Hinrich Lobek, seit drei Jahren abgewickelter Angestellter der Ostberliner Kommunalen Wohungsverwaltung, wittert Morgenluft. Das Wochenhoroskop von 'Hallo Berlin' mahnt zur Initiative. Beherzt bewirbt sich Lobek bei einer westdeutschen Firma für Zimmerspringbrunnen. Mutig schreibt er: "Langjährige Erfahrung im Vertreterbereich". Und so beginnt der unaufhaltsame Aufstieg von Hinrich Lobek zum erfolgreichen Vertreter Ost für Zimmerspringbrunnen. Wie ein Schwejk der Vertreterbranche stolpert Lobek ahnungslos von Erfolg zu Erfolg. Mit diesem burlesken Vertreterroman ist Sparschuh das Kunststück gelungen, alle komischen und tragischen Aspekte der Ost-West-Spaltung aufzugreifen und ohne Larmoyanz durchzuspielen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.1995Nun plätschert es wieder
Aufbau Ost: Jens Sparschuh installiert einen Zimmerspringbrunnen
Wem seine Welt genommen wird, der zieht sich in die eigenen vier Wände zurück. Schon zu Lebzeiten der DDR waren deshalb Wohnungen und Datschen der Bevölkerung die eigentlichen Produktionsstätten. Hier wurde eifriger gewerkelt als in VEB oder LPG. Die Nachbarschaftshilfe blühte, und ganze Belegschaften verbrachten ihre Wochenenden auf den Grundstücken der Kollegen, für deren Häuser sich gerade etwas aus der letzten Materialzuteilung verwenden ließ. Als das SED-Regime stürzte, erschien dies jedoch vielen Ostdeutschen nicht als Rückgewinnung der Welt, sondern als erneuter Verlust - diesmal aller Freiheiten, die das alte System noch gelassen hatte. Vorbei die enge Beziehung zu Nachbarn und Kollegen, und selbst innerhalb der Familien taten sich Gräben auf: Wer durfte seinen Job behalten, wer war fortan ganz auf die eigenen vier Wände verwiesen? Das frühere Refugium wurde vielen nun zum Exil.
So auch Hinrich Lobek, dem Protagonisten von Jens Sparschuhs neuem Roman "Der Zimmerspringbrunnen". Lobek ist ein ehemaliger DDR-Bürger wie aus dem Musterkatalog der Vereinigungsgegner in Ost und West: Abgewickelt und kommunikationsunfähig sitzt der Mittvierziger im Unterhemd zu Hause, als Weiterbildungsmaßnahme besucht er einen Erste-Hilfe-Kurs beim Roten Kreuz. Die Ehe mit seiner berufstätigen Frau Julia geht in die Brüche, doch Hinrich kümmert sich nur um den gemeinsamen Hund Hasso. Ohne jemals bei der Stasi gewesen zu sein, führt er ein minutiöses "Protokollbuch" über Julia. Und als er sich endlich entschließt, sich um eine Stelle als Vertreter zu bemühen, wird alles noch viel schlimmer. Der Ausbruch aus dem Exil wird zum Eintritt in die Psychose.
Als Reisender für den Vertrieb von Zimmerspringbrunnen hat Hinrich überraschenden Erfolg mit einer Eigenkreation: dem Modell "Atlantis", das seinen wehmütigen Ost-Berliner Kunden eine abwechselnd auf- und wieder untertauchende DDR im Wasserbecken präsentiert. Doch statt daß seine Frau diesem vortrefflichen Menschen und raffinierten Geschäftsmann huldigt, beklagt sie dessen Egozentrik und zieht zu einer Freundin. Der Versuch, sie zurückzugewinnen, scheitert kläglich; Hinrich landet am Heiligen Abend als Penner am Bahnhof Zoo.
So weit, so trist. Ähnliche Stoffe von der Verzweiflung an der bürgerlichen Gesellschaft haben wir in "Zündels Abgang" von Markus Werner oder auch Canettis "Blendung" gelesen. Nur war dort die Konsequenz dieses Prozesses schaurig und grotesk. Das Problem von Sparschuhs Buch besteht darin, daß es vor allem komisch sein will. Kein noch so alter Witz ("Übrigens - ich bin der Uwe. Das macht doch nichts, wollte ich sagen."), keine Blödelei (dem Hund wird "Expeditionen ins Tierreich" im Fernsehen verboten) ist dem Autor zu dürftig. Seine Schilderung einer Vertreterkonferenz mit den üblichen Verkaufsseminaren bedient alle gängigen Klischees vom jungdynamischen Verkaufstrainer mit Zopf über den hypernervösen, unbeholfenen Handelsreisenden bis zum patriarchalischen Unternehmer, natürlich einem alten Nazi.
Sparschuh kann gar nicht hoch genug greifen, um einen Typus zu finden, dem Lobek zu entsprechen hat, und so ist sein Held mal Robinson (und nennt seinen Hund "Freitag" - gute Güte, wie originell!), dann wieder der "letzte Mohikaner". Der erste aber versucht mit allen Mitteln, in der Einsamkeit zu überleben, der zweite steht als "edler Wilder" für ein heroisch aussterbendes Volk. Beides ist gleich weit entfernt von Lobeks Lebensplan: Er ist ein selbstmitleidiger "Nöl-Ossi" (Max Goldt), und seine DDR-Herkunft allein prädestiniert ihn noch nicht zur Rothaut. Doch nicht nur die Analogien stimmen nicht, auch Metaphern wie die "Hammerschläge auf einer Galeere" scheitern. Da hätte sich Sparschuh schon für Trommel- oder Peitschenschläge entscheiden müssen.
Zu den sprachlichen Schludereien treten inhaltliche. Auf einer einzigen Seite beklagt Sparschuhs Protagonist zuerst seine "Planrückstände" bei der Produktion seiner Brunnen, die ihn weit hinter die Bestellungen haben zurückfallen lassen, dann aber verkauft er wenig später seinen "aktuellen Atlantis-Vorrat". Und weiß Sparschuh als langjähriger DDR-Bewohner wirklich nichts Typischeres zu berichten als die Probleme mit der Küchenentlüftung in Plattenbauten?
Als "Heimatroman", den der Untertitel verspricht, ist Sparschuhs Roman heimatlos, und auch von dem "rasanten Gesellschaftsroman", den der Klappentext verspricht, kann keine Rede sein. Zwischen zwei Buchdeckeln jedenfalls macht "Der Zimmerspringbrunnen" einen ebenso schlechten Eindruck wie mutmaßlich als Original im Wohnzimmer. Nur daß man dann das monotone Geplätscher abstellen könnte. ANDREAS PLATTHAUS
Jens Sparschuh: "Der Zimmerspringbrunnen". Ein Heimatroman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995. 160 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aufbau Ost: Jens Sparschuh installiert einen Zimmerspringbrunnen
Wem seine Welt genommen wird, der zieht sich in die eigenen vier Wände zurück. Schon zu Lebzeiten der DDR waren deshalb Wohnungen und Datschen der Bevölkerung die eigentlichen Produktionsstätten. Hier wurde eifriger gewerkelt als in VEB oder LPG. Die Nachbarschaftshilfe blühte, und ganze Belegschaften verbrachten ihre Wochenenden auf den Grundstücken der Kollegen, für deren Häuser sich gerade etwas aus der letzten Materialzuteilung verwenden ließ. Als das SED-Regime stürzte, erschien dies jedoch vielen Ostdeutschen nicht als Rückgewinnung der Welt, sondern als erneuter Verlust - diesmal aller Freiheiten, die das alte System noch gelassen hatte. Vorbei die enge Beziehung zu Nachbarn und Kollegen, und selbst innerhalb der Familien taten sich Gräben auf: Wer durfte seinen Job behalten, wer war fortan ganz auf die eigenen vier Wände verwiesen? Das frühere Refugium wurde vielen nun zum Exil.
So auch Hinrich Lobek, dem Protagonisten von Jens Sparschuhs neuem Roman "Der Zimmerspringbrunnen". Lobek ist ein ehemaliger DDR-Bürger wie aus dem Musterkatalog der Vereinigungsgegner in Ost und West: Abgewickelt und kommunikationsunfähig sitzt der Mittvierziger im Unterhemd zu Hause, als Weiterbildungsmaßnahme besucht er einen Erste-Hilfe-Kurs beim Roten Kreuz. Die Ehe mit seiner berufstätigen Frau Julia geht in die Brüche, doch Hinrich kümmert sich nur um den gemeinsamen Hund Hasso. Ohne jemals bei der Stasi gewesen zu sein, führt er ein minutiöses "Protokollbuch" über Julia. Und als er sich endlich entschließt, sich um eine Stelle als Vertreter zu bemühen, wird alles noch viel schlimmer. Der Ausbruch aus dem Exil wird zum Eintritt in die Psychose.
Als Reisender für den Vertrieb von Zimmerspringbrunnen hat Hinrich überraschenden Erfolg mit einer Eigenkreation: dem Modell "Atlantis", das seinen wehmütigen Ost-Berliner Kunden eine abwechselnd auf- und wieder untertauchende DDR im Wasserbecken präsentiert. Doch statt daß seine Frau diesem vortrefflichen Menschen und raffinierten Geschäftsmann huldigt, beklagt sie dessen Egozentrik und zieht zu einer Freundin. Der Versuch, sie zurückzugewinnen, scheitert kläglich; Hinrich landet am Heiligen Abend als Penner am Bahnhof Zoo.
So weit, so trist. Ähnliche Stoffe von der Verzweiflung an der bürgerlichen Gesellschaft haben wir in "Zündels Abgang" von Markus Werner oder auch Canettis "Blendung" gelesen. Nur war dort die Konsequenz dieses Prozesses schaurig und grotesk. Das Problem von Sparschuhs Buch besteht darin, daß es vor allem komisch sein will. Kein noch so alter Witz ("Übrigens - ich bin der Uwe. Das macht doch nichts, wollte ich sagen."), keine Blödelei (dem Hund wird "Expeditionen ins Tierreich" im Fernsehen verboten) ist dem Autor zu dürftig. Seine Schilderung einer Vertreterkonferenz mit den üblichen Verkaufsseminaren bedient alle gängigen Klischees vom jungdynamischen Verkaufstrainer mit Zopf über den hypernervösen, unbeholfenen Handelsreisenden bis zum patriarchalischen Unternehmer, natürlich einem alten Nazi.
Sparschuh kann gar nicht hoch genug greifen, um einen Typus zu finden, dem Lobek zu entsprechen hat, und so ist sein Held mal Robinson (und nennt seinen Hund "Freitag" - gute Güte, wie originell!), dann wieder der "letzte Mohikaner". Der erste aber versucht mit allen Mitteln, in der Einsamkeit zu überleben, der zweite steht als "edler Wilder" für ein heroisch aussterbendes Volk. Beides ist gleich weit entfernt von Lobeks Lebensplan: Er ist ein selbstmitleidiger "Nöl-Ossi" (Max Goldt), und seine DDR-Herkunft allein prädestiniert ihn noch nicht zur Rothaut. Doch nicht nur die Analogien stimmen nicht, auch Metaphern wie die "Hammerschläge auf einer Galeere" scheitern. Da hätte sich Sparschuh schon für Trommel- oder Peitschenschläge entscheiden müssen.
Zu den sprachlichen Schludereien treten inhaltliche. Auf einer einzigen Seite beklagt Sparschuhs Protagonist zuerst seine "Planrückstände" bei der Produktion seiner Brunnen, die ihn weit hinter die Bestellungen haben zurückfallen lassen, dann aber verkauft er wenig später seinen "aktuellen Atlantis-Vorrat". Und weiß Sparschuh als langjähriger DDR-Bewohner wirklich nichts Typischeres zu berichten als die Probleme mit der Küchenentlüftung in Plattenbauten?
Als "Heimatroman", den der Untertitel verspricht, ist Sparschuhs Roman heimatlos, und auch von dem "rasanten Gesellschaftsroman", den der Klappentext verspricht, kann keine Rede sein. Zwischen zwei Buchdeckeln jedenfalls macht "Der Zimmerspringbrunnen" einen ebenso schlechten Eindruck wie mutmaßlich als Original im Wohnzimmer. Nur daß man dann das monotone Geplätscher abstellen könnte. ANDREAS PLATTHAUS
Jens Sparschuh: "Der Zimmerspringbrunnen". Ein Heimatroman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995. 160 S., geb., 29,80 DM.
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