Alexander Schalck-Golodkowski ist ein wichtiger Zeitzeuge, nicht nur der ostdeutschen, sondern auch der deutsch-deutschen Geschichte. Gleichermaßend schillernd wie umstritten, schildert er hier seine Sicht, seine Version der DDR-Geschichte. Sein Buch lässt uns verstehen, wie dieses Land so lange seinem Zusammenbruch entgehen konnte. Zugleich gewährt der Autor seinen Lesern einen Blick hinter die Kulissen der Macht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2000Ein ehrenwerter Mann
Will nicht "Devisenbeschaffer" der DDR genannt werden
Alexander Schalck-Golodkowski: Deutsch-deutsche Erinnerungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 352 Seiten, 45,- Mark.
Nach dem Sturz von Honecker, Mittag und Mielke wandte sich der Volkszorn in der DDR im Herbst 1989 gegen Alexander Schalck-Golodkowski, den geheimnisumwitterten Chef des KoKo-Imperiums, des Bereichs "Kommerzielle Koordinierung". Er war ein im Westen geschätzter Unterhändler der DDR in den geheimen deutsch-deutschen Verhandlungen, bei denen es den verschiedenen Bundesregierungen darum ging, menschliche Erleichterungen mit Devisen zu erkaufen. In panischer Angst floh Schalck am 2. Dezember 1989 nach West-Berlin, wo er am 6. Dezember in Haft genommen wurde. Bis zum 9. Januar 1990 blieb er hinter Gittern - in einer Art Schutzhaft. Dann kam er nach Bayern. Dort kümmerte sich zunächst der Bundesnachrichtendienst (BND) um ihn. Seit 1989 sind mehr als fünfzig Ermittlungsverfahren gegen Schalck geführt worden, doch nur in sechs Fällen kam es zur Anklage. Bis auf zwei sind sämtliche Verfahren eingestellt worden; ein strafrechtlicher Tatverdacht war nicht nachzuweisen. In zwei Fällen wurde er wegen ungenehmigten Bezugs von Nachtsichtgeräten, Jagdwaffen und Bauteilen für die Produktion von Mikrochips aus der Bundesrepublik rechtskräftig zu insgesamt einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Auch sonst hat sich die Justiz Schalck gegenüber entgegenkommend gezeigt. Unvergessen, dass das Berliner Landgericht einen Verhandlungstermin verschob, um ihm aus Resozialisierungsgründen die Möglichkeit zu geben, als Experte mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation nach China zu reisen. Seit Sommer 1999 ist Schalck frei von Strafverfolgung. Er fühlt sich rehabilitiert.
Neben den Bemühungen der Justiz haben zwischen 1991 und 1998 parlamentarische Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Landtage von Bayern und Mecklenburg-Vorpommern versucht, Licht in das internationale Geflecht der KoKo-Firmen, ihrer Geschäfte, Hintermänner und Nutznießer zu bringen. Sie förderten eine Menge Erkenntnisse zu Tage, doch die ganze Wahrheit konnten sie - nicht zuletzt wegen des Fehlens beziehungsweise der mangelnden Aussagebereitschaft von Zeugen - nicht enthüllen. Schalck selbst hat mit seinen soeben erschienenen "Deutsch-deutschen Erinnerungen" dem bisher Bekannten nichts Neues hinzugefügt, auch wenn manche alten Freunde sein Erinnerungsbuch als "offenherzig" rühmen.
Schalck will nicht "Devisenbeschaffer" der DDR genannt werden. Er habe vielmehr die Aufgabe gehabt, Devisen zu "erwirtschaften", schreibt er. Nach der Wende habe man in ihm den "Drahtzieher aller üblen Machenschaften in der DDR" gesehen und in dem von ihm von 1966 bis 1989 geleiteten Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) einen "mafiaähnlichen Konzern, in dem Geld auf ominösem Wege beschafft und zur Seite geschafft wurde". Nichts davon entspreche der Wahrheit, versichert Schalck treuherzig und versucht, seinen rücksichtslos auf Gewinnmaximierung orientierten Konzern, dem die Umgehung von Gesetz und Recht offenkundig wichtiger als deren Beachtung war, als eine staatliche Behörde im sozialistischen System dazustellen, die zugleich ein marktwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen gewesen sei. Der Mann, der sich nach dem 17. Juni 1953 endgültig für die DDR und den Sozialismus entschieden haben will, der von sich sagt, seine Macht sei das Geld gewesen, der sich mehr als zwanzig Orden und Medaillen von der von ihm mit Westwaren versorgten Partei- und Staatsführung der DDR verleihen und sich von Erich Honecker ein Wochenendhaus schenken ließ, sieht sich offenbar nur als einen seriösen "ehrbaren Kaufmann".
Früh habe er geahnt, dass wirtschaftliche Interessen mächtiger gewesen seien als weltanschauliche, schreibt Schalck und vergisst hinzuzufügen, dass sie ihm offenbar auch wichtiger waren als die Moral. Die Befriedigung der wirtschaftlichen Interessen der Partei- und Staatsführung und damit verbunden seine eigenen Aufstiegschancen hatte er offenbar im Sinn, als er sich zur "bedingungslosen Erfüllung der Beschlüsse der Partei" verpflichtete. Zunächst wirkte Schalck jedoch fünf Jahre lang als hauptamtlicher Erster Sekretär der SED-Kreisleitung Außenhandel, ehe er seinen ganzen Ehrgeiz daransetzte, "effektive Methoden der Devisenerwirtschaftung jenseits des Volkswirtschaftsplans" zu entwickeln, was mit Förderung durch Günter Mittag und Erich Mielke 1966 zum Aufbau des eigenständigen Bereichs Kommerzielle Koordinierung unter seiner Leitung führte. Schlau, wie er war, wusste Schalck, dass "eine Anbindung an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) - über meine Person - von Anfang an eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau des Bereichs" sein würde. So wurde er noch vor seiner Ernennung zum stellvertretenden Minister und Leiter von KoKo Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Mielke-Ministeriums. "So war das MfS auch für mein persönliches Fortkommen wichtig und das war mir bewusst", schreibt Schalck. Damals gab es in der Bundesrepublik den Spruch: "Der Deutsche muss ein Doktor sein, sonst ist er nichts und kann auch nichts und kommt nicht in die Wirtschaft rein." Für Schalck, der sich nun auf dem Parkett des internationalen Handels bewegte, muss Ähnliches gegolten haben. So wurde er mit einer zusammen mit seinem Freund, dem MfS-Offizier Heinz Volpert, angefertigten geheimen Dissertation ("Zur Vermeidung ökonomischer Verluste und zur Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen im Bereich Kommerzielle Koordinierung des Ministeriums für Außenwirtschaft der DDR") von der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam-Eiche 1970 zum Doktor promoviert, wobei ausgerechnet Erich Mielke der offizielle Betreuer der Arbeit war.
Mit der Gründung von KoKo sei eine nach kapitalistischen Methoden funktionierende Organisation einer sozialistischen Volkswirtschaft an die Seite gestellt worden, schreibt Schalck. "Wir taten nicht mehr und nicht weniger, als nicht genutzte ökonomische Ressourcen der Volkswirtschaft gezielt zur Devisenerwirtschaftung zu nutzen." Dass zu den "nicht genutzten Ressourcen" auch Kunstwerke und Antiquitäten und nicht zuletzt Waffen gehörten, erwähnt Schalck nur am Rande. Diese "ökonomisch weniger bedeutsamen Geschäftsfelder" hätten zu den zwischen 1966 und 1989 von KoKo erwirtschafteten 25 Milliarden D-Mark nur 400 Millionen (Kunst und Antiquitäten) beziehungsweise 590 Millionen (Waffen) beigetragen. Dass der DDR-Ministerrat 1973 beschlossen hat, Antiquitäten und Kunstgegenstände aus staatlichem Besitz in den Westen zu verkaufen - wogegen sich Museen und staatliche Sammlungen erbittert zur Wehr setzten -, hält Schalck nach wie vor für ökonomisch sinnvoll und juristisch korrekt. Tausende Bilder und andere Kunstobjekte seien in der DDR unter völlig unzureichenden Bedingungen gelagert worden. Es habe das Geld für ihre adäquate Aufbewahrung gefehlt, "geschweige denn für notwendige Restaurierungsarbeiten oder gar für ihre Präsentation", rechtfertigt er seinen "Kunsthandel". Die dringend benötigte Dachreparatur oder die Erneuerung einer Heizungsanlage in einem Museum gegen die Herausgabe von Kunstwerken zum Verkauf im Westen - so dachte sich das der geschäftstüchtige Schalck offenbar. Etwa 80 Prozent der Objekte, die die 1974 von KoKo gegründete Außenhandelsfirma "Kunst und Antiquitäten" in den Westen exportiert habe, seien jedoch von Privatleuten gekommen, schreibt Schalck. Dass dieser oft ererbte Kunstbesitz in vielen Fällen zuvor von den DDR-Finanzbehörden unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung beschlagnahmt worden war, weil die Eigentümer die plötzlich "auf der Grundlage des Wiederbeschaffungswertes" geforderten hohen Steuern nicht bezahlen konnten, hält Schalck auch heute noch für in Ordnung. Dass hier Existenzen vernichtet wurden und seine Leute, um Geschäfte zu machen, über Leichen gingen, beunruhigt ihn offenbar nicht. Ihm fehlt jedes Unrechtsbewusstsein.
Ebenso lange wie als KoKo-Chef war Schalck Unterhändler der DDR bei deutsch-deutschen Verhandlungen, die er im Geheimen und zumeist parallel zu den offiziellen Verhandlungen führte. Sie erbrachten Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber der DDR von etwa 23 Milliarden D-Mark. Von Mai 1983 an war Franz Josef Strauß, mit dem er über den bayerischen Fleischgroßhändler März eine Geheimverbindung aufgebaut hatte, der wichtigste Partner von Schalck im innerdeutschen Geschäft. Dass er über ihn der DDR den Milliardenkredit verschaffen konnte, sieht der heute 67 Jahre alte Schalck als seine historische Leistung. Durch den Kredit sei der Untergang der DDR nicht verhindert, aber derart aufgehalten worden, dass er in ein weltpolitisch günstigeres Klima gefallen sei. Tatsächlich: Hätte die Bundesrepublik 1983 der vor dem Bankrott stehenden DDR den Milliardenkredit verweigert und wäre der sozialistische deutsche Staat schon damals zusammengebrochen, die Mitte der achtziger Jahre noch starke Weltmacht Sowjetunion hätte niemals in eine Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland eingewilligt.
PETER JOCHEN WINTERS
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Will nicht "Devisenbeschaffer" der DDR genannt werden
Alexander Schalck-Golodkowski: Deutsch-deutsche Erinnerungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 352 Seiten, 45,- Mark.
Nach dem Sturz von Honecker, Mittag und Mielke wandte sich der Volkszorn in der DDR im Herbst 1989 gegen Alexander Schalck-Golodkowski, den geheimnisumwitterten Chef des KoKo-Imperiums, des Bereichs "Kommerzielle Koordinierung". Er war ein im Westen geschätzter Unterhändler der DDR in den geheimen deutsch-deutschen Verhandlungen, bei denen es den verschiedenen Bundesregierungen darum ging, menschliche Erleichterungen mit Devisen zu erkaufen. In panischer Angst floh Schalck am 2. Dezember 1989 nach West-Berlin, wo er am 6. Dezember in Haft genommen wurde. Bis zum 9. Januar 1990 blieb er hinter Gittern - in einer Art Schutzhaft. Dann kam er nach Bayern. Dort kümmerte sich zunächst der Bundesnachrichtendienst (BND) um ihn. Seit 1989 sind mehr als fünfzig Ermittlungsverfahren gegen Schalck geführt worden, doch nur in sechs Fällen kam es zur Anklage. Bis auf zwei sind sämtliche Verfahren eingestellt worden; ein strafrechtlicher Tatverdacht war nicht nachzuweisen. In zwei Fällen wurde er wegen ungenehmigten Bezugs von Nachtsichtgeräten, Jagdwaffen und Bauteilen für die Produktion von Mikrochips aus der Bundesrepublik rechtskräftig zu insgesamt einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Auch sonst hat sich die Justiz Schalck gegenüber entgegenkommend gezeigt. Unvergessen, dass das Berliner Landgericht einen Verhandlungstermin verschob, um ihm aus Resozialisierungsgründen die Möglichkeit zu geben, als Experte mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation nach China zu reisen. Seit Sommer 1999 ist Schalck frei von Strafverfolgung. Er fühlt sich rehabilitiert.
Neben den Bemühungen der Justiz haben zwischen 1991 und 1998 parlamentarische Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Landtage von Bayern und Mecklenburg-Vorpommern versucht, Licht in das internationale Geflecht der KoKo-Firmen, ihrer Geschäfte, Hintermänner und Nutznießer zu bringen. Sie förderten eine Menge Erkenntnisse zu Tage, doch die ganze Wahrheit konnten sie - nicht zuletzt wegen des Fehlens beziehungsweise der mangelnden Aussagebereitschaft von Zeugen - nicht enthüllen. Schalck selbst hat mit seinen soeben erschienenen "Deutsch-deutschen Erinnerungen" dem bisher Bekannten nichts Neues hinzugefügt, auch wenn manche alten Freunde sein Erinnerungsbuch als "offenherzig" rühmen.
Schalck will nicht "Devisenbeschaffer" der DDR genannt werden. Er habe vielmehr die Aufgabe gehabt, Devisen zu "erwirtschaften", schreibt er. Nach der Wende habe man in ihm den "Drahtzieher aller üblen Machenschaften in der DDR" gesehen und in dem von ihm von 1966 bis 1989 geleiteten Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) einen "mafiaähnlichen Konzern, in dem Geld auf ominösem Wege beschafft und zur Seite geschafft wurde". Nichts davon entspreche der Wahrheit, versichert Schalck treuherzig und versucht, seinen rücksichtslos auf Gewinnmaximierung orientierten Konzern, dem die Umgehung von Gesetz und Recht offenkundig wichtiger als deren Beachtung war, als eine staatliche Behörde im sozialistischen System dazustellen, die zugleich ein marktwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen gewesen sei. Der Mann, der sich nach dem 17. Juni 1953 endgültig für die DDR und den Sozialismus entschieden haben will, der von sich sagt, seine Macht sei das Geld gewesen, der sich mehr als zwanzig Orden und Medaillen von der von ihm mit Westwaren versorgten Partei- und Staatsführung der DDR verleihen und sich von Erich Honecker ein Wochenendhaus schenken ließ, sieht sich offenbar nur als einen seriösen "ehrbaren Kaufmann".
Früh habe er geahnt, dass wirtschaftliche Interessen mächtiger gewesen seien als weltanschauliche, schreibt Schalck und vergisst hinzuzufügen, dass sie ihm offenbar auch wichtiger waren als die Moral. Die Befriedigung der wirtschaftlichen Interessen der Partei- und Staatsführung und damit verbunden seine eigenen Aufstiegschancen hatte er offenbar im Sinn, als er sich zur "bedingungslosen Erfüllung der Beschlüsse der Partei" verpflichtete. Zunächst wirkte Schalck jedoch fünf Jahre lang als hauptamtlicher Erster Sekretär der SED-Kreisleitung Außenhandel, ehe er seinen ganzen Ehrgeiz daransetzte, "effektive Methoden der Devisenerwirtschaftung jenseits des Volkswirtschaftsplans" zu entwickeln, was mit Förderung durch Günter Mittag und Erich Mielke 1966 zum Aufbau des eigenständigen Bereichs Kommerzielle Koordinierung unter seiner Leitung führte. Schlau, wie er war, wusste Schalck, dass "eine Anbindung an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) - über meine Person - von Anfang an eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau des Bereichs" sein würde. So wurde er noch vor seiner Ernennung zum stellvertretenden Minister und Leiter von KoKo Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Mielke-Ministeriums. "So war das MfS auch für mein persönliches Fortkommen wichtig und das war mir bewusst", schreibt Schalck. Damals gab es in der Bundesrepublik den Spruch: "Der Deutsche muss ein Doktor sein, sonst ist er nichts und kann auch nichts und kommt nicht in die Wirtschaft rein." Für Schalck, der sich nun auf dem Parkett des internationalen Handels bewegte, muss Ähnliches gegolten haben. So wurde er mit einer zusammen mit seinem Freund, dem MfS-Offizier Heinz Volpert, angefertigten geheimen Dissertation ("Zur Vermeidung ökonomischer Verluste und zur Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen im Bereich Kommerzielle Koordinierung des Ministeriums für Außenwirtschaft der DDR") von der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam-Eiche 1970 zum Doktor promoviert, wobei ausgerechnet Erich Mielke der offizielle Betreuer der Arbeit war.
Mit der Gründung von KoKo sei eine nach kapitalistischen Methoden funktionierende Organisation einer sozialistischen Volkswirtschaft an die Seite gestellt worden, schreibt Schalck. "Wir taten nicht mehr und nicht weniger, als nicht genutzte ökonomische Ressourcen der Volkswirtschaft gezielt zur Devisenerwirtschaftung zu nutzen." Dass zu den "nicht genutzten Ressourcen" auch Kunstwerke und Antiquitäten und nicht zuletzt Waffen gehörten, erwähnt Schalck nur am Rande. Diese "ökonomisch weniger bedeutsamen Geschäftsfelder" hätten zu den zwischen 1966 und 1989 von KoKo erwirtschafteten 25 Milliarden D-Mark nur 400 Millionen (Kunst und Antiquitäten) beziehungsweise 590 Millionen (Waffen) beigetragen. Dass der DDR-Ministerrat 1973 beschlossen hat, Antiquitäten und Kunstgegenstände aus staatlichem Besitz in den Westen zu verkaufen - wogegen sich Museen und staatliche Sammlungen erbittert zur Wehr setzten -, hält Schalck nach wie vor für ökonomisch sinnvoll und juristisch korrekt. Tausende Bilder und andere Kunstobjekte seien in der DDR unter völlig unzureichenden Bedingungen gelagert worden. Es habe das Geld für ihre adäquate Aufbewahrung gefehlt, "geschweige denn für notwendige Restaurierungsarbeiten oder gar für ihre Präsentation", rechtfertigt er seinen "Kunsthandel". Die dringend benötigte Dachreparatur oder die Erneuerung einer Heizungsanlage in einem Museum gegen die Herausgabe von Kunstwerken zum Verkauf im Westen - so dachte sich das der geschäftstüchtige Schalck offenbar. Etwa 80 Prozent der Objekte, die die 1974 von KoKo gegründete Außenhandelsfirma "Kunst und Antiquitäten" in den Westen exportiert habe, seien jedoch von Privatleuten gekommen, schreibt Schalck. Dass dieser oft ererbte Kunstbesitz in vielen Fällen zuvor von den DDR-Finanzbehörden unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung beschlagnahmt worden war, weil die Eigentümer die plötzlich "auf der Grundlage des Wiederbeschaffungswertes" geforderten hohen Steuern nicht bezahlen konnten, hält Schalck auch heute noch für in Ordnung. Dass hier Existenzen vernichtet wurden und seine Leute, um Geschäfte zu machen, über Leichen gingen, beunruhigt ihn offenbar nicht. Ihm fehlt jedes Unrechtsbewusstsein.
Ebenso lange wie als KoKo-Chef war Schalck Unterhändler der DDR bei deutsch-deutschen Verhandlungen, die er im Geheimen und zumeist parallel zu den offiziellen Verhandlungen führte. Sie erbrachten Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber der DDR von etwa 23 Milliarden D-Mark. Von Mai 1983 an war Franz Josef Strauß, mit dem er über den bayerischen Fleischgroßhändler März eine Geheimverbindung aufgebaut hatte, der wichtigste Partner von Schalck im innerdeutschen Geschäft. Dass er über ihn der DDR den Milliardenkredit verschaffen konnte, sieht der heute 67 Jahre alte Schalck als seine historische Leistung. Durch den Kredit sei der Untergang der DDR nicht verhindert, aber derart aufgehalten worden, dass er in ein weltpolitisch günstigeres Klima gefallen sei. Tatsächlich: Hätte die Bundesrepublik 1983 der vor dem Bankrott stehenden DDR den Milliardenkredit verweigert und wäre der sozialistische deutsche Staat schon damals zusammengebrochen, die Mitte der achtziger Jahre noch starke Weltmacht Sowjetunion hätte niemals in eine Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland eingewilligt.
PETER JOCHEN WINTERS
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