreckend zur Kenntnis nehmen, wenn von "Erdarbeitern und Erdarbeiterinnen" die Rede ist - ein gravierendes Beispiel für fehlendes Geschichtsbewusstsein in einem Roman, der Geschichte simuliert. Die völlig andere Lebenswirklichkeit schlägt nicht durch auf Sprache, Haltung, Bewusstsein der Erzählerin.
Hermine steht unter Zwang. Sie muss erfüllen, was ihr Balàka aufträgt, und so hat sie alles abzuklappern, was uns heute zusetzt. Sie kommt nicht um die Gender-Thematik herum und muss sich Gedanken über die Natur machen, wie sie uns nachgehen. Hermine bewegt sich gern im Freien und liebt es, "sich als Mensch in der Natur zu imaginieren, auch wenn die Natur eine gebändigte war". Hier werden Gedanken über Wildnis und deren Zähmung vorgebracht, die später bedeutsam werden. Aber Balàka will ja unbedingt eine Heldinnengeschichte schreiben. Und wenn auch noch sprachliche Patzer passieren, wurde jede Hoffnung auf freundliche Aufnahme verspielt: "Als die Blätter abfielen, begannen sich jene der Revolution zu wenden."
Ein Roman als Fake, hier ist er. Ein anerkannter Literaturverlag, eine Autorin mit Meriten, die solch ein Mängelwerk vorlegt, eine Kritik, die sogar lobende Worte findet: Es sieht nicht gut aus im in Durchschnittlichkeit versinkenden Literaturbetrieb heute. ANTON THUSWALDNER
Bettina Balàka: "Der Zauberer vom Cobenzl". Roman.
Haymon Verlag, Innsbruck 2023. 243 S., geb., 19,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main