Hitler, Scheiße, Lufthansa. Diese drei deutschen Wörter kennt Abbas Khider, als er aus dem Irak flieht. Zwanzig Jahre später ist er ein vielfach ausgezeichneter deutscher Schriftsteller, der akzentfrei schreibt - aber nicht spricht. Dies ist sein ungewöhnliches Lehrbuch für ein neues Deutsch, ein Trostbuch für alle Deutschlernenden und deren Angehörige, für Expats, Einwanderer und Menschen in mehrsprachigen Liebesbeziehungen. Provokant, erhellend und unterhaltsam gelingt Abbas Khider dabei auch ein satirischer Blick auf die deutsche Gesellschaft.
Ausstattung: Pepper: SPIEGEL-Bestseller
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2019Diese Sprache ist ein Ungeheuer
Und Deklination ein zu linderndes Übel: Abbas Khider will das Deutsche, das er so meisterhaft beherrscht, umkrempeln
"Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon, die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will die Sprache erneuern." Das ist kühn und eine Herausforderung. Im Jahr 2000 kam Abbas Khider im Alter von 27 Jahren nach Deutschland, geboren wurde er in Bagdad. In seinen ersten Romanen erzählt er über einen Gefängnisaufenthalt in der Heimatstadt, über die jahrelange Flucht rund ums Mittelmeer, um einen sicheren Ort frei von Verfolgung, Folter, Korruption und Diktatur zu finden, über seine ersten Erfahrungen mit der deutschen Polizei, der Flüchtlingsbürokratie und die Abenteuer eines Gestrandeten, der überall um sein Leben und seine Existenz kämpfen muss.
Nun ist er angekommen. Im Gepäck hatte er zunächst nur drei deutsche Worte: Hitler, Scheiße, Lufthansa. Über Hitler hatte er durch die Übersetzung von "Mein Kampf" gehört. Es war das Lieblingsbuch des ältesten Sohnes des irakischen Diktators Saddam Hussein und lag in allen Buchläden Bagdads aus. In Jordanien hörte er von der Lufthansa, deren Maschinen "so unerreichbar wie Europa, so märchenhaft wie ein fliegender Teppich" waren. Das Wort "Scheiße" erweiterte seinen Wortschatz im Hauptbahnhof von Bozen, wo ein Mitarbeiter der Caritas den Asylbewerbern auf die Frage, wie das Leben für ihresgleichen in Deutschland sei, lakonisch mit diesem Wort antwortete. Er sollte recht behalten, wie Abbas Khider später feststellte: "Das meistgesprochene Wort der Bürger auf deutschen Straßen und Gehwegen ist: SCHEISSE."
Keine guten Voraussetzungen für einen jungen Mann, der die Freiheit sucht und voller Hoffnungen ist. Dreimal musste der Flüchtling sein Abitur ablegen, bis es endlich Anerkennung fand und er in München Literaturwissenschaft studieren konnte. Die deutsche Sprache, die er in seinen Romanen so meisterhaft unter Beweis stellt, ist ihm immer noch ein Ungeheuer, und deshalb findet er in seinem jüngsten Buch den Mut, die deutsche Sprache zu erneuern, um seine linguistischen Traumata zu bewältigen. "Ich meine damit nicht nur die heimtückischen Artikel, die gefährlichen Deklinationen, auflauernden Verbflexionen und die Stolperfallen der Verbposition, sondern auch den Kasus des Dativs und Genitivs, die unzähligen Pronomen und Präpositionen, die unregelmäßigen und trennbaren Verben, die Umlautbuchstaben und viele andere seltsame sprachliche Eigenheiten."
Einen deutschen Muttersprachler verblüffen zunächst die stupenden Kenntnisse der deutschen Grammatik, die Khider bis in die feinsten Details aufspürt und ihren Sinn oder Unsinn in Frage stellt. Grammatik scheint ein buntscheckiges Steckenpferd des Autors zu sein. Was uns ganz selbstverständlich ist, bringt den arabischen Schriftsteller in höchste Not. Vor allem die Umlaute ä, ü, ö, die er aus seiner Sprache nicht kennt. Die Krönung des Umlauts ist der Diphthong: "ÄU ist tatsächlich das Äußerste dessen, was meine Anatomie aus Gesichtsmuskeln, Stimmbändern, Kehlkopf, Zunge und Zwerchfell zulässt." Und trotz aller Pein mit diesen Buchstabenscheusalen erzählt Khider mit Witz und Ironie, wie er in seinen mündlichen Texten Worte mit Umlauten umgeht, um nicht in die deutschen Aussprachefallen zu treten und ungefährdet ans Ende seines Satzes zu kommen.
Und so geht es munter weiter. Der neudeutsche Autor lässt sich viel einfallen - mal komisch, mal skurril, mal schlitzohrig oder spitzzüngig -, um für jeden Neuankömmling die Sprache geschmeidiger, verständlicher und einfacher zu machen. Auch das ist Integration. Offen bleibt dabei, wie ernst es der neue Sprachschöpfer meint. Wann spielt er hemmungslos mit den Deklinationen, Pronomen und Artikeln, wann führt er den Deutschen schulmeisterlich vor, wie verquer ihre Sprache ist? Alle Nomen-Endungen auf -lein, -chen, -tum sind sächlich, also "das Mädchen", obwohl es doch eindeutig weiblich ist, aber es heißt männlich "der Reichtum" und "der Irrtum", trotz der Tum-Endung. Logik scheint nicht die Stärke der deutschen Sprache zu sein. Khider hat einen verwegenen Vorschlag, er schafft einen Universalartikel: Der bestimmte Artikel lautet einheitlich "de", der unbestimmte Artikel "e", Plural "die". So kommen lustige Sätze zustande: "E Flüchtling redet in de Botschaft mit e Mitarbeiter und e Mitarbeiterin über de Visum." Das klingt in unseren Ohren wie Gossen-Deutsch oder Penner-Slang, Khider aber wünscht ein für alle Mal den Verzicht auf die Deklination des Artikels. Damit nicht genug. Der Dativ, der dem Genitiv sein Tod ist, wird abgeschafft, der Genitiv in eine bayerische Von-Form verwandelt: statt "der Frau" heißt es nun neudeutsch "von de Frau".
Da fragt man sich allerdings, was das soll? Warum bleibt der Autor nicht konsequent bei seinem Vereinfachungsschema, dem Verzicht auf jede Deklination, und dann hieße es im Genitiv nicht "von de Frau", sondern weiterhin streng neudeutsch "de Frau". Vielleicht will der Autor seine Leserschaft auch ein wenig an der Nase herümführen? Wir bauen ihm dann eben noch ein extra Ü ein, damit auch er sein Vergnügen hat, wenn schon seine Urteile so harsch sind: "Die Deklination ist wirklich das Schlimmste, was die Deutschen neben dem Artikel und dem Sturmgewehr erfunden haben."
Bei dem Problem der Stellung des Verbs im Deutschen kann man dem Autor nur zustimmen. Seine Position im Nebensatz ganz am Ende ist eine Zumutung - Simultanübersetzer können davon ihr eigenes Lied singen. Khider fordert, dass das Verb immer nach dem Subjekt stehe, und gibt uns als Beispielsatz: "Ali Baba ist sehr glücklich, weil er kann verzichten jetzt auf de Verb an de Ende von de Nebensatz." Das Personalpronomen "sie" missfällt dem Autor ebenso. "Er" und "es" lässt er gelten, aber "sie" hat einen Buchstaben zu viel und fällt aus dem Rahmen. Im Khiderschen Neudeutsch also wird aus dem "sie" ein "em" - klingt eher unelegant, aber das ist auch nicht die Richtschnur des Wortreformers. Er ficht ungehemmt und lustvoll seinen Streit mit den Adjektiven und Präpositionen aus, Verben sollen grundsätzlich regelmäßig und untrennbar sein, den Bestand der Präpositionen hat der Autor radikal reduziert und neue aus dem Arabischen eingeführt als Akt der Völkerverständigung.
Dieses "endgültige Lehrbuch" liest sich wie ein Sprach-Comic, freiwilliger und unfreiwilliger Humor tänzeln umeinander, Logik und Unsinn führen Ringelreihn. Dada lässt grüßen, und die konkrete Poesie runzelt die Stirn. Sollten die deutschen Muttersprachler keine Einsicht zeigen, ihre Sprache umkrempeln zu lassen, dann hat Abbas Khider noch eine starke Truppe im Hinterhalt im Kampf gegen seinen Hauptfeind, den Umlaut. Wenn die Umlaute eine Erfindung der Türken sind, wie rechtsradikale Politiker vermuten, dann sollten sie abgeschoben und abgeschafft werden. "Dann entwickelt sich eine neue Bewegung der Umlaute-Verprügeln-Mode" - davon träumt unser Autor im letzten Satz seines Lehrbuchs: "Die Rechtsradikalen sind meine große Hoffnung." Ein Schelm, wer anderes behauptet.
LERKE VON SAALFELD
Abbas Khider: "Deutsch für alle". Das endgültige Lehrbuch.
Hanser Verlag, München 2019. 123 S., geb., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und Deklination ein zu linderndes Übel: Abbas Khider will das Deutsche, das er so meisterhaft beherrscht, umkrempeln
"Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon, die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will die Sprache erneuern." Das ist kühn und eine Herausforderung. Im Jahr 2000 kam Abbas Khider im Alter von 27 Jahren nach Deutschland, geboren wurde er in Bagdad. In seinen ersten Romanen erzählt er über einen Gefängnisaufenthalt in der Heimatstadt, über die jahrelange Flucht rund ums Mittelmeer, um einen sicheren Ort frei von Verfolgung, Folter, Korruption und Diktatur zu finden, über seine ersten Erfahrungen mit der deutschen Polizei, der Flüchtlingsbürokratie und die Abenteuer eines Gestrandeten, der überall um sein Leben und seine Existenz kämpfen muss.
Nun ist er angekommen. Im Gepäck hatte er zunächst nur drei deutsche Worte: Hitler, Scheiße, Lufthansa. Über Hitler hatte er durch die Übersetzung von "Mein Kampf" gehört. Es war das Lieblingsbuch des ältesten Sohnes des irakischen Diktators Saddam Hussein und lag in allen Buchläden Bagdads aus. In Jordanien hörte er von der Lufthansa, deren Maschinen "so unerreichbar wie Europa, so märchenhaft wie ein fliegender Teppich" waren. Das Wort "Scheiße" erweiterte seinen Wortschatz im Hauptbahnhof von Bozen, wo ein Mitarbeiter der Caritas den Asylbewerbern auf die Frage, wie das Leben für ihresgleichen in Deutschland sei, lakonisch mit diesem Wort antwortete. Er sollte recht behalten, wie Abbas Khider später feststellte: "Das meistgesprochene Wort der Bürger auf deutschen Straßen und Gehwegen ist: SCHEISSE."
Keine guten Voraussetzungen für einen jungen Mann, der die Freiheit sucht und voller Hoffnungen ist. Dreimal musste der Flüchtling sein Abitur ablegen, bis es endlich Anerkennung fand und er in München Literaturwissenschaft studieren konnte. Die deutsche Sprache, die er in seinen Romanen so meisterhaft unter Beweis stellt, ist ihm immer noch ein Ungeheuer, und deshalb findet er in seinem jüngsten Buch den Mut, die deutsche Sprache zu erneuern, um seine linguistischen Traumata zu bewältigen. "Ich meine damit nicht nur die heimtückischen Artikel, die gefährlichen Deklinationen, auflauernden Verbflexionen und die Stolperfallen der Verbposition, sondern auch den Kasus des Dativs und Genitivs, die unzähligen Pronomen und Präpositionen, die unregelmäßigen und trennbaren Verben, die Umlautbuchstaben und viele andere seltsame sprachliche Eigenheiten."
Einen deutschen Muttersprachler verblüffen zunächst die stupenden Kenntnisse der deutschen Grammatik, die Khider bis in die feinsten Details aufspürt und ihren Sinn oder Unsinn in Frage stellt. Grammatik scheint ein buntscheckiges Steckenpferd des Autors zu sein. Was uns ganz selbstverständlich ist, bringt den arabischen Schriftsteller in höchste Not. Vor allem die Umlaute ä, ü, ö, die er aus seiner Sprache nicht kennt. Die Krönung des Umlauts ist der Diphthong: "ÄU ist tatsächlich das Äußerste dessen, was meine Anatomie aus Gesichtsmuskeln, Stimmbändern, Kehlkopf, Zunge und Zwerchfell zulässt." Und trotz aller Pein mit diesen Buchstabenscheusalen erzählt Khider mit Witz und Ironie, wie er in seinen mündlichen Texten Worte mit Umlauten umgeht, um nicht in die deutschen Aussprachefallen zu treten und ungefährdet ans Ende seines Satzes zu kommen.
Und so geht es munter weiter. Der neudeutsche Autor lässt sich viel einfallen - mal komisch, mal skurril, mal schlitzohrig oder spitzzüngig -, um für jeden Neuankömmling die Sprache geschmeidiger, verständlicher und einfacher zu machen. Auch das ist Integration. Offen bleibt dabei, wie ernst es der neue Sprachschöpfer meint. Wann spielt er hemmungslos mit den Deklinationen, Pronomen und Artikeln, wann führt er den Deutschen schulmeisterlich vor, wie verquer ihre Sprache ist? Alle Nomen-Endungen auf -lein, -chen, -tum sind sächlich, also "das Mädchen", obwohl es doch eindeutig weiblich ist, aber es heißt männlich "der Reichtum" und "der Irrtum", trotz der Tum-Endung. Logik scheint nicht die Stärke der deutschen Sprache zu sein. Khider hat einen verwegenen Vorschlag, er schafft einen Universalartikel: Der bestimmte Artikel lautet einheitlich "de", der unbestimmte Artikel "e", Plural "die". So kommen lustige Sätze zustande: "E Flüchtling redet in de Botschaft mit e Mitarbeiter und e Mitarbeiterin über de Visum." Das klingt in unseren Ohren wie Gossen-Deutsch oder Penner-Slang, Khider aber wünscht ein für alle Mal den Verzicht auf die Deklination des Artikels. Damit nicht genug. Der Dativ, der dem Genitiv sein Tod ist, wird abgeschafft, der Genitiv in eine bayerische Von-Form verwandelt: statt "der Frau" heißt es nun neudeutsch "von de Frau".
Da fragt man sich allerdings, was das soll? Warum bleibt der Autor nicht konsequent bei seinem Vereinfachungsschema, dem Verzicht auf jede Deklination, und dann hieße es im Genitiv nicht "von de Frau", sondern weiterhin streng neudeutsch "de Frau". Vielleicht will der Autor seine Leserschaft auch ein wenig an der Nase herümführen? Wir bauen ihm dann eben noch ein extra Ü ein, damit auch er sein Vergnügen hat, wenn schon seine Urteile so harsch sind: "Die Deklination ist wirklich das Schlimmste, was die Deutschen neben dem Artikel und dem Sturmgewehr erfunden haben."
Bei dem Problem der Stellung des Verbs im Deutschen kann man dem Autor nur zustimmen. Seine Position im Nebensatz ganz am Ende ist eine Zumutung - Simultanübersetzer können davon ihr eigenes Lied singen. Khider fordert, dass das Verb immer nach dem Subjekt stehe, und gibt uns als Beispielsatz: "Ali Baba ist sehr glücklich, weil er kann verzichten jetzt auf de Verb an de Ende von de Nebensatz." Das Personalpronomen "sie" missfällt dem Autor ebenso. "Er" und "es" lässt er gelten, aber "sie" hat einen Buchstaben zu viel und fällt aus dem Rahmen. Im Khiderschen Neudeutsch also wird aus dem "sie" ein "em" - klingt eher unelegant, aber das ist auch nicht die Richtschnur des Wortreformers. Er ficht ungehemmt und lustvoll seinen Streit mit den Adjektiven und Präpositionen aus, Verben sollen grundsätzlich regelmäßig und untrennbar sein, den Bestand der Präpositionen hat der Autor radikal reduziert und neue aus dem Arabischen eingeführt als Akt der Völkerverständigung.
Dieses "endgültige Lehrbuch" liest sich wie ein Sprach-Comic, freiwilliger und unfreiwilliger Humor tänzeln umeinander, Logik und Unsinn führen Ringelreihn. Dada lässt grüßen, und die konkrete Poesie runzelt die Stirn. Sollten die deutschen Muttersprachler keine Einsicht zeigen, ihre Sprache umkrempeln zu lassen, dann hat Abbas Khider noch eine starke Truppe im Hinterhalt im Kampf gegen seinen Hauptfeind, den Umlaut. Wenn die Umlaute eine Erfindung der Türken sind, wie rechtsradikale Politiker vermuten, dann sollten sie abgeschoben und abgeschafft werden. "Dann entwickelt sich eine neue Bewegung der Umlaute-Verprügeln-Mode" - davon träumt unser Autor im letzten Satz seines Lehrbuchs: "Die Rechtsradikalen sind meine große Hoffnung." Ein Schelm, wer anderes behauptet.
LERKE VON SAALFELD
Abbas Khider: "Deutsch für alle". Das endgültige Lehrbuch.
Hanser Verlag, München 2019. 123 S., geb., 14,- [Euro].
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