Das in Umfang und Abgeschlossenheit einzigartige historisch-biographische Nachschlagewerk enthält biographische Artikel und Einzelporträts von 60.000 Personen, aus der Zeit Karls des Großen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Sie alle haben in ihrer Zeit und darüber hinaus die Geschichte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz geprägt und beeinflußt, ob sie nun in der Öffentlichkeit, in der Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur oder Wissenschaft gewirkt haben. Das Lesen in ihren Lebensläufen vermittelt den Zugang zur Geschichte, durch die Menschen, die Geschichte machten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2003Volle Welt
Leute, Leute: Die Deutsche
Biographische Enzyklopädie
Welchen Band der Taschenbuchausgabe der „Deutschen Biographischen Enzyklopädie” der Leser jeweils in Händen hält, das weiß er nicht: Die näheren Angaben – etwa von Aachen bis Boguslawski – stehen auf dem Buchrücken, nicht aber auf dem Cover. Das ist unpraktisch und vermittelt den Eindruck, das Lexikon sei von Leuten gestaltet worden, die so etwas sonst nicht in die Hand nehmen.
„Diese Enzyklopädie” heißt es in der Einleitung, „verzichtet mit Fleiß auf Bewertungen und Zensuren. Die Herausgeber der zehn Bände waren außerdem genötigt, sich auf die jeweils wichtigsten Informationen zu beschränken. Die Artikel sind viel kürzer gehalten als in dem englischen Pendant der DBE, dem ehrwürdigen „Dictionary of National Biography”, das komplett überarbeitet im Jahr 2004 neu herausgebracht wird. Beide Versionen, das alte DNB aus dem 19. Jahrhundert und die neue Edition, erzählen mehr als die DBE und sind deshalb auch sehr viel umfangreicher. Bei der DBE kommt es eher selten vor, dass ein Artikel so persönlich anhebt wie der Eintrag über Heinrich Julius Klaproth, den Mitbegründer der Orientalistik: „Gegen den Willen seines Vaters”, heißt es da, „begann K. bereits im Alter von 14 Jahren mit dem Selbststudium des Chinesischen.” Da lugt aus einem lediglich 23 Zeilen langen Eintrag die ganze Vita hervor.
Die Herausgeber werden gewusst haben, was sie sich versagen. Und wie zum Ausgleich dafür hat man alles drangesetzt, die kurzen Artikel sprachlich variantenreich abzufassen. Die DBE wirkt deshalb bei aller Knappheit der Einträge nicht wie ein totes Sammelsurium.
Was zeichnet nun die Zeitgenossen aus, die in diesem Lexikon aufgeführt werden? Tot müssen sie sein. Entweder für uns oder für ihre Zeit müssen sie von Bedeutung gewesen sein. Der Geschichtsbegriff der DBE, schrieb der mittlerweile verstorbene Herausgeber Walther Killy, „sucht Auskunft zu geben über möglichst viele Personen, die in der Vergangenheit der deutschsprechenden Gebiete wirksam gewesen sind im Bereich der gesamten Kultur”. Die „deutschsprechenden Gebiete”: das ist ein seltsames Areal. Österreich und die Schweiz gehören natürlich dazu, aber auch viele einzelne Haushalte, insbesondere in Osteuropa, werden wie „deutschsprechende Gebiete” behandelt.
So kommt es, dass der Philosoph Salomon Maimon, der aus dem polnisch- litauischen Ort Sukowiborg stammte, ebenso aufgeführt ist wie Gershom Scholem, der als Gerhard in Berlin geboren wurde, dann aber allem Deutschen den Rücken kehrte. Der aus dem ungarischen Eisenstadt stammende Talmudist Jesaja Berlin hat einen Eintrag, nicht jedoch der 1997 verstorbene Philosoph Isaiah Berlin: In seinem Elternhaus in Riga wurde zwar deutsch gesprochen, doch hat Berlin nicht auf Deutsch publiziert.
Kurz, die DBE hat einen sehr weiten Begriff vom „Deutschen”, der an seinen Rändern etwas ausfranst, was zu mitunter willkürlichen Auslassungen führt. Warum wird ein Berliner Chirurg namens Simon Pallas aufgeführt, nicht aber der in Moskau praktizierende gelehrte deutsche Arzt Friedrich Joseph Haas? Dass Gustav Gründgens erwähnt werden muss, versteht sich, aber warum kommt Klaus Kinsky nicht vor? Zeigt sich darin womöglich doch eine „Bewertung”. Alles in allem ist der Begriff der deutschen Kultur, den die Enzyklopädie vertritt, erfreulich breit, er ähnelt dem der bundesdeutschen Kulturpolitik dieser Jahre, die auch versucht, „deutsch” lieber kulturell als territorial oder gar genetisch zu begreifen.
FRANZISKAAUGSTEIN
WALTHER KILLY u.a. (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie. K. G. Saur Verlag und Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 10 Bände, 255 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Leute, Leute: Die Deutsche
Biographische Enzyklopädie
Welchen Band der Taschenbuchausgabe der „Deutschen Biographischen Enzyklopädie” der Leser jeweils in Händen hält, das weiß er nicht: Die näheren Angaben – etwa von Aachen bis Boguslawski – stehen auf dem Buchrücken, nicht aber auf dem Cover. Das ist unpraktisch und vermittelt den Eindruck, das Lexikon sei von Leuten gestaltet worden, die so etwas sonst nicht in die Hand nehmen.
„Diese Enzyklopädie” heißt es in der Einleitung, „verzichtet mit Fleiß auf Bewertungen und Zensuren. Die Herausgeber der zehn Bände waren außerdem genötigt, sich auf die jeweils wichtigsten Informationen zu beschränken. Die Artikel sind viel kürzer gehalten als in dem englischen Pendant der DBE, dem ehrwürdigen „Dictionary of National Biography”, das komplett überarbeitet im Jahr 2004 neu herausgebracht wird. Beide Versionen, das alte DNB aus dem 19. Jahrhundert und die neue Edition, erzählen mehr als die DBE und sind deshalb auch sehr viel umfangreicher. Bei der DBE kommt es eher selten vor, dass ein Artikel so persönlich anhebt wie der Eintrag über Heinrich Julius Klaproth, den Mitbegründer der Orientalistik: „Gegen den Willen seines Vaters”, heißt es da, „begann K. bereits im Alter von 14 Jahren mit dem Selbststudium des Chinesischen.” Da lugt aus einem lediglich 23 Zeilen langen Eintrag die ganze Vita hervor.
Die Herausgeber werden gewusst haben, was sie sich versagen. Und wie zum Ausgleich dafür hat man alles drangesetzt, die kurzen Artikel sprachlich variantenreich abzufassen. Die DBE wirkt deshalb bei aller Knappheit der Einträge nicht wie ein totes Sammelsurium.
Was zeichnet nun die Zeitgenossen aus, die in diesem Lexikon aufgeführt werden? Tot müssen sie sein. Entweder für uns oder für ihre Zeit müssen sie von Bedeutung gewesen sein. Der Geschichtsbegriff der DBE, schrieb der mittlerweile verstorbene Herausgeber Walther Killy, „sucht Auskunft zu geben über möglichst viele Personen, die in der Vergangenheit der deutschsprechenden Gebiete wirksam gewesen sind im Bereich der gesamten Kultur”. Die „deutschsprechenden Gebiete”: das ist ein seltsames Areal. Österreich und die Schweiz gehören natürlich dazu, aber auch viele einzelne Haushalte, insbesondere in Osteuropa, werden wie „deutschsprechende Gebiete” behandelt.
So kommt es, dass der Philosoph Salomon Maimon, der aus dem polnisch- litauischen Ort Sukowiborg stammte, ebenso aufgeführt ist wie Gershom Scholem, der als Gerhard in Berlin geboren wurde, dann aber allem Deutschen den Rücken kehrte. Der aus dem ungarischen Eisenstadt stammende Talmudist Jesaja Berlin hat einen Eintrag, nicht jedoch der 1997 verstorbene Philosoph Isaiah Berlin: In seinem Elternhaus in Riga wurde zwar deutsch gesprochen, doch hat Berlin nicht auf Deutsch publiziert.
Kurz, die DBE hat einen sehr weiten Begriff vom „Deutschen”, der an seinen Rändern etwas ausfranst, was zu mitunter willkürlichen Auslassungen führt. Warum wird ein Berliner Chirurg namens Simon Pallas aufgeführt, nicht aber der in Moskau praktizierende gelehrte deutsche Arzt Friedrich Joseph Haas? Dass Gustav Gründgens erwähnt werden muss, versteht sich, aber warum kommt Klaus Kinsky nicht vor? Zeigt sich darin womöglich doch eine „Bewertung”. Alles in allem ist der Begriff der deutschen Kultur, den die Enzyklopädie vertritt, erfreulich breit, er ähnelt dem der bundesdeutschen Kulturpolitik dieser Jahre, die auch versucht, „deutsch” lieber kulturell als territorial oder gar genetisch zu begreifen.
FRANZISKAAUGSTEIN
WALTHER KILLY u.a. (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie. K. G. Saur Verlag und Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 10 Bände, 255 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.2001Deutsche Biographische Enzyklopädie, Deutscher Taschenbuchverlag dtv, 6850 Seiten, 498 Mark.
Sie entwickelten gemeinsam die "Theorie der optischen Abbildung", ihre Biographien umklammern die Einträge im jetzt als zehnbändige Taschenbuchausgabe greifbaren Werk "Deutsche Biographische Enzyklopädie": Ernst Abbe und Carl Zeiss. Die Backstein-Expressionisten Norddeutschlands wiederum, Fritz Höger mit seinem in Hamburg erbauten Chilehaus und Bernhard Hoetger, von dem die Böttcherstraße in Bremen stammt, wehte alphabetische Nachbarschaft zusammen. Diese Herren bevölkern mit 60 000 weiteren prominenten und weniger berühmten Deutschen das Pantheon der Kultur, wobei hier der weitherzigen Auslegung Jacob Burckhardts gefolgt wird, alle zu ehren, die in Techniken, Künsten, Dichtungen und Wissenschaften ihre Zeit geprägt haben. Freilich müssen sie schon das Zeitliche gesegnet haben. 1997 war Redaktionsschluß der Enzyklopädie. Dieser kleine Mangel an Aktualität läßt sich verschmerzen, kostet doch die Taschenbuchausgabe nur ein Zehntel des Preises der in Halbleder gebundenen Folianten, die allerdings durch zwei Nachtragsbände mit Berufs- und Ortsregister besser und mit einer lediglich für Käufer dieses Werks vergleichsweise preiswert zu beziehenden CD-ROM gänzlich zu erschließen sind. In der Taschenbuchausgabe aber kann man sich beim Schmökern treiben lassen und beispielsweise zwischen den Zelebritäten der Luftfahrt (Lilienthal wie Junkers, aber auch Jathow, dessen Motorflugzeug vier Monate eher als das der Gebrüder Wright startete), der Automobile (Otto wie Maybach, aber auch Wankel) und der Elektronik (Hertz wie Bruch, aber auch Barkhausen) seine ganz eigenen Entdeckungen machen. Dann treten aus den fast 7000 Seiten der elf Kilogramm schweren Box Persönlichkeiten wie der Landmaschinenkundler Benno Martiny ans Licht, der 1911 die ersten Motorpflugprüfungen in Deutschland vornahm. Blättern in der DBE ist wie Flanieren auf einem virtuellen Friedhof, wo Biographien statt Grabsteine die Kulturträger aller Schattierungen und Gewichtigkeit höchst eindrucksvoll auferstehen lassen. (sci.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sie entwickelten gemeinsam die "Theorie der optischen Abbildung", ihre Biographien umklammern die Einträge im jetzt als zehnbändige Taschenbuchausgabe greifbaren Werk "Deutsche Biographische Enzyklopädie": Ernst Abbe und Carl Zeiss. Die Backstein-Expressionisten Norddeutschlands wiederum, Fritz Höger mit seinem in Hamburg erbauten Chilehaus und Bernhard Hoetger, von dem die Böttcherstraße in Bremen stammt, wehte alphabetische Nachbarschaft zusammen. Diese Herren bevölkern mit 60 000 weiteren prominenten und weniger berühmten Deutschen das Pantheon der Kultur, wobei hier der weitherzigen Auslegung Jacob Burckhardts gefolgt wird, alle zu ehren, die in Techniken, Künsten, Dichtungen und Wissenschaften ihre Zeit geprägt haben. Freilich müssen sie schon das Zeitliche gesegnet haben. 1997 war Redaktionsschluß der Enzyklopädie. Dieser kleine Mangel an Aktualität läßt sich verschmerzen, kostet doch die Taschenbuchausgabe nur ein Zehntel des Preises der in Halbleder gebundenen Folianten, die allerdings durch zwei Nachtragsbände mit Berufs- und Ortsregister besser und mit einer lediglich für Käufer dieses Werks vergleichsweise preiswert zu beziehenden CD-ROM gänzlich zu erschließen sind. In der Taschenbuchausgabe aber kann man sich beim Schmökern treiben lassen und beispielsweise zwischen den Zelebritäten der Luftfahrt (Lilienthal wie Junkers, aber auch Jathow, dessen Motorflugzeug vier Monate eher als das der Gebrüder Wright startete), der Automobile (Otto wie Maybach, aber auch Wankel) und der Elektronik (Hertz wie Bruch, aber auch Barkhausen) seine ganz eigenen Entdeckungen machen. Dann treten aus den fast 7000 Seiten der elf Kilogramm schweren Box Persönlichkeiten wie der Landmaschinenkundler Benno Martiny ans Licht, der 1911 die ersten Motorpflugprüfungen in Deutschland vornahm. Blättern in der DBE ist wie Flanieren auf einem virtuellen Friedhof, wo Biographien statt Grabsteine die Kulturträger aller Schattierungen und Gewichtigkeit höchst eindrucksvoll auferstehen lassen. (sci.)
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