Deutschboden leuchtet - es ist das Licht der Tankstelle an der Ausfallstraße nachts um halb eins.
Moritz von Uslar sucht nach einer Kleinstadt mit Boxclub und Kneipe und findet sie im Landkreis Oberhavel, gut eine Autostunde nördlich von Berlin. Pension Heimat, Franky's Place, Gaststätte Schröder: Der Reporter hört zu, guckt zu, trinkt mit. Er bleibt drei Monate und kehrt mit einer großen literarischen Reportage zurück - eine Geschichte der Gegenwart, die zugleich ein Abenteuerroman ist. Präzise Beobachtungen, O-Töne und die Fülle absurder, rührender und furchterregender Alltäglichkeiten ziehen den Leser ins Leben. Klassisches Reportertum, hochmodern.
Moritz von Uslar sucht nach einer Kleinstadt mit Boxclub und Kneipe und findet sie im Landkreis Oberhavel, gut eine Autostunde nördlich von Berlin. Pension Heimat, Franky's Place, Gaststätte Schröder: Der Reporter hört zu, guckt zu, trinkt mit. Er bleibt drei Monate und kehrt mit einer großen literarischen Reportage zurück - eine Geschichte der Gegenwart, die zugleich ein Abenteuerroman ist. Präzise Beobachtungen, O-Töne und die Fülle absurder, rührender und furchterregender Alltäglichkeiten ziehen den Leser ins Leben. Klassisches Reportertum, hochmodern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2010Rockliteratur Wie die in Moritz von Uslars Buch "Deutschboden" gefeierte Rockgruppe Five Teeth Less aus dem brandenburgischen Zehdenick auf Uslars Einladung hin am Dienstag in einer Berliner Galerie das sicher härteste Publikum der Welt - nämlich all die blasierten und glasierten Mumien, die, wie in Uslars Buch beschrieben, abends im "Grill Royal", sozusagen der "Gaststätte Schröder" von Berlin-Mitte, ihr Champagnerglas schräg gegen das Licht halten, während sie den ahnungslosesten Käse über den Osten, in dessen Mitte sie wie verängstigte Kolonialherrengattinnen kauern, vor sich herbrabbeln - mit der Unerschrockenheit der Jugend, der Kleinstadt und des amerikanischen Collegepunkrocks aus dem Saal lärmten: Das war schon echt sehr stimmungsvoll und eine schöne letzte Pointe des Buchs.
ripe
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010Wo die wilden Kerle wohnen
Drei Monate im Osten – der Schriftsteller und Journalist Moritz von Uslar hat mit seiner Langzeitreportage
„Deutschboden“ eines der besten Bücher über Deutschland nach der Wiedervereinigung geschriebenVon Andrian Kreye
Die Schlüsselszene in Moritz von Uslars „Deutschboden“ kommt gegen Ende des Buches. Sie markiert auch das Ende der Langzeitreportage, für die der Schriftsteller und Journalist aus der Berliner Mitte der nicht mehr ganz so jungen Jeunesse Dorée auszog, um drei Monate lang den kleinstädtischen Realitäten in Ostdeutschland nachzuspüren. Da steigt der Autor mit einem der Einheimischen im Boxclub in den Ring. Es ist der über mehrere hundert Seiten vorbereitete Höhepunkt, der wenig über Ostdeutschland, dafür viel über den Autor erzählt. Und es sind gerade solche Momente, die sein Buch zu einem der besten Bücher über Deutschland im zwanzigsten Jahr der Wiedervereinigung machen. Weil „Deutschboden“ eben keine journalistische Aufarbeitung der deutschen Geschichte ist. „Mich interessierte eigentlich nichts“, schreibt er da. „Neonazis interessierten mich nicht. Landpfarrer interessierten mich nicht. (. . .) Ich hatte nichts abzuarbeiten. Ich hatte keinen Auftrag. Ich war auf keiner Spur.“ Und so wird das Buch zu einer literarische Betrachtung deutscher Befindlichkeiten.
Uslar ist ein Getriebener. Das etabliert er sofort. Weniger durch seine Beschreibung eines Abends kurz vor der Abreise, bei dem er den Freunden bei Steak und Champagner von seinem Vorhaben erzählt. Es sind Form und Methodik, die enthüllen, was Uslar antreibt. Da ist zum einen die Sehnsucht des Autors nach der subjektiven Wahrhaftigkeit des „New Journalism“, der in Deutschland auch 37 Jahre nach Tom Wolfes programmatischem Essay noch nicht richtig Fuß fassen konnte. Und da ist die ewige Sehnsucht des Bohemiens nach einer Authentizität, die er im Koordinatensystem aus stilistischen Dogmen, ironischer Distanz und einem letztlich komfortablen Metropolenleben nicht finden kann, egal ob er im Paris der vorigen Jahrhundertwende, im New York der fünfziger oder im Berlin der Nullerjahre lebte.
Die mächtigen Vorbilder des „New Journalism“ findet man bei Uslar in der Methodik. Die Akribie von Tom Wolfe, den weit über die Schmerzgrenze körperlichen Einsatz von George Plimpton, den Mut zur konsequenten Subjektivität von Hunter S. Thompson. Vor allem aber ist es die Suche nach der Realität eines Landes in den Eckkneipen, Gasthöfen und Sportclubs, auf die sich die Vorväter des „New Journalism“ Joseph Mitchell und A.J. Liebling gemacht hatten. Die Vorbilder teilt Uslar mit einer Menge seiner journalistischen und schriftstellerischen Zeitgenossen. Die Methodik beherrschen viele. Nur wenige aber die Form. Gerade aus Berlin schwemmte in den letzten Jahren eine Flut von Texten in die Redaktionen und Verlage, die mit einem manierierten „Ey Mann“-Duktus und einer manisch verschachtelten Syntax einen Stil beschwören, der sich unmöglich ins Deutsche übertragen lässt.
Nun könnte man auch bei Uslar einzelne Sätze aus dem Text klauben, in denen Phrasen wie „ey“, „geil“ und„auf die Fresse“ vorkommen. Was ihn von der Flut der Textposer unterscheidet ist jedoch sein exzellentes Gespür für Rhythmus. Und das wurzelt eben nicht im amerikanischen Englisch der Vorbilder, sondern in der Sprachgewalt seines Freundes und literarischen Vorbildes Rainald Goetz.
Goetz ist einer der wenigen deutschen Autoren, die für die Popkultur und die Alltagssprache der letzten beiden Jahrzehnte eine literarische Ebene gefunden haben. Es ist kein Zufall, dass sich die furiose Wirkung von Goetz-Texten oft erst im Vortrag des Autors selbst entfaltet. Nun ist Uslar kein Epigone. Uslar verhält sich zu Goetz ähnlich wie die Rolling Stones zu Howlin’ Wolf. Er nimmt eine Schwingung auf, die sich in ihrer Heftigkeit nicht jedem erschließt, und findet seine eigene, allgemeinverständlichere Form. Er findet vor allem seinen eigenen Rhythmus, auf dem er die Facetten seiner Genres ausspielen kann – den Swing der Umgangssprache, das Stakkato der fotografischen Beobachtungen, die Geradlinigkeit der szenischen Passagen und Dialoge. Er wechselt für Reportage und inneren Monolog sogar die Perspektive. Das entwickelt einen Sog, den die Realität seiner ostdeutschen Kleinstadt dringend braucht. Denn dort passiert vor allem – nichts.
Das Drama der Entfremdung, das den Kern des Buches ausmacht, entwickelt sich weniger in den Handlungen und Begegnungen, als in den Subtexten. Es ist nicht nur der Kampf der Kulturen zwischen Ost und West, sondern vor allem der tiefe Graben zwischen Bildungsbürgertum und Unterschicht, der sich da auftut. Uslar hat dabei keine Scheu, sich zum Antagonisten eines kalten Klassenkampfes zu machen. Er beginnt sein Buch bei Steak und Champagner, fährt zunächst mit einem gesponserten Designwagen durch die Lande. Und stößt schon erst einmal an die Grenzen seiner eigenen Welt.
Zu Anfang versucht er es noch über die Denkmuster dieser eigenen Welt, in der selbst die ehrliche Affirmation auf eine ironische Distanzierung hinausläuft: „Ich fand’s irgendwie lächerlich, einfach überflüssig, die Plattenbauten deprimierend zu finden“, schreibt er da über die Stadt Schwedt. „Obwohl sie – ganz in echt – natürlich echt deprimierend waren.“ Doch es sind dann eben diese Denkmuster, die ihn betrüben. Er telefoniert mit einem Freund. „Überhaupt Plattenbauten, sagte der Kumpel am Telefon. Bei Plattenbauten falle ihm leider immer das Plattenbauten-Quartett ein, das sich junge Akademiker-Menschen, die Berliner Medien-Haute-Volée, als Ausdruck ihrer Überheblichkeit und ironischen Distinktion gegenseitig zum Abendessen mitbrächten: widerliche Plattenbauten. Der Plattenbau sei eben längst im ironisch-akademischen Lifestyle-Mainstream angekommen.“
Uslar sucht sich dann einen Boxclub in seiner ostdeutschen Kleinstadt, der er den fiktiven Namen Oberhavel gibt. Für den langjährigen Hobbyboxer ist das weniger ein Ort der harten Realitäten, als einer der wenigen gemeinsamen Nenner, auf die er sich mit den Bewohnern der für ihn so fremden Welt einigen kann. Doch der romantische Versuch der Annäherung misslingt. Es ist dann das „pilsgelbe Licht“ der Kneipe Schröder, das ihn zunächst in den Bann zieht. Ein enger Männerkosmos, der sich bald um einen Proberaum und eine Aral-Tankstelle erweitert.
Auch das Figuren-Ensemble der Geschichte wird größer. Heiko Schröder, der Wirt, Maik Brunner, der Trainer, Raoul, Eric und Rampa, die Gäste, Maria, die hübsche Bedienung in der Herberge, Pantau der Trinker. Aus dem „Superproll des Ostens“ im noch ratlosen vierten Kapitel sind Charaktere mit harmlosen Biographien geworden, die in ihrer tristen Normalität keine traditionelle Reportage wert wären, die aber in Uslars Erzählfluss an Kontur und Form gewinnen. Sie reflektieren über ihre rechte Vergangenheit und ihre kommunistische Jugend mit einer Klarheit, die jede Analyse überflüssig macht. Und so kann der Erzähler literarisches Vehikel bleiben.
Ähnlich konsequent, wie es Uslar zulässt, dass seine eigene Geschichte ihn zum Antagonisten macht, lässt er auch das Scheitern seines Plans zu. Zu Beginn wäre er so gerne Tom Wolfe. Gegen Ende ist er dann doch Jean-Jacques Rousseau. Doch genau deswegen funktioniert „Deutschboden“. Er hat die „Pump House Gang“ gesucht, und nur einen exotischen Ort gefunden, der genau das bleibt. Die Bewohner von Oberhavel sind eben keine kalifornischen Surfer. Sie haben sich ihren Platz am Rande der Gesellschaft nicht ausgesucht, sondern von der Geschichte zugewiesen bekommen.
Und so gibt es auch keinen dramatischen Bogen, für den der Ausgang der Schlüsselszene von Bedeutung wäre. Wie ein roter Faden zieht sich allerdings die Hoffnung der Menschen durch das Buch, doch noch einen Job als Komparse in einem der Nazifilme zu ergattern, die Hollywood-Regisseure in Babelsberg drehen. Das bleibt eine melancholische Metapher für die Exotik eines Ortes, wo die wilden Kerle nur traurige Kumpels sind.
Moritz von Uslar
Deutschboden
Eine teilnehmende Beobachtung
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.
384 Seiten, 19,95 Euro.
Dieser Autor hat keine Scheu,
sich zum Gegenüber eines
Klassenkampfes zu machen
Uslar nimmt sich mit
hinein in die Betrachtung,
als Antagonist und Scheiternder
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Drei Monate im Osten – der Schriftsteller und Journalist Moritz von Uslar hat mit seiner Langzeitreportage
„Deutschboden“ eines der besten Bücher über Deutschland nach der Wiedervereinigung geschriebenVon Andrian Kreye
Die Schlüsselszene in Moritz von Uslars „Deutschboden“ kommt gegen Ende des Buches. Sie markiert auch das Ende der Langzeitreportage, für die der Schriftsteller und Journalist aus der Berliner Mitte der nicht mehr ganz so jungen Jeunesse Dorée auszog, um drei Monate lang den kleinstädtischen Realitäten in Ostdeutschland nachzuspüren. Da steigt der Autor mit einem der Einheimischen im Boxclub in den Ring. Es ist der über mehrere hundert Seiten vorbereitete Höhepunkt, der wenig über Ostdeutschland, dafür viel über den Autor erzählt. Und es sind gerade solche Momente, die sein Buch zu einem der besten Bücher über Deutschland im zwanzigsten Jahr der Wiedervereinigung machen. Weil „Deutschboden“ eben keine journalistische Aufarbeitung der deutschen Geschichte ist. „Mich interessierte eigentlich nichts“, schreibt er da. „Neonazis interessierten mich nicht. Landpfarrer interessierten mich nicht. (. . .) Ich hatte nichts abzuarbeiten. Ich hatte keinen Auftrag. Ich war auf keiner Spur.“ Und so wird das Buch zu einer literarische Betrachtung deutscher Befindlichkeiten.
Uslar ist ein Getriebener. Das etabliert er sofort. Weniger durch seine Beschreibung eines Abends kurz vor der Abreise, bei dem er den Freunden bei Steak und Champagner von seinem Vorhaben erzählt. Es sind Form und Methodik, die enthüllen, was Uslar antreibt. Da ist zum einen die Sehnsucht des Autors nach der subjektiven Wahrhaftigkeit des „New Journalism“, der in Deutschland auch 37 Jahre nach Tom Wolfes programmatischem Essay noch nicht richtig Fuß fassen konnte. Und da ist die ewige Sehnsucht des Bohemiens nach einer Authentizität, die er im Koordinatensystem aus stilistischen Dogmen, ironischer Distanz und einem letztlich komfortablen Metropolenleben nicht finden kann, egal ob er im Paris der vorigen Jahrhundertwende, im New York der fünfziger oder im Berlin der Nullerjahre lebte.
Die mächtigen Vorbilder des „New Journalism“ findet man bei Uslar in der Methodik. Die Akribie von Tom Wolfe, den weit über die Schmerzgrenze körperlichen Einsatz von George Plimpton, den Mut zur konsequenten Subjektivität von Hunter S. Thompson. Vor allem aber ist es die Suche nach der Realität eines Landes in den Eckkneipen, Gasthöfen und Sportclubs, auf die sich die Vorväter des „New Journalism“ Joseph Mitchell und A.J. Liebling gemacht hatten. Die Vorbilder teilt Uslar mit einer Menge seiner journalistischen und schriftstellerischen Zeitgenossen. Die Methodik beherrschen viele. Nur wenige aber die Form. Gerade aus Berlin schwemmte in den letzten Jahren eine Flut von Texten in die Redaktionen und Verlage, die mit einem manierierten „Ey Mann“-Duktus und einer manisch verschachtelten Syntax einen Stil beschwören, der sich unmöglich ins Deutsche übertragen lässt.
Nun könnte man auch bei Uslar einzelne Sätze aus dem Text klauben, in denen Phrasen wie „ey“, „geil“ und„auf die Fresse“ vorkommen. Was ihn von der Flut der Textposer unterscheidet ist jedoch sein exzellentes Gespür für Rhythmus. Und das wurzelt eben nicht im amerikanischen Englisch der Vorbilder, sondern in der Sprachgewalt seines Freundes und literarischen Vorbildes Rainald Goetz.
Goetz ist einer der wenigen deutschen Autoren, die für die Popkultur und die Alltagssprache der letzten beiden Jahrzehnte eine literarische Ebene gefunden haben. Es ist kein Zufall, dass sich die furiose Wirkung von Goetz-Texten oft erst im Vortrag des Autors selbst entfaltet. Nun ist Uslar kein Epigone. Uslar verhält sich zu Goetz ähnlich wie die Rolling Stones zu Howlin’ Wolf. Er nimmt eine Schwingung auf, die sich in ihrer Heftigkeit nicht jedem erschließt, und findet seine eigene, allgemeinverständlichere Form. Er findet vor allem seinen eigenen Rhythmus, auf dem er die Facetten seiner Genres ausspielen kann – den Swing der Umgangssprache, das Stakkato der fotografischen Beobachtungen, die Geradlinigkeit der szenischen Passagen und Dialoge. Er wechselt für Reportage und inneren Monolog sogar die Perspektive. Das entwickelt einen Sog, den die Realität seiner ostdeutschen Kleinstadt dringend braucht. Denn dort passiert vor allem – nichts.
Das Drama der Entfremdung, das den Kern des Buches ausmacht, entwickelt sich weniger in den Handlungen und Begegnungen, als in den Subtexten. Es ist nicht nur der Kampf der Kulturen zwischen Ost und West, sondern vor allem der tiefe Graben zwischen Bildungsbürgertum und Unterschicht, der sich da auftut. Uslar hat dabei keine Scheu, sich zum Antagonisten eines kalten Klassenkampfes zu machen. Er beginnt sein Buch bei Steak und Champagner, fährt zunächst mit einem gesponserten Designwagen durch die Lande. Und stößt schon erst einmal an die Grenzen seiner eigenen Welt.
Zu Anfang versucht er es noch über die Denkmuster dieser eigenen Welt, in der selbst die ehrliche Affirmation auf eine ironische Distanzierung hinausläuft: „Ich fand’s irgendwie lächerlich, einfach überflüssig, die Plattenbauten deprimierend zu finden“, schreibt er da über die Stadt Schwedt. „Obwohl sie – ganz in echt – natürlich echt deprimierend waren.“ Doch es sind dann eben diese Denkmuster, die ihn betrüben. Er telefoniert mit einem Freund. „Überhaupt Plattenbauten, sagte der Kumpel am Telefon. Bei Plattenbauten falle ihm leider immer das Plattenbauten-Quartett ein, das sich junge Akademiker-Menschen, die Berliner Medien-Haute-Volée, als Ausdruck ihrer Überheblichkeit und ironischen Distinktion gegenseitig zum Abendessen mitbrächten: widerliche Plattenbauten. Der Plattenbau sei eben längst im ironisch-akademischen Lifestyle-Mainstream angekommen.“
Uslar sucht sich dann einen Boxclub in seiner ostdeutschen Kleinstadt, der er den fiktiven Namen Oberhavel gibt. Für den langjährigen Hobbyboxer ist das weniger ein Ort der harten Realitäten, als einer der wenigen gemeinsamen Nenner, auf die er sich mit den Bewohnern der für ihn so fremden Welt einigen kann. Doch der romantische Versuch der Annäherung misslingt. Es ist dann das „pilsgelbe Licht“ der Kneipe Schröder, das ihn zunächst in den Bann zieht. Ein enger Männerkosmos, der sich bald um einen Proberaum und eine Aral-Tankstelle erweitert.
Auch das Figuren-Ensemble der Geschichte wird größer. Heiko Schröder, der Wirt, Maik Brunner, der Trainer, Raoul, Eric und Rampa, die Gäste, Maria, die hübsche Bedienung in der Herberge, Pantau der Trinker. Aus dem „Superproll des Ostens“ im noch ratlosen vierten Kapitel sind Charaktere mit harmlosen Biographien geworden, die in ihrer tristen Normalität keine traditionelle Reportage wert wären, die aber in Uslars Erzählfluss an Kontur und Form gewinnen. Sie reflektieren über ihre rechte Vergangenheit und ihre kommunistische Jugend mit einer Klarheit, die jede Analyse überflüssig macht. Und so kann der Erzähler literarisches Vehikel bleiben.
Ähnlich konsequent, wie es Uslar zulässt, dass seine eigene Geschichte ihn zum Antagonisten macht, lässt er auch das Scheitern seines Plans zu. Zu Beginn wäre er so gerne Tom Wolfe. Gegen Ende ist er dann doch Jean-Jacques Rousseau. Doch genau deswegen funktioniert „Deutschboden“. Er hat die „Pump House Gang“ gesucht, und nur einen exotischen Ort gefunden, der genau das bleibt. Die Bewohner von Oberhavel sind eben keine kalifornischen Surfer. Sie haben sich ihren Platz am Rande der Gesellschaft nicht ausgesucht, sondern von der Geschichte zugewiesen bekommen.
Und so gibt es auch keinen dramatischen Bogen, für den der Ausgang der Schlüsselszene von Bedeutung wäre. Wie ein roter Faden zieht sich allerdings die Hoffnung der Menschen durch das Buch, doch noch einen Job als Komparse in einem der Nazifilme zu ergattern, die Hollywood-Regisseure in Babelsberg drehen. Das bleibt eine melancholische Metapher für die Exotik eines Ortes, wo die wilden Kerle nur traurige Kumpels sind.
Moritz von Uslar
Deutschboden
Eine teilnehmende Beobachtung
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.
384 Seiten, 19,95 Euro.
Dieser Autor hat keine Scheu,
sich zum Gegenüber eines
Klassenkampfes zu machen
Uslar nimmt sich mit
hinein in die Betrachtung,
als Antagonist und Scheiternder
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rechte Lust, stellt Rezensentin Wiebke Porombka fest, scheint Moritz von Uslar anfangs nicht gehabt zu haben auf sein eigenes Experiment: In den Osten, nach Brandenburg wollte er ziehen, freilich auf Zeit und nicht, wie so mancher den mittleren Jahren sich nähernde Freund aus Berlin, in großstadtflüchtiger Rückzugsabsicht. Eine Ethnografie des Umlands vielmehr schwebt von Uslar vor. So lebte er drei Monate in Zehdenick (im Buch heißt es verschleiernd Oberhavel) und beobachtet, was sich tut. Und nicht tut: denn in der Tat tut sich wenig. Ex-Skins stehen rum, trinken Alkohol, mehr als ein Klischee erweist sich als nur allzu real. Und doch wird dem Autor das nach und nach vor allem in seiner Stinknormalität beinahe erträglich: Hier leben Menschen, die sich in einer alles andere als komfortablen Realität "eingerichtet" haben. Die Rezensentin hat diese Vor-Ort-Reportage spürbar gerne gelesen und lobt den Autor für die "Glaubwürdigkeit" seiner durch manches Dabeisein bei Bier und Gesang entschärft kritischen Haltung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Viel von der andächtigen Ratlosigkeit, mit der, wenn's gutgeht, Verstehen beginnt. Und eine existentialistische Erzählung mit gleich drei überraschenden Tugenden: Anmut, Ironie, Zärtlichkeit.« Der Spiegel