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Von Canossa bis zum Reichstag, vom Nibelungenlied bis zur Familie Mann, vom Weißwurstäquator bis zur Berliner Mauer, vom Dolchstoß bis zu Willy Brandts Kniefall in Warschau - in insgesamt vierzig ebenso klugen wie glänzend geschriebenen Beiträgen präsentieren herausragende Autoren aus dem In- und Ausland die wichtigsten Bezugspunkte im kulturellen Gedächtnis der Deutschen. Band 1 der Deutschen Erinnerungsorte ist der Auftakt zu einem Abenteuer Geschichte, wie es bislang in Deutschland nicht zu erleben war. " Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will" , heißt es in einem…mehr

Produktbeschreibung
Von Canossa bis zum Reichstag, vom Nibelungenlied bis zur Familie Mann, vom Weißwurstäquator bis zur Berliner Mauer, vom Dolchstoß bis zu Willy Brandts Kniefall in Warschau - in insgesamt vierzig ebenso klugen wie glänzend geschriebenen Beiträgen präsentieren herausragende Autoren aus dem In- und Ausland die wichtigsten Bezugspunkte im kulturellen Gedächtnis der Deutschen. Band 1 der Deutschen Erinnerungsorte ist der Auftakt zu einem Abenteuer Geschichte, wie es bislang in Deutschland nicht zu erleben war.
" Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will" , heißt es in einem Roman von Cees Nooteboom. Jeder Mensch steckt voller Erinnerungen, und sein Gedächtnis funktioniert nicht nach festen Regeln, sondern ist weitgehend von Assoziationen und Emotionen bestimmt. Doch nicht nur Individuen bilden ein Gedächtnis aus, sondern auch Gemeinschaften. Gedenkfeiern, Denkmäler, Mythen und Rituale, aber auch die Beschwörung von "herausragenden" Persönlichkeiten, Gegenständen oder geschichtlichen Ereignissen - all diese materiellen und ideellen Erinnerungsorte bilden zusammen das ebenso dichte wie verwirrende Netz der emotionalen, oft heftig umkämpften Bezugspunkte im kollektiven Gedächtnis einer Nation.
In der nun vorliegenden, auf insgesamt drei Bände mit über 100 Beiträgen angelegten "Topographie" deutscher Erinnerung geht es nicht nur um die Geschichte dieser Erinnerungsorte, sondern um die Geschichte ihrer Entstehung als " loci memoriae": Wie und warum wurden Erinnerungsorte zu Kristallisationspunkten des kollektiven Gedächtnisses, und wie veränderte sich der Bedeutungsgehalt dieser Symbole im Laufe der Geschichte bis in die Gegenwart?
Entstanden ist auf diese Weise keine nostalgische Beschwörung des Altbekannten, sondern ein Buch der Entdeckungen, der kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte und ein herausragendes Beispiel lebendiger Erinnerungskultur, kurz: ein atemberaubendes, ebenso gelehrtes wie spannend zu lesendes Geschichts- und Geschichtenbuch, das es in dieser Form in Deutschland bislang nicht gegeben hat.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Etienne Francois ist Begründer des Centre Marc Bloch in Berlin und heute Professor für Geschichte am Frankreich-Zentrum der TU Berlin sowie an der Pariser Sorbonne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Heil dir im Kaffeekranz
Übers Dorf: Hagen Schulze und Etienne François sammeln das Verschwinden / Von Ulrich Raulff

Man denkt an Deutschland nicht nur bei der Nacht. Gelegentlich muß man auch bei Tage erklären, was es mit diesem merkwürdigen Land auf sich hat. Dazu wähle man ein emblematisches Bild, einen typischen Satz, an dem sich weite Bezirke der Nationalseele beschreiben lassen. Zum Beispiel das jedem romantischen Wanderer aus Ausflugslokalen bekannte Schild: "Im Garten nur Kännchen". Der Topos, den der Leser in der ersten Tranche des dreibändigen Werks "Deutsche Gedächtnisorte" am schmerzlichsten vermißt, liegt eine knappe Kanne weiter. Es ist der Beerdigungskaffee. An diesem nationalen Kulturinstitut, einem Seelenort von langer Überlieferung und literarischer Dignität, ließe sich am besten dartun, woran es dem von Hagen Schulze und Etienne François besorgten Jahrhundertwerk am meisten gebricht: nicht an Einfallsreichtum der Kondolenten, sondern an jener höheren Heiterkeit, welche die Trauer über den unwiederbringlichen Verlust ablöst. Vergnüglich nämlich wollte ihre Wissenschaft sein, eine Historie nicht als Widerpart, sondern als verständnisvoller Begleiter des Lebens - und am Ende lehrt sie uns das Schaudern vor der Endlichkeit der Erinnerung: tragisches Ende eines Beerdigungskaffees.

Zwanzig Jahre sind vergangen, seit Pierre Nora sein berühmtes Projekt der französischen lieux de mémoire zuerst vorstellte, das schließlich in sieben immer fetteren Bänden seinen Abschluß fand. Zwanzig Jahre, und doch besteht wenig Grund zum Spott über die verspätete Nation. Nora ist zwar viel zitiert und übersetzt, aber wenig übertragen und appliziert worden, und so stellt das Werk von François, Schulze & Co. tatsächlich ein bemerkenswertes Pionierunternehmen dar. Zumal die beiden Herausgeber, ausgewiesene Kenner der neueren deutschen und europäischen Geschichte, sich gehütet haben, in der deutschen Geschichte nach französischem Rezept zu kochen. Denn das deutsche Gedächtnis hat andere Narben und Lücken als das französische. Entsprechend ruinöser, kritischer sind seine Orte.

Mit dem aus der Rhetorik übertragenen Konzept der "Gedächtnisorte" wollte Nora eine Geschichte der Nation im postnationalen Zeitalter schreiben. Analog zum Begriff des "offenen Kunstwerks" sollte eine offene Geschichte entstehen, die dem subjektiven, fragmentarischen und polemischen Charakter des Gedächtnisses mehr vertraute als den abgeklärten Hervorbringungen der Geschichtswissenschaft. Eine Neugeburt der Historie aus dem Geist der Anthropologie - und zugleich Selbstreflexion der Geschichtsschreibung auf ihren Bankrott im Zeitalter des institutionalisierten und politisierten Gedenkens. An den "Orten" in vielerlei Gestalt - Symbole, Bauten, Bücher, Bilder, Lieder und Insignien von Nation und Republik - fand das nationale Gedächtnis seine letzte Zuflucht, in denselben Orten aber dokumentierte sich auch die Verstreuung des gemeinsamen Leid- und Glücksschatzes.

Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald", schrieb 1949 Richard Alewyn, und in gewisser Weise läßt sich dieses Diktum auf die gesamte Geschichte der Deutschen erweitern. Auch andere nationale Gedächtnisse haben ihre verfluchten Inseln, sie heißen Revolution oder Sezession, Vendée oder Vietnam. Den Zivilisationsbruch aber kennt nur die deutsche Geschichte; sie als einzige hat das Undenkbare als Denknotwendigkeit akzeptiert. Wer hier auf dem Weg zu den Gedächtnisorten in die Tiefe steigt, zahlt Entschädigung für Jahre der historisch-semantischen Zwangsarbeit. Denn alle Gedächtnisgeschichte ist Deutungsgeschichte, und zu den Siegen, die Hitler nicht mehr zu entreißen sind, gehört die restlose Zerstörung des Kontinuums überlieferter Bedeutungen.

Da das zwanzigste Jahrhundert weniger im Guten denn im Bösen "das deutsche Jahrhundert" geworden ist, glauben die Herausgeber sich berechtigt, sich bei der Auswahl der Gedächtnisorte stark auf die beiden letzten Jahrhunderte zu konzentrieren. Hätte ein Mediävist im Herausgebergremium anders optiert? fragt sich der Leser. Und freut sich umgekehrt über den klugen Schachzug, mit dem François und Schulze den dezentralen Besonderheiten der deutschen Geschichte methodisch Kapital abgewinnen. Weil nämlich die deutschen Geschichten auf so vielen Linien liefen, erst spät durch die Nation totalisiert und wenige Jahrzehnte danach schon wieder gebrochen wurden, haben sich die beiden Archäologen des Gedächtnisses dafür entschieden, bevorzugt die europäischen Verbindungen der deutschen Seele auszugraben. Im ersten Band zeigt sich das gleich mehrmals, etwa in den zweiseitigen Betrachtungen (Charlemagne - Karl der Große oder Tannenberg - Grunwald) ein und desselben Gedächtnisorts, die Modellcharakter für künftige europäische Geschichten haben könnten.

Andere Grenzen haben die Herausgeber weniger leicht überschritten. Schon die Lektüre des ersten Bandes und ein Blick ins Inhaltsverzeichnis der beiden für den Herbst angekündigten Folgebände zeigt die Beschränkung auf die gute Stube der Geschichtsschreibung. Die Literatur- und Kunstgeschichte kommt zu kurz - wie kann man "Deutsche Gedächtnisorte" ohne den "Faust" und ohne das Stichwort "Dürer" wagen? Die Abteilung "Bildung", angekündigt für den dritten Band, springt von Rahel Varnhagen zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft - und da ist kein Luther, nirgends, und kein Katechismus, keine Volksschule und kein Wilhelm Busch, da ist vor allem, und das ist gravierend, kein "Rembrandt als Erzieher". Wie denn überhaupt, sieht man von dem großartigen Auftakt des ersten Bandes mit Felix Dahns "Kampf um Rom", wiedergelesen von Arnold Esch, ab, die Bücher und Bilder, auch die Lieder der Deutschen nicht so präsent sind, wie sie es zu sein verdienten. Die Matratzengruft von Paris ist da, gottlob, doch was ist mit dem Grab in Highgate, was mit demjenigen auf dem Friedhof von Minusio - sind das keine deutschen Gedächtnisorte? Schmerzlich vermißt man zentrale Namen wie Krupp, Rosa Luxemburg und Konrad Adenauer, ungern verzichtet man auf Einträge wie die Normierung 08/15, von der man ebenso rasch auf eine Via regia zur deutschen Seele im industriellen Zeitalter gelangt wäre wie von dem besagten Kännchen im Garten. Doch man kann nicht alles haben.

Und man bekommt ja nicht wenig. Exemplarisch gut gelungen ist der Beitrag von Hagen Schulze über Versailles, der in Zügen von geradezu mathematischer Eleganz den Aufstieg dieses französischen Ortes zum deutschen Triumph- und Haßtopos ersten Ranges und sein allmähliches Verglühen im Gedächtnishintergrund nachzeichnet. Großartig in ihrer souveränen Materialbeherrschung - und das heißt bei dieser gedrängten, essayistischen Behandlungsart immer Verdichtung - sind die Beiträge von Otto Gerhard Oexle über Canossa, Gerd Krumeich über die Dolchstoßlegende und Georg Bollenbeck über Weimar. Bestechend klar ist Heinz Dieter Kittsteiners Kurzgeschichte des deutschen Idealismus, ein dramaturgisches Kabinettstück Joachim Fests Darstellung der letzten Stunden im Führerbunker. Eigentümlich schief wirkt demgegenüber der Beitrag von Dieter Borchmeyer über Goethe, der sich wenig für seinen Helden, um so mehr aber für dessen parodistischen Gegenspieler Pustkuchen interessiert. Noch mehr zu beklagen ist das Versagen vor einem so "heißen" Gedächtnisort wie Nietzsche: Steven E. Aschheim gibt nur die erste Hälfte der hundertjährigen Lebens- und Leidensgeschichte der Deutschen mit diesem Denker richtig wieder, verkürzt aber die NS-Deutungsgeschichte und Heideggers Gegenprojekt, versagt schließlich völlig vor den dramatischen Auseinandersetzungen Benns und Thomas Manns mit Nietzsche und seiner allmählichen Entgiftung durch Löwith und Schlechta: Hier wurde eine große Chance vertan.

Ihre Chance gut genutzt haben hingegen Anne G. Kosfeld in ihren Überlegungen zu Nürnberg und Wolfgang Ullrich in den seinen zum Bamberger Reiter und zu Uta von Naumburg - die eine, weil sie darstellt, wie die Bürger seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts selbst ihre Stadt planmäßig zum Gedächtnisort ausbauten, der andere, weil er die späte Geburt zweier vermeintlich alter Gedächtnisorte mit lichtbildnerischen Mitteln beschreibt.

Ein ähnliches Maß an Sensibilität für den eigenen historischen Standort hätte man auch dem Unternehmen von François und Schulze gewünscht. Aber anders als Nora, der sein Projekt zeitdiagnostisch betrieb, meiden François und Schulze die riskanteren Spiele der Selbsterkenntnis. Nun gibt es zwei Auffassungen der Gedächtnisgeschichte, pausbäckig und positiv die eine, schalkhaft und destruktiv die andere. Die eine sieht sich als Erbin aller historisch-anthropologischer Einsprüche gegen die wissenschaftliche Geschichte seit Nietzsche, Péguy und Halbwachs, eine existentialistische Geschichte, die registriert, woran die Menschen in Gemeinschaft festgehalten haben: eine geglaubte Vergangenheit diesseits der kalten Vergangenheit der Historie. Die andere sieht sich als ironische Aufzeichnung der immensen Vergessensleistungen, die der historische Sinn der Europäer in dem Bemühen vollbracht hat, die gesamte Vergangenheit in der Form der Nationalgeschichte abzuspeichern: keine Begriffs-, sondern eine Vergriffsgeschichte. Die eine erzählt Bewahrensgeschichten, die andere Verschwindensgeschichten. Auch die "Deutschen Gedächtnisorte" möchten Bewahrensgeschichten erzählen, ermitteln aber lauter Vergessensgeschichten.

Dabei haben die Herausgeber, ach! darauf verzichtet, eine Liste der erkalteten Gedächtnisorte aufzumachen: Germania, die Gotik, Helgoland, Sedan, Troja und die Kolonien, Hugo Eckener und der Busento bei Cosenza . . . Und trotzdem endet jeder zweite der Beiträge mit der melancholischen Feststellung, daß auch der soeben beschriebene Gedächtnisort in spätestens einer Generation versunken und vom Vergessen überspült sein wird, weil die nachwachsenden Geschlechter sich bei der Erwähnung von Felix Dahn und der Schlacht von Tannenberg verständnislos durchs Haargel fahren. Ballermann eignet sich eben nicht zum Gedächtnisort, und die Generation Golf gibt sich mit der Erinnerung an die Ritterburg von Playmobil zufrieden. Die Zerstörung der Vergangenheit, verstanden als Bruch der Überlieferungsketten, hat Eric Hobsbawm geschrieben, den das Vorwort zitiert, sei die bestürzendste Erfahrung der Europäer an der Schwelle zum dritten Jahrtausend - eine Erfahrung, die die "Deutschen Gedächtnisorte" widerspiegeln, ohne sie zu reflektieren. Was sie erfassen, sind nicht die deutschen Gedächtnisorte, sondern unsere Gedächtnisorte, wie sie gerade noch auftauchen auf der Benutzeroberfläche der Jetztzeit.

Die PC-Metapher ist so abwegig nicht. Tatsächlich bieten die "Deutschen Gedächtnisorte" anhand vielfach vernetzter Knotenpunkte eine zeitgemäße Form der Geschichtsvermittlung. Je nachdem, wie man das Buch liest, glaubt man durch eine Reihe von Drehbüchern für den Kulturkanal zu blättern oder ein Skript für eine Ausstellung in der Hand zu halten. Deutlich verspürt man das Bestreben, sozusagen die Entelechie dieser Geschichtsschreibung, aus der Zweidimensionalität monographischer Behandlung in eine andere, mediale oder monumentale Körperlichkeit auszubrechen. Und entspricht das nicht ihrer eigentümlichen Genese? Denn die Gedächtnisgeschichte ist eine vielhändige Schreibarbeit, an der zahllose Autoren und Generationen von Autoren mitgewirkt haben. Diese Schreibarbeit zu entziffern, in der Tradition der Brüder Grimm nicht die Naturpoesie des deutschen Volkes, sondern dessen eigentümliche Geschichtspoesie einzufangen - dies ist der Sinn des Unternehmens, das Etienne François und Hagen Schulze gewagt haben. Sagen wir, es sei gelungen.

Etienne François, Hagen Schulze (Hrsg.): "Deutsche Erinnerungsorte". Band 1. C. H. Beck Verlag, München 2001. 725 S., 77 Abb., geb., 68,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Den Herausgebern dieses Bandes spricht der Rezensent sein Placet aus. Das, obgleich Ulrich Raulff sich gefragt hat, wieso man sich bei der Auswahl der Gedächtnisorte so stark auf die beiden letzten Jahrhunderte und überhaupt im wesentlichen auf "die gute Stube der Geschichtsschreibung" konzentriert hat. Literatur- und Kunstgeschichte, findet er, kommen dagegen zu kurz, nicht mal den "Faust" hat er hier finden können oder einen Eintrag unter dem Stichwort "Dürer". Auf eine ansehnliche Menge anregender Texte ist Raulff dennoch gestoßen, so etwa Joachim Fests Darstellung der letzten Stunden im Führerbunker, um nur eines der vielen vom Rezensenten lobend erwähnten Beispiele zu nennen. Deren vielfache Vernetzung innerhalb des Bandes, über die uns Raulff nebenbei gesagt gern hätte mehr erzählen dürfen, lässt ihn von diesem auf drei Bände angelegten Unterfangen als von einer "zeitgemäßen Form der Geschichtsvermittlung" sprechen.

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