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Jeden Donnerstag kamen in das Elternhaus Cheheltans acht Gäste, um mit den Eltern und später auch ihm selbst über Literatur zu sprechen. Sie sprachen vorzugsweise über die klassische persische Literatur, über Rumi, Hafis, Saadi, Ferdowsi und andere. Über Jahre hielten diese Treffen an und eröffneten einen Raum der Sprache, der Poesie, der Interpretation, was die großen Themen des Lebens und des Geistes anbelangt, verbanden die Teilnehmer, verstrickten sie aber auch miteinander, weil die Staatsmacht auch in ihren Zirkel reinregierte. Denn in diesem Zeitraum seit den sechziger Jahren herrscht…mehr

Produktbeschreibung
Jeden Donnerstag kamen in das Elternhaus Cheheltans acht Gäste, um mit den Eltern und später auch ihm selbst über Literatur zu sprechen. Sie sprachen vorzugsweise über die klassische persische Literatur, über Rumi, Hafis, Saadi, Ferdowsi und andere. Über Jahre hielten diese Treffen an und eröffneten einen Raum der Sprache, der Poesie, der Interpretation, was die großen Themen des Lebens und des Geistes anbelangt, verbanden die Teilnehmer, verstrickten sie aber auch miteinander, weil die Staatsmacht auch in ihren Zirkel reinregierte.
Denn in diesem Zeitraum seit den sechziger Jahren herrscht erst der Schah mit seinem Repressionsapparat und dem Geheimdienst SAVAK, bis die islamische Revolution von 1979 das Regime durch die Macht der Mullahs ersetzt. In seiner dichten und detaillierten Erzählung kehrt Amir Hassan Cheheltan immer wieder zu dem Zirkel der Literaturliebhaber, den Gesprächen über die Poesie, der Rolle seiner Eltern, den Impulsen für die eigene Lektüre und der Wirkung der Literatur zurück. Denn diese ist älter, weiser, komischer, subversiver und sexuell weitaus freizügiger, als die offizielle Sittenlehre und die gesellschaftlichen Zwänge es dulden wollen.
Autorenporträt
Amir Hassan Cheheltan, geboren 1956 in Teheran, studierte in England Elektrotechnik, nahm am Irakkrieg teil und veröffentlichte in Teheran bislang Romane und Erzählungsbände. Zwei Jahre hielt er sich wegen der Bedrohung durch das Regime mit seiner Familie in Italien auf. Sein Roman "Teheran, Revolutionsstraße" erschien 2009 als Welt-Erstveröffentlichung auf Deutsch, es folgten "Teheran, Apokalypse" und "Teheran, Stadt ohne Himmel" inzwischen liegt die gesamte Teheran-Trilogie bei C.H.Beck vor. Zuletzt erschien hier sein Roman "Der Kalligraph von Isfahan". Cheheltan veröffentlicht Essays und Feuilletons in der 'FAZ', der 'SZ', der 'ZEIT' und anderswo. Jutta Himmelreich, studierte Romanistik, Amerikanistik und Ethnologie in Frankfurt, Tucson, Arizona und Paris. Sie ist seit 1985 als Übersetzerin und Dolmetscherin in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Farsi tätig.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass es sich bei diesem Buch des iranischen Autors Amir Hassan Cheheltan um einen Roman handelt, wie es der Verlag angibt, wagt Rezensentin Lena Bopp zu bezweifeln. Vielmehr liest sie einen Hybrid aus autobiografischen Passagen und fiktionalen Erinnerungen - dies allerdings mit großem Gewinn. Cheheltans Eltern organisierten einst einen literarischen Zirkel, weiß die Kritikerin, die sich gern von dem Autor mit auf einen Streifzug durch die persische Literatur und dessen Lektüreerlebnisse nehmen lässt. Allzu lange literaturhistorische Exkurse verzeiht Bopp gern, viel zu interessiert liest sie Cheheltans geradezu "obsessive" Auseinandersetzung mit homoerotischen, mitunter obszönen oder pornografischen Passagen. Von "Masturbation, Analverkehr, Liebe und Eifersucht" in der persischen Literatur berichtet ihr der Autor auch mit Blick auf den gesellschaftlichen Kontext. Angesichts der restriktiven iranischen Politik liest Bopp das Buch auch als "Abgesang" auf ein "vernichtetes Bürgertum".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2020

Gab es je so etwas wie allgemeinen Anstand?
Amir Hassan Cheheltans Roman "Der Zirkel der Literaturliebhaber" hält Iran den Dichterspiegel vor

Amir Hassan Cheheltan hat einen neuen Roman geschrieben, aber hat er das wirklich? Auf dem Cover seines Buches steht "Roman", auf der Rückseite jedoch heißt es, er, also Amir Hassan Cheheltan, habe ein Buch über jenen Literaturzirkel geschrieben, der jeden Donnerstag im Haus seiner Eltern zusammenkam, um mit ihnen und später mit ihm selbst über klassische persische Literatur zu sprechen. Ein Roman über sein Elternhaus? Auch der Ich-Erzähler des Buches schafft keine Klarheit. An einer Stelle erzählt er eine Fabel nach, die ihn als Kind sehr beeindruckte, und schließt mit den Worten: "Soweit ich weiß, habe ich in der Literatur seitdem ein probates Mittel gesehen, um meiner Erinnerung auf die Sprünge und mir dabei zu helfen, Ordnung in meine Erinnerungen zu bringen."

So geraten die beiden Sphären in Cheheltans Buch durcheinander. Was auch immer das Buch aber erzählt, ob autobiographische Episoden aus dem Leben des Autors oder fiktionale Erinnerungen seines Alter Egos, der Text lässt keinen Zweifel daran, dass sein Inhalt genau diese hybride Form annehmen musste. Amir Hassan Cheheltan wurde die Literatur in die Wiege gelegt. Sein Vater interessierte sich für nichts so sehr wie für das Lesen. Seine Mutter verfluchte die Donnerstagsrunden zwar, weil sie fand, ihr Mann zwinge mit ihnen der ganzen Familie seine Leidenschaft auf. Doch sie erfüllte ihre Rolle als geistreiche Gastgeberin so gut, dass man annehmen darf, sie hat sie nicht nur gespielt. Die Donnerstage strukturieren die Wochen. Die Monate, Jahre, ein ganzes Leben.

Da ist es nur folgerichtig, dass der Erzähler seine Erinnerungen von Beginn an mit literarischen Texten durchsetzt, die ihn besonders prägten. Als Kind sind es Tierfabeln und die Geschichten der Großmutter. Später, als er an der Schwelle zur Pubertät steht und zufällig seine nackte Mutter im Badezimmer erblickt, sind es Geschichten aus der altpersischen Literatur, etwa das "Königsbuch" des Dichters Ferdosi, die von Beziehungen zwischen Söhnen und Müttern handeln. Schließlich vertieft er sich als junger Mann in jene "Stellen", die in zahlreichen klassischen Werken von Liebe und Sexualität erzählen, vor allem unter Männern. Ein eigenes Kapitel widmet er in diesem Sinn dem Werk des Dichters Saadi. Ein anderes beugt sich über den Dichter Rumi. Weitere untersuchen "Den geliebten Mann" und "Die Sache mit des Geliebten Bart". Sein eigenes Leben, aus dem der Erzähler bis dahin genauso häufig berichtete wie von seinen Lektüreerlebnissen, tritt nun völlig in den Hintergrund.

Dass sich das Buch in diesen Teilen noch viel weniger wie ein Roman, sondern mehr wie eine literaturhistorische Abhandlung liest, ist rasch verziehen. Die Bandbreite der zugrundeliegenden Quell- und Sekundärliteratur ist beachtlich. Und die obsessive Auseinandersetzung des Erzählers mit den homoerotischen, teils obszönen, auch pornographischen Passagen ist gut begründet. Wie kann es sein, fragt er sich, dass in einem Land, das seine alten Dichter so flächendeckend verehrt ("Nicht umsonst staunen europäische Experten über die hohe Wertschätzung, die wir unseren Dichtergrößen entgegenbringen"), über all diese Stellen der Mantel des Schweigens gehüllt wird? Und zwar nicht nur von konservativen Kräften, Religionsgelehrten, Koranlehrern, die um Begriffe wie "Masturbation" einen weiten Bogen machen. Sondern auch vom Vater des Erzählers, der sich doch als großer Literaturkenner geriert. Die Lesart des jungen Amir Hassan Chehaltan unterscheidet sich von beiden, seine Zweifel richten sich gegen äußere und innere Autoritäten. Seine Emanzipation ist gründlich.

Nach seinen Lektüreerlebnissen zu urteilen, wimmelt es in der persischen Dichtung von Ferdosi, Saadi, Rumi und Hafis von Darstellungen männlicher Sexualität. Es geht um Analverkehr und Vergewaltigung, Liebe und Eifersucht, Rache und Vergebung. Cheheltan sieht in den Geschichten die lockere, humorvolle, irdische Seite dieser Literatur, was angesichts der Jugend manches geliebten Dieners und Sklaven seltsam anmuten mag, der inneren Logik seiner Argumentation aber zuträglich ist. Cheheltan plädiert für eine strikt textimmanente Analyse der alten Dichter. Er will sie auch beim anstößigen Wort nehmen.

Davon verspricht er sich nicht nur literarischen, sondern gesellschaftlichen, womöglich gar politischen Gewinn. "Die Darstellung der gleichgeschlechtlichen Liebe, als über mehrere Jahrhunderte hinweg allgemein verbreitetes Verhalten, . . . konfrontiert den Iran mit einer Erkenntnis." Wenn sich schon die allseits verehrten Dichter nicht in den Dienst "einer Sache wie allgemeinen Anstand" stellten, dann vielleicht deshalb, weil es so etwas noch nie gab? "Sie sahen den Menschen so, wie er war, nicht so, wie er sein soll."

Für Cheheltan lieferte die Offenheit der alten Literatur Iran jahrhundertelang ein Modell des Zusammenlebens. Ihm stellt er die nicht nur gedanklich immer enger werdende Bewegungsfreiheit seiner eigenen Erinnerungen entgegen. Irgendwann gelingt es selbst dem donnerstäglichen Literaturzirkel nicht mehr, seine Mitglieder wenigstens für einige Stunden vor den Zumutungen der Außenwelt abzuschirmen. Schon zu Zeiten des Schahs hatte sich ein "Savaki", ein Geheimdienstspitzel in die Runde schleichen können. Nach der Revolution, dem acht Jahre dauernden Krieg gegen den Irak und der auf ihn folgenden Ermordungswelle politischer Gefangener dringt die neue Ordnung mit weit größerer Macht durch die Ritzen des alten Elternhauses bis hinein in das Leben all seiner Bewohner und Gäste.

Nicht alle überleben das. Weder in diesem noch in anderen literarischen Kreisen des Landes. Was bleibt, ist Cheheltans trauriger Abgesang auf die Lebensart eines emigrierten oder vernichteten Bürgertums. Und ein kluger Lobgesang auf das, was diese Lebensart an Bildung, Empathie und Phantasie zu vermitteln vermochte. Kaum überraschend, dass auch dieses Buch Cheheltans in Iran nicht erscheinen darf.

LENA BOPP

Amir Hassan Cheheltan: "Der Zirkel der Literaturliebhaber". Roman.

Aus dem Persischen von Jutta Himmelreich. Verlag C.H. Beck, München 2020. 252 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein kluger Lobgesang auf das, was diese Lebensart an Bildung, Empathie und Phantasie zu vermitteln vermochte."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Lena Bopp

"Das ist ein wunderbar zartes Buch, obwohl es viel Kraft hat."
Kurier

"Der Balzac Irans (...) Der Autor schildert, unbestechlich, ironisch und kunstvoll, die Verrohung der Menschen in einem unmenschlichen System. Einer der essenziellen Romane des 21. Jahrhunderts (...) so spannend wie kundig."
Berliner Zeitung, Mathias Schnitzler

"Amir Hassan Cheheltans Buch ist eine Liebeserklärung an die Literatur."
Bayern2, Gabriele Knetsch

"Mit seinem Buch hat Amir Hassan Cheheltan dem lebensprägenden Faszinosum Literatur ein Denkmal gesetzt."
Deutschlandfunk Kultur, Ingo Arendt

"Amir Hassan Cheheltan zeigt weithin unbekannte Dimensionen der Literatur des Nahen Ostens."
literaturkritik.de, Thorsten Paprotny

"Ein anregendes, lesenswertes Buch."
Die Tageszeitung, Fokke Joel

"Cheheltan eröffnet uns westlichen Lesern mit seinem kleinen, großen Roman eine Welt."
Schweriner Volkszeitung, Holger Kankel

"Amir Cheheltan hat soeben für seinen neuesten Roman den Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt bekommen. Völlig zu Recht (...) nicht nur lehrreich, sondern einnehmend erzählt."
Tageblatt Luxemburg, Guy Helminger