Juli 1942: Andrej Vlasov, einer der höchst dekorierten Generäle der "Roten Armee", gerät in deutsche Gefangenschaft und erklärt sich bereit, an der Spitze einer "Russischen Befreiungsarmee" gegen Stalin zu kämpfen. Eine Gruppe deutschbaltischer SS-Offiziere engagiert sich für den populären Sowjetgeneral, um den Krieg im Osten mit Hilfe der politischen Kriegführung zu gewinnen.
Die "Baltendeutschen" Erhard Kroeger und Friedrich Buchardt waren die Begründer der nationalsozialistischen "Bewegung" in Lettland, leiteten später SD-Einsatzkommandos im Osten und machten Karriere in der SS. Sie zogen die Fäden für die Aufstellung einer Vlasov-Armee unter der Ägide Himmlers.
Während Vlasov 1946 in Moskau öffentlich hingerichtet wurde, waren seine Förderer nach 1945 gefragte "Russlandkenner", die ihr Wissen den westlichen Geheimdiensten zur Verfügung stellten.
Die "Baltendeutschen" Erhard Kroeger und Friedrich Buchardt waren die Begründer der nationalsozialistischen "Bewegung" in Lettland, leiteten später SD-Einsatzkommandos im Osten und machten Karriere in der SS. Sie zogen die Fäden für die Aufstellung einer Vlasov-Armee unter der Ägide Himmlers.
Während Vlasov 1946 in Moskau öffentlich hingerichtet wurde, waren seine Förderer nach 1945 gefragte "Russlandkenner", die ihr Wissen den westlichen Geheimdiensten zur Verfügung stellten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2002Russen gegen Stalin
Wlassows "Russische Befreiungsarmee" und die Baltendeutschen in der SS
Matthias Schröder: Deutschbaltische SS-Führer und Andrej Vlasov 1942-1945. "Rußland kann nur von Russen besiegt werden": Erhard Kröger, Friedrich Buchardt und die "Russische Befreiungsarmee". Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. 256 Seiten, 30,60 Euro.
Generalleutnant Andrej Andrejewitsch Wlassow hatte im Dezember 1941 den deutschen Vormarsch auf Moskau aufgehalten und war im Juli 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Wenige Wochen später erklärte er seine Bereitschaft, sich am Kampf gegen Stalin zu beteiligen, wenn Hitler Rußlands Befreiung, nicht dessen Eroberung plane. Im Oberkommando der Wehrmacht, das sich primär von militärischen Erwägungen leiten ließ, stieß dieses Angebot sogleich auf Interesse. Da eine Kooperation mit einem russischen General jedoch den grundlegenden Prinzipien der nationalsozialistischen Weltanschauung und der Praxis der Besatzungspolitik widersprach, konnte die Popularität Wlassows nur zu Propagandazwecken ausgenutzt werden. Als diese Propaganda in den besetzten Gebieten und unter den zahlreichen "Ostfreiwilligen" der Wehrmacht eine von der politischen Führung unerwünscht starke Resonanz hatte, unterband Hitler selbst Mitte 1943 weitere Aktivitäten.
Die Kriegslage erzwang etwa ein Jahr später ein Umdenken. Die Initiative ging diesmal von SS-Führern aus. Am 16. September 1944 empfing Himmler Vlasov. Anfang 1945 wurden zwei Divisionen der "Russischen Befreiungsarmee" Wlassows Kommando unterstellt. Im April 1945 befehligte er etwa 100 000 Mann, darunter auch Luftstreitkräfte. Nach der Gefangennahme durch die Amerikaner wurden die Angehörigen dieser Verbände "repatriiert", Wlassow selbst am 1. August 1946 in Moskau hingerichtet.
Matthias Schröder klärt, wie es im zweiten Anlauf gelang, gegen die Realität des Vernichtungskrieges und die von Hitler und Himmler stets bekräftigte "Untermenschen"-Ideologie Wlassow zum Verbündeten des "Dritten Reiches" aufzuwerten. Dazu stellt der Autor zunächst Herkommen und Werdegang der Hauptakteure Erhard Kröger und Friedrich Buchardt dar. Er stützt sich dabei, soweit möglich, nicht auf die Nachkriegsaussagen der Verstrickten. Es gelingt ihm, ein baltendeutsches Netzwerk innerhalb der SS zu rekonstruieren, dessen Teile - obwohl mißtrauisch beäugt - durch ihre Sprachkenntnisse nahezu ein Monopol auf "Ostfragen" hatten. Gemeinsam war ihnen der "Antibolschewismus" und eine grundsätzliche Sympathie der russischen Nation, ihren Werten und Traditionen gegenüber. Dazu standen für diese SS-Führer die rassistischen Grundlagen des Nationalsozialismus und die Wirklichkeit des Vernichtungskrieges, an dem Kröger als Führer des Einsatzkommandos 6 und Buchardt als Führer des Einsatzkommandos 9 teilnahmen, nicht im Gegensatz. Kröger und Buchardt gelang es, die Schlüsselstellen zur Verwirklichung der "Russischen Befreiungsarmee" zu schaffen und zu besetzen: Kröger als Leiter der "Leitstelle Rußland" im SS-Hauptamt, Amtsgruppe D, Buchardt als Leiter des Referates II B 2 "Fremde Völker Ost diesseits der HKL" des Amtes II (Nachrichtendienst Inland) und des "Sonderkommandos Ost" im Reichssicherheitshauptamt.
Bei der Schilderung der Nachwirkungen der Wlassow-Aktion demontiert Schröder die Apologetik des "Feldzuges gegen den Bolschewismus", die die Aktion als ungenutzte Chance interpretiert. Schröder zeigt, daß Hitler und sein engster Kreis nie von ihren Grundpositionen abgewichen sind. "Lebensraum im Osten" und die Lösung der "Rassenfrage" waren ihre Ziele. Wlassow blieb für sie nur ein ungeliebtes Instrument.
Nach Kriegsende wurde Kröger für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen, Buchardt gelang es offenbar, sich mit seinem Wissen über Wlassow der Verfolgung zu entziehen. Denn auch die Westalliierten hielten lange eine Zusammenarbeit mit einer russischen Befreiungsbewegung für eine reale Option.
Die Aufmachung des Buches suggeriert eine in sich geschlossene Untersuchung, doch sind die einzelnen Abschnitte nur durch das Thema "Ostkonzeptionen in der SS" lose miteinander verbunden. Lieblos wirken die häufigen - unnötigen - Wiederholungen von Fakten. Die Untersuchung hinterläßt den Eindruck einer Aufsatzsammlung, die wissenschaftlich bedeutsamen Erkenntnisse muß man sich daher selbst zusammensuchen.
KLAUS A. LANKHEIT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wlassows "Russische Befreiungsarmee" und die Baltendeutschen in der SS
Matthias Schröder: Deutschbaltische SS-Führer und Andrej Vlasov 1942-1945. "Rußland kann nur von Russen besiegt werden": Erhard Kröger, Friedrich Buchardt und die "Russische Befreiungsarmee". Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. 256 Seiten, 30,60 Euro.
Generalleutnant Andrej Andrejewitsch Wlassow hatte im Dezember 1941 den deutschen Vormarsch auf Moskau aufgehalten und war im Juli 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Wenige Wochen später erklärte er seine Bereitschaft, sich am Kampf gegen Stalin zu beteiligen, wenn Hitler Rußlands Befreiung, nicht dessen Eroberung plane. Im Oberkommando der Wehrmacht, das sich primär von militärischen Erwägungen leiten ließ, stieß dieses Angebot sogleich auf Interesse. Da eine Kooperation mit einem russischen General jedoch den grundlegenden Prinzipien der nationalsozialistischen Weltanschauung und der Praxis der Besatzungspolitik widersprach, konnte die Popularität Wlassows nur zu Propagandazwecken ausgenutzt werden. Als diese Propaganda in den besetzten Gebieten und unter den zahlreichen "Ostfreiwilligen" der Wehrmacht eine von der politischen Führung unerwünscht starke Resonanz hatte, unterband Hitler selbst Mitte 1943 weitere Aktivitäten.
Die Kriegslage erzwang etwa ein Jahr später ein Umdenken. Die Initiative ging diesmal von SS-Führern aus. Am 16. September 1944 empfing Himmler Vlasov. Anfang 1945 wurden zwei Divisionen der "Russischen Befreiungsarmee" Wlassows Kommando unterstellt. Im April 1945 befehligte er etwa 100 000 Mann, darunter auch Luftstreitkräfte. Nach der Gefangennahme durch die Amerikaner wurden die Angehörigen dieser Verbände "repatriiert", Wlassow selbst am 1. August 1946 in Moskau hingerichtet.
Matthias Schröder klärt, wie es im zweiten Anlauf gelang, gegen die Realität des Vernichtungskrieges und die von Hitler und Himmler stets bekräftigte "Untermenschen"-Ideologie Wlassow zum Verbündeten des "Dritten Reiches" aufzuwerten. Dazu stellt der Autor zunächst Herkommen und Werdegang der Hauptakteure Erhard Kröger und Friedrich Buchardt dar. Er stützt sich dabei, soweit möglich, nicht auf die Nachkriegsaussagen der Verstrickten. Es gelingt ihm, ein baltendeutsches Netzwerk innerhalb der SS zu rekonstruieren, dessen Teile - obwohl mißtrauisch beäugt - durch ihre Sprachkenntnisse nahezu ein Monopol auf "Ostfragen" hatten. Gemeinsam war ihnen der "Antibolschewismus" und eine grundsätzliche Sympathie der russischen Nation, ihren Werten und Traditionen gegenüber. Dazu standen für diese SS-Führer die rassistischen Grundlagen des Nationalsozialismus und die Wirklichkeit des Vernichtungskrieges, an dem Kröger als Führer des Einsatzkommandos 6 und Buchardt als Führer des Einsatzkommandos 9 teilnahmen, nicht im Gegensatz. Kröger und Buchardt gelang es, die Schlüsselstellen zur Verwirklichung der "Russischen Befreiungsarmee" zu schaffen und zu besetzen: Kröger als Leiter der "Leitstelle Rußland" im SS-Hauptamt, Amtsgruppe D, Buchardt als Leiter des Referates II B 2 "Fremde Völker Ost diesseits der HKL" des Amtes II (Nachrichtendienst Inland) und des "Sonderkommandos Ost" im Reichssicherheitshauptamt.
Bei der Schilderung der Nachwirkungen der Wlassow-Aktion demontiert Schröder die Apologetik des "Feldzuges gegen den Bolschewismus", die die Aktion als ungenutzte Chance interpretiert. Schröder zeigt, daß Hitler und sein engster Kreis nie von ihren Grundpositionen abgewichen sind. "Lebensraum im Osten" und die Lösung der "Rassenfrage" waren ihre Ziele. Wlassow blieb für sie nur ein ungeliebtes Instrument.
Nach Kriegsende wurde Kröger für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen, Buchardt gelang es offenbar, sich mit seinem Wissen über Wlassow der Verfolgung zu entziehen. Denn auch die Westalliierten hielten lange eine Zusammenarbeit mit einer russischen Befreiungsbewegung für eine reale Option.
Die Aufmachung des Buches suggeriert eine in sich geschlossene Untersuchung, doch sind die einzelnen Abschnitte nur durch das Thema "Ostkonzeptionen in der SS" lose miteinander verbunden. Lieblos wirken die häufigen - unnötigen - Wiederholungen von Fakten. Die Untersuchung hinterläßt den Eindruck einer Aufsatzsammlung, die wissenschaftlich bedeutsamen Erkenntnisse muß man sich daher selbst zusammensuchen.
KLAUS A. LANKHEIT
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zweierlei kann der Autor dem Rezensenten verständlich machen: Indem er den Werdegang der beiden SS-Führer und Hauptakteure der "Wlassow- Aktion", Buchardt und Kröger (und zwar ohne Zuhilfenahme ihrer Nachkriegsaussagen) und ein baltendeutsches Netzwerk innerhalb der SS rekonstruiert, erschließt er dem Leser zunächst die Gründe für die Entstehung der "Russischen Befreiungsarmee". Im einem zweiten Schritt, so erklärt Klaus A. Lankheit in seiner Besprechung, eruiere Schröder sodann die Ursachen für das Scheitern des "Feldzugs gegen den Bolschewismus" und zeige, dass Hitler seine Grundpositionen nie geändert hat. So weit, so gut. Was die Form der Untersuchung betrifft, hat Lankheit allerdings seine Einwände. Zu wenig geschlossen erscheint sie ihm, die häufige Wiederholung von Fakten findet er lieblos, und dass man sich die wissenschaftlich bedeutsamen Erkenntnisse selber zusammensuchen muss, hält er für eine Zumutung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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