Baugeschichte in Deutschland ist ein widerspruchsvolles Thema, wie die deutsche Geschichte überhaupt. Das Land hat Pioniere der Architekturmoderne, etwa Walter Gropius, Ludwig Mies von der Rohe und Erich Mendelsohn, hervorgebracht, aber sie auch ins Exil getrieben. Dekaden waren vom Streit zwischen denen geprägt, die das Neue anstrebten, und denen, die das Alte bewahren wollten und Zweifel an den Glücksversprechen der neuen Zeit hatten. Die Architektur hat die Nähe zur Macht gesucht, des Kapitals wie der Dikatur. Doch sie hat auch der Demokratie ihre Häuser gebaut: der Weimarer Republik, der Bundesrepublik. Von diesem widersprüchlichen Gang der Dinge erzählt das Buch. Zugleich erleichtern umfassendes Literaturverzeichnis, Zeittabelle und biografischer Anhang die weitere Beschäftigung mit dem Thema.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Begeistert, fast mehr als das, zeigt sich der Rezensent Dieter Bartetzko von diesem Buch, das er als "altmodisch" im besten Sinne bezeichnet. Gründlich ist es, kenntnisreich, nie mit Urteilen zu schnell bei der Hand, ein "Opus magnum", das für die Geschichte des Bauens in Deutschland im 20. Jahrhundert geradezu ein Grimmsches Wörterbuch ist. Es sind nicht so sehr spektakuläre Thesen, die dieses Buch auszeichnen, so Bartetzko, es ist die "Gründlichkeit", aber auch die Evidenz, mit der Wolfgang Pehnt bisher als eher unverbunden betrachtete Phänomene in Zusammenhang bringt - etwa den "Zyklopenstil" des Spätwilhelminismus mit dem des "Brutalismus" der späten sechziger Jahre. Klug findet Bartetzko die Kommentare zum nationalsozialistischen Bauen wie zu Bauhaus und Expressionismus, einleuchtend die Kritik an einer pervertierten Moderne. Bleibt das bündige Resümee: "So subtil und umfassend wurde seit Jahren nicht mehr über das Bauen der Moderne in Deutschland geschrieben."
© Perlentaucher Medien GmbH"
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005Tausendundeine Architektur
Lehrreich für alle Bürger: Wolfgang Pehnt führt durch Deutschlands Bauten / Von Dieter Bartetzko
Der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt hat ein altmodisches Buch geschrieben - ein Opus magnum, das Jahrzehnt für Jahrzehnt auflistet und kommentiert, was zwischen 1900 und heute Wesentliches in Deutschland gebaut wurde. Ein Almanach des Bauens ist das. Damit erreicht Pehnt, was er möchte: Analog dem Wörterbuch der Brüder Grimm ein Architekturwerk geschaffen zu haben, das zwar kaum ein "Vater des Hauses seinen Lieben vorlesen" wird, zu dem aber "auch Leser greifen, die das Interesse nicht des vorinformierten Kenners motiviert, sondern des für alle Kulturerscheinungen offenen Bürgers". Das mag im digitalisierten Heute altmodisch anmuten, ist in seiner Gründlichkeit aber allem, was an Schnellesekursen zur Architektur erscheint, weit überlegen.
Ein offener Bürger ist auch der Autor: Staunend entdeckt man deshalb mit ihm Verbindungen zwischen Zeiten, die man in diesem von politischen, sozialen und kulturellen Umbrüchen zerfledderten Deutschland des zwanzigsten Jahrhunderts für unmöglich gehalten hätte. So deutet er unter dem Titel "Zyklopenstil" die Bauten der letzten Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs als janusköpfiges Phänomen, in dem sich Hoffart und Weltangst des spätwilhelminischen Kaiserreichs mischen. Mehr als dreihundert Seiten weiter - "Starke Signale" lautet das Kapitel - findet sich das gleiche Phänomen: Die von Studentenunruhen, Notstandsgesetzen und Reformbestrebungen geprägten sechziger Jahre bauten gleichfalls zyklopisch: "Wo sich alles brutal gab, mußte sich auch die Baukunst brutal geben. Da war ein Repertoire willkommen, das dementsprechend hieß: Brutalismus. Auch moralische Obertöne schwangen mit: rauh, aufrichtig, brutal ehrlich."
Wohlfeiles Aburteilen jener Betonkolosse, die momentan mit Wonne abgerissen werden, um Scheinidyllen pseudohistorischer Stilimitate Platz zu machen, die als Rekonstruktionen gelten, ist Pehnts Sache nicht. So erinnert er an das seinerzeit zu Recht gefeierte Rathaus von Bergisch Gladbach-Bensberg. Gottfried Böhm hat es zwischen 1963 und 1969 geschaffen, eine Bergfeste aus Sichtbeton, die sich geschmeidig in die Ruinen einer gotischen Burg einfügt, die sie "grandios übertrumpft".
Woher kommt unser aktuelles Bauen? Pehnt sagt, was Architekturhistoriker seit zwei Generationen repetieren, daß die Fabrik, die Villa und das Landhaus um 1900 die Keimzellen allen modernen Bauens waren. Aber wie er das zeigt: Von Peter Behrens' Berliner "Haus Wiegand" (1911 bis 1912), einer Villa, deren steinernen Neoklassizismus man auch dem Zyklopenstil zurechnen kann, schreibt er, sie sei das "würdevolle häusliche Gegenstück" zum Industrieklassizismus des Architekten, der zur selben Zeit dem AEG-Konzern die kühnsten neuen Fabriken schuf. Es bleibt dem Leser überlassen, in der neo-neoklassizistischen Dahlemer "Villa B." von Petra und Paul Kahlfeldt einen 1994 geborenen, auf Zwergenformat gestutzten Urenkel des Zyklopismus von 1911 zu erkennen.
Von Haus Wiegand heißt es, seine "Vereinfachung und Blockhaftigkeit" deuteten "nicht nur auf das Systemdenken der Avantgarde, sondern auch bereits auf den Staatsklassizismus der dreißiger Jahre". Zu ihm formuliert Pehnt unbestechliche Standpunkte. Weder Nikolaus Pevsners angeekeltes "darüber ist jedes Wort zuviel" noch die aktuellen Sichtweisen, die NS-Baukunst zum paneuropäischen Stilphänomen verharmlosen, finden sich hier. Nach einem lakonischen "Architekten sind mit keinem feineren politischen Instinkt ausgestattet als die Angehörigen anderer Berufe" diagnostiziert Pehnt: "trockene Schärfe des Details und Simplizität des Gesamtbildes. Dieser Klassizismus der Reduktion hatte die Schule der Moderne absolviert." Zu den Gauforen und megalomanen Achsen sagt er drastisch: "Größenwahn ist ein charakteristischer Zug der NS-Baukunst. Den absoluten Maßen galt ein kindischer Ehrgeiz, der durch keinerlei wirtschaftliche Rücksichten begrenzt wurde."
Kindischer Ehrgeiz wird auch offenkundig, wenn Pehnt den Wettstreit darstellt, den die Bundesrepublik und die DDR als Musterknaben der Demokratie und des Sozialismus gegeneinander fochten. Er trieb, wie die hochhausbestückten Achsen-Einöden der Leipziger Straße im Osten und des Ernst-Reuter-Platzes im Westen Berlins zeigen, die menschenfeindlichsten Keime der Moderne zur Blüte, bis die DDR mit ihren megalomanen Trabantensiedlungen zum Plattenbau-Getto und die Bundesrepublik zum Freiland des "Betonwirtschaftsfunktionalismus" geworden waren, was dann dies- und jenseits der Mauer ein Jahrzehnt später die nostalgischen Spiele der Postmoderne an die Macht brachte.
Die Auszüge ihrer Manifeste bei Pehnt lesen sich in ihrer Schwärmerei wie die Grundsatzerklärungen der Bauhäusler und Expressionisten am Beginn der Weimarer Republik. Beide kommentiert er als verbrämte Erlösungssehnsüchte. Ihre eindringlichste, weil vom Grauen des Ersten Weltkriegs grundierte Form fanden sie im Kirchenbau des Expressionismus. Seine Gotikzitate reiften mit ihren "stürzenden Linien, ihren steilen Räumen, ihren splitternden Formen und ihrer Lichtmysthik" zu einer "Ästhetik der Erschütterung".
Und die Fabrik? Ihre weit über den Nutzen hinausreichende Symbolik verdeutlicht Pehnt mit einem Behrens-Zitat. Er schrieb 1910: "Deutsche Kunst und Technik werden so zu einem Ziele wirken: Zur Macht des deutschen Landes, geadelt durch geistig verfeinerte Form." Behrens' mykenisch anmutende Turbinenhalle der AEG in Berlin erscheint hierfür als Beispiel, auch die expressiven Industriebauten eines Hans Poelzig sind exemplarisch. Eindringlich führt Pehnt auch die späteren Pervertierungen des Fabrik- und Montageprinzips vor: die anonymen Riesencontainer der Universität in Bochum, des Klinikums in Aachen, beide siebziger Jahre, aber auch die quasi computeranimierten Glas-Silos und -boxen unserer Tage, wie die "Print Media Academy" in Heidelberg oder eine Automatenfabrik in Hamburg-Eimsbüttel.
So subtil und umfassend wurde seit Jahren nicht mehr über das Bauen der Moderne in Deutschland geschrieben. Und doch überläßt Pehnt diskret den entscheidenden letzten Satz seines Buchs einem Architekten, nämlich Le Corbusier: "Was übrig bleibt von den menschlichen Unternehmungen, ist nicht das, was einem Zweck dient, sondern das, was die Menschen bewegt."
Wolfgang Pehnt: "Deutsche Architektur seit 1900". Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 592 S., 850 Abb., geb., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lehrreich für alle Bürger: Wolfgang Pehnt führt durch Deutschlands Bauten / Von Dieter Bartetzko
Der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt hat ein altmodisches Buch geschrieben - ein Opus magnum, das Jahrzehnt für Jahrzehnt auflistet und kommentiert, was zwischen 1900 und heute Wesentliches in Deutschland gebaut wurde. Ein Almanach des Bauens ist das. Damit erreicht Pehnt, was er möchte: Analog dem Wörterbuch der Brüder Grimm ein Architekturwerk geschaffen zu haben, das zwar kaum ein "Vater des Hauses seinen Lieben vorlesen" wird, zu dem aber "auch Leser greifen, die das Interesse nicht des vorinformierten Kenners motiviert, sondern des für alle Kulturerscheinungen offenen Bürgers". Das mag im digitalisierten Heute altmodisch anmuten, ist in seiner Gründlichkeit aber allem, was an Schnellesekursen zur Architektur erscheint, weit überlegen.
Ein offener Bürger ist auch der Autor: Staunend entdeckt man deshalb mit ihm Verbindungen zwischen Zeiten, die man in diesem von politischen, sozialen und kulturellen Umbrüchen zerfledderten Deutschland des zwanzigsten Jahrhunderts für unmöglich gehalten hätte. So deutet er unter dem Titel "Zyklopenstil" die Bauten der letzten Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs als janusköpfiges Phänomen, in dem sich Hoffart und Weltangst des spätwilhelminischen Kaiserreichs mischen. Mehr als dreihundert Seiten weiter - "Starke Signale" lautet das Kapitel - findet sich das gleiche Phänomen: Die von Studentenunruhen, Notstandsgesetzen und Reformbestrebungen geprägten sechziger Jahre bauten gleichfalls zyklopisch: "Wo sich alles brutal gab, mußte sich auch die Baukunst brutal geben. Da war ein Repertoire willkommen, das dementsprechend hieß: Brutalismus. Auch moralische Obertöne schwangen mit: rauh, aufrichtig, brutal ehrlich."
Wohlfeiles Aburteilen jener Betonkolosse, die momentan mit Wonne abgerissen werden, um Scheinidyllen pseudohistorischer Stilimitate Platz zu machen, die als Rekonstruktionen gelten, ist Pehnts Sache nicht. So erinnert er an das seinerzeit zu Recht gefeierte Rathaus von Bergisch Gladbach-Bensberg. Gottfried Böhm hat es zwischen 1963 und 1969 geschaffen, eine Bergfeste aus Sichtbeton, die sich geschmeidig in die Ruinen einer gotischen Burg einfügt, die sie "grandios übertrumpft".
Woher kommt unser aktuelles Bauen? Pehnt sagt, was Architekturhistoriker seit zwei Generationen repetieren, daß die Fabrik, die Villa und das Landhaus um 1900 die Keimzellen allen modernen Bauens waren. Aber wie er das zeigt: Von Peter Behrens' Berliner "Haus Wiegand" (1911 bis 1912), einer Villa, deren steinernen Neoklassizismus man auch dem Zyklopenstil zurechnen kann, schreibt er, sie sei das "würdevolle häusliche Gegenstück" zum Industrieklassizismus des Architekten, der zur selben Zeit dem AEG-Konzern die kühnsten neuen Fabriken schuf. Es bleibt dem Leser überlassen, in der neo-neoklassizistischen Dahlemer "Villa B." von Petra und Paul Kahlfeldt einen 1994 geborenen, auf Zwergenformat gestutzten Urenkel des Zyklopismus von 1911 zu erkennen.
Von Haus Wiegand heißt es, seine "Vereinfachung und Blockhaftigkeit" deuteten "nicht nur auf das Systemdenken der Avantgarde, sondern auch bereits auf den Staatsklassizismus der dreißiger Jahre". Zu ihm formuliert Pehnt unbestechliche Standpunkte. Weder Nikolaus Pevsners angeekeltes "darüber ist jedes Wort zuviel" noch die aktuellen Sichtweisen, die NS-Baukunst zum paneuropäischen Stilphänomen verharmlosen, finden sich hier. Nach einem lakonischen "Architekten sind mit keinem feineren politischen Instinkt ausgestattet als die Angehörigen anderer Berufe" diagnostiziert Pehnt: "trockene Schärfe des Details und Simplizität des Gesamtbildes. Dieser Klassizismus der Reduktion hatte die Schule der Moderne absolviert." Zu den Gauforen und megalomanen Achsen sagt er drastisch: "Größenwahn ist ein charakteristischer Zug der NS-Baukunst. Den absoluten Maßen galt ein kindischer Ehrgeiz, der durch keinerlei wirtschaftliche Rücksichten begrenzt wurde."
Kindischer Ehrgeiz wird auch offenkundig, wenn Pehnt den Wettstreit darstellt, den die Bundesrepublik und die DDR als Musterknaben der Demokratie und des Sozialismus gegeneinander fochten. Er trieb, wie die hochhausbestückten Achsen-Einöden der Leipziger Straße im Osten und des Ernst-Reuter-Platzes im Westen Berlins zeigen, die menschenfeindlichsten Keime der Moderne zur Blüte, bis die DDR mit ihren megalomanen Trabantensiedlungen zum Plattenbau-Getto und die Bundesrepublik zum Freiland des "Betonwirtschaftsfunktionalismus" geworden waren, was dann dies- und jenseits der Mauer ein Jahrzehnt später die nostalgischen Spiele der Postmoderne an die Macht brachte.
Die Auszüge ihrer Manifeste bei Pehnt lesen sich in ihrer Schwärmerei wie die Grundsatzerklärungen der Bauhäusler und Expressionisten am Beginn der Weimarer Republik. Beide kommentiert er als verbrämte Erlösungssehnsüchte. Ihre eindringlichste, weil vom Grauen des Ersten Weltkriegs grundierte Form fanden sie im Kirchenbau des Expressionismus. Seine Gotikzitate reiften mit ihren "stürzenden Linien, ihren steilen Räumen, ihren splitternden Formen und ihrer Lichtmysthik" zu einer "Ästhetik der Erschütterung".
Und die Fabrik? Ihre weit über den Nutzen hinausreichende Symbolik verdeutlicht Pehnt mit einem Behrens-Zitat. Er schrieb 1910: "Deutsche Kunst und Technik werden so zu einem Ziele wirken: Zur Macht des deutschen Landes, geadelt durch geistig verfeinerte Form." Behrens' mykenisch anmutende Turbinenhalle der AEG in Berlin erscheint hierfür als Beispiel, auch die expressiven Industriebauten eines Hans Poelzig sind exemplarisch. Eindringlich führt Pehnt auch die späteren Pervertierungen des Fabrik- und Montageprinzips vor: die anonymen Riesencontainer der Universität in Bochum, des Klinikums in Aachen, beide siebziger Jahre, aber auch die quasi computeranimierten Glas-Silos und -boxen unserer Tage, wie die "Print Media Academy" in Heidelberg oder eine Automatenfabrik in Hamburg-Eimsbüttel.
So subtil und umfassend wurde seit Jahren nicht mehr über das Bauen der Moderne in Deutschland geschrieben. Und doch überläßt Pehnt diskret den entscheidenden letzten Satz seines Buchs einem Architekten, nämlich Le Corbusier: "Was übrig bleibt von den menschlichen Unternehmungen, ist nicht das, was einem Zweck dient, sondern das, was die Menschen bewegt."
Wolfgang Pehnt: "Deutsche Architektur seit 1900". Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 592 S., 850 Abb., geb., 49,90 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2005Heute ist Wüstenrot-Tag
Wolfgang Pehnts große Geschichte der deutschen Architektur seit 1900
Eigentlich werden solche Bücher gar nicht mehr geschrieben und hergestellt. Der Universalgelehrte hat längst ausgedient, der souverän das Feld der Welt überblickt und interpretiert, das Wort beherrscht und den Leser an die Hand nimmt, um ihm, der atemlos folgt, sein architektonisches Universum zu enthüllen.
Und es gibt auch keine Verlage mehr, die aus eigener wirtschaftlicher Kraft Bücher wie dieses produzieren könnten - zwei Kilo schwer, 600 Seiten lang, ein Jahrhundert mit rund 400 Architektennamen umfassend, deren Bauten mit eintausend Abbildungen illustrierend - und das alles für weniger als 50 Euro.
Dass diese Geschichte der deutschen Architektur des vorigen Jahrhunderts dennoch vorliegt, ist der Förderung durch die Wüstenrot-Stiftung zu verdanken, die in den letzten 15 Jahren einiges dazu beigetragen hat, den unter Architekten begrenzten Ruhm der Bausparkasse zu mehren; derselben Stiftung, die die Restaurierung der Villa le Corbusiers in Stuttgart-Weissenhof förderte, die in einigen Wochen vorgestellt wird.
Ge- und Missbrauchskunst
Vor allem aber ist es dem Autor zu verdanken, der die seltene Kombination aus umfassendem Wissen, Verstehen des Gewussten und der Fähigkeit vereinigt, das Verstandene präzise zu beschreiben: Wolfgang Pehnt, dem ehemaligen Verlagslektor und Rundfunkredakteur, heute Professor für Architekturgeschichte in Bochum. Durch seine berufliche Biografie ist er schon zum Teil dieser Geschichtsschreibung geworden - seit er Jürgen Joedickes „Geschichte der modernen Architektur” (1958) betreut hat, dessen Spuren bis zu Vittorio Magnago-Lampugnanis „Architektur und Städtebau des 20. Jahrhunderts” (1980) führten, und seit er selbst das Standardwerk über die „Architektur des Expressionismus” (1998) verfasst hat. Angesichts des jetzt vorgelegten Buchs kann man sich streiten, welches sein opus magnum ist.
Deutsche Architektur seit 1900 - eine merkwürdige Eingrenzung. Warum „deutsche” Architektur? Und warum „seit 1900”? Keine Frage: Deutsche Architekten haben im Verlauf des vorigen Jahrhunderts entscheidende Beiträge geleistet: um 1910, als der Weg zu einem Neuanfang durch Hans Poelzig, Peter Behrens oder Heinrich Tessenow bereitet wurde, in den zwanziger Jahren durch herausragende Architekten wie Mies van der Rohe, Gropius, Mendelsohn oder die Taut-Brüder und durch den - erstmals staatlich geförderten - Wohnungs- und Städtebau für die Masse der Arbeiter und Angestellten. Doch auch wenn man bis heute international hoch renommierte Architekten findet - Pioniere, Erfinder, Gestalter von Ungers über Frei Otto bis Behnisch - rechtfertigt das die thematische Eingrenzung auf Deutschland?
Tatsächlich tut es das nicht; die Rechtfertigung liegt anderswo: Deutschland war immer sehr offen gegenüber ausländischen Architekten, vom Jugendstil-Künstler Henri van de Velde bis zum Reichstag-Umbauer Norman Foster: Insofern wäre der Titel „Architektur in Deutschland” angemessener gewesen - aber Abgrenzung und Beschränkung des Themas sind einfach notwendig.
Die Abgrenzung „seit 1900” wiegt schwerer. Pehnt unterteilt seine Kapitel richtigerweise nach politischen Abschnitten - 1900 bis 1918, 1918 bis 1933 und so weiter. Aber der Einschnitt ,,1900" bedeutet politisch nichts, wie er eingangs selbst erläutert. Hier wäre der Rückgriff auf 1871 sinnvoll gewesen, wenn man denn nicht gleich, unter architekturtheoretischen Aspekten, mit dem Beginn der Moderne um 1780 angefangen hätte - aber dann wäre das Buch doppelt so dick geworden (nicht, dass Pehnt es nicht hätte schreiben können . . .).
Politische Zäsuren als Gliederung für Architekturepochen - das ist konsequent und richtig nicht nur, weil politische Entscheidungen direkte Auswirkungen auf das Bauen haben. Man erinnere sich an die Einfamilienhaus-Ideologie der frühen Jahre der Bundesrepublik, an der wir bis zur heutigen Eigenheimzulage zu knabbern haben! Pehnt verknüpft die Architektur konsequent mit den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ereignissen und versteht sie nicht als reine Stilgeschichte.
Jedes Kapitel beginnt mit einem ganzseitigen Foto, das einen Zeitabschnitt auf den Begriff bringt - das „Dritte Reich” mit marschierenden SA-Kolonnen auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände: Das ist keine Architektur, sondern der Hinweis darauf, dass Architektur eine Gebrauchskunst und, in diesem Fall, eine Missbrauchskunst ist. Welche Spannweite der Autor innerhalb der jeweiligen Epoche anschlägt, lässt sich ebenfalls an diesem Kapitel belegen, das vom Städtebau über die verschiedenen instrumentalisierten Stile bis hin zu den Bunkerbauten des Westwalls, den Konzentrationslagern, der Bombardierung der Städte und den Behelfsbauten für Ausgebombte verläuft.
Die Kunst ist, alle diese verschiedenen Aspekte zu einem Ganzen zu bringen, und die beherrscht Pehnt souverän - später besonders in der Parallelführung von Bundesrepublik und DDR, die nicht als zwei separate Themen, sondern als zwei Seiten derselben Medaille behandelt werden: Knappe, präzise formulierte Sätze, die dennoch aus den Einzelerscheinungen ein Netz knüpfen - das können nicht viele in diesem Metier. Wenn man dann noch die trockene Ironie heraushört, die Pehnt vielen theoretischen Höhenflügen der Architekten, vielen Hohltönen ihrer Sprache entgegegenbringt, dann erinnert das an den Meister selbst, an Julius Posener, der mit seinen „Vorlesungen zur Architektur” und dem Buch über „Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur” (1979) neue Standards der Architekturgeschichtsschreibung gesetzt hatte.
Keine Frage: Posener hat die Messlatte für eine Darstellung hoch gelegt, die Baubeschreibung und Theoriediskussion in den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang stellt. Pehnt würde diese Latte souverän überqueren, wenn ihm eine Eigenschaft von Posener eignete, die diesen einmalig machte: nämlich die Fähigkeit, sich von Eindrücken begeistern zu lassen. Das ist das einzige Manko, dessen man Pehnt bezichtigen kann - eine Temperamentssache: Er beurteilt aus der Distanz des Historikers. Das macht ihn bis in die Architektur der Gegenwart hinein unbestechlich und selbst das letzte Kapitel mit dem Ausblick auf „Schrumpfende Städte” und der Hoffnung auf einen „Architekten mit Widerstandsvermögen” schwergewichtig. Aber manchmal wünschte man als Leser, er zeigte auch, von welchen Bauten oder Architekten er sich begeistern lässt, und warum: Wenn er das vermitteln würde, könnte man seine Freude teilen oder auch nicht. Man könnte sich mit ihm streiten. Er würde nicht nur den interessierten Laien gewinnen, sondern den uninteressierten, der sich von der Begeisterung anstecken ließe.
Ein Standardwerk
Ohne dieses Element ist das Buch: auf Jahrzehnte hinaus das Standardwerk über eine große Epoche deutscher Architektur. Durch die Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung ist es so preiswert, dass es sich jeder leisten sollte, der sich für Architektur interessiert. Selbst Architekten. Schließlich gibt es viele Bilder zu sehen.
„Die Geschichte”, schreibt Pehnt am Schluss, „auch die der Architektur, war immer vielseitiger, als ihre Historiker sie dargestellt haben”. Mag sein. Pehnt schreibt jedenfalls eine Geschichte dieses spannenden Jahrhunderts, die der gefühlten Realität sehr nahe kommt.
Ach, eine Bemerkung noch zu den Abbildungen: Kein Verlag kann es sich heute leisten, die Bauten neu fotografieren zu lassen. Tatsache ist aber auch, dass die Amateurfotos des Autors nicht die Qualität professioneller Abbildungen haben, wie sie früher selbstverständlich waren.
GERT KÄHLER
WOLFGANG PEHNT: Deutsche Architektur seit 1900. Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, und Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 592 S., 49,90 Euro.
Bundesrepublik! Hellmut Hombers Friedrich-Ebert-Brücke in Bonn-Nord, 1964-68
Abb. aus dem besprochenen Band
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Wolfgang Pehnts große Geschichte der deutschen Architektur seit 1900
Eigentlich werden solche Bücher gar nicht mehr geschrieben und hergestellt. Der Universalgelehrte hat längst ausgedient, der souverän das Feld der Welt überblickt und interpretiert, das Wort beherrscht und den Leser an die Hand nimmt, um ihm, der atemlos folgt, sein architektonisches Universum zu enthüllen.
Und es gibt auch keine Verlage mehr, die aus eigener wirtschaftlicher Kraft Bücher wie dieses produzieren könnten - zwei Kilo schwer, 600 Seiten lang, ein Jahrhundert mit rund 400 Architektennamen umfassend, deren Bauten mit eintausend Abbildungen illustrierend - und das alles für weniger als 50 Euro.
Dass diese Geschichte der deutschen Architektur des vorigen Jahrhunderts dennoch vorliegt, ist der Förderung durch die Wüstenrot-Stiftung zu verdanken, die in den letzten 15 Jahren einiges dazu beigetragen hat, den unter Architekten begrenzten Ruhm der Bausparkasse zu mehren; derselben Stiftung, die die Restaurierung der Villa le Corbusiers in Stuttgart-Weissenhof förderte, die in einigen Wochen vorgestellt wird.
Ge- und Missbrauchskunst
Vor allem aber ist es dem Autor zu verdanken, der die seltene Kombination aus umfassendem Wissen, Verstehen des Gewussten und der Fähigkeit vereinigt, das Verstandene präzise zu beschreiben: Wolfgang Pehnt, dem ehemaligen Verlagslektor und Rundfunkredakteur, heute Professor für Architekturgeschichte in Bochum. Durch seine berufliche Biografie ist er schon zum Teil dieser Geschichtsschreibung geworden - seit er Jürgen Joedickes „Geschichte der modernen Architektur” (1958) betreut hat, dessen Spuren bis zu Vittorio Magnago-Lampugnanis „Architektur und Städtebau des 20. Jahrhunderts” (1980) führten, und seit er selbst das Standardwerk über die „Architektur des Expressionismus” (1998) verfasst hat. Angesichts des jetzt vorgelegten Buchs kann man sich streiten, welches sein opus magnum ist.
Deutsche Architektur seit 1900 - eine merkwürdige Eingrenzung. Warum „deutsche” Architektur? Und warum „seit 1900”? Keine Frage: Deutsche Architekten haben im Verlauf des vorigen Jahrhunderts entscheidende Beiträge geleistet: um 1910, als der Weg zu einem Neuanfang durch Hans Poelzig, Peter Behrens oder Heinrich Tessenow bereitet wurde, in den zwanziger Jahren durch herausragende Architekten wie Mies van der Rohe, Gropius, Mendelsohn oder die Taut-Brüder und durch den - erstmals staatlich geförderten - Wohnungs- und Städtebau für die Masse der Arbeiter und Angestellten. Doch auch wenn man bis heute international hoch renommierte Architekten findet - Pioniere, Erfinder, Gestalter von Ungers über Frei Otto bis Behnisch - rechtfertigt das die thematische Eingrenzung auf Deutschland?
Tatsächlich tut es das nicht; die Rechtfertigung liegt anderswo: Deutschland war immer sehr offen gegenüber ausländischen Architekten, vom Jugendstil-Künstler Henri van de Velde bis zum Reichstag-Umbauer Norman Foster: Insofern wäre der Titel „Architektur in Deutschland” angemessener gewesen - aber Abgrenzung und Beschränkung des Themas sind einfach notwendig.
Die Abgrenzung „seit 1900” wiegt schwerer. Pehnt unterteilt seine Kapitel richtigerweise nach politischen Abschnitten - 1900 bis 1918, 1918 bis 1933 und so weiter. Aber der Einschnitt ,,1900" bedeutet politisch nichts, wie er eingangs selbst erläutert. Hier wäre der Rückgriff auf 1871 sinnvoll gewesen, wenn man denn nicht gleich, unter architekturtheoretischen Aspekten, mit dem Beginn der Moderne um 1780 angefangen hätte - aber dann wäre das Buch doppelt so dick geworden (nicht, dass Pehnt es nicht hätte schreiben können . . .).
Politische Zäsuren als Gliederung für Architekturepochen - das ist konsequent und richtig nicht nur, weil politische Entscheidungen direkte Auswirkungen auf das Bauen haben. Man erinnere sich an die Einfamilienhaus-Ideologie der frühen Jahre der Bundesrepublik, an der wir bis zur heutigen Eigenheimzulage zu knabbern haben! Pehnt verknüpft die Architektur konsequent mit den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ereignissen und versteht sie nicht als reine Stilgeschichte.
Jedes Kapitel beginnt mit einem ganzseitigen Foto, das einen Zeitabschnitt auf den Begriff bringt - das „Dritte Reich” mit marschierenden SA-Kolonnen auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände: Das ist keine Architektur, sondern der Hinweis darauf, dass Architektur eine Gebrauchskunst und, in diesem Fall, eine Missbrauchskunst ist. Welche Spannweite der Autor innerhalb der jeweiligen Epoche anschlägt, lässt sich ebenfalls an diesem Kapitel belegen, das vom Städtebau über die verschiedenen instrumentalisierten Stile bis hin zu den Bunkerbauten des Westwalls, den Konzentrationslagern, der Bombardierung der Städte und den Behelfsbauten für Ausgebombte verläuft.
Die Kunst ist, alle diese verschiedenen Aspekte zu einem Ganzen zu bringen, und die beherrscht Pehnt souverän - später besonders in der Parallelführung von Bundesrepublik und DDR, die nicht als zwei separate Themen, sondern als zwei Seiten derselben Medaille behandelt werden: Knappe, präzise formulierte Sätze, die dennoch aus den Einzelerscheinungen ein Netz knüpfen - das können nicht viele in diesem Metier. Wenn man dann noch die trockene Ironie heraushört, die Pehnt vielen theoretischen Höhenflügen der Architekten, vielen Hohltönen ihrer Sprache entgegegenbringt, dann erinnert das an den Meister selbst, an Julius Posener, der mit seinen „Vorlesungen zur Architektur” und dem Buch über „Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur” (1979) neue Standards der Architekturgeschichtsschreibung gesetzt hatte.
Keine Frage: Posener hat die Messlatte für eine Darstellung hoch gelegt, die Baubeschreibung und Theoriediskussion in den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang stellt. Pehnt würde diese Latte souverän überqueren, wenn ihm eine Eigenschaft von Posener eignete, die diesen einmalig machte: nämlich die Fähigkeit, sich von Eindrücken begeistern zu lassen. Das ist das einzige Manko, dessen man Pehnt bezichtigen kann - eine Temperamentssache: Er beurteilt aus der Distanz des Historikers. Das macht ihn bis in die Architektur der Gegenwart hinein unbestechlich und selbst das letzte Kapitel mit dem Ausblick auf „Schrumpfende Städte” und der Hoffnung auf einen „Architekten mit Widerstandsvermögen” schwergewichtig. Aber manchmal wünschte man als Leser, er zeigte auch, von welchen Bauten oder Architekten er sich begeistern lässt, und warum: Wenn er das vermitteln würde, könnte man seine Freude teilen oder auch nicht. Man könnte sich mit ihm streiten. Er würde nicht nur den interessierten Laien gewinnen, sondern den uninteressierten, der sich von der Begeisterung anstecken ließe.
Ein Standardwerk
Ohne dieses Element ist das Buch: auf Jahrzehnte hinaus das Standardwerk über eine große Epoche deutscher Architektur. Durch die Unterstützung der Wüstenrot-Stiftung ist es so preiswert, dass es sich jeder leisten sollte, der sich für Architektur interessiert. Selbst Architekten. Schließlich gibt es viele Bilder zu sehen.
„Die Geschichte”, schreibt Pehnt am Schluss, „auch die der Architektur, war immer vielseitiger, als ihre Historiker sie dargestellt haben”. Mag sein. Pehnt schreibt jedenfalls eine Geschichte dieses spannenden Jahrhunderts, die der gefühlten Realität sehr nahe kommt.
Ach, eine Bemerkung noch zu den Abbildungen: Kein Verlag kann es sich heute leisten, die Bauten neu fotografieren zu lassen. Tatsache ist aber auch, dass die Amateurfotos des Autors nicht die Qualität professioneller Abbildungen haben, wie sie früher selbstverständlich waren.
GERT KÄHLER
WOLFGANG PEHNT: Deutsche Architektur seit 1900. Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, und Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 592 S., 49,90 Euro.
Bundesrepublik! Hellmut Hombers Friedrich-Ebert-Brücke in Bonn-Nord, 1964-68
Abb. aus dem besprochenen Band
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»Das so kompetent wie lebendig geschriebenes Standartwerk zeichnet 100 Jahre Baugeschichte mit ihren Haupt- und Nebenwegen nach.« Art