Ein Mann verliert das Vertrauen in die Organe des Rechtsstaats und seine Repräsentanten. Er ist nicht irgendjemand: Er ist der Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, er ist ein nüchtern analysierender Wissenschaftler. Wodurch ist sein Weltbild so erschüttert worden? 7. April 1977: Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine zwei Begleiter werden von RAF-Terroristen ermordet. Schnell stehen drei Männer als Täter fest. Jahrzehntelang gab es keinen Anlass, an dieser Darstellung der Ereignisse zu zweifeln. 30 Jahre später: Die Öffentlichkeit streitet um die Begnadigung des für den Buback-Mord verurteilten Christian Klar. Plötzlich tauchen neue Informationen auf. Hat in Wahrheit eine vierte Person die Schüsse auf den Generalbundesanwalt abgefeuert? Wer war der Todesschütze? Michael Buback beginnt Fragen zu stellen. Und stößt auf immer weitere Ungereimtheiten, die mit Ermittlungspannen oder Schlamperei allein nicht zu erklären sind. Wurden Erkenntnisse bewusst unterdrückt? Kann es ein Interesse daran geben, den tatsächlichen Täter zu decken?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2008Wer schont die Mörder von Siegfried Buback?
Der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts hat ein atemraubendes Buch geschrieben, das alle politisch Verantwortlichen herausfordert, den Mord an seinem Vater endlich zu klären.
Manche kennen Michael Buback aus dem Fernsehen. Er war bei Sabine Christiansen und sprach dort über seine Begegnung mit Jürgen Trittin. Ein anderes Mal traf er sich im NDR mit Peter Jürgen Boock. Der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback war auch mal im niedersächsischen Landtagswahlkampf als Hochschulexperte von Christian Wulff unterwegs.
Doch niemand, der diese Auftritte gesehen hat, ist auf die Sprengkraft dieses Buches vorbereitet. Es ist erschütternder als ein Krimi, denn es ist die glasklare, durch solide Quellen gestützte Beschreibung eines bis heute andauernden Staatsskandals. Mit einer irgendwie überemotionalisierten Verschwörungstheorie eines trauernden Sohnes hat dieses Werk nichts zu tun. Buback ist Naturwissenschaftler, er lehrt physikalische Chemie an der Universität Göttingen.
Sein Buch ist das Protokoll einer Untersuchung. Seine Leitfrage ist, wer am Gründonnerstag 1977 seinen Vater und dessen Begleiter Georg Wurster und Wolfgang Göbel erschossen hat. Entdeckt hat er dabei nicht nur die mutmaßlichen Schützen, sondern vor allem einen einzigartigen Komplex von Ermittlungsdefiziten, die sich schlüssig nur durch die Hypothese eines behördlichen Schutzes der Hauptverdächtigen erklären lassen, ein Schutz, dessen Gründe im Dunklen liegen.
Den unbefangenen Leser muss schon der Umstand erstaunen, dass der Mord nicht aufgeklärt ist. Er gehört längst zur bundesrepublikanischen Geschichte. Doch gerade weil der Fall für jedermann, außer die Angehörigen der Opfer, abgehakt ist, konnten sich jene juristischen Zwielichtigkeiten halten, die in diesem Buch beschrieben sind. Streckenweise meint man, ein Pamphlet aus der härtesten Sympathisantenszene zu lesen, und dann wünscht man fast, es wäre so, das hier Beschriebene ließe sich leicht abtun. Das geht aber nicht. Das Buch ist für Autor wie Leser ein Bildungsroman: Vom überzeugten Anhänger der Arbeit der Bundesanwaltschaft, die sein Vater geleitet hatte, entwickelt sich der Autor nach und nach und äußerst widerstrebend zum Skeptiker des Justizapparats. Alle paar Seiten "bricht ihm eine Welt zusammen". Er lernt dazu - notgedrungen.
Buback erfährt auf seiner Suche vielfältige Hilfe, auch von Zeugen, deren Aussagen von den Justizbehörden nicht in vollem Umfang gewürdigt worden waren. Einer hatte als Schüler, natürlich ohne es zunächst als solches erkennen zu können, das Motorrad der Terroristen gesehen und es beim Aussteigen aus dem Wagen seiner Eltern beinahe zu Fall gebracht. Das war am 6. April 1977 in Karlsruhe, direkt vor der Bundesanwaltschaft, Siegfried Buback stand mit seiner Frau auf dem Bürgersteig. Die Mörder kamen dann am nächsten Tag wieder und setzten ihr Vorhaben in die Tat um. Dieser "Zeuge vom Vortag", wie er in dem Buch heißt, bringt Buback auf eine entscheidende Spur: Auf dem Soziussitz, von dem aus wahrscheinlich geschossen wurde, hat er eine schmächtige Gestalt erkannt, wie von einer Frau. Auch der direkte Zeuge des Attentats, ein Jugoslawe, der den Wagen neben dem des Generalbundesanwalts fuhr, sagt aus, er habe eine Frau zu erkennen geglaubt.
Nun kommt die Ehefrau von Michael Buback ins Spiel, Elisabeth. Sie führt, heute aus der Mode gekommen, aber im vorliegenden Fall höchst brisant, ein Zeitungsarchiv. Und dort sind Ausschnitte vom Tag nach der Tat aufbewahrt, in denen, auf Angaben der Karlsruher Polizei beruhend, von der möglichen Täterschaft einer Frau die Rede ist. So meldet es auch die Tagesschau vom Abend der Tat. Doch schon am nächsten Tag ist in allen Medien einschließlich der Tagesschau nur noch von drei männlichen Tätern die Rede. Dabei waren gar keine neuen Hinweise hinzugekommen.
Die differenzierte, aber gut nachzuvollziehende Argumentation des Buches läuft darauf hinaus, dass Verena Becker in den engen Täterkreis rückt. Buback resümiert seine Erkenntnisse am Ende des Buchs: "Am Vortag der Morde wurde eine zierliche Frau in einer Bekleidung, wie sie auch bei der Tat benutzt wurde, auf dem Soziussitz des späteren Tatmotorrads gesehen, das ein recht großer Mann mit Bart lenkte. Auch am Tattag gab es Hinweise auf eine Frau auf dem Soziussitz. Eine zierliche Frau und ein großer Mann mit Bart wurden vier Wochen nach dem Attentat mit der Tatwaffe aufgegriffen. Sie hatten einen Suzuki-Schraubenzieher bei sich, wie er im Tatmotorrad fehlte. Beide Personen waren im Jemen bei der Vorbereitung der Tat dabei gewesen. (...) In BKA-Unterlagen steht, dass Haarspuren in der Haarbürste von Verena Becker identisch seien mit der Haarspur in einem der Motorradhelme." Dennoch wurde gegen Verena Becker wegen des Mordes an Buback, Wurster und Göbel nicht einmal Anklage erhoben.
Mehr noch: jeder Hinweis auf diese Frau, die zumindest zeitweise als Informantin des Verfassungsschutzes tätig war, wurde aus den Akten, die der Bundesanwaltschaft zur Grundlage ihrer Prozessführung dienten, entfernt. Sie wurde wegen der Schießerei vor ihrer übrigens völlig zufällig nach dem Hinweis einer Rentnerin erfolgten Festnahme in Singen zu lebenslanger Haft verurteilt und 1989 begnadigt.
Drei Personen wurden im Zusammenhang mit den Morden in Karlsruhe verurteilt: Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Das Buch legt dar, dass bei diesem Trio allenfalls von einer Mitschuld ausgegangen werden kann: Mohnhaupt war zum Zeitpunkt der Tat nicht in Karlsruhe, Folkerts wahrscheinlich in Amsterdam, und Klar hat höchstens das Fluchtfahrzeug gesteuert.
Aus der Vogelperspektive stimmt die juristische Gesamtbalance: Es wurden Personen wegen des Buback-Mords angeklagt und verurteilt, und das Trio Becker/Sonnenfeld/Wisniewski musste lebenslänglich in Haft - dass sich der eine Teil des Satzes nicht logisch auf den anderen bezieht, dass also Personen verurteilt wurden, die nicht geschossen haben, und dass die, die geschossen haben, wegen anderer Vergehen verurteilt wurden, diese Feinheit beschäftigt nicht den Staat und schon gar nicht die Terroristen, die beschäftigt nur die Angehörigen der Mordopfer.
Wer das Buch liest und sich einen common sense bewahrt hat, wird nicht umhinkommen festzustellen, dass Verena Becker als Tatverdächtige in diesem Fall geschont wurde, bis heute. Aber warum? Journalisten des SWR haben unabhängig von Michael Buback herausgefunden, dass vor der Begnadigung Verena Beckers ein Treffen mit Vertretern der Bundesanwaltschaft, des Bundesverfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes stattfand. Aber was hat unser Auslandsgeheimdienst mit dem Fall zu schaffen? Becker gehörte ja nicht zu denen, die in die DDR geflohen waren.
Es ist ein weiterer, wichtiger Hinweis auf die immer noch zu wenig erforschten Verbindungen zwischen Linksterrorismus und Geheimdiensten, die in Italien seit Jahren für heftige Diskussionen sorgen. Ist es nicht auch hierzulande längst Zeit für eine Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der Dienste?
Buback spekuliert nicht. Er formuliert seine Hypothesen stets so klar, dass man sie, wenn denn an seinen Vermutungen wirklich nichts dran ist, durch simple Tests falsifizieren könnte. Die sollten bald erfolgen.
Michael Bubacks Vorwurf darf so nicht stehenbleiben. Es ist unerträglich anzunehmen, heute in Freiheit lebende Personen könnten über Wissen verfügen, das die deutsche Öffentlichkeit fundamental zu erschüttern vermochte. Auch so hätte sich der Staat erpressbar gemacht. Haben wir eine Pressekonferenz von Verena Becker zu fürchten? Oder ist es umgekehrt so, dass ihr ehemalige Genossen nach dem Leben trachten?
Das ist der Komplex hinter dem Baader-Meinhof-Komplex. Ihn zu erforschen ist nicht bloß das Interesse des Sohnes eines der Ermordeten von Karlsruhe. Und es ist nicht allein die Aufgabe der Justiz. Es geht die gesamte Öffentlichkeit an, denn jede Unkorrektheit im Umgang mit dem Komplex RAF hat, wie eine kleine Wunde in tropischem Klima, das Potential zu schweren Infektionen des Staatskörpers.
Alle Zeugen und alle Verdächtigen leben noch. Die Schritte, Tests und Gegenüberstellungen, die zu einer Aufklärung der Tat führen werden, sind im Buch klar und plausibel formuliert. Es bedarf nur einer demokratischen Instanz, sie nun auch zu veranlassen.
Norbert Lammert ist als Präsident des Deutschen Bundestages der zweite Mann im Staat. Er hat im letzten Jahr auf einer großen Feierstunde eine wichtige Rede über die RAF und ihre Opfer gehalten. Er hat ein Buch über die Notwendigkeit, "Flagge zu zeigen", verfasst. Er könnte eine parlamentarische Untersuchung dieser skandalösen Verhältnisse anregen.
Schließlich ist die Bundeskanzlerin persönlich gefordert. Ihr Versprechen, den Mord an Generalbundesanwalt Buback aufzuklären, steht seit dem April 2007 folgenlos im Raum.
NILS MINKMAR.
Michael Buback: "Der zweite Tod meines Vaters". Droemer Knaur Verlag, München 2008. 364 S., geb., 19,95 [Euro].
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Der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts hat ein atemraubendes Buch geschrieben, das alle politisch Verantwortlichen herausfordert, den Mord an seinem Vater endlich zu klären.
Manche kennen Michael Buback aus dem Fernsehen. Er war bei Sabine Christiansen und sprach dort über seine Begegnung mit Jürgen Trittin. Ein anderes Mal traf er sich im NDR mit Peter Jürgen Boock. Der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback war auch mal im niedersächsischen Landtagswahlkampf als Hochschulexperte von Christian Wulff unterwegs.
Doch niemand, der diese Auftritte gesehen hat, ist auf die Sprengkraft dieses Buches vorbereitet. Es ist erschütternder als ein Krimi, denn es ist die glasklare, durch solide Quellen gestützte Beschreibung eines bis heute andauernden Staatsskandals. Mit einer irgendwie überemotionalisierten Verschwörungstheorie eines trauernden Sohnes hat dieses Werk nichts zu tun. Buback ist Naturwissenschaftler, er lehrt physikalische Chemie an der Universität Göttingen.
Sein Buch ist das Protokoll einer Untersuchung. Seine Leitfrage ist, wer am Gründonnerstag 1977 seinen Vater und dessen Begleiter Georg Wurster und Wolfgang Göbel erschossen hat. Entdeckt hat er dabei nicht nur die mutmaßlichen Schützen, sondern vor allem einen einzigartigen Komplex von Ermittlungsdefiziten, die sich schlüssig nur durch die Hypothese eines behördlichen Schutzes der Hauptverdächtigen erklären lassen, ein Schutz, dessen Gründe im Dunklen liegen.
Den unbefangenen Leser muss schon der Umstand erstaunen, dass der Mord nicht aufgeklärt ist. Er gehört längst zur bundesrepublikanischen Geschichte. Doch gerade weil der Fall für jedermann, außer die Angehörigen der Opfer, abgehakt ist, konnten sich jene juristischen Zwielichtigkeiten halten, die in diesem Buch beschrieben sind. Streckenweise meint man, ein Pamphlet aus der härtesten Sympathisantenszene zu lesen, und dann wünscht man fast, es wäre so, das hier Beschriebene ließe sich leicht abtun. Das geht aber nicht. Das Buch ist für Autor wie Leser ein Bildungsroman: Vom überzeugten Anhänger der Arbeit der Bundesanwaltschaft, die sein Vater geleitet hatte, entwickelt sich der Autor nach und nach und äußerst widerstrebend zum Skeptiker des Justizapparats. Alle paar Seiten "bricht ihm eine Welt zusammen". Er lernt dazu - notgedrungen.
Buback erfährt auf seiner Suche vielfältige Hilfe, auch von Zeugen, deren Aussagen von den Justizbehörden nicht in vollem Umfang gewürdigt worden waren. Einer hatte als Schüler, natürlich ohne es zunächst als solches erkennen zu können, das Motorrad der Terroristen gesehen und es beim Aussteigen aus dem Wagen seiner Eltern beinahe zu Fall gebracht. Das war am 6. April 1977 in Karlsruhe, direkt vor der Bundesanwaltschaft, Siegfried Buback stand mit seiner Frau auf dem Bürgersteig. Die Mörder kamen dann am nächsten Tag wieder und setzten ihr Vorhaben in die Tat um. Dieser "Zeuge vom Vortag", wie er in dem Buch heißt, bringt Buback auf eine entscheidende Spur: Auf dem Soziussitz, von dem aus wahrscheinlich geschossen wurde, hat er eine schmächtige Gestalt erkannt, wie von einer Frau. Auch der direkte Zeuge des Attentats, ein Jugoslawe, der den Wagen neben dem des Generalbundesanwalts fuhr, sagt aus, er habe eine Frau zu erkennen geglaubt.
Nun kommt die Ehefrau von Michael Buback ins Spiel, Elisabeth. Sie führt, heute aus der Mode gekommen, aber im vorliegenden Fall höchst brisant, ein Zeitungsarchiv. Und dort sind Ausschnitte vom Tag nach der Tat aufbewahrt, in denen, auf Angaben der Karlsruher Polizei beruhend, von der möglichen Täterschaft einer Frau die Rede ist. So meldet es auch die Tagesschau vom Abend der Tat. Doch schon am nächsten Tag ist in allen Medien einschließlich der Tagesschau nur noch von drei männlichen Tätern die Rede. Dabei waren gar keine neuen Hinweise hinzugekommen.
Die differenzierte, aber gut nachzuvollziehende Argumentation des Buches läuft darauf hinaus, dass Verena Becker in den engen Täterkreis rückt. Buback resümiert seine Erkenntnisse am Ende des Buchs: "Am Vortag der Morde wurde eine zierliche Frau in einer Bekleidung, wie sie auch bei der Tat benutzt wurde, auf dem Soziussitz des späteren Tatmotorrads gesehen, das ein recht großer Mann mit Bart lenkte. Auch am Tattag gab es Hinweise auf eine Frau auf dem Soziussitz. Eine zierliche Frau und ein großer Mann mit Bart wurden vier Wochen nach dem Attentat mit der Tatwaffe aufgegriffen. Sie hatten einen Suzuki-Schraubenzieher bei sich, wie er im Tatmotorrad fehlte. Beide Personen waren im Jemen bei der Vorbereitung der Tat dabei gewesen. (...) In BKA-Unterlagen steht, dass Haarspuren in der Haarbürste von Verena Becker identisch seien mit der Haarspur in einem der Motorradhelme." Dennoch wurde gegen Verena Becker wegen des Mordes an Buback, Wurster und Göbel nicht einmal Anklage erhoben.
Mehr noch: jeder Hinweis auf diese Frau, die zumindest zeitweise als Informantin des Verfassungsschutzes tätig war, wurde aus den Akten, die der Bundesanwaltschaft zur Grundlage ihrer Prozessführung dienten, entfernt. Sie wurde wegen der Schießerei vor ihrer übrigens völlig zufällig nach dem Hinweis einer Rentnerin erfolgten Festnahme in Singen zu lebenslanger Haft verurteilt und 1989 begnadigt.
Drei Personen wurden im Zusammenhang mit den Morden in Karlsruhe verurteilt: Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Das Buch legt dar, dass bei diesem Trio allenfalls von einer Mitschuld ausgegangen werden kann: Mohnhaupt war zum Zeitpunkt der Tat nicht in Karlsruhe, Folkerts wahrscheinlich in Amsterdam, und Klar hat höchstens das Fluchtfahrzeug gesteuert.
Aus der Vogelperspektive stimmt die juristische Gesamtbalance: Es wurden Personen wegen des Buback-Mords angeklagt und verurteilt, und das Trio Becker/Sonnenfeld/Wisniewski musste lebenslänglich in Haft - dass sich der eine Teil des Satzes nicht logisch auf den anderen bezieht, dass also Personen verurteilt wurden, die nicht geschossen haben, und dass die, die geschossen haben, wegen anderer Vergehen verurteilt wurden, diese Feinheit beschäftigt nicht den Staat und schon gar nicht die Terroristen, die beschäftigt nur die Angehörigen der Mordopfer.
Wer das Buch liest und sich einen common sense bewahrt hat, wird nicht umhinkommen festzustellen, dass Verena Becker als Tatverdächtige in diesem Fall geschont wurde, bis heute. Aber warum? Journalisten des SWR haben unabhängig von Michael Buback herausgefunden, dass vor der Begnadigung Verena Beckers ein Treffen mit Vertretern der Bundesanwaltschaft, des Bundesverfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes stattfand. Aber was hat unser Auslandsgeheimdienst mit dem Fall zu schaffen? Becker gehörte ja nicht zu denen, die in die DDR geflohen waren.
Es ist ein weiterer, wichtiger Hinweis auf die immer noch zu wenig erforschten Verbindungen zwischen Linksterrorismus und Geheimdiensten, die in Italien seit Jahren für heftige Diskussionen sorgen. Ist es nicht auch hierzulande längst Zeit für eine Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der Dienste?
Buback spekuliert nicht. Er formuliert seine Hypothesen stets so klar, dass man sie, wenn denn an seinen Vermutungen wirklich nichts dran ist, durch simple Tests falsifizieren könnte. Die sollten bald erfolgen.
Michael Bubacks Vorwurf darf so nicht stehenbleiben. Es ist unerträglich anzunehmen, heute in Freiheit lebende Personen könnten über Wissen verfügen, das die deutsche Öffentlichkeit fundamental zu erschüttern vermochte. Auch so hätte sich der Staat erpressbar gemacht. Haben wir eine Pressekonferenz von Verena Becker zu fürchten? Oder ist es umgekehrt so, dass ihr ehemalige Genossen nach dem Leben trachten?
Das ist der Komplex hinter dem Baader-Meinhof-Komplex. Ihn zu erforschen ist nicht bloß das Interesse des Sohnes eines der Ermordeten von Karlsruhe. Und es ist nicht allein die Aufgabe der Justiz. Es geht die gesamte Öffentlichkeit an, denn jede Unkorrektheit im Umgang mit dem Komplex RAF hat, wie eine kleine Wunde in tropischem Klima, das Potential zu schweren Infektionen des Staatskörpers.
Alle Zeugen und alle Verdächtigen leben noch. Die Schritte, Tests und Gegenüberstellungen, die zu einer Aufklärung der Tat führen werden, sind im Buch klar und plausibel formuliert. Es bedarf nur einer demokratischen Instanz, sie nun auch zu veranlassen.
Norbert Lammert ist als Präsident des Deutschen Bundestages der zweite Mann im Staat. Er hat im letzten Jahr auf einer großen Feierstunde eine wichtige Rede über die RAF und ihre Opfer gehalten. Er hat ein Buch über die Notwendigkeit, "Flagge zu zeigen", verfasst. Er könnte eine parlamentarische Untersuchung dieser skandalösen Verhältnisse anregen.
Schließlich ist die Bundeskanzlerin persönlich gefordert. Ihr Versprechen, den Mord an Generalbundesanwalt Buback aufzuklären, steht seit dem April 2007 folgenlos im Raum.
NILS MINKMAR.
Michael Buback: "Der zweite Tod meines Vaters". Droemer Knaur Verlag, München 2008. 364 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ralf Husemann zeigt sich erst vorsichtig skeptisch gegenüber Michael Bubacks Buch über die Ermordung seines Vaters, des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, durch die RAF im Jahr 1977. Die Lektüre des Buchs aber belehrt ihn eines besseren. Am Schluss scheint ihm klar, dass in diesem Fall noch viel aufzuarbeiten ist. Er berichtet über die zahllosen Schlampereien, Widersprüche und Ungereimtheiten der Ermittlungen, die Buback akribisch nachverfolgt hat. Dabei unterstreicht er, dass der Göttinger Professor niemand ist, der leichtfertig unsichere Behauptungen in die Welt setzt. Plausibel wird für ihn jedenfalls, dass die 1977 verurteilten Täter Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt die Tat nicht begangen haben, sondern höchstwahrscheinlich Verena Becker. Er hebt in diesem Zusammenhang die von Buback zusammengetragenen Anzeichen dafür hervor, dass Becker bewusst gedeckt wird. Husemann betont, dass der ehemalige BKA-Chef Horst Herold und der einstige Generalbundesanwalt Kay Nehm dem Autor bescheinigen, mit seinen Recherchen auf der richtigen Spur zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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