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»Eine [...] Streitschrift, die zur rechten Zeit kommt.«, taz
Max Czollek ist dreißig, jüdisch und wütend. Denn hierzulande herrschen seltsame Regeln: Ein guter Migrant ist, wer aufgeklärt über Frauenunterdrückung, Islamismus und Demokratiefähigkeit spricht. Ein guter Jude, wer stets zu Antisemitismus, Holocaust und Israel Auskunft gibt. Dieses Integrationstheater stabilisiert das Bild einer geläuterten Gesellschaft - während eine völkische Partei immer größere Erfolge feiert. Max Czolleks Streitschrift entwirft eine Strategie, das Theater zu beenden: Desintegration. »Desintegriert euch!«…mehr

Produktbeschreibung
»Eine [...] Streitschrift, die zur rechten Zeit kommt.«, taz

Max Czollek ist dreißig, jüdisch und wütend. Denn hierzulande herrschen seltsame Regeln: Ein guter Migrant ist, wer aufgeklärt über Frauenunterdrückung, Islamismus und Demokratiefähigkeit spricht. Ein guter Jude, wer stets zu Antisemitismus, Holocaust und Israel Auskunft gibt. Dieses Integrationstheater stabilisiert das Bild einer geläuterten Gesellschaft - während eine völkische Partei immer größere Erfolge feiert. Max Czolleks Streitschrift entwirft eine Strategie, das Theater zu beenden: Desintegration. »Desintegriert euch!« ist ein Schlachtruf der neuen jüdischen Szene und zugleich eine Attacke gegen die Vision einer allein seligmachenden Leitkultur. Dieses furios streitbare Buch ist die Polemik der Stunde.
Autorenporträt
Max Czollek, Jahrgang 1987, studierte Politikwissenschaften an der FU Berlin und promovierte im Anschluss am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung. Seit 2009 ist er Mitglied des Lyrikkollektivs 'G13', organisiert gemeinsame Lesetouren und Veröffentlichungen und ist Kurator des internationalen Lyrikprojekts 'Babelsprech'. Außerdem ist er Mitherausgeber der Zeitschrift 'Jalta - Positionen zur jüdischen Gegenwart'. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ann-Kristin Tlusty erkennt (in einer Kritik für Zeit online) als Hauptadressaten von Max Czolleks Polemik all jene, die ihre Opferrolle im deutschen Vergangenheitsbewältigungstheater nicht länger spielen mögen, deutsche Juden vor allem. Den belebenden Effekt des Buches auf die Integrationsdebatte bezweifelt Tlusty nicht. Czolleks wütende Sprache hält sie für die performative Umsetzung der Absage an das "Gedächtnistheater". Einen leichten Charakter erhält der schwere Gegenstand des Buches laut Rezensentin durch die Entschiedenheit des Autors. Einen Vorschlag zur Umsetzung der Desintegration liefert Czollek laut Tlusty gleich mit: Es gilt, die radikale Vielfalt der migrantischen Gesellschaft anzuerkennen!

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2018

Normalisierung steht unter striktem Verdacht
Politischer Battle-Rap: Max Czollek attestiert in einer Streitschrift der deutschen Erinnerungskultur fatale Motive und Folgen

In ihrer Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels führten Jan und Aleida Assmann zum feierlichen Abschluss der Frankfurter Buchmesse aus, dass allein die nationalsozialistische Geschichte "beschämend" sei, "nicht aber die befreiende Erinnerung an sie, die wir mit den Opfern teilen". Wer aber war und ist das "wir", in welche die medial und körperlich Anwesenden, die eingangs als "Paulskirchengemeinde" adressierte Öffentlichkeit einbezogen wurden? Und wer sind die Opfer der Geschichte?

Der Lyriker, Theaterautor, Kurator und Politikwissenschaftler Max Czollek wüsste diese Frage zu beantworten. Mit seinem Buch "Desintegriert Euch!" dürfte er während der Buchmesse beinahe ebenso viele Interviews, Radio- und Fernsehtalks absolviert haben wie die Träger des Friedenspreises. Den Ausgangspunkt seiner Streitschrift bilden hingegen nicht die Ausführungen von Jan und Aleida Assmann und ihr Credo: "Wahr ist, was uns verbindet!" Max Czollek entwickelt vielmehr eine Argumentation zu einer popkulturellen Haltung, in der ,wahr' ist, was ,uns' trennt. Er stützt sich dabei auf Y. Michal Bodemanns Buch "Gedächtnistheater: Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung", in welchem der Soziologe ausführt, dass in der Bundesrepublik Deutschland eine Form des öffentlichen Gedenkens entstanden sei, welches "Juden als still leidende Opfer" erinnere und sich qua Identifikation von der historischen Schuld befreien wolle.

Diese Kritik am instrumentellen Charakter der Vorstellung, dass die Erinnerung an die deutsche Geschichte befreiend sein könne, schreibt Czollek fort, indem er etwa argumentiert, dass die Funktion des Gedächtnistheaters sei, "das Versprechen auf Versöhnung für die deutsche Gesellschaft einzulösen". Der Idee einer "Befreiung" vom nationalsozialistischen Regime und Erbe, die er unter anderem anhand der Bundestagsrede von Richard von Weizäcker am 8. Mai 1985 diskutiert, hält der Autor die Perspektive des Sieges über die Nationalsozialisten entgegen, die mit den russischsprachigen Emigranten Einzug in die jüdischen Gemeinden Deutschlands hielt. Das "wir" seines Textes unterscheidet sich nicht nur von der "Paulskirchengemeinde", sondern geht sie frontal an: Die Idee einer ,befreienden Erinnerung' berge die "Behauptung einer Läuterung" von nationalsozialistischen Erblasten und führe zu einer Normalisierung des deutschen Selbstverständnisses, die sich insbesondere im Sommermärchen von 2006 gezeigt habe.

Czolleks Pamphlet gegen politische Reden, Entscheidungen und Strategien, die in derartigen Erlösungs- und Normalisierungsphantasien münden, geht aber noch weiter. Es macht ihr Ergebnis, die deutsche Erinnerungskultur, auch für die "Rückkehr nationaler und völkischer Diskurse" verantwortlich, die sich nunmehr gegen sie selbst zu wenden beginnen. Mit dieser steilen und weit über Bodemann hinausgehenden These verlässt der Autor das Terrain zeithistorisch oder soziologisch fundierter Argumentation und betritt ein anderes, nur noch in Teilen sachlich erschlossenes Gebiet, das vom performativen Charakter seines Textes unterstrichen wird: Battle-Rap.

An dieser Stelle geht es nicht mehr darum, die historische Genese verschiedener Gedächtniskollektive und deren Unvereinbarkeit darzulegen, sondern den deutschen Leserinnen und Lesern, der ,Paulskirchengemeinde', ja, weiter noch, "den Deutschen" als Master of Ceremonies eine, in Czolleks Worten, "ganz schön fette Rübe" in den staunenden Rachen zu werfen: "Plötzlich wollen halt alle wieder sagen, wie toll sie sich als Deutsche fühlen. Darum nenne ich sie in diesem Buch aus so: die Deutschen. Und möchte noch mal festhalten, dass diese Deutschen sich in der Mehrheit so verhalten, als knüpften sie an die Geschichte der Nazitäter*innen an."

Ob und inwieweit die Schwarzweiß-Argumentation dieser und anderer Zeilen den hitzigen Diskursen und nervösen Identitätsdebatten unserer Tage nicht eher zuspielt, anstatt sie, wie gewünscht, zu dekonstruieren, sei dahingestellt. Im politischen Pamphlet von Czollek dient diese Strategie vor allem dazu, dem vermeintlich universalen "wir" der deutschen Gesellschaft und deren Integrationsforderung eine selbstbewusste Integrationsverweigerung entgegenzuhalten. Der Schlachtruf des Titels, "Desintegriert Euch", richtet sich daher an einen anderen, uneinheitlichen und diversen Adressatenkreis, nämlich: "Wir, das sind Muslim*innen und Queers, Juden und Jüdinnen, Großstadtnihilist*innen, Säkularist*innen und Mitglieder der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters, die nicht nur in einer anderen Gesellschaft leben wollen, sondern die auch heute schon in einer anderen Gesellschaft leben. (. . .) Um das noch einmal zusammenzufassen: Wer sich ein Deutschland ohne Muslim*innen wünscht, der wünscht sich auch ein Deutschland ohne Juden und Jüdinnen."

Das Buch von Max Czollek verdankt seine Sichtbarkeit nicht zuletzt dieser Plazierung der jüdischen Perspektive als Zentrifugalkraft inmitten eines Manifests zur Anerkennung gesellschaftlicher Diversität. Ebendiese Perspektive eröffnet einen anderen Blick auf jüdische Zeitgeschichte seit 1945, der von den geplanten Rachefeldzügen des Partisanenführers Abba Kovner über die Frankfurter Bühnenbesetzung im Zuge der Fassbinder-Kontroverse bis hin zur pluralen jüdischen Gegenwart schweift. Hier wird eine sich beschleunigende Rückkehr jüdischen Lebens in die deutsche Öffentlichkeit sichtbar. "Wir sind zurück", konstatiert Max Czollek und schreibt damit die gesellschaftspolitische Positionierung fort, die er und seine Freundinnen und Freunde bereits mit dem Desintegrations-Kongress am Maxim-Gorki-Theater vor zwei Jahren und der Zeitschrift "Jalta - Positionen zur jüdischen Gegenwart" vorgenommen haben.

Im Zentrum dieses Manifests wird mithin eine Vielstimmigkeit junger Jüdinnen und Juden in Deutschland sichtbar, die die ihnen begegnenden Erwartungen und Nachwirkungen des nationalsozialistischen Massenmords in eine Kampfansage verwandeln: Wir sind da, und wir sind viele - aber anders, als ihr denkt. Unverfroren und streitbar. Laut und sexy.

MIRJAM WENZEL

Max Czollek: "Desintegriert Euch!"

Carl Hanser Verlag, München 2018. 208 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein unsachliches Sachbuch, böse und wütend und oft ungerecht, eine Polemik, die viel Widerspruch erregen wird. 'Desintegriert euch!' ist ein wichtiges Buch." Tobias Becker, Literatur SPIEGEL, 09/2018

"Im Zentrum des Manifestes wird mithin eine Vielstimmigkeit junger Jüdinnen und Juden in Deutschland sichtbar, die die ihnen begegnenden Erwartungen und Nachwirkungen des nationalsozialistischen Massenmords in eine Kampfansage verwandeln: Wir sind da, und wir sind viele - aber anders, als ihr denkt. Unverfroren und streitbar. Laut und sexy." Miriam Wenzel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.18

"Czolleks Text, der zwischen feinem Humor und bitterer Polemik schwankt, attackiert das bundesdeutsche Integrationsparadigma, in dem Migranten eine "Bringschuld" wie einen Bauchladen vor sich herschleppen, in den die guten Deutschen greifen, wann immer es passt." Marlen Hobrack, Freitag, 13.09.18

"Der 31-jährige Autor schreibt scharfzüngig und unterhaltsam, er provoziert und irritiert. ... 'Desintegriert Euch!' ist ein wichtiger Beitrag in einer zuweilen hysterisch wirkenden Integrationsdebatte." Silke Mertins, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 26.08.18

"'Eine Absage an ... die Softifizierung neurechten Denkens, an die Idee einer unbefangenen Heimatliebe, an die Selbstbeweihräucherung als Erinnerungskulturweltmeister und an die Instrumentalisierung der jüdischen Bevölkerung zur Abgrenzung vom bösen Islam." Ann-Kristin Tlusty, ZEIT Online, 23.08.18