Alda aus Rejkjavik ist eine kluge und selbstbewusste Frau. Sie hat schon viele Herzen gebrochen, als sie in Anton schließlich ihren Meister findet. Nach einer kurzen und heißen Affäre lässt er sie fallen, und Alda weiß mit einem Mal: So ist das, wenn der andere geht, aber die Liebe bleibt - "Der Zeitdieb" ist eine Geschichte über die Krankheit Liebe, federleicht erzählt, aber mit einer Intensität, die den Leser nicht loslässt.
Die Geschichte einer selbstbewußten, gutsituierten Frau, einer Lehrerin in Reykjavik. Alda hat alles im Überfluß. Doch eines fehlt ihr, da hat der Erfolg sie übergangen: Liebe. Jung, schön und intelligent, hatte sie alle Heiratskandidaten abgewiesen. Da begegnet ihr mit 37 Jahren ein verheirateter Mann, ein Historiker, mit dem sie eine Beziehung beginnt. Doch wie sie begonnen hat, so unvermittelt findet sie nach hundert Tagen ihr Ende. Der Mann läßt sie fallen.
Alda wird fast über Nacht zu einer alten Frau, der Geliebte wird zum Dieb ihrer Zeit. Ein unaufhaltsamer Auflösungsprozess nimmt seinen Lauf, die gescheiterte Liebe kann nur der äußere Anlass gewesen sein.
Die Geschichte einer selbstbewußten, gutsituierten Frau, einer Lehrerin in Reykjavik. Alda hat alles im Überfluß. Doch eines fehlt ihr, da hat der Erfolg sie übergangen: Liebe. Jung, schön und intelligent, hatte sie alle Heiratskandidaten abgewiesen. Da begegnet ihr mit 37 Jahren ein verheirateter Mann, ein Historiker, mit dem sie eine Beziehung beginnt. Doch wie sie begonnen hat, so unvermittelt findet sie nach hundert Tagen ihr Ende. Der Mann läßt sie fallen.
Alda wird fast über Nacht zu einer alten Frau, der Geliebte wird zum Dieb ihrer Zeit. Ein unaufhaltsamer Auflösungsprozess nimmt seinen Lauf, die gescheiterte Liebe kann nur der äußere Anlass gewesen sein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997Wie eine Welle auf trockenem Land
Auch Island hat ein Bürgertum, das zur Tragödie taugt: Steinunn Sigurdardóttirs "Zeitdieb" / Von Heinrich Detering
Nichts ist so exotisch wie das Wohlbekannte am unerwarteten Ort. Von Büchern aus Island beispielsweise erwarten deutsche Leser mit Grund und Recht Sagas von Bauerngeschlechtern, Bilder urweltlicher Landschaften und archaischer Lebensformen, mit einem Wort: die vertrauten Ansichten einer fremden Welt. Das letzte hingegen, worauf die Empfänger literarischer Importe von einer Wikinger- und Vulkaninsel am Polarkreis gefaßt wären, ist genau das, was uns deren interessanteste Erzähler neuerdings gleichwohl paketweise über den Atlantik schicken: Großstadtgeschichten.
Großstadtgeschichten? In Reykjavik leben kaum neunzigtausend Menschen, weniger als in Würzburg. Aber auch eine kleine Hauptstadt kann dort zur Metropole werden, wo sie das einzige Zentrum einer so vitalen Kultur wie der isländischen darstellt. In diesem Schreib- und Leseland, dessen Zahlenverhältnis von Bürgern und Lesern sich allenfalls mit demjenigen Irlands vergleichen ließe, hat sich Reykjavik längst zu so etwas wie einem arktischen Dublin entwickelt. Und dort schreiben die Kinder und Enkel des Übervaters Laxness also Großstadtromane.
Einar Kárassons kollektive Schelmengeschichten aus der fröhlichen Anarchie des Lumpenproletariats haben sich dank Enzensbergers "Anderer Bibliothek" auch hierzulande schon eingebürgert. Deren genaues und nicht minder reizvolles Gegenstück stellen nun die ebenso verdienstvollen "Meridiane" des Ammann Verlags in einer kleinen literarischen Entdeckung vor. Was nämlich Steinunn Sigurdardóttir in ihrem "Zeitdieb" erzählt, ist eine traurig-schöne Liebesgeschichte aus einer Gesellschaftsklasse, deren bloße Existenz bei uns schon hinreichend exotisch wirken dürfte: dem isländischen Großbürgertum. Tatsächlich, die Heldin dieses Romans strahlt schon deshalb etwas vom diskreten Charme der Bourgeoisie aus, weil sie im Besitz von etwas nun wiederum für isländische Leser so Exotischem ist wie einem richtigen Familiennamen. Wo fast alle Bürger "-son" oder "-dóttir" sind und sich folglich traditionell mit den Vornamen anreden, trägt sie den überaus seltenen Namen Alda Ívarsen: jawohl, "aus dem bekannten Geschlecht". Die elegante, unverheiratete und sehr sinnliche Dame, deren weitläufiges Leben sich zwischen Paris und Greenwich Village, Barcelona und London abspielt, hört Satie und Dylan, liest Dostojewski und Patricia Highsmith und läßt auf ein Zitat aus einem Laxness-Roman passenderweise die Beschreibung des Blues folgen, den sechs uralte schwarze Musiker im French Quarter von New Orleans spielen.
Aber noch einem anderen, nicht weniger bekannten Geschlecht gehört sie an, und das signalisiert ihr Vorname: "Alda" heißt sie, also "Welle". Tatsächlich als ein undinenhaftes Wesen erfährt und erweist sich Alda, als sie mit siebenunddreißig Jahren dem Mann begegnet, mit dem sie, koste es, was es wolle, auf dauerhaftem Festland leben möchte. Natürlich ist er verheiratet, und das überirdische (aber am Ende vielleicht doch sehr einseitig gewesene) Glück, das sie mit ihm erlebt, bleibt flüchtig. Nach magischen einhundert Tagen erklärt der Geliebte die in verliebter Blindheit für vorübergehend gehaltene erste Trennung für endgültig; und das war's schon. Das war es? Im Gegenteil, erst jetzt, nach dem Ende des Traums vom Hinabsteigen des Himmels auf die Erde, beginnt die wirkliche Undinen-Geschichte - als die Leidensgeschichte einer Obsession mit tödlichem Ausgang. Was die Verliebte früh einmal flüchtig gespürt hat, erweist sich als prophetischer Vorblick auf das Ende: da zerfließt die "Welle Alda auf trockenem Land". Auch dieses Wasserwesen also wird, wie so viele Undinen vor ihr, von ihrem Menschenmann getrennt, der sich lieber an seine Menschenfrau und an die Bedingungen der Kultur hält (und zwar hier so buchstäblich wie möglich: er wird Kulturminister), als ihren elementaren und unbedingten Verlockungen zu folgen. Und auch sie wird am Ende zwischen dem zurückgelassenen alten und dem lebensunmöglichen neuen Element zugrunde gehen. Was in diesem Fall heißt: Sie stirbt an der gestohlenen Zeit, die ihr allein die doch noch erfüllte Liebessehnsucht zurückgeben könnte, sie altert im Zeitraffer, wird "untot im Unland", trocknet ein und aus.
Aber auch wenn alle guten Geister sie verlassen, bleibt doch ihre ironische Selbstdistanz wenn nicht zu ihrem, dann wenigstens zum Glück des Lesers unerschütterlich. Daß sie zur alten Jungfer verdorrt, konstatiert sie so roh wie lakonisch: "Unberührte Sterile. In Ewigkeit. Omen." Und in der Vorbereitung auf das Sterben wird sie nicht vergessen, daß sie schließlich noch vor jedem größeren Ereignis auch an ihre Publikumswirkung gedacht hat. Deshalb besprüht sie ihren sterbenden Leib doch noch einmal, wieder einmal "mit Nina Riccis gutem L'air du temps".
Gegen den tiefdunklen Grund einer tragischen Handlung setzt diese Erzählung einen eigensinnig leichtfüßigen, verspielt ironischen Duktus. Gegen die Gefahren der Innerlichkeit wappnet sich der große Monolog, indem er sich einfach auflöst in Fragmente und Facetten. Kurze erzählende Passagen und lange Gedichte in freien Versen, Briefe und Aperçus verwirbeln sich zu kleinen Strudeln, in denen sich der narrative mainstream anmutig verliert; die festen Ufer des "Romans", als der sich dieser Text ausgibt, werden von lyrischen Wellen bespült und unmerklich untergraben. So verschwimmend undinenhaft erzählt eine Heldin, die "Alda" heißt. Und weil sie so kapriziös bleibt noch in der Tragödie, glitzern auf den Wellen dieses kleinen Romans ein paar hübsche Glanzlichter - lebenserfahrene Reflexionen beispielsweise über die Natur des ersten Kusses ("in seiner Art wissenschaftlich"), knappe Formeln des seelischen Elends ("Ich kotze nach innen"), erhellende Einsichten in die Zwitternatur von Pinguinen ("weder Fisch noch Fleisch") und Ausblicke auf das Erhabene der Schweizer Landschaften ("Der Vierwaldstätter See ist über jede Kritik erhaben").
Ein schönes kleines Buch. Im Leseland Island hatte die bis dahin vor allem als Lyrikerin und Verfasserin kurzer Erzählungen vielgelesene Schriftstellerin mit diesem urbanen Märchen ihren ersten Romanerfolg. Das war vor elf Jahren; seither sind mehrere gefolgt und haben Steinunn Sigurdardóttir über die Metropole Reykjavik hinaus bekannt gemacht. Erst kürzlich ist dieser Roman ins Französische übersetzt worden; eine Verfilmung mit Emanuelle Béart ist geplant. Und dank der so musikalischen wie ironiesicheren Übersetzung von Coletta Bürling können sich jetzt endlich auch deutschsprachige Leser in Aldas verlockenden Redefluß stürzen.
Steinunn Sigurdardóttir: "Der Zeitdieb". Roman. Aus dem Isländischen übersetzt von Coletta Bürling. Ammann Verlag, Zürich 1997. 180 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch Island hat ein Bürgertum, das zur Tragödie taugt: Steinunn Sigurdardóttirs "Zeitdieb" / Von Heinrich Detering
Nichts ist so exotisch wie das Wohlbekannte am unerwarteten Ort. Von Büchern aus Island beispielsweise erwarten deutsche Leser mit Grund und Recht Sagas von Bauerngeschlechtern, Bilder urweltlicher Landschaften und archaischer Lebensformen, mit einem Wort: die vertrauten Ansichten einer fremden Welt. Das letzte hingegen, worauf die Empfänger literarischer Importe von einer Wikinger- und Vulkaninsel am Polarkreis gefaßt wären, ist genau das, was uns deren interessanteste Erzähler neuerdings gleichwohl paketweise über den Atlantik schicken: Großstadtgeschichten.
Großstadtgeschichten? In Reykjavik leben kaum neunzigtausend Menschen, weniger als in Würzburg. Aber auch eine kleine Hauptstadt kann dort zur Metropole werden, wo sie das einzige Zentrum einer so vitalen Kultur wie der isländischen darstellt. In diesem Schreib- und Leseland, dessen Zahlenverhältnis von Bürgern und Lesern sich allenfalls mit demjenigen Irlands vergleichen ließe, hat sich Reykjavik längst zu so etwas wie einem arktischen Dublin entwickelt. Und dort schreiben die Kinder und Enkel des Übervaters Laxness also Großstadtromane.
Einar Kárassons kollektive Schelmengeschichten aus der fröhlichen Anarchie des Lumpenproletariats haben sich dank Enzensbergers "Anderer Bibliothek" auch hierzulande schon eingebürgert. Deren genaues und nicht minder reizvolles Gegenstück stellen nun die ebenso verdienstvollen "Meridiane" des Ammann Verlags in einer kleinen literarischen Entdeckung vor. Was nämlich Steinunn Sigurdardóttir in ihrem "Zeitdieb" erzählt, ist eine traurig-schöne Liebesgeschichte aus einer Gesellschaftsklasse, deren bloße Existenz bei uns schon hinreichend exotisch wirken dürfte: dem isländischen Großbürgertum. Tatsächlich, die Heldin dieses Romans strahlt schon deshalb etwas vom diskreten Charme der Bourgeoisie aus, weil sie im Besitz von etwas nun wiederum für isländische Leser so Exotischem ist wie einem richtigen Familiennamen. Wo fast alle Bürger "-son" oder "-dóttir" sind und sich folglich traditionell mit den Vornamen anreden, trägt sie den überaus seltenen Namen Alda Ívarsen: jawohl, "aus dem bekannten Geschlecht". Die elegante, unverheiratete und sehr sinnliche Dame, deren weitläufiges Leben sich zwischen Paris und Greenwich Village, Barcelona und London abspielt, hört Satie und Dylan, liest Dostojewski und Patricia Highsmith und läßt auf ein Zitat aus einem Laxness-Roman passenderweise die Beschreibung des Blues folgen, den sechs uralte schwarze Musiker im French Quarter von New Orleans spielen.
Aber noch einem anderen, nicht weniger bekannten Geschlecht gehört sie an, und das signalisiert ihr Vorname: "Alda" heißt sie, also "Welle". Tatsächlich als ein undinenhaftes Wesen erfährt und erweist sich Alda, als sie mit siebenunddreißig Jahren dem Mann begegnet, mit dem sie, koste es, was es wolle, auf dauerhaftem Festland leben möchte. Natürlich ist er verheiratet, und das überirdische (aber am Ende vielleicht doch sehr einseitig gewesene) Glück, das sie mit ihm erlebt, bleibt flüchtig. Nach magischen einhundert Tagen erklärt der Geliebte die in verliebter Blindheit für vorübergehend gehaltene erste Trennung für endgültig; und das war's schon. Das war es? Im Gegenteil, erst jetzt, nach dem Ende des Traums vom Hinabsteigen des Himmels auf die Erde, beginnt die wirkliche Undinen-Geschichte - als die Leidensgeschichte einer Obsession mit tödlichem Ausgang. Was die Verliebte früh einmal flüchtig gespürt hat, erweist sich als prophetischer Vorblick auf das Ende: da zerfließt die "Welle Alda auf trockenem Land". Auch dieses Wasserwesen also wird, wie so viele Undinen vor ihr, von ihrem Menschenmann getrennt, der sich lieber an seine Menschenfrau und an die Bedingungen der Kultur hält (und zwar hier so buchstäblich wie möglich: er wird Kulturminister), als ihren elementaren und unbedingten Verlockungen zu folgen. Und auch sie wird am Ende zwischen dem zurückgelassenen alten und dem lebensunmöglichen neuen Element zugrunde gehen. Was in diesem Fall heißt: Sie stirbt an der gestohlenen Zeit, die ihr allein die doch noch erfüllte Liebessehnsucht zurückgeben könnte, sie altert im Zeitraffer, wird "untot im Unland", trocknet ein und aus.
Aber auch wenn alle guten Geister sie verlassen, bleibt doch ihre ironische Selbstdistanz wenn nicht zu ihrem, dann wenigstens zum Glück des Lesers unerschütterlich. Daß sie zur alten Jungfer verdorrt, konstatiert sie so roh wie lakonisch: "Unberührte Sterile. In Ewigkeit. Omen." Und in der Vorbereitung auf das Sterben wird sie nicht vergessen, daß sie schließlich noch vor jedem größeren Ereignis auch an ihre Publikumswirkung gedacht hat. Deshalb besprüht sie ihren sterbenden Leib doch noch einmal, wieder einmal "mit Nina Riccis gutem L'air du temps".
Gegen den tiefdunklen Grund einer tragischen Handlung setzt diese Erzählung einen eigensinnig leichtfüßigen, verspielt ironischen Duktus. Gegen die Gefahren der Innerlichkeit wappnet sich der große Monolog, indem er sich einfach auflöst in Fragmente und Facetten. Kurze erzählende Passagen und lange Gedichte in freien Versen, Briefe und Aperçus verwirbeln sich zu kleinen Strudeln, in denen sich der narrative mainstream anmutig verliert; die festen Ufer des "Romans", als der sich dieser Text ausgibt, werden von lyrischen Wellen bespült und unmerklich untergraben. So verschwimmend undinenhaft erzählt eine Heldin, die "Alda" heißt. Und weil sie so kapriziös bleibt noch in der Tragödie, glitzern auf den Wellen dieses kleinen Romans ein paar hübsche Glanzlichter - lebenserfahrene Reflexionen beispielsweise über die Natur des ersten Kusses ("in seiner Art wissenschaftlich"), knappe Formeln des seelischen Elends ("Ich kotze nach innen"), erhellende Einsichten in die Zwitternatur von Pinguinen ("weder Fisch noch Fleisch") und Ausblicke auf das Erhabene der Schweizer Landschaften ("Der Vierwaldstätter See ist über jede Kritik erhaben").
Ein schönes kleines Buch. Im Leseland Island hatte die bis dahin vor allem als Lyrikerin und Verfasserin kurzer Erzählungen vielgelesene Schriftstellerin mit diesem urbanen Märchen ihren ersten Romanerfolg. Das war vor elf Jahren; seither sind mehrere gefolgt und haben Steinunn Sigurdardóttir über die Metropole Reykjavik hinaus bekannt gemacht. Erst kürzlich ist dieser Roman ins Französische übersetzt worden; eine Verfilmung mit Emanuelle Béart ist geplant. Und dank der so musikalischen wie ironiesicheren Übersetzung von Coletta Bürling können sich jetzt endlich auch deutschsprachige Leser in Aldas verlockenden Redefluß stürzen.
Steinunn Sigurdardóttir: "Der Zeitdieb". Roman. Aus dem Isländischen übersetzt von Coletta Bürling. Ammann Verlag, Zürich 1997. 180 S., geb., 38,- DM.
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"Der Zeitdieb ist schlichtweg vollkommen, und man muß schon ein ziemlicher Unmensch sein, um die 180 Seiten nicht in einer Nacht zu verschlingen. Welt Die intellektuelle und sprachliche Brillanz des Romans machen ihn zu einem Lesevergnügen, das man sich nicht entgehen lassen sollte." -- HR
Die intellektuelle und sprachliche Brillanz des Romans machen ihn zu einem Lesevergnügen, das man sich nicht entgehen lassen sollte. HR