An astonishing novel about life and death, forgiveness and vengeance, memory and forgetting which was a huge American bestseller.Mit vierzehn Jahren wird Susie ermordet. Nun ist sie im Himmel und beobachtet von dort aus das Leben auf der Erde. Ein ungewöhnlich beeindruckender Roman über das Leben und den Tod, der in Amerika ein absoluter Bestseller war.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2003Mord hat eine blutrote Tür
In ihrem Roman „In meinem Himmel” umarmt Alice Sebold alle und jeden
Überraschend ist nur, dass es im Himmel nach Stinktier riecht. Vielleicht auch nach Kumqats oder Tabak. Doch die Erklärung ist einfach: Der Himmel ist exakt so, wie man ihn sich vorstellt. Wenn man will, entstehen dort Kissenberge und Glamour-Zeitschriften, Eis und Kuchen, altmodische Laternen und Hunde, die auf der Wiese zwischen den Pavillons umherjagen. Noch ein Hauch Skunk und das Leben nach dem Tod ist bezugsfertig! Ein bisschen steril vielleicht das Ganze, aber das gibt sich mit der Zeit.
In Alice Sebolds Bestseller „In meinem Himmel” ist das Paradies ein Service aus Schöner Wohnen: Bei Nichtgefallen wird umdekoriert. Susie Salmon („Salmon, wie Lachs, der Fisch”), vierzehnjährige Titelheldin und Neuankömmling über den Wolken, lernt dies unter Anleitung ihrer „Aufnahmeberaterin” Franny. Und sie begreift schnell: Der Himmel hat Grenzen. Auf der Erde Schicksal zu spielen, ist beispielsweise schwierig und die Rückkehr nach unten so gut wie ausgeschlossen. Am Ende kriegt sie zwar mit viel Mühe eine Stippvisite hin, aber da hat sie es sich überirdisch endlich eingerichtet und schielt nicht mehr nach den Appartements im irdischen Souterrain.
Susie ist tot. Sie wurde von Mr. Harvey, einem Nachbarn, auf dem Nachhauseweg in eine Grube gelockt, vergewaltigt, ermordet und zerstückelt. Ihre Leiche verschloss der Mörder in einem Safe und kippte ihn in einen Müllschlund. Nun sitzt Susie auf ihrer Wolke und beobachtet ihre Familie bei der Trauerarbeit. Eines Tages taucht ein Körperteil von ihr wieder auf: „Der Vater holte eine große, metallene Rührschüssel herunter: ,Es war der Ellbogen, der Hund von den Gilberts hat ihn gefunden‘”, sagt er zu Susies Schwester Lindsey, stellt die Schüssel auf den Tisch, hält ihre Hand, „und dann übergab sie sich, wie versprochen, in die silberne Schüssel”. Es ist sicher auch die unverfrorene Direktheit, mit der Sebold ihre Heldin Entsetzliches schildern lässt, die die Leser für den Roman einnimmt. Man kann über alles reden, lautet ihre Botschaft, selbst über Dinge, die man nicht einmal denken kann.Alice Sebold hat ihre eigenen Erfahrungen mit dem Unaussprechlichen gemacht. Als Literatur-Studentin wurde sie in einer Unterführung in New York so brutal vergewaltigt, dass sie genäht werden musste. In den nächsten 20 Jahren konsumierte sie Drogen, Alkohol, Therapien, verfasste drei erfolglose Romane und schrieb sich das Trauma schließlich mit „Lucky” von der Seele, dem Bericht einer Vergewaltigung.
„The lovely bones”, die schönen Knochen, wie der Originaltitel ihres jüngsten Buches heißt, geht weiter – in jeder Hinsicht. In den USA erreichte das Buch in vier Monaten eine Auflage von zwei Millionen. Inzwischen ist Alice Sebold berühmt und erfährt die Kehrseite des Glamour vor allem dann, wenn wieder eine Zeitschrift die autobiographischen Züge missversteht und sie zwischen zerstückelten Puppen fotografieren möchte. „In meinem Himmel” wurde als literarisches Trostpflaster für Amerika nach dem 11. September begriffen, aber dann verkauften sich die Rechte in alle Welt, und auch hierzulande fand „In meinem Himmel” auf die Bestsellerliste.
Der Puppenstuben-Mörder
Erstaunlich ist dies nur auf den ersten Blick. Sebolds Buch ist trotz seines furchtbaren – und authentischen – Themas kaum aufwühlender als eine Scheidung bei Pilcher, ja, sie gibt sich alle Mühe, um die Bewältigungsversuche im Himmel und auf Erden sogar witzig zu schildern: „Hätte ich gewusst, dass dies die Sexszene meines Lebens bleiben würde”, hadert Susie in Erinnerung an ihren ersten Kuss, „hätte ich mich vielleicht ein bisschen darauf vorbereitet und neuen Lipgloss mit Erdbeer-Bananen-Geschmack aufgetragen.” Zwar flüchtet sich der Vater in die besessene Suche nach dem Mörder und die Mutter erst in eine Affäre mit dem ermittelnden Detective und später nach Kalifornien, zwar duscht Lindsey im dunkeln, weil sie im eigenen Spiegelbild nur ihre Schwester erblickt (das „Wandelnde-Tote-Syndrom”), doch das Fundament dieser Familie ist nie erschüttert. Es gibt keine falsche Art zu trauern, sagt uns Sebold, alle machen alles richtig, und als sie das endlich erkennen, rücken sie noch enger zusammen. Auch Mr. Harvey hat eigentlich keine Wahl, er baut Puppenstuben, wenn er nicht gerade Mädchen tötet, und versucht, den Drang in sich zu ersticken: „Er hatte Tiere getötet, unbedeutendere Leben genommen, um kein Kind zu töten.” In dieser bauklotzbunten Welt haben die Figuren abgerundete Kanten: Man stößt sich niemals. Selbst die Metaphern wirken wie aus einem Spielzeugladen: Was, bittesehr, ist „krokusartige Lust”? Und welche Erkenntnis verbirgt sich hinter dem Satz: „Mord hat eine blutrote Tür”?
So liegt ein Schimmer Erdbeer-Banane-Lipgloss über dem Buch, das nicht nur ein Familienroman ist, sondern das Hohelied der Gemeinschaft schlechthin anstimmt. Zwar beschreibt Sebold Susies Heimat als stickiges Suburbia, in dem die Lektüre von Erica Jong zum Schulverweis führen kann und Außenseiter einen schweren Stand haben. Doch die Nachbarn stellen einander Apfelkuchen vor die Tür und eigentlich sind alle eine große Familie. An Susies erstem Todestag versammelt sich die Gemeinschaft auf dem Maisfeld wie die amerikanische Ur- Gemeinde an der Grenze. Überhaupt steckt der Roman voll religiöser Anspielungen: Lindsey malt einen Fisch auf ihr Namensschild, ein Ventilator pustet die Haare von Susies Mutter zum „Glorienschein”, die jungen Männer führen den Vater behutsam wie „jugendliche Seelsorger”, und gekrönt wird das Ganze von Susies finaler Seelenwanderung. Und doch hat dies alles weniger mit Christentum zu tun als mit einem fast sektenhaften Gemeinschaftserlebnis.
„Ich bin ok., Du bist ok.” ist gewiss eine zuverlässige Formel für einen Bestseller. Doch dieses allumarmende Generalverständnis schnürt einem einfach die Luft ab.
SONJA ZEKRI
ALICE SEBOLD: In meinem Himmel. Roman. Manhattan Verlag, München 2003. 384 Seiten, 21,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
In ihrem Roman „In meinem Himmel” umarmt Alice Sebold alle und jeden
Überraschend ist nur, dass es im Himmel nach Stinktier riecht. Vielleicht auch nach Kumqats oder Tabak. Doch die Erklärung ist einfach: Der Himmel ist exakt so, wie man ihn sich vorstellt. Wenn man will, entstehen dort Kissenberge und Glamour-Zeitschriften, Eis und Kuchen, altmodische Laternen und Hunde, die auf der Wiese zwischen den Pavillons umherjagen. Noch ein Hauch Skunk und das Leben nach dem Tod ist bezugsfertig! Ein bisschen steril vielleicht das Ganze, aber das gibt sich mit der Zeit.
In Alice Sebolds Bestseller „In meinem Himmel” ist das Paradies ein Service aus Schöner Wohnen: Bei Nichtgefallen wird umdekoriert. Susie Salmon („Salmon, wie Lachs, der Fisch”), vierzehnjährige Titelheldin und Neuankömmling über den Wolken, lernt dies unter Anleitung ihrer „Aufnahmeberaterin” Franny. Und sie begreift schnell: Der Himmel hat Grenzen. Auf der Erde Schicksal zu spielen, ist beispielsweise schwierig und die Rückkehr nach unten so gut wie ausgeschlossen. Am Ende kriegt sie zwar mit viel Mühe eine Stippvisite hin, aber da hat sie es sich überirdisch endlich eingerichtet und schielt nicht mehr nach den Appartements im irdischen Souterrain.
Susie ist tot. Sie wurde von Mr. Harvey, einem Nachbarn, auf dem Nachhauseweg in eine Grube gelockt, vergewaltigt, ermordet und zerstückelt. Ihre Leiche verschloss der Mörder in einem Safe und kippte ihn in einen Müllschlund. Nun sitzt Susie auf ihrer Wolke und beobachtet ihre Familie bei der Trauerarbeit. Eines Tages taucht ein Körperteil von ihr wieder auf: „Der Vater holte eine große, metallene Rührschüssel herunter: ,Es war der Ellbogen, der Hund von den Gilberts hat ihn gefunden‘”, sagt er zu Susies Schwester Lindsey, stellt die Schüssel auf den Tisch, hält ihre Hand, „und dann übergab sie sich, wie versprochen, in die silberne Schüssel”. Es ist sicher auch die unverfrorene Direktheit, mit der Sebold ihre Heldin Entsetzliches schildern lässt, die die Leser für den Roman einnimmt. Man kann über alles reden, lautet ihre Botschaft, selbst über Dinge, die man nicht einmal denken kann.Alice Sebold hat ihre eigenen Erfahrungen mit dem Unaussprechlichen gemacht. Als Literatur-Studentin wurde sie in einer Unterführung in New York so brutal vergewaltigt, dass sie genäht werden musste. In den nächsten 20 Jahren konsumierte sie Drogen, Alkohol, Therapien, verfasste drei erfolglose Romane und schrieb sich das Trauma schließlich mit „Lucky” von der Seele, dem Bericht einer Vergewaltigung.
„The lovely bones”, die schönen Knochen, wie der Originaltitel ihres jüngsten Buches heißt, geht weiter – in jeder Hinsicht. In den USA erreichte das Buch in vier Monaten eine Auflage von zwei Millionen. Inzwischen ist Alice Sebold berühmt und erfährt die Kehrseite des Glamour vor allem dann, wenn wieder eine Zeitschrift die autobiographischen Züge missversteht und sie zwischen zerstückelten Puppen fotografieren möchte. „In meinem Himmel” wurde als literarisches Trostpflaster für Amerika nach dem 11. September begriffen, aber dann verkauften sich die Rechte in alle Welt, und auch hierzulande fand „In meinem Himmel” auf die Bestsellerliste.
Der Puppenstuben-Mörder
Erstaunlich ist dies nur auf den ersten Blick. Sebolds Buch ist trotz seines furchtbaren – und authentischen – Themas kaum aufwühlender als eine Scheidung bei Pilcher, ja, sie gibt sich alle Mühe, um die Bewältigungsversuche im Himmel und auf Erden sogar witzig zu schildern: „Hätte ich gewusst, dass dies die Sexszene meines Lebens bleiben würde”, hadert Susie in Erinnerung an ihren ersten Kuss, „hätte ich mich vielleicht ein bisschen darauf vorbereitet und neuen Lipgloss mit Erdbeer-Bananen-Geschmack aufgetragen.” Zwar flüchtet sich der Vater in die besessene Suche nach dem Mörder und die Mutter erst in eine Affäre mit dem ermittelnden Detective und später nach Kalifornien, zwar duscht Lindsey im dunkeln, weil sie im eigenen Spiegelbild nur ihre Schwester erblickt (das „Wandelnde-Tote-Syndrom”), doch das Fundament dieser Familie ist nie erschüttert. Es gibt keine falsche Art zu trauern, sagt uns Sebold, alle machen alles richtig, und als sie das endlich erkennen, rücken sie noch enger zusammen. Auch Mr. Harvey hat eigentlich keine Wahl, er baut Puppenstuben, wenn er nicht gerade Mädchen tötet, und versucht, den Drang in sich zu ersticken: „Er hatte Tiere getötet, unbedeutendere Leben genommen, um kein Kind zu töten.” In dieser bauklotzbunten Welt haben die Figuren abgerundete Kanten: Man stößt sich niemals. Selbst die Metaphern wirken wie aus einem Spielzeugladen: Was, bittesehr, ist „krokusartige Lust”? Und welche Erkenntnis verbirgt sich hinter dem Satz: „Mord hat eine blutrote Tür”?
So liegt ein Schimmer Erdbeer-Banane-Lipgloss über dem Buch, das nicht nur ein Familienroman ist, sondern das Hohelied der Gemeinschaft schlechthin anstimmt. Zwar beschreibt Sebold Susies Heimat als stickiges Suburbia, in dem die Lektüre von Erica Jong zum Schulverweis führen kann und Außenseiter einen schweren Stand haben. Doch die Nachbarn stellen einander Apfelkuchen vor die Tür und eigentlich sind alle eine große Familie. An Susies erstem Todestag versammelt sich die Gemeinschaft auf dem Maisfeld wie die amerikanische Ur- Gemeinde an der Grenze. Überhaupt steckt der Roman voll religiöser Anspielungen: Lindsey malt einen Fisch auf ihr Namensschild, ein Ventilator pustet die Haare von Susies Mutter zum „Glorienschein”, die jungen Männer führen den Vater behutsam wie „jugendliche Seelsorger”, und gekrönt wird das Ganze von Susies finaler Seelenwanderung. Und doch hat dies alles weniger mit Christentum zu tun als mit einem fast sektenhaften Gemeinschaftserlebnis.
„Ich bin ok., Du bist ok.” ist gewiss eine zuverlässige Formel für einen Bestseller. Doch dieses allumarmende Generalverständnis schnürt einem einfach die Luft ab.
SONJA ZEKRI
ALICE SEBOLD: In meinem Himmel. Roman. Manhattan Verlag, München 2003. 384 Seiten, 21,90 Euro.
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