Der deutsche Sozialstaat ist schon lange kein Vorbild mehr für andere Länder. Im Gegenteil: Von unserem Sozialsystem profitieren besonders die Privilegierten, Verlierer sind die Armen und Benachteiligten. Sie werden nicht effizient unterstützt, mehr noch: Das System fördert sogar soziale Ungerechtigkeit und Massenarbeitslosigkeit.
Karl Lauterbach, einer der führenden Sozialexperten Deutschlands, zeigt in seinem Buch: Deutschland ist zum Zweiklassenstaat verkommen. Etwa in der Bildung, wo vor allem Kinder höherer Schichten vom herrschenden Schulsystem profitieren. Oder in der Medizin, wo Privatversicherte schneller einen Arzttermin erhalten und besser behandelt werden. Oder auch bei der Rente: Weil Geringverdiener sechs bis neun Jahre kürzer leben, spart die Rentenkasse – und die Einkommensstarken sahnen ab. Lauterbach fordert die radikale Umkehr: Mehr Bildungschancen für die Ärmsten, gerechte Gesundheits-, Renten- und Pflegesysteme sowie die konsequente Beschneidung von Privilegien, die von Politikern und Lobbys verteidigt werden.
Eine leidenschaftliche Streitschrift für soziale Gerechtigkeit.
Karl Lauterbach, einer der führenden Sozialexperten Deutschlands, zeigt in seinem Buch: Deutschland ist zum Zweiklassenstaat verkommen. Etwa in der Bildung, wo vor allem Kinder höherer Schichten vom herrschenden Schulsystem profitieren. Oder in der Medizin, wo Privatversicherte schneller einen Arzttermin erhalten und besser behandelt werden. Oder auch bei der Rente: Weil Geringverdiener sechs bis neun Jahre kürzer leben, spart die Rentenkasse – und die Einkommensstarken sahnen ab. Lauterbach fordert die radikale Umkehr: Mehr Bildungschancen für die Ärmsten, gerechte Gesundheits-, Renten- und Pflegesysteme sowie die konsequente Beschneidung von Privilegien, die von Politikern und Lobbys verteidigt werden.
Eine leidenschaftliche Streitschrift für soziale Gerechtigkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2007Wo lebt bloß Karl Lauterbach?
Eine kleine Schicht der Reichen hat in Deutschland die Macht übernommen. Sie gönnen sich die Chefarztprivilegien der privaten Krankenversicherung, sie verwehren den Rüpeln aus der Unterschicht den Besuch von Gymnasium und Universität, um ihre braven Kinder nicht zu gefährden, und sie lassen sich ihr langes und gesundes Leben vom abgehängten Prekariat bezahlen. Denn die Armen sind nicht nur arm, sie sterben auch früher, zahlen aber genauso lang in die Rente ein. Weil sie allein nicht stark genug ist, hat sich die herrschende Kaste längst des Rückhalts von Politik und Regierung versichert: Beamte, Selbständige und gut verdienende Angestellte verweigern der Gesellschaft die Solidarität und bereichern sich zu Lasten der Armen. Die Deutschen leben in einem Zweiklassenstaat, und die privilegierte Klasse verhält sich parasitär.
Das ist die Welt, in der Karl Lauterbach lebt. "Die Privilegierten ruinieren unser Land", verkündet der SPD-Politiker und Gesundheitsökonom in einer neuen Kampfschrift und lässt zugleich per Interview pünktlich zum Fusionsparteitag von WASG und PDS seine Sympathie für ein linkes Einheitsbündnis vermelden. Setzt sich seine Utopie durch, werden Hauptschulen und Privatversicherungen abgeschafft und Riester zur staatlichen Pflichtrente umgewidmet. Außerdem werden die Steuern kräftig erhöht, damit die Armen endlich Gerechtigkeit und Solidarität erfahren.
Wer in Lauterbachs Welt lebt, braucht sich mit simplen finanzwirtschaftlichen Grunddaten nicht lange herumzuschlagen. Was kümmert es ihn, dass laut Statistischem Bundesamt knapp zehn Prozent der Steuerzahler - es sind die reichen Besserverdiener - über 50 Prozent des Einkommensteueraufkommens finanzieren? Was kümmert es ihn, dass die Hälfte des Bundeshaushalts (125 Milliarden Euro) den Etat des Sozialministers speist? Vermutlich verteilt Franz Müntefering das Geld an die Villenbesitzer in Bad Homburg. Wer wie Lauterbach die Altersrückstellungen den Privatversicherten enteignen und in den Risikostrukturausgleich der gesetzlichen Kassen stecken will, muss auch nicht darüber nachdenken, ob womöglich heute schon die Privatkunden die Ärzte quersubventionieren. Noch nicht einmal die simple Frage der politischen Ökonomie, ob es für Politiker nicht vernünftiger ist, sich nach den umverteilungshungrigen unteren Mittelschichten zu richten anstatt nach den Leistungsträgern, kommt zur Debatte. In Lauterbachs Welt halten die Lobbys der Privilegierten die Politik in ihren Klauen.
Angesichts dieser schrillen Weltverkehrung kann man leicht übersehen, dass sich - etwa zwischen den Seiten 72 und 112 des Buches - einige zutreffende Beobachtungen zu Ineffizienz und Intransparenz des Gesundheitswesens finden. Hier kennt sich der Epidemiologe Lauterbach aus. Tatsächlich ist nicht einzusehen, warum Deutschland mit seinen ambulanten Fachärzten und stationären Klinikärzten das medizinische Expertenwesen verdoppelt. Das ist teuer, nützt dem Patienten aber wenig. Im Gegenteil. Das deutsche Doppelmodell ist international ohne Beispiel. Es gibt auch keinen vernünftigen Grund dafür, dass Kliniken sich hartnäckig weigern, Daten über ihren Erfolg (und Misserfolg) zu veröffentlichen. Der Patient wird entmündigt, schlechte Ärzte und Kliniken werden von ihren Kollegen durch das geheime Herrschaftswissen geschützt.
Wäre Lauterbach konsequent, müsste er für mehr Wettbewerb und Markt im Gesundheitswesen plädieren. Erst wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen zerschlagen und die Kassen dem Kartellrecht unterworfen werden, wären Rahmenbedingungen für mehr Effizienz und Transparenz gelegt. Das würde die Qualität der medizinischen Leistungen verbessern und die Kosten einigermaßen im Lot lassen. Keine Frage: auch die künstliche Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Kassen müsste auf diesem Markt geschleift werden. Dann kann der Patient entscheiden, in welcher Versicherung er die besten Leistungen erhält.
Lauterbach führt zwar das Wort Wettbewerb im Mund. Doch er hält davon gar nichts. Er verschweigt die kartell- und steuerrechtlichen Privilegien der gesetzlichen Kassen und will lieber die Privaten verstaatlichen. Lauterbach will Sozialismus, darf das Wort aber nicht aussprechen, weil es in den vergangenen Jahren außer Mode gekommen ist. Was medizinischer Sozialismus im Gesundheitswesen anrichtet, lässt sich in Großbritannien besichtigen: schlechte Leistungen für alle. Nur die Reichen können extra zahlen. Wenn das keine Zweiklassenmedizin ist?
ank.
Karl Lauterbach: Der Zweiklassenstaat. Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren. Rowohlt: Berlin; 14,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine kleine Schicht der Reichen hat in Deutschland die Macht übernommen. Sie gönnen sich die Chefarztprivilegien der privaten Krankenversicherung, sie verwehren den Rüpeln aus der Unterschicht den Besuch von Gymnasium und Universität, um ihre braven Kinder nicht zu gefährden, und sie lassen sich ihr langes und gesundes Leben vom abgehängten Prekariat bezahlen. Denn die Armen sind nicht nur arm, sie sterben auch früher, zahlen aber genauso lang in die Rente ein. Weil sie allein nicht stark genug ist, hat sich die herrschende Kaste längst des Rückhalts von Politik und Regierung versichert: Beamte, Selbständige und gut verdienende Angestellte verweigern der Gesellschaft die Solidarität und bereichern sich zu Lasten der Armen. Die Deutschen leben in einem Zweiklassenstaat, und die privilegierte Klasse verhält sich parasitär.
Das ist die Welt, in der Karl Lauterbach lebt. "Die Privilegierten ruinieren unser Land", verkündet der SPD-Politiker und Gesundheitsökonom in einer neuen Kampfschrift und lässt zugleich per Interview pünktlich zum Fusionsparteitag von WASG und PDS seine Sympathie für ein linkes Einheitsbündnis vermelden. Setzt sich seine Utopie durch, werden Hauptschulen und Privatversicherungen abgeschafft und Riester zur staatlichen Pflichtrente umgewidmet. Außerdem werden die Steuern kräftig erhöht, damit die Armen endlich Gerechtigkeit und Solidarität erfahren.
Wer in Lauterbachs Welt lebt, braucht sich mit simplen finanzwirtschaftlichen Grunddaten nicht lange herumzuschlagen. Was kümmert es ihn, dass laut Statistischem Bundesamt knapp zehn Prozent der Steuerzahler - es sind die reichen Besserverdiener - über 50 Prozent des Einkommensteueraufkommens finanzieren? Was kümmert es ihn, dass die Hälfte des Bundeshaushalts (125 Milliarden Euro) den Etat des Sozialministers speist? Vermutlich verteilt Franz Müntefering das Geld an die Villenbesitzer in Bad Homburg. Wer wie Lauterbach die Altersrückstellungen den Privatversicherten enteignen und in den Risikostrukturausgleich der gesetzlichen Kassen stecken will, muss auch nicht darüber nachdenken, ob womöglich heute schon die Privatkunden die Ärzte quersubventionieren. Noch nicht einmal die simple Frage der politischen Ökonomie, ob es für Politiker nicht vernünftiger ist, sich nach den umverteilungshungrigen unteren Mittelschichten zu richten anstatt nach den Leistungsträgern, kommt zur Debatte. In Lauterbachs Welt halten die Lobbys der Privilegierten die Politik in ihren Klauen.
Angesichts dieser schrillen Weltverkehrung kann man leicht übersehen, dass sich - etwa zwischen den Seiten 72 und 112 des Buches - einige zutreffende Beobachtungen zu Ineffizienz und Intransparenz des Gesundheitswesens finden. Hier kennt sich der Epidemiologe Lauterbach aus. Tatsächlich ist nicht einzusehen, warum Deutschland mit seinen ambulanten Fachärzten und stationären Klinikärzten das medizinische Expertenwesen verdoppelt. Das ist teuer, nützt dem Patienten aber wenig. Im Gegenteil. Das deutsche Doppelmodell ist international ohne Beispiel. Es gibt auch keinen vernünftigen Grund dafür, dass Kliniken sich hartnäckig weigern, Daten über ihren Erfolg (und Misserfolg) zu veröffentlichen. Der Patient wird entmündigt, schlechte Ärzte und Kliniken werden von ihren Kollegen durch das geheime Herrschaftswissen geschützt.
Wäre Lauterbach konsequent, müsste er für mehr Wettbewerb und Markt im Gesundheitswesen plädieren. Erst wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen zerschlagen und die Kassen dem Kartellrecht unterworfen werden, wären Rahmenbedingungen für mehr Effizienz und Transparenz gelegt. Das würde die Qualität der medizinischen Leistungen verbessern und die Kosten einigermaßen im Lot lassen. Keine Frage: auch die künstliche Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Kassen müsste auf diesem Markt geschleift werden. Dann kann der Patient entscheiden, in welcher Versicherung er die besten Leistungen erhält.
Lauterbach führt zwar das Wort Wettbewerb im Mund. Doch er hält davon gar nichts. Er verschweigt die kartell- und steuerrechtlichen Privilegien der gesetzlichen Kassen und will lieber die Privaten verstaatlichen. Lauterbach will Sozialismus, darf das Wort aber nicht aussprechen, weil es in den vergangenen Jahren außer Mode gekommen ist. Was medizinischer Sozialismus im Gesundheitswesen anrichtet, lässt sich in Großbritannien besichtigen: schlechte Leistungen für alle. Nur die Reichen können extra zahlen. Wenn das keine Zweiklassenmedizin ist?
ank.
Karl Lauterbach: Der Zweiklassenstaat. Wie die Privilegierten Deutschland ruinieren. Rowohlt: Berlin; 14,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Weitgehend zustimmend hat Nina von Hardenberg diese provozierende Auseinandersetzung mit dem Sozielstaat von Karl Lauterbach gelesen. Bemerkenswert scheint ihr die Systemkritik, die der SPD-Politiker übt, wenn er konstatiert, nicht nur die Gesellschaft grenze arme Menschen aus, sondern der Staat selbst privilegiere die Reichen und vergrößere die Kluft zwischen Arm und Reich. Diese Ungerechtigkeit zeige Lauterbach in vier Politikfeldern auf: Bildung, Rente, Gesundheit und Pflege. In vielen Punkten ist sich Hardenberg mit Lauterbachs Kritik einig. Allerdings scheinen ihr die Argumentation bisweilen etwas einseitig und die Rollen etwas zu klar verteilt. Die These vom "Staatskomplott der Privilegierten" bleibt für sie letztlich "zu vage". Die Lektüre des Buchs findet sie gleichwohl anregend und lohnend.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH