»Eine [...] Streitschrift, die zur rechten Zeit kommt.«, taz
Max Czollek ist dreißig, jüdisch und wütend. Denn hierzulande herrschen seltsame Regeln: Ein guter Migrant ist, wer aufgeklärt über Frauenunterdrückung, Islamismus und Demokratiefähigkeit spricht. Ein guter Jude, wer stets zu Antisemitismus, Holocaust und Israel Auskunft gibt. Dieses Integrationstheater stabilisiert das Bild einer geläuterten Gesellschaft - während eine völkische Partei immer größere Erfolge feiert. Max Czolleks Streitschrift entwirft eine Strategie, das Theater zu beenden: Desintegration. »Desintegriert euch!« ist ein Schlachtruf der neuen jüdischen Szene und zugleich eine Attacke gegen die Vision einer allein seligmachenden Leitkultur. Dieses furios streitbare Buch ist die Polemik der Stunde.
Max Czollek ist dreißig, jüdisch und wütend. Denn hierzulande herrschen seltsame Regeln: Ein guter Migrant ist, wer aufgeklärt über Frauenunterdrückung, Islamismus und Demokratiefähigkeit spricht. Ein guter Jude, wer stets zu Antisemitismus, Holocaust und Israel Auskunft gibt. Dieses Integrationstheater stabilisiert das Bild einer geläuterten Gesellschaft - während eine völkische Partei immer größere Erfolge feiert. Max Czolleks Streitschrift entwirft eine Strategie, das Theater zu beenden: Desintegration. »Desintegriert euch!« ist ein Schlachtruf der neuen jüdischen Szene und zugleich eine Attacke gegen die Vision einer allein seligmachenden Leitkultur. Dieses furios streitbare Buch ist die Polemik der Stunde.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ann-Kristin Tlusty erkennt (in einer Kritik für Zeit online) als Hauptadressaten von Max Czolleks Polemik all jene, die ihre Opferrolle im deutschen Vergangenheitsbewältigungstheater nicht länger spielen mögen, deutsche Juden vor allem. Den belebenden Effekt des Buches auf die Integrationsdebatte bezweifelt Tlusty nicht. Czolleks wütende Sprache hält sie für die performative Umsetzung der Absage an das "Gedächtnistheater". Einen leichten Charakter erhält der schwere Gegenstand des Buches laut Rezensentin durch die Entschiedenheit des Autors. Einen Vorschlag zur Umsetzung der Desintegration liefert Czollek laut Tlusty gleich mit: Es gilt, die radikale Vielfalt der migrantischen Gesellschaft anzuerkennen!
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.09.2018Gutes Opfer,
böses Opfer
„Desintegriert euch!“: Max Czollek polemisiert
gegen das Integrationstheater
VON FELIX STEPHAN
Bei Suhrkamp ist gerade ein kleiner Essay von Chantal Mouffe erschienen, in dem die belgische Politologin einen „linken Populismus“ einfordert und „klare Frontlinien“ und allerlei weitere kreative Möglichkeiten, das Denken einzustellen. Gut möglich, dass Max Czollek das Buch gelesen hat, bevor er seinen Essay „Desintegriert euch!“ geschrieben hat. Auf Englisch liegt es schon länger vor.
Czollek, der 1987 in Berlin geboren wurde, füllt das Format mustergültig aus, mühelos überführt er linke Ideen in populistische Argumentationsmuster: Er behauptet ein Tabu, wo keines ist, um es sogleich heroisch zu brechen. Er stilisiert seine ideologischen Gegner zur metapolitischen Supermacht, um sogleich heroisch gegen sie zu Felde zu ziehen. Und er stellt wilde Behauptungen in den Raum, um sie gleich darauf wieder zu relativieren und im Zuge all dessen eine Antwort auf eine Frage anzubieten, an die sich längst niemand mehr erinnern kann.
Dabei ist der Grundgedanke des Buches nicht einmal falsch. Er lautet, dass Minderheiten in Deutschland von der Mehrheitsgesellschaft Rollenmuster zugewiesen bekommen, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen. Max Czollek ruft die Minderheiten deshalb dazu auf, sich gegen diese Zuschreibungen zu verwahren, um auf diese Weise die deutsche „Dominanzkultur“ zu brechen.
Brandneu ist die Beobachtung nicht: In Woody Allens „Annie Hall“ gibt es eine Szene, in der die Hauptfigur zum ersten Mal bei der Familie ihrer Freundin auf dem Land zu Besuch ist und sich vor den prüfenden Blicken dieser amerikanischen Protestantenfamilie in einen chassidischen Juden verwandelt, mit Locken, Krempenhut und allem, was dazugehört. In den Siebzigerjahren war das ein Witz über die Fallstricke des Pluralismus, der eine halbe Sekunde dauerte, bei Czollek trägt der Gedanke, dass sich in diesem Verhältnis die faschistoide Fratze Deutschlands äußert, ein ganzes Buch.
Die Deutschen, schreibt er, nötigten die Juden und andere Minderheiten zur Teilnahme am „Integrationstheater“, das lediglich der Selbstvergewisserung der Deutschen diene. Um sich ihrer eigenen Faschistoidität nicht bewusst werden zu müssen, führten sie ein Gedächtnis- und Integrationstheater auf, in dem die Juden die Rolle des Opfers einnehmen, das dem Täter seine Läuterung bescheinigt. Dieses Theater lege die Juden auf ihre Opferrolle fest und verlange von ihnen, ständig über den Holocaust sprechen zu müssen, obwohl sie vielleicht lieber über steigende Mieten diskutieren würden. Das jüdische Leben in Deutschland aber sei zu vielfältig, als dass man es ausschließlich um die Schoah kreisen lassen könne.
Mit den Rechten, so Czollek, werde er erst reden, wenn sie eingestünden, dass eine homogene Gesellschaft nur um den Preis der Reinigung zu haben sei. In Wirklichkeit aber redet er schon jetzt mit ihnen, und zwar ununterbrochen. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Buch: Wie umstandslos Czollek sich auf der Landkarte einordnet, die die Identitären gezeichnet haben, wie gelassen er ihre Prämissen übernimmt, in denen die Aushandlungsprozesse liberaler Gesellschaften gar nicht mehr vorkommen.
Den Deutschen stellt er die Juden gegenüber, einer radikalen Homogenität eine „radikale Vielfalt“. Während sich die Rechten gegen einen „linken Mainstream“ auflehnen, kämpft Max Czollek gegen eine „deutsche Normalität“, die von Leitkultur und völkischem Heimatkitsch geprägt ist.
Um dieses Bild aufrechtzuerhalten, muss Czollek sehr viel auslassen: Die Deutschen, schreibt er, verdrängten die Rolle, die Auschwitz auch in der Gegenwart noch spiele, als sei der Deutsche Buchpreis 2017 nicht an Robert Menasses „Die Hauptstadt“ gegangen, einen Roman also, der Auschwitz als Gründungsmoment der Europäischen Union versteht.
Ein Autor, der bei der Täterdebatte „zu Unrecht häufig unerwähnt bleibt“, sei Martin Walser, als sei auf seine Paulskirchenrede im Jahr 1998 nicht eine der erbittertsten öffentlichen Debatten in der Geschichte der Bundesrepublik gefolgt und als sei sein Name nicht bis heute untrennbar mit dieser Rede verbunden.
Der Deutsche an sich empfindet bei Max Czollek eine Sehnsucht nach „Entlastung“, die ein Recht auf Nationalstolz einschließe. Die Partei der Grünen wären demnach genauso wenig deutsch wie die Linke und weite Teile der SPD. Nicht einmal Angela Merkel wäre deutsch.
An einer Stelle des Buches ist der Rassismus der AfD der Inbegriff deutscher Normalität, ein paar Seiten später ist deutsche Normalität gerade wegen der AfD nicht möglich.
An einer Stelle wirft er den Deutschen vor, zu wenig über den Holocaust zu reden, auf den er selbst zehn Seiten vorher nicht mehr dauernd von den Deutschen angesprochen werden wollte. Der wütende Sprachgestus des Buches signalisiert, dass Czollek dringend etwas sagen möchte. Er scheint nur nicht genau zu wissen, wie. Oder was genau.
Czollek fordert Differenzierung für sich selbst, gewährt sie aber niemandem sonst: Sigmar Gabriels Heimatbegriff, Richard von Weizsäckers berühmte Rede zum Jahrestag des Kriegsendes, die Forderung nach einer Schweinefleischpflicht in norddeutschen Kindergärten, das ist alles dasselbe, alles deutsch. Die Minderheiten aber werden missverstanden. Wo soll das bitte hinführen? Und möchte das Buch überhaupt, dass man ihm argumentativ begegnet?
Beispiel „Homogenität“: In ihrem Pluralismus-Buch „Ich und die Anderen. Wie die neue Pluralisierung uns alle verändert“ (Zsolnay Verlag, Wien 2018, 224 Seiten, 22 Euro) hat Isolde Charim erst vor Kurzem noch einmal gezeigt, dass die Homogenität in der Politik erstens ohnehin nie etwas anderes als eine Fiktion gewesen ist, ein imaginatives Ordnungsprinzip, das nie auch nur annähernd erreicht wurde, und dass sie zweitens die Voraussetzung für die Herausbildung des Nationalstaats war.
Max Czollek aber verwendet den Begriff ausschließlich in der vulgarisierten Variante der Identitären, um ihn dann wortreich zu suspendieren.
Auf die gleiche Weise verfährt er mit der Integration. Der Begriff setze ein kulturelles Zentrum voraus, eine Leitkultur, an der sich die Ränder zu orientieren hätten. Dieses Zentrum aber gebe es nicht. Das ist erst einmal wahr. Isolde Charim aber hat in ihrem Buch gezeigt, dass der Begriff der Leitkultur überhaupt nur in einer Gesellschaft denkbar ist, die sich längst als pluralistisch versteht.
Wer seine Kultur als Leitkultur auszugeben versuche, habe längst anerkannt, dass es nicht mehr die einzige sei. Dass der Wettstreit der Kulturen gerade der Ausweis einer pluralistischen Gesellschaft ist, betont nicht zuletzt der Soziologe Aladin El-Mafaalani seit Jahren immer wieder auf allen Kanälen. Kennt Czollek das alles nicht? Lässt er es bewusst aus?
Auch gegen den Begriff der Heimat geht Czollek beherzt vor, nach dem bekannten Muster: Er erkennt die Deutungshoheit der Identitären über den Begriff an und erklärt ihn dann zum schmutzigen Wort. Dabei ist Heimat ein vielschichtiger Begriff, der den Baklava-Laden an der Ecke genauso meinen kann wie den Bauernhof bei Altötting. Historisch gesehen ist die Nation der natürliche Feind der Heimat. Wenn man den Begriff aber den Nationalisten zuschlägt, wie Czollek es tut, bräuchte es dafür gute Gründe, über die Czollek sich aber an keiner Stelle den Kopf zerbricht. Es geht lediglich um Chantal Mouffes kleingärtnerische „klare Frontlinien“. Wenn die Heimat sagen, sagt man das bei uns nicht.
Für das Selbstverständnis der Juden in Deutschland stellt das Buch das Symptom einer Zäsur da. Viele Juden aus Czolleks Alterskohorte sind nach Deutschland eingewandert und haben keinen eigenen familiären Bezug zur Schoah. Sie stammen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, aus Israel, Äthiopien, dem Irak, Frankreich, den USA. Ihre jeweiligen Biografien gleichen sich jenen der anderen Migranten in Deutschland tendenziell an, die spezifische Existenz als deutscher Jude oder deutsche Jüdin hingegen schwindet. Das äußert sich seit einigen Jahren in den Büchern von Dimitrij Kapitelman, Olga Grjasnowa, Sasha Marianna Salzmann, Lena Gorelik. Und Max Czollek fordert es jetzt ganz explizit ein.
In der Gesellschaft, die ihm vorschwebt, reihen sich die Juden ein in die Riege der Minderheiten, die zusammenrücken sollen unter dem Vordach des postkolonialen Theoriegebäudes, in dem Richard von Weizsäcker als alter weißer Mann der natürliche Gegner ist und James Baldwin der natürliche Alliierte.
Dass unter diesem Vordach auch die Hamas routinemäßig Platz nimmt und dass das Integrationstheater nicht nur Minderheiten auf eine bestimmte Rolle festlegt, sondern vor allem auch die Mehrheitsgesellschaft, und dass sich auch dort mehr als genug Leute finden, die das Integrationstheater lieber heute als morgen schließen würden, das sind so die Details, die in Czolleks Suada keinen Platz finden.
Er wolle kein gutes Opfer sein, sondern ein böses, schreibt Max Czollek an einer Stelle. Wenn aber bei der Selbstbestimmung zwei Kategorien ausreichen, ist das selten ein gutes Zeichen.
Er kämpft gegen eine
„deutsche Normalität“ aus
Leitkultur und Heimatkitsch
Historisch gesehen ist
die Nation der natürliche
Feind der Heimat
Auch die Mehrheitsgesellschaft
wird auf
eine bestimmte Rolle festgelegt
Max Czollek: Desintegriert euch! Hanser Verlag, München 2018. 208 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
böses Opfer
„Desintegriert euch!“: Max Czollek polemisiert
gegen das Integrationstheater
VON FELIX STEPHAN
Bei Suhrkamp ist gerade ein kleiner Essay von Chantal Mouffe erschienen, in dem die belgische Politologin einen „linken Populismus“ einfordert und „klare Frontlinien“ und allerlei weitere kreative Möglichkeiten, das Denken einzustellen. Gut möglich, dass Max Czollek das Buch gelesen hat, bevor er seinen Essay „Desintegriert euch!“ geschrieben hat. Auf Englisch liegt es schon länger vor.
Czollek, der 1987 in Berlin geboren wurde, füllt das Format mustergültig aus, mühelos überführt er linke Ideen in populistische Argumentationsmuster: Er behauptet ein Tabu, wo keines ist, um es sogleich heroisch zu brechen. Er stilisiert seine ideologischen Gegner zur metapolitischen Supermacht, um sogleich heroisch gegen sie zu Felde zu ziehen. Und er stellt wilde Behauptungen in den Raum, um sie gleich darauf wieder zu relativieren und im Zuge all dessen eine Antwort auf eine Frage anzubieten, an die sich längst niemand mehr erinnern kann.
Dabei ist der Grundgedanke des Buches nicht einmal falsch. Er lautet, dass Minderheiten in Deutschland von der Mehrheitsgesellschaft Rollenmuster zugewiesen bekommen, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen. Max Czollek ruft die Minderheiten deshalb dazu auf, sich gegen diese Zuschreibungen zu verwahren, um auf diese Weise die deutsche „Dominanzkultur“ zu brechen.
Brandneu ist die Beobachtung nicht: In Woody Allens „Annie Hall“ gibt es eine Szene, in der die Hauptfigur zum ersten Mal bei der Familie ihrer Freundin auf dem Land zu Besuch ist und sich vor den prüfenden Blicken dieser amerikanischen Protestantenfamilie in einen chassidischen Juden verwandelt, mit Locken, Krempenhut und allem, was dazugehört. In den Siebzigerjahren war das ein Witz über die Fallstricke des Pluralismus, der eine halbe Sekunde dauerte, bei Czollek trägt der Gedanke, dass sich in diesem Verhältnis die faschistoide Fratze Deutschlands äußert, ein ganzes Buch.
Die Deutschen, schreibt er, nötigten die Juden und andere Minderheiten zur Teilnahme am „Integrationstheater“, das lediglich der Selbstvergewisserung der Deutschen diene. Um sich ihrer eigenen Faschistoidität nicht bewusst werden zu müssen, führten sie ein Gedächtnis- und Integrationstheater auf, in dem die Juden die Rolle des Opfers einnehmen, das dem Täter seine Läuterung bescheinigt. Dieses Theater lege die Juden auf ihre Opferrolle fest und verlange von ihnen, ständig über den Holocaust sprechen zu müssen, obwohl sie vielleicht lieber über steigende Mieten diskutieren würden. Das jüdische Leben in Deutschland aber sei zu vielfältig, als dass man es ausschließlich um die Schoah kreisen lassen könne.
Mit den Rechten, so Czollek, werde er erst reden, wenn sie eingestünden, dass eine homogene Gesellschaft nur um den Preis der Reinigung zu haben sei. In Wirklichkeit aber redet er schon jetzt mit ihnen, und zwar ununterbrochen. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Buch: Wie umstandslos Czollek sich auf der Landkarte einordnet, die die Identitären gezeichnet haben, wie gelassen er ihre Prämissen übernimmt, in denen die Aushandlungsprozesse liberaler Gesellschaften gar nicht mehr vorkommen.
Den Deutschen stellt er die Juden gegenüber, einer radikalen Homogenität eine „radikale Vielfalt“. Während sich die Rechten gegen einen „linken Mainstream“ auflehnen, kämpft Max Czollek gegen eine „deutsche Normalität“, die von Leitkultur und völkischem Heimatkitsch geprägt ist.
Um dieses Bild aufrechtzuerhalten, muss Czollek sehr viel auslassen: Die Deutschen, schreibt er, verdrängten die Rolle, die Auschwitz auch in der Gegenwart noch spiele, als sei der Deutsche Buchpreis 2017 nicht an Robert Menasses „Die Hauptstadt“ gegangen, einen Roman also, der Auschwitz als Gründungsmoment der Europäischen Union versteht.
Ein Autor, der bei der Täterdebatte „zu Unrecht häufig unerwähnt bleibt“, sei Martin Walser, als sei auf seine Paulskirchenrede im Jahr 1998 nicht eine der erbittertsten öffentlichen Debatten in der Geschichte der Bundesrepublik gefolgt und als sei sein Name nicht bis heute untrennbar mit dieser Rede verbunden.
Der Deutsche an sich empfindet bei Max Czollek eine Sehnsucht nach „Entlastung“, die ein Recht auf Nationalstolz einschließe. Die Partei der Grünen wären demnach genauso wenig deutsch wie die Linke und weite Teile der SPD. Nicht einmal Angela Merkel wäre deutsch.
An einer Stelle des Buches ist der Rassismus der AfD der Inbegriff deutscher Normalität, ein paar Seiten später ist deutsche Normalität gerade wegen der AfD nicht möglich.
An einer Stelle wirft er den Deutschen vor, zu wenig über den Holocaust zu reden, auf den er selbst zehn Seiten vorher nicht mehr dauernd von den Deutschen angesprochen werden wollte. Der wütende Sprachgestus des Buches signalisiert, dass Czollek dringend etwas sagen möchte. Er scheint nur nicht genau zu wissen, wie. Oder was genau.
Czollek fordert Differenzierung für sich selbst, gewährt sie aber niemandem sonst: Sigmar Gabriels Heimatbegriff, Richard von Weizsäckers berühmte Rede zum Jahrestag des Kriegsendes, die Forderung nach einer Schweinefleischpflicht in norddeutschen Kindergärten, das ist alles dasselbe, alles deutsch. Die Minderheiten aber werden missverstanden. Wo soll das bitte hinführen? Und möchte das Buch überhaupt, dass man ihm argumentativ begegnet?
Beispiel „Homogenität“: In ihrem Pluralismus-Buch „Ich und die Anderen. Wie die neue Pluralisierung uns alle verändert“ (Zsolnay Verlag, Wien 2018, 224 Seiten, 22 Euro) hat Isolde Charim erst vor Kurzem noch einmal gezeigt, dass die Homogenität in der Politik erstens ohnehin nie etwas anderes als eine Fiktion gewesen ist, ein imaginatives Ordnungsprinzip, das nie auch nur annähernd erreicht wurde, und dass sie zweitens die Voraussetzung für die Herausbildung des Nationalstaats war.
Max Czollek aber verwendet den Begriff ausschließlich in der vulgarisierten Variante der Identitären, um ihn dann wortreich zu suspendieren.
Auf die gleiche Weise verfährt er mit der Integration. Der Begriff setze ein kulturelles Zentrum voraus, eine Leitkultur, an der sich die Ränder zu orientieren hätten. Dieses Zentrum aber gebe es nicht. Das ist erst einmal wahr. Isolde Charim aber hat in ihrem Buch gezeigt, dass der Begriff der Leitkultur überhaupt nur in einer Gesellschaft denkbar ist, die sich längst als pluralistisch versteht.
Wer seine Kultur als Leitkultur auszugeben versuche, habe längst anerkannt, dass es nicht mehr die einzige sei. Dass der Wettstreit der Kulturen gerade der Ausweis einer pluralistischen Gesellschaft ist, betont nicht zuletzt der Soziologe Aladin El-Mafaalani seit Jahren immer wieder auf allen Kanälen. Kennt Czollek das alles nicht? Lässt er es bewusst aus?
Auch gegen den Begriff der Heimat geht Czollek beherzt vor, nach dem bekannten Muster: Er erkennt die Deutungshoheit der Identitären über den Begriff an und erklärt ihn dann zum schmutzigen Wort. Dabei ist Heimat ein vielschichtiger Begriff, der den Baklava-Laden an der Ecke genauso meinen kann wie den Bauernhof bei Altötting. Historisch gesehen ist die Nation der natürliche Feind der Heimat. Wenn man den Begriff aber den Nationalisten zuschlägt, wie Czollek es tut, bräuchte es dafür gute Gründe, über die Czollek sich aber an keiner Stelle den Kopf zerbricht. Es geht lediglich um Chantal Mouffes kleingärtnerische „klare Frontlinien“. Wenn die Heimat sagen, sagt man das bei uns nicht.
Für das Selbstverständnis der Juden in Deutschland stellt das Buch das Symptom einer Zäsur da. Viele Juden aus Czolleks Alterskohorte sind nach Deutschland eingewandert und haben keinen eigenen familiären Bezug zur Schoah. Sie stammen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, aus Israel, Äthiopien, dem Irak, Frankreich, den USA. Ihre jeweiligen Biografien gleichen sich jenen der anderen Migranten in Deutschland tendenziell an, die spezifische Existenz als deutscher Jude oder deutsche Jüdin hingegen schwindet. Das äußert sich seit einigen Jahren in den Büchern von Dimitrij Kapitelman, Olga Grjasnowa, Sasha Marianna Salzmann, Lena Gorelik. Und Max Czollek fordert es jetzt ganz explizit ein.
In der Gesellschaft, die ihm vorschwebt, reihen sich die Juden ein in die Riege der Minderheiten, die zusammenrücken sollen unter dem Vordach des postkolonialen Theoriegebäudes, in dem Richard von Weizsäcker als alter weißer Mann der natürliche Gegner ist und James Baldwin der natürliche Alliierte.
Dass unter diesem Vordach auch die Hamas routinemäßig Platz nimmt und dass das Integrationstheater nicht nur Minderheiten auf eine bestimmte Rolle festlegt, sondern vor allem auch die Mehrheitsgesellschaft, und dass sich auch dort mehr als genug Leute finden, die das Integrationstheater lieber heute als morgen schließen würden, das sind so die Details, die in Czolleks Suada keinen Platz finden.
Er wolle kein gutes Opfer sein, sondern ein böses, schreibt Max Czollek an einer Stelle. Wenn aber bei der Selbstbestimmung zwei Kategorien ausreichen, ist das selten ein gutes Zeichen.
Er kämpft gegen eine
„deutsche Normalität“ aus
Leitkultur und Heimatkitsch
Historisch gesehen ist
die Nation der natürliche
Feind der Heimat
Auch die Mehrheitsgesellschaft
wird auf
eine bestimmte Rolle festgelegt
Max Czollek: Desintegriert euch! Hanser Verlag, München 2018. 208 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2018Normalisierung steht unter striktem Verdacht
Politischer Battle-Rap: Max Czollek attestiert in einer Streitschrift der deutschen Erinnerungskultur fatale Motive und Folgen
In ihrer Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels führten Jan und Aleida Assmann zum feierlichen Abschluss der Frankfurter Buchmesse aus, dass allein die nationalsozialistische Geschichte "beschämend" sei, "nicht aber die befreiende Erinnerung an sie, die wir mit den Opfern teilen". Wer aber war und ist das "wir", in welche die medial und körperlich Anwesenden, die eingangs als "Paulskirchengemeinde" adressierte Öffentlichkeit einbezogen wurden? Und wer sind die Opfer der Geschichte?
Der Lyriker, Theaterautor, Kurator und Politikwissenschaftler Max Czollek wüsste diese Frage zu beantworten. Mit seinem Buch "Desintegriert Euch!" dürfte er während der Buchmesse beinahe ebenso viele Interviews, Radio- und Fernsehtalks absolviert haben wie die Träger des Friedenspreises. Den Ausgangspunkt seiner Streitschrift bilden hingegen nicht die Ausführungen von Jan und Aleida Assmann und ihr Credo: "Wahr ist, was uns verbindet!" Max Czollek entwickelt vielmehr eine Argumentation zu einer popkulturellen Haltung, in der ,wahr' ist, was ,uns' trennt. Er stützt sich dabei auf Y. Michal Bodemanns Buch "Gedächtnistheater: Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung", in welchem der Soziologe ausführt, dass in der Bundesrepublik Deutschland eine Form des öffentlichen Gedenkens entstanden sei, welches "Juden als still leidende Opfer" erinnere und sich qua Identifikation von der historischen Schuld befreien wolle.
Diese Kritik am instrumentellen Charakter der Vorstellung, dass die Erinnerung an die deutsche Geschichte befreiend sein könne, schreibt Czollek fort, indem er etwa argumentiert, dass die Funktion des Gedächtnistheaters sei, "das Versprechen auf Versöhnung für die deutsche Gesellschaft einzulösen". Der Idee einer "Befreiung" vom nationalsozialistischen Regime und Erbe, die er unter anderem anhand der Bundestagsrede von Richard von Weizäcker am 8. Mai 1985 diskutiert, hält der Autor die Perspektive des Sieges über die Nationalsozialisten entgegen, die mit den russischsprachigen Emigranten Einzug in die jüdischen Gemeinden Deutschlands hielt. Das "wir" seines Textes unterscheidet sich nicht nur von der "Paulskirchengemeinde", sondern geht sie frontal an: Die Idee einer ,befreienden Erinnerung' berge die "Behauptung einer Läuterung" von nationalsozialistischen Erblasten und führe zu einer Normalisierung des deutschen Selbstverständnisses, die sich insbesondere im Sommermärchen von 2006 gezeigt habe.
Czolleks Pamphlet gegen politische Reden, Entscheidungen und Strategien, die in derartigen Erlösungs- und Normalisierungsphantasien münden, geht aber noch weiter. Es macht ihr Ergebnis, die deutsche Erinnerungskultur, auch für die "Rückkehr nationaler und völkischer Diskurse" verantwortlich, die sich nunmehr gegen sie selbst zu wenden beginnen. Mit dieser steilen und weit über Bodemann hinausgehenden These verlässt der Autor das Terrain zeithistorisch oder soziologisch fundierter Argumentation und betritt ein anderes, nur noch in Teilen sachlich erschlossenes Gebiet, das vom performativen Charakter seines Textes unterstrichen wird: Battle-Rap.
An dieser Stelle geht es nicht mehr darum, die historische Genese verschiedener Gedächtniskollektive und deren Unvereinbarkeit darzulegen, sondern den deutschen Leserinnen und Lesern, der ,Paulskirchengemeinde', ja, weiter noch, "den Deutschen" als Master of Ceremonies eine, in Czolleks Worten, "ganz schön fette Rübe" in den staunenden Rachen zu werfen: "Plötzlich wollen halt alle wieder sagen, wie toll sie sich als Deutsche fühlen. Darum nenne ich sie in diesem Buch aus so: die Deutschen. Und möchte noch mal festhalten, dass diese Deutschen sich in der Mehrheit so verhalten, als knüpften sie an die Geschichte der Nazitäter*innen an."
Ob und inwieweit die Schwarzweiß-Argumentation dieser und anderer Zeilen den hitzigen Diskursen und nervösen Identitätsdebatten unserer Tage nicht eher zuspielt, anstatt sie, wie gewünscht, zu dekonstruieren, sei dahingestellt. Im politischen Pamphlet von Czollek dient diese Strategie vor allem dazu, dem vermeintlich universalen "wir" der deutschen Gesellschaft und deren Integrationsforderung eine selbstbewusste Integrationsverweigerung entgegenzuhalten. Der Schlachtruf des Titels, "Desintegriert Euch", richtet sich daher an einen anderen, uneinheitlichen und diversen Adressatenkreis, nämlich: "Wir, das sind Muslim*innen und Queers, Juden und Jüdinnen, Großstadtnihilist*innen, Säkularist*innen und Mitglieder der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters, die nicht nur in einer anderen Gesellschaft leben wollen, sondern die auch heute schon in einer anderen Gesellschaft leben. (. . .) Um das noch einmal zusammenzufassen: Wer sich ein Deutschland ohne Muslim*innen wünscht, der wünscht sich auch ein Deutschland ohne Juden und Jüdinnen."
Das Buch von Max Czollek verdankt seine Sichtbarkeit nicht zuletzt dieser Plazierung der jüdischen Perspektive als Zentrifugalkraft inmitten eines Manifests zur Anerkennung gesellschaftlicher Diversität. Ebendiese Perspektive eröffnet einen anderen Blick auf jüdische Zeitgeschichte seit 1945, der von den geplanten Rachefeldzügen des Partisanenführers Abba Kovner über die Frankfurter Bühnenbesetzung im Zuge der Fassbinder-Kontroverse bis hin zur pluralen jüdischen Gegenwart schweift. Hier wird eine sich beschleunigende Rückkehr jüdischen Lebens in die deutsche Öffentlichkeit sichtbar. "Wir sind zurück", konstatiert Max Czollek und schreibt damit die gesellschaftspolitische Positionierung fort, die er und seine Freundinnen und Freunde bereits mit dem Desintegrations-Kongress am Maxim-Gorki-Theater vor zwei Jahren und der Zeitschrift "Jalta - Positionen zur jüdischen Gegenwart" vorgenommen haben.
Im Zentrum dieses Manifests wird mithin eine Vielstimmigkeit junger Jüdinnen und Juden in Deutschland sichtbar, die die ihnen begegnenden Erwartungen und Nachwirkungen des nationalsozialistischen Massenmords in eine Kampfansage verwandeln: Wir sind da, und wir sind viele - aber anders, als ihr denkt. Unverfroren und streitbar. Laut und sexy.
MIRJAM WENZEL
Max Czollek: "Desintegriert Euch!"
Carl Hanser Verlag, München 2018. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Politischer Battle-Rap: Max Czollek attestiert in einer Streitschrift der deutschen Erinnerungskultur fatale Motive und Folgen
In ihrer Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels führten Jan und Aleida Assmann zum feierlichen Abschluss der Frankfurter Buchmesse aus, dass allein die nationalsozialistische Geschichte "beschämend" sei, "nicht aber die befreiende Erinnerung an sie, die wir mit den Opfern teilen". Wer aber war und ist das "wir", in welche die medial und körperlich Anwesenden, die eingangs als "Paulskirchengemeinde" adressierte Öffentlichkeit einbezogen wurden? Und wer sind die Opfer der Geschichte?
Der Lyriker, Theaterautor, Kurator und Politikwissenschaftler Max Czollek wüsste diese Frage zu beantworten. Mit seinem Buch "Desintegriert Euch!" dürfte er während der Buchmesse beinahe ebenso viele Interviews, Radio- und Fernsehtalks absolviert haben wie die Träger des Friedenspreises. Den Ausgangspunkt seiner Streitschrift bilden hingegen nicht die Ausführungen von Jan und Aleida Assmann und ihr Credo: "Wahr ist, was uns verbindet!" Max Czollek entwickelt vielmehr eine Argumentation zu einer popkulturellen Haltung, in der ,wahr' ist, was ,uns' trennt. Er stützt sich dabei auf Y. Michal Bodemanns Buch "Gedächtnistheater: Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung", in welchem der Soziologe ausführt, dass in der Bundesrepublik Deutschland eine Form des öffentlichen Gedenkens entstanden sei, welches "Juden als still leidende Opfer" erinnere und sich qua Identifikation von der historischen Schuld befreien wolle.
Diese Kritik am instrumentellen Charakter der Vorstellung, dass die Erinnerung an die deutsche Geschichte befreiend sein könne, schreibt Czollek fort, indem er etwa argumentiert, dass die Funktion des Gedächtnistheaters sei, "das Versprechen auf Versöhnung für die deutsche Gesellschaft einzulösen". Der Idee einer "Befreiung" vom nationalsozialistischen Regime und Erbe, die er unter anderem anhand der Bundestagsrede von Richard von Weizäcker am 8. Mai 1985 diskutiert, hält der Autor die Perspektive des Sieges über die Nationalsozialisten entgegen, die mit den russischsprachigen Emigranten Einzug in die jüdischen Gemeinden Deutschlands hielt. Das "wir" seines Textes unterscheidet sich nicht nur von der "Paulskirchengemeinde", sondern geht sie frontal an: Die Idee einer ,befreienden Erinnerung' berge die "Behauptung einer Läuterung" von nationalsozialistischen Erblasten und führe zu einer Normalisierung des deutschen Selbstverständnisses, die sich insbesondere im Sommermärchen von 2006 gezeigt habe.
Czolleks Pamphlet gegen politische Reden, Entscheidungen und Strategien, die in derartigen Erlösungs- und Normalisierungsphantasien münden, geht aber noch weiter. Es macht ihr Ergebnis, die deutsche Erinnerungskultur, auch für die "Rückkehr nationaler und völkischer Diskurse" verantwortlich, die sich nunmehr gegen sie selbst zu wenden beginnen. Mit dieser steilen und weit über Bodemann hinausgehenden These verlässt der Autor das Terrain zeithistorisch oder soziologisch fundierter Argumentation und betritt ein anderes, nur noch in Teilen sachlich erschlossenes Gebiet, das vom performativen Charakter seines Textes unterstrichen wird: Battle-Rap.
An dieser Stelle geht es nicht mehr darum, die historische Genese verschiedener Gedächtniskollektive und deren Unvereinbarkeit darzulegen, sondern den deutschen Leserinnen und Lesern, der ,Paulskirchengemeinde', ja, weiter noch, "den Deutschen" als Master of Ceremonies eine, in Czolleks Worten, "ganz schön fette Rübe" in den staunenden Rachen zu werfen: "Plötzlich wollen halt alle wieder sagen, wie toll sie sich als Deutsche fühlen. Darum nenne ich sie in diesem Buch aus so: die Deutschen. Und möchte noch mal festhalten, dass diese Deutschen sich in der Mehrheit so verhalten, als knüpften sie an die Geschichte der Nazitäter*innen an."
Ob und inwieweit die Schwarzweiß-Argumentation dieser und anderer Zeilen den hitzigen Diskursen und nervösen Identitätsdebatten unserer Tage nicht eher zuspielt, anstatt sie, wie gewünscht, zu dekonstruieren, sei dahingestellt. Im politischen Pamphlet von Czollek dient diese Strategie vor allem dazu, dem vermeintlich universalen "wir" der deutschen Gesellschaft und deren Integrationsforderung eine selbstbewusste Integrationsverweigerung entgegenzuhalten. Der Schlachtruf des Titels, "Desintegriert Euch", richtet sich daher an einen anderen, uneinheitlichen und diversen Adressatenkreis, nämlich: "Wir, das sind Muslim*innen und Queers, Juden und Jüdinnen, Großstadtnihilist*innen, Säkularist*innen und Mitglieder der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters, die nicht nur in einer anderen Gesellschaft leben wollen, sondern die auch heute schon in einer anderen Gesellschaft leben. (. . .) Um das noch einmal zusammenzufassen: Wer sich ein Deutschland ohne Muslim*innen wünscht, der wünscht sich auch ein Deutschland ohne Juden und Jüdinnen."
Das Buch von Max Czollek verdankt seine Sichtbarkeit nicht zuletzt dieser Plazierung der jüdischen Perspektive als Zentrifugalkraft inmitten eines Manifests zur Anerkennung gesellschaftlicher Diversität. Ebendiese Perspektive eröffnet einen anderen Blick auf jüdische Zeitgeschichte seit 1945, der von den geplanten Rachefeldzügen des Partisanenführers Abba Kovner über die Frankfurter Bühnenbesetzung im Zuge der Fassbinder-Kontroverse bis hin zur pluralen jüdischen Gegenwart schweift. Hier wird eine sich beschleunigende Rückkehr jüdischen Lebens in die deutsche Öffentlichkeit sichtbar. "Wir sind zurück", konstatiert Max Czollek und schreibt damit die gesellschaftspolitische Positionierung fort, die er und seine Freundinnen und Freunde bereits mit dem Desintegrations-Kongress am Maxim-Gorki-Theater vor zwei Jahren und der Zeitschrift "Jalta - Positionen zur jüdischen Gegenwart" vorgenommen haben.
Im Zentrum dieses Manifests wird mithin eine Vielstimmigkeit junger Jüdinnen und Juden in Deutschland sichtbar, die die ihnen begegnenden Erwartungen und Nachwirkungen des nationalsozialistischen Massenmords in eine Kampfansage verwandeln: Wir sind da, und wir sind viele - aber anders, als ihr denkt. Unverfroren und streitbar. Laut und sexy.
MIRJAM WENZEL
Max Czollek: "Desintegriert Euch!"
Carl Hanser Verlag, München 2018. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein unsachliches Sachbuch, böse und wütend und oft ungerecht, eine Polemik, die viel Widerspruch erregen wird. 'Desintegriert euch!' ist ein wichtiges Buch." Tobias Becker, Literatur SPIEGEL, 09/2018
"Im Zentrum des Manifestes wird mithin eine Vielstimmigkeit junger Jüdinnen und Juden in Deutschland sichtbar, die die ihnen begegnenden Erwartungen und Nachwirkungen des nationalsozialistischen Massenmords in eine Kampfansage verwandeln: Wir sind da, und wir sind viele - aber anders, als ihr denkt. Unverfroren und streitbar. Laut und sexy." Miriam Wenzel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.18
"Czolleks Text, der zwischen feinem Humor und bitterer Polemik schwankt, attackiert das bundesdeutsche Integrationsparadigma, in dem Migranten eine "Bringschuld" wie einen Bauchladen vor sich herschleppen, in den die guten Deutschen greifen, wann immer es passt." Marlen Hobrack, Freitag, 13.09.18
"Der 31-jährige Autor schreibt scharfzüngig und unterhaltsam, er provoziert und irritiert. ... 'Desintegriert Euch!' ist ein wichtiger Beitrag in einer zuweilen hysterisch wirkenden Integrationsdebatte." Silke Mertins, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 26.08.18
"'Eine Absage an ... die Softifizierung neurechten Denkens, an die Idee einer unbefangenen Heimatliebe, an die Selbstbeweihräucherung als Erinnerungskulturweltmeister und an die Instrumentalisierung der jüdischen Bevölkerung zur Abgrenzung vom bösen Islam." Ann-Kristin Tlusty, ZEIT Online, 23.08.18
"Im Zentrum des Manifestes wird mithin eine Vielstimmigkeit junger Jüdinnen und Juden in Deutschland sichtbar, die die ihnen begegnenden Erwartungen und Nachwirkungen des nationalsozialistischen Massenmords in eine Kampfansage verwandeln: Wir sind da, und wir sind viele - aber anders, als ihr denkt. Unverfroren und streitbar. Laut und sexy." Miriam Wenzel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.18
"Czolleks Text, der zwischen feinem Humor und bitterer Polemik schwankt, attackiert das bundesdeutsche Integrationsparadigma, in dem Migranten eine "Bringschuld" wie einen Bauchladen vor sich herschleppen, in den die guten Deutschen greifen, wann immer es passt." Marlen Hobrack, Freitag, 13.09.18
"Der 31-jährige Autor schreibt scharfzüngig und unterhaltsam, er provoziert und irritiert. ... 'Desintegriert Euch!' ist ein wichtiger Beitrag in einer zuweilen hysterisch wirkenden Integrationsdebatte." Silke Mertins, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 26.08.18
"'Eine Absage an ... die Softifizierung neurechten Denkens, an die Idee einer unbefangenen Heimatliebe, an die Selbstbeweihräucherung als Erinnerungskulturweltmeister und an die Instrumentalisierung der jüdischen Bevölkerung zur Abgrenzung vom bösen Islam." Ann-Kristin Tlusty, ZEIT Online, 23.08.18