Die erschütternde Geschichte einer Familie über Sucht, Selbstzerstörung und den verzweifelten Wunsch zu helfen.
Die Verlegerin und Tochter des Tetra-Pak-Gründers, Sigrid Rausing, erzählt in ihrem autobiographischen Buch »Desaster« die tragische Geschichte der Drogensucht ihres Bruders, die ihre ganze Familie in die Katastrophe stürzte.
Hans Kristian Rausing und seine Frau Eva haben sich bei einem Entzug kennengelernt. Seitdem sind sie clean. Und sie sind verliebt. Als es zwölf Uhr schlägt, und die beiden ein Glas Champagner an die Lippen führen, sind sie seit zehn Jahren verheiratet. Sie haben drei gemeinsame Kinder.
Der Rückfall der beiden wird der ganzen Familie Rausing den Boden unter den Füßen wegziehen. Sigrid, Hans' Schwester und Evas Schwägerin, beginnt einen kräftezehrenden Kampf gegen die Sucht ihres Bruders und muss sich irgendwann eingestehen, dass sie gescheitert ist.
»Desaster« ist die intime Aufarbeitung einer menschlichen Tragödie- poetisch, klug und berührend.
Die Verlegerin und Tochter des Tetra-Pak-Gründers, Sigrid Rausing, erzählt in ihrem autobiographischen Buch »Desaster« die tragische Geschichte der Drogensucht ihres Bruders, die ihre ganze Familie in die Katastrophe stürzte.
Hans Kristian Rausing und seine Frau Eva haben sich bei einem Entzug kennengelernt. Seitdem sind sie clean. Und sie sind verliebt. Als es zwölf Uhr schlägt, und die beiden ein Glas Champagner an die Lippen führen, sind sie seit zehn Jahren verheiratet. Sie haben drei gemeinsame Kinder.
Der Rückfall der beiden wird der ganzen Familie Rausing den Boden unter den Füßen wegziehen. Sigrid, Hans' Schwester und Evas Schwägerin, beginnt einen kräftezehrenden Kampf gegen die Sucht ihres Bruders und muss sich irgendwann eingestehen, dass sie gescheitert ist.
»Desaster« ist die intime Aufarbeitung einer menschlichen Tragödie- poetisch, klug und berührend.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2018Wie unsere Welt in die Brüche ging
Der arme reiche Erbe war ihr Bruder: Sigrid Rausing rekonstruiert einen prominenten Absturz in die Drogensucht - mit Todesfolge
Diese Geschichte wirkt wie ein Stück Fiktion, allein schon dieses verschlossenen Raumes wegen, den nicht einmal die Hausangestellten betreten durften, dieses Schlafzimmers, das so anders war als der stilvolle Rest der Stadtvilla in London - eine Drogenhöhle mit den Dealer-Namen an der Wand. Drum herum prächtige Fassaden. Aber an dieser Geschichte, die sich die schwedische Verlegerin Sigrid Rausing mit ihrem Buch "Desaster" von der Seele schrieb, ist sogar der Champagner zur Jahrtausendwende wahr, mit denen die überwunden geglaubte Drogensucht ihres Bruders Hans Kristian Rausing und seiner Ehefrau Eva zurückkam: "Die Datumsfunktion verhakte sich nicht, die Flugzeuge fielen nicht vom Himmel, aber unsere Welt ging an dem Abend in die Brüche."
Es gab auch wirklich die Schlagzeilen, die nach dem Drogentod Eva Rausings 2012 ein neues Puzzlestück zu einem berühmten Kriminalfall verkündeten, und es gab die Oper 2016, in der die Sucht Hans Kristians als Auflehnung gegen seine Herkunft gedeutet wurde: er ist Enkel des Tetra-Pak-Gründers Ruben Rausing, Sohn des Milliardärs Hans. Schlagzeilen und Oper sind ein Grund für dieses zarte, traurige Buch. Sigrid Rausing kann nicht verhindern, dass die Geschichte ihres Bruders und ihrer verstorbenen Schwägerin von anderen erzählt wird. Aber mit diesem Buch gewinnt sie die Hoheit über die eigene Geschichte zurück.
Ein zweiter Grund ist der Versuch, die fürchterlichen familiären Erfahrungen mit der Sucht des Paares schreibend zu bewältigen, die eigene Ohnmacht und Trauer in Worte zu fassen. "Zu viele Süchtige sterben, zu viele Familien zerbrechen", schreibt Rausing. Die vier Kinder von Hans und Eva, denen sie das Buch gewidmet hat, wuchsen seit einem Gerichtsbeschluss 2007 bei ihr und ihrem Mann auf.
Fünf Jahre später war es Hans Kristian Rausing, der den leblosen Körper Evas im Schlafzimmer entdeckte. Eine Kokainvergiftung, Herzversagen. Auch er war damals seinen Drogen dermaßen verfallen, dass er den Leichenfund nicht meldete, sondern seine tote Frau mit Planen auf dem Bett zudeckte. Erst einige Zeit später wurde sie von Polizisten gefunden, denen Hans Kristian nach einer Verkehrskontrolle aufgefallen war. Die Presse gruselte sich fasziniert. Und druckte E-Mails, die Eva einige Monate vor ihrem Tod an einen Enthüllungsjournalisten und einige Monate davor wiederum an Sigrid geschrieben hatte: Eva behauptete darin, der Vater von Sigrid und Hans stecke hinter dem Attentat auf den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme 1986. Palmes Politik habe die Firma bedroht.
Das waren wohl Wahnvorstellungen: "Eva brauchte dringend ärztliche Hilfe, aber sie lehnte jede Art von Beistand ab." Die Firma Tetra Pak und ihre Eigentümer waren bereits 1982 nach England ausgewichen, genannte Details zur Tatwaffe und Tat waren falsch. Außerdem war mit der Nachricht an Sigrid auch ein Erpressungsversuch aus purer Verzweiflung verbunden: Sie würde nicht zur Polizei gehen, wenn sie die Kinder zurückbekäme. Die Presse machte die Mordanschuldigungen groß auf. "Schweden befand sich im Bann des Nordic noir", schreibt Rausing, "und diese Geschichte verfügte über sämtliche Zutaten eines Thrillers."
Aber sie ist keiner. Sie ist eine Tragödie, und Sigrid Rausing weiß, wie man so etwas elegant schreibt. Die promovierte Sozialanthropologin ist Verlegerin, rettete mit ihrem Geld 2005 das Literaturmagazin "Granta" und den Verlag Granta Book. Sie ist sensibel, klug und belesen und die kritischste Leserin ihrer eigenen Zeilen. Sicherlich spart die Autorin mancherlei aus: "Ich schreibe - und weiß doch, dass allein das Schreiben als Verrat an der Familie gesehen werden kann, ein beschämender, ausbeuterischer Akt (...) man sollte sich beim Lesen dieses Buches immer vor Augen führen, wie wir aufgewachsen sind: Reichtum, Zurückhaltung, Schweigen, Diskretion."
"Desaster" erzählt allein von der Drogensucht ihres 1963 geborenen Bruders, der bei einem Indien-Aufenthalt Anfang der achtziger Jahre erstmals mit Heroin in Verbindung kam, und seiner Frau. Wobei man besser sagt: Sigrid Rausing schildert, was sie von der Suchtkarriere von Hans und Eva, die sich einst in einer Entzugsklinik kennenlernten, mitbekam oder später erfuhr. Sie schreibt subjektiv aus ihrer Warte. Und fahndet dabei nach den Ursachen, die es für eine Rauschgiftsucht gibt: den psychologischen, den soziokulturellen, den genetischen. Sucht sei womöglich eine Familienkrankheit, erklärt sie ihrem achtzehnjährigen Sohn, als sie über die Wirkung von Alkohol reden.
Auch die Rolle des Zufalls im Leben beschäftigt Rausing: Was wäre passiert, hätte Hans am Strand von Goa damals keine Mädchen getroffen, die ihn Heroin probieren ließen? Was wäre ohne den Champagner an Silvester 1999 passiert, der Jahre nach den erfolgreichen Entziehungskuren den Rückfall von Hans und Eva bewirkte? Was wäre mit Eva passiert, wäre sie kurz vor ihrem Tod nicht wegen eines Regelverstoßes aus einer kalifornischen Entzugsklinik geworfen worden?
Vor allem aber wird die Autorin von dem Gefühl getrieben, dass sie sich persönlich irgendwie anders, irgendwie besser zur Sucht ihres Bruders und ihrer Schwägerin hätte verhalten können. Nur wie? "Es gibt keine Suchtgeschichte, bei der sich nicht alles um Schuld dreht. Jeder von uns war schuld - und keiner von uns war schuld", schreibt sie. Oder: "Wir haben aufrichtig versucht zu helfen. Da bin ich mir sicher. Aber es war nicht die Art Hilfe, die Hans und Eva wollten oder brauchten." Die Katastrophe war womöglich unaufhaltsam. Sigrid Rausings Buch ist ein Glücksfall für jeden, der anderen verdeutlichen möchte, was Drogen anrichten können, und was es bedeutet, Angehöriger eines drogensüchtig gewordenen Menschen zu sein - unfassbarer Reichtum hin oder her.
MATTHIAS HANNEMANN
Sigrid Rausing: "Desaster".
Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, 288 S., geb., 20;- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der arme reiche Erbe war ihr Bruder: Sigrid Rausing rekonstruiert einen prominenten Absturz in die Drogensucht - mit Todesfolge
Diese Geschichte wirkt wie ein Stück Fiktion, allein schon dieses verschlossenen Raumes wegen, den nicht einmal die Hausangestellten betreten durften, dieses Schlafzimmers, das so anders war als der stilvolle Rest der Stadtvilla in London - eine Drogenhöhle mit den Dealer-Namen an der Wand. Drum herum prächtige Fassaden. Aber an dieser Geschichte, die sich die schwedische Verlegerin Sigrid Rausing mit ihrem Buch "Desaster" von der Seele schrieb, ist sogar der Champagner zur Jahrtausendwende wahr, mit denen die überwunden geglaubte Drogensucht ihres Bruders Hans Kristian Rausing und seiner Ehefrau Eva zurückkam: "Die Datumsfunktion verhakte sich nicht, die Flugzeuge fielen nicht vom Himmel, aber unsere Welt ging an dem Abend in die Brüche."
Es gab auch wirklich die Schlagzeilen, die nach dem Drogentod Eva Rausings 2012 ein neues Puzzlestück zu einem berühmten Kriminalfall verkündeten, und es gab die Oper 2016, in der die Sucht Hans Kristians als Auflehnung gegen seine Herkunft gedeutet wurde: er ist Enkel des Tetra-Pak-Gründers Ruben Rausing, Sohn des Milliardärs Hans. Schlagzeilen und Oper sind ein Grund für dieses zarte, traurige Buch. Sigrid Rausing kann nicht verhindern, dass die Geschichte ihres Bruders und ihrer verstorbenen Schwägerin von anderen erzählt wird. Aber mit diesem Buch gewinnt sie die Hoheit über die eigene Geschichte zurück.
Ein zweiter Grund ist der Versuch, die fürchterlichen familiären Erfahrungen mit der Sucht des Paares schreibend zu bewältigen, die eigene Ohnmacht und Trauer in Worte zu fassen. "Zu viele Süchtige sterben, zu viele Familien zerbrechen", schreibt Rausing. Die vier Kinder von Hans und Eva, denen sie das Buch gewidmet hat, wuchsen seit einem Gerichtsbeschluss 2007 bei ihr und ihrem Mann auf.
Fünf Jahre später war es Hans Kristian Rausing, der den leblosen Körper Evas im Schlafzimmer entdeckte. Eine Kokainvergiftung, Herzversagen. Auch er war damals seinen Drogen dermaßen verfallen, dass er den Leichenfund nicht meldete, sondern seine tote Frau mit Planen auf dem Bett zudeckte. Erst einige Zeit später wurde sie von Polizisten gefunden, denen Hans Kristian nach einer Verkehrskontrolle aufgefallen war. Die Presse gruselte sich fasziniert. Und druckte E-Mails, die Eva einige Monate vor ihrem Tod an einen Enthüllungsjournalisten und einige Monate davor wiederum an Sigrid geschrieben hatte: Eva behauptete darin, der Vater von Sigrid und Hans stecke hinter dem Attentat auf den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme 1986. Palmes Politik habe die Firma bedroht.
Das waren wohl Wahnvorstellungen: "Eva brauchte dringend ärztliche Hilfe, aber sie lehnte jede Art von Beistand ab." Die Firma Tetra Pak und ihre Eigentümer waren bereits 1982 nach England ausgewichen, genannte Details zur Tatwaffe und Tat waren falsch. Außerdem war mit der Nachricht an Sigrid auch ein Erpressungsversuch aus purer Verzweiflung verbunden: Sie würde nicht zur Polizei gehen, wenn sie die Kinder zurückbekäme. Die Presse machte die Mordanschuldigungen groß auf. "Schweden befand sich im Bann des Nordic noir", schreibt Rausing, "und diese Geschichte verfügte über sämtliche Zutaten eines Thrillers."
Aber sie ist keiner. Sie ist eine Tragödie, und Sigrid Rausing weiß, wie man so etwas elegant schreibt. Die promovierte Sozialanthropologin ist Verlegerin, rettete mit ihrem Geld 2005 das Literaturmagazin "Granta" und den Verlag Granta Book. Sie ist sensibel, klug und belesen und die kritischste Leserin ihrer eigenen Zeilen. Sicherlich spart die Autorin mancherlei aus: "Ich schreibe - und weiß doch, dass allein das Schreiben als Verrat an der Familie gesehen werden kann, ein beschämender, ausbeuterischer Akt (...) man sollte sich beim Lesen dieses Buches immer vor Augen führen, wie wir aufgewachsen sind: Reichtum, Zurückhaltung, Schweigen, Diskretion."
"Desaster" erzählt allein von der Drogensucht ihres 1963 geborenen Bruders, der bei einem Indien-Aufenthalt Anfang der achtziger Jahre erstmals mit Heroin in Verbindung kam, und seiner Frau. Wobei man besser sagt: Sigrid Rausing schildert, was sie von der Suchtkarriere von Hans und Eva, die sich einst in einer Entzugsklinik kennenlernten, mitbekam oder später erfuhr. Sie schreibt subjektiv aus ihrer Warte. Und fahndet dabei nach den Ursachen, die es für eine Rauschgiftsucht gibt: den psychologischen, den soziokulturellen, den genetischen. Sucht sei womöglich eine Familienkrankheit, erklärt sie ihrem achtzehnjährigen Sohn, als sie über die Wirkung von Alkohol reden.
Auch die Rolle des Zufalls im Leben beschäftigt Rausing: Was wäre passiert, hätte Hans am Strand von Goa damals keine Mädchen getroffen, die ihn Heroin probieren ließen? Was wäre ohne den Champagner an Silvester 1999 passiert, der Jahre nach den erfolgreichen Entziehungskuren den Rückfall von Hans und Eva bewirkte? Was wäre mit Eva passiert, wäre sie kurz vor ihrem Tod nicht wegen eines Regelverstoßes aus einer kalifornischen Entzugsklinik geworfen worden?
Vor allem aber wird die Autorin von dem Gefühl getrieben, dass sie sich persönlich irgendwie anders, irgendwie besser zur Sucht ihres Bruders und ihrer Schwägerin hätte verhalten können. Nur wie? "Es gibt keine Suchtgeschichte, bei der sich nicht alles um Schuld dreht. Jeder von uns war schuld - und keiner von uns war schuld", schreibt sie. Oder: "Wir haben aufrichtig versucht zu helfen. Da bin ich mir sicher. Aber es war nicht die Art Hilfe, die Hans und Eva wollten oder brauchten." Die Katastrophe war womöglich unaufhaltsam. Sigrid Rausings Buch ist ein Glücksfall für jeden, der anderen verdeutlichen möchte, was Drogen anrichten können, und was es bedeutet, Angehöriger eines drogensüchtig gewordenen Menschen zu sein - unfassbarer Reichtum hin oder her.
MATTHIAS HANNEMANN
Sigrid Rausing: "Desaster".
Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, 288 S., geb., 20;- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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