Dieses Buch bietet einen kompakten Überblick über die Geschichte des römisch-deutschen Reiches von seinen Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Es vermittelt die Grundzüge der politischen Geschichte, gibt aber auch einen Einblick in zentrale Aspekte von Gesellschaft und Kultur. Damit werden Strukturen und Tendenzen verständlich gemacht, welche die deutsche Geschichte bis zum Beginn der Moderne, ja teilweise bis in die jüngste Vergangenheit hinein geprägt haben.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2005Was war das Mittelalter?
Frank Rexroths Darstellung eines erfundenen Phänomens
Eine deutsche Geschichte im Mittelalter auf wenig Raum skizzieren zu wollen, ist ein gewagtes Unterfangen. Es erfordert den Überblick über den Stoff, die Fähigkeit zur Verdichtung und Abstraktion, Problembewusstsein und nicht zuletzt den Mut zur Lücke. Frank Rexroth, Professor für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen, bringt auf exzellente Weise diese Dinge in seinen anspruchsvollen Versuch ein, diese Jahrhunderte zu fassen, von denen wir auch heute in der Gegenwart noch so viel spüren.
Zur Einführung stellt Rexroth drei äußerst wichtige Fragen: „Welches Mittelalter? Inwiefern deutsch? Was ist der Gegenstand einer ,Deutschen Geschichte im Mittelalter?” Das zieht den Leser direkt zu den zentralen, oft erörterten und schwierigsten Fragen der mittelalterlichen Geschichte. Denn „das Mittelalter” ist als ein Deutungsmuster der Selbstvergewisserung, als eine Denkstruktur zu fassen, bei der eine geschichtliche Zeit zu einem Bild gedeuteter Geschichte geformt worden ist und immer noch wird. Nach der Vorstellung einer Abfolge von Weltaltern und Weltreichen wurde erst in der Neuzeit der Begriff des „Mittelalters” geprägt, der damit selbst als historisch zu sehen ist. Und in der Genese des Denkens der Moderne stellte das „Mittelalter” einen zentralen Bezugspunkt dar, an dem sich Epochenbegriffe wie Antike, Renaissance oder Moderne sogar selbst orientierten, wie die Forschungen Otto Gerhard Oexles, auf die sich Rexroth bezieht, ergeben haben.
Das „Mittelalter” ist in zwei Hauptdeutungen in den Vorstellungen bis heute präsent: zum einen das finstere, rückständige, das zu überwinden der Moderne anstand, und zum anderen das geordnete, in sich ruhende, das als leider verlorener Zustand in der romantischen Reflexion empfunden wurde, die das Unbehagen an der modernen Industriegesellschaft zu kompensieren suchte. Von beiden Deutungen in ihren heutigen populären Formen bekommen wir einen Eindruck mit schal-wässrigem Geschmack, wenn wir an den verdrehten Klamauk der zahlreichen Rittermärkte denken.
Ebenso interessant für die Zeit des Mittelalters ist die Frage nach der Enthnogenese der Deutschen. Was war denn zuerst da, das Reich oder die Nation? Gründeten die Deutschen ihr Reich oder hat erst eine politische Struktur, ein gemeinsames Beherrschtsein, den Menschen dazu verholfen, ein Identitätsbewusstsein als Deutsche auszuprägen? Gab es überhaupt eine Gesellschaft der Deutschen? Gab es einen Staat? Lief die deutsche Geschichte auf etwas hinaus?
Seit wann gibt es Deutsche?
In all diese grundsätzlichen Fragen führt Rexroth kompetent ein. Dann strukturiert er den Stoff in drei Großkapiteln: Das erste behandelt die Wandlung vom Karolingerreich zum Reich der Deutschen von etwa 800 bis 1075. Das zweite reicht von 1075 bis zum Ende der Stauferzeit, also der Mitte des 13. Jahrhunderts. In einem dritten beschreibt er das Reich im späten Mittelalter bis 1495. In die Darstellung sind grundsätzliche Fragen der modernen mediävistischen Forschung eingewoben. So werden der Weg der dualistischen Reichsverfassung, die Frage nach der Herrschaft als Nachahmung staufischer Vorbilder oder die nach einem hegemonialem Königtum behandelt. Daneben entwirft Rexroth Sozialmodelle der Vormoderne, wie die der Stände, der Gilden sowie der Adelsherrschaft. Zudem erörtert er die Frage nach der vielbeschworenen Krise im Spätmittelalter und der Spannung zwischen Beten oder Studieren, zwischen Frömmigkeit und ersten Universitäten. So bietet Rexroth einen gelungenen Überblick über die politische Geschichte und zugleich über die Strukturen dieser Gesellschaften. Als Ausblick lockt er den Leser in eine neue Welt, die mit der Wirkungsgeschichte des Römisch-deutschen Reiches zusammenhängt: die Humanisten entdecken die deutsche Nation. Darüber würde man gern noch viel mehr wissen, aber das wäre schon ein anderes Buch.
Wer nach der detaillierten Ereignisgeschichte des Mittelalters in Deutschland sucht, greift besser zu anderen Werken. Wer sich jedoch über die strukturellen und mentalen Besonderheiten des Mittelalters, das Phänomen des Reiches, informieren will, wird in diesem Buch gut bedient. Die Literaturhinweise beginnen mit dem Satz: „Wichtig ist zu wissen, dass es das Lexikon des Mittelalters gibt.” Wie wichtig genau diese Bemerkung ist, wird vor allem auch der schätzen, der Studenten immer und immer wieder dieses Nachschlagewerk ans Herz zu legen sich müht.
OLAF B. RADER
FRANK REXROTH: Deutsche Geschichte im Mittelalter. C. H. Beck, München 2005. 127 Seiten, 7,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frank Rexroths Darstellung eines erfundenen Phänomens
Eine deutsche Geschichte im Mittelalter auf wenig Raum skizzieren zu wollen, ist ein gewagtes Unterfangen. Es erfordert den Überblick über den Stoff, die Fähigkeit zur Verdichtung und Abstraktion, Problembewusstsein und nicht zuletzt den Mut zur Lücke. Frank Rexroth, Professor für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen, bringt auf exzellente Weise diese Dinge in seinen anspruchsvollen Versuch ein, diese Jahrhunderte zu fassen, von denen wir auch heute in der Gegenwart noch so viel spüren.
Zur Einführung stellt Rexroth drei äußerst wichtige Fragen: „Welches Mittelalter? Inwiefern deutsch? Was ist der Gegenstand einer ,Deutschen Geschichte im Mittelalter?” Das zieht den Leser direkt zu den zentralen, oft erörterten und schwierigsten Fragen der mittelalterlichen Geschichte. Denn „das Mittelalter” ist als ein Deutungsmuster der Selbstvergewisserung, als eine Denkstruktur zu fassen, bei der eine geschichtliche Zeit zu einem Bild gedeuteter Geschichte geformt worden ist und immer noch wird. Nach der Vorstellung einer Abfolge von Weltaltern und Weltreichen wurde erst in der Neuzeit der Begriff des „Mittelalters” geprägt, der damit selbst als historisch zu sehen ist. Und in der Genese des Denkens der Moderne stellte das „Mittelalter” einen zentralen Bezugspunkt dar, an dem sich Epochenbegriffe wie Antike, Renaissance oder Moderne sogar selbst orientierten, wie die Forschungen Otto Gerhard Oexles, auf die sich Rexroth bezieht, ergeben haben.
Das „Mittelalter” ist in zwei Hauptdeutungen in den Vorstellungen bis heute präsent: zum einen das finstere, rückständige, das zu überwinden der Moderne anstand, und zum anderen das geordnete, in sich ruhende, das als leider verlorener Zustand in der romantischen Reflexion empfunden wurde, die das Unbehagen an der modernen Industriegesellschaft zu kompensieren suchte. Von beiden Deutungen in ihren heutigen populären Formen bekommen wir einen Eindruck mit schal-wässrigem Geschmack, wenn wir an den verdrehten Klamauk der zahlreichen Rittermärkte denken.
Ebenso interessant für die Zeit des Mittelalters ist die Frage nach der Enthnogenese der Deutschen. Was war denn zuerst da, das Reich oder die Nation? Gründeten die Deutschen ihr Reich oder hat erst eine politische Struktur, ein gemeinsames Beherrschtsein, den Menschen dazu verholfen, ein Identitätsbewusstsein als Deutsche auszuprägen? Gab es überhaupt eine Gesellschaft der Deutschen? Gab es einen Staat? Lief die deutsche Geschichte auf etwas hinaus?
Seit wann gibt es Deutsche?
In all diese grundsätzlichen Fragen führt Rexroth kompetent ein. Dann strukturiert er den Stoff in drei Großkapiteln: Das erste behandelt die Wandlung vom Karolingerreich zum Reich der Deutschen von etwa 800 bis 1075. Das zweite reicht von 1075 bis zum Ende der Stauferzeit, also der Mitte des 13. Jahrhunderts. In einem dritten beschreibt er das Reich im späten Mittelalter bis 1495. In die Darstellung sind grundsätzliche Fragen der modernen mediävistischen Forschung eingewoben. So werden der Weg der dualistischen Reichsverfassung, die Frage nach der Herrschaft als Nachahmung staufischer Vorbilder oder die nach einem hegemonialem Königtum behandelt. Daneben entwirft Rexroth Sozialmodelle der Vormoderne, wie die der Stände, der Gilden sowie der Adelsherrschaft. Zudem erörtert er die Frage nach der vielbeschworenen Krise im Spätmittelalter und der Spannung zwischen Beten oder Studieren, zwischen Frömmigkeit und ersten Universitäten. So bietet Rexroth einen gelungenen Überblick über die politische Geschichte und zugleich über die Strukturen dieser Gesellschaften. Als Ausblick lockt er den Leser in eine neue Welt, die mit der Wirkungsgeschichte des Römisch-deutschen Reiches zusammenhängt: die Humanisten entdecken die deutsche Nation. Darüber würde man gern noch viel mehr wissen, aber das wäre schon ein anderes Buch.
Wer nach der detaillierten Ereignisgeschichte des Mittelalters in Deutschland sucht, greift besser zu anderen Werken. Wer sich jedoch über die strukturellen und mentalen Besonderheiten des Mittelalters, das Phänomen des Reiches, informieren will, wird in diesem Buch gut bedient. Die Literaturhinweise beginnen mit dem Satz: „Wichtig ist zu wissen, dass es das Lexikon des Mittelalters gibt.” Wie wichtig genau diese Bemerkung ist, wird vor allem auch der schätzen, der Studenten immer und immer wieder dieses Nachschlagewerk ans Herz zu legen sich müht.
OLAF B. RADER
FRANK REXROTH: Deutsche Geschichte im Mittelalter. C. H. Beck, München 2005. 127 Seiten, 7,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rundum gelungen findet Rezensent Olaf B. Rader diesen Versuch Frank Rexroths, die "Deutsche Geschichte im Mittelalter" in einem knappen Band darzustellen. Er attestiert dem Autor, Überblick über den Stoff, die Fähigkeit zur Verdichtung und Abstraktion, Problembewusstsein und nicht zuletzt den Mut zur Lücke "auf exzellente Weise" zusammenzubringen. Rexroth gelinge es, den Leser "kompetent" in die "zentralen, oft erörterten und schwierigsten Fragen" der mittelalterlichen Geschichte einzuführen. Wie Rader berichtet, gliedert Rexroth seinen Stoff in drei Großkapitel, von der Wandlung vom Karolingerreich zum Reich der Deutschen (etwa 800 bis 1075) über das Ende der Stauferzeit Mitte des 13. Jahrhunderts hin zum das Reich im späten Mittelalter bis 1495. Rader hebt hervor, dass in die Darstellung grundsätzliche Fragen der modernen mediävistischen Forschung eingewoben sind. Insgesamt biete Rexroth nicht nur einen Überblick über die politische Geschichte, sondern auch über die Strukturen dieser Gesellschaften. Eine "detaillierte Ereignisgeschichte" des Mittelalters in Deutschland kann dieser Band nach Ansicht Raders nicht ersetzen. Wer danach sucht, empfiehlt er, greife nach einem anderen Werk. "Wer sich jedoch über die strukturellen und mentalen Besonderheiten des Mittelalters, das Phänomen des Reiches, informieren will", resümiert der Rezensent, "wird in diesem Buch gut bedient".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH