Für alle vier Bände: Eine neue "gesamtdeutsche" Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, in der die Teilung und die Einheit Deutschlands im Mittelpunkt stehen. Professor Steininger hat auf der Basis neuester Quellen ein vierbändiges Kompendium entwickelt, das aus luziden Darstellungen und umfangreichen Sammlungen von Dokumenten besteht. Beigegeben sind Abbildungen und Faksimiles ebenso wie Literaturverzeichnisse, Zeittafeln sowie ausführliche Personen-, Sach- und Ortsregister. Dieses Orientierung stiftende Werk richtet sich nicht nur an Fachleute, sondern gehört vor allem in die Bücherregale eines jeden bildungswilligen Menschen in der Post-PISA-Phase. Der Autor ist sehr erfahren und hat sich mit wegweisenden Büchern und vielfach preisgekrönten Film-, Fernseh- und Hörfunkdokumentationen zu zeitgeschichtlichen Themen einen großen Namen gemacht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2003Auf Wurzelsuche
Dokumente zur deutschen Geschichte seit 1955
Rolf Steininger: Deutsche Geschichte. Darstellung und Dokumente in vier Bänden. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2002. Band 3 (1955-1974), 454 Seiten, und Band 4 (1974 bis zur Gegenwart), 499 Seiten, je Band 13,90 [Euro].
Während des vergangenen Bundestagswahlkampfs begann ein Zeitungsleitartikel mit der Behauptung, es sei "schon eine neue Erfahrung", daß bei der Wahlentscheidung die Außenpolitik - gemeint war natürlich die Irak-Frage - "eine wichtige Rolle spielen soll". Offenbar sind die dramatischen Kämpfe, die jedenfalls bei Wahlen in der alten Bundesrepublik um außenpolitische Fragen ausgefochten wurden - etwa die Kontroversen um die Westintegration, um die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition oder um den Nato-Doppelbeschluß -, selbst bei professionellen Beobachtern der politischen Szenerie in Vergessenheit geraten. Manchmal drängt sich der Eindruck auf, daß allzu viele Angehörige gerade der intellektuellen Elite heutzutage zwar ein Bild von zentralen Aspekten des "Dritten Reiches" haben, jedoch die Ereignisse und Vorgänge nach dem Zweiten Weltkrieg nur selektiv wahrnehmen, nicht selten sogar reduziert auf die Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre. Jedenfalls scheint die Gefahr zu bestehen, daß die heute bestimmenden Generationen ihre ureigene Geschichte verlieren und die heranwachsenden Generationen ihre historischen Wurzeln nicht mehr kennen.
Bücher wie die Biographie Willy Brandts aus der Feder Peter Merseburgers werden der Gefahr gewiß entgegenwirken. Aber ebenso notwendig sind Materialien und Hilfsmittel, mit denen Lehrer, Schüler und Studenten arbeiten können. Daher ist es sehr zu begrüßen, daß der Fischer Taschenbuch Verlag jetzt Band 3 und 4 einer Sammlung wichtiger Dokumente zur deutschen Geschichte zwischen 1955 und unseren Tagen vorgelegt hat, mit denen zwei Vorläuferbände ergänzt und fortgesetzt werden; Edition und Kommentar sind, wie schon zuvor, das Werk Rolf Steiningers.
Zunächst ist zu sagen, daß die beiden Studienbücher klar gegliedert, übersichtlich und folglich leicht zu handhaben sind. Nicht der geringste Vorzug der Gliederung besteht darin, daß Steininger für jede Phase der Entwicklung das Geschehen in der Bundesrepublik und der DDR parallel behandelt; der Erkenntnisgewinn ist unverkennbar. Steininger, der zu den besten Kennern der neuesten deutschen Zeitgeschichte zählt, ist überdies Garant für die wissenschaftliche Solidität der Auswahl der Dokumente. In den letzten Jahren sind nicht wenige exzellente und gewichtige Quelleneditionen erschienen, zum Beispiel die vom Institut für Zeitgeschichte herausgegebenen "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland"; Bearbeiter von Dokumentenkompendien zur deutschen Nachkriegsgeschichte dürfen also mittlerweile aus dem vollen schöpfen. Aber um schöpfen zu können, muß man die Quellen kennen, und das ist bei Steininger der Fall, dem außerdem auch jene Schätze kein Geheimnis sind, die unediert in den Archiven lagern.
Wer sich bequem und rasch einen guten Überblick über die Stationen der internationalen Positionierung der beiden deutschen Staaten und nicht zuletzt über die deutsch-deutschen Beziehungen verschaffen will, findet trefflich ausgewählte Dokumente und hilfreiche Erläuterungen. Angesichts dieser Qualität kann es als läßliche Sünde gelten, daß im Kommentar manchmal Einschübe auftauchen, die offensichtlich nur der Befriedigung eines Dranges des Herausgebers und nicht der Unterrichtung der Leser dienen. Zum Beispiel ließ sich Steininger, obwohl sein Unternehmen ein Literaturbericht weder sein will noch sein kann, in Band 3 unvermittelt zu einem Vergleich der Adenauer-Biographien von Hans-Peter Schwarz und Henning Köhler hinreißen, der notwendigerweise unscharf ausgefallen ist, beiden Werken nicht gerecht wird und den Benutzer in völlige Verwirrung stürzt. Gelegentlich wird auch der Herausgeber Steininger vom Forscher Steininger auf die Seite gedrängt. So teilt er an einer Stelle mit, jüngst aufgefundene Dokumente aus dem sowjetischen Außenministerium bestätigten seine, Steiningers, Interpretation der notorischen Stalin-Note vom 10. März 1952. Er sagt aber nicht, wie denn diese Interpretation aussieht, und er kann danach logischerweise keine Argumente bieten, inwiefern die aufgefundenen Quellen seine Version jenes Notengefechts stützen; abermals bleibt der Leser etwas ratlos.
Aber das sind Randerscheinungen, die den Wert der beiden Bände nicht mindern. Allerdings muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß der Titel etwas verspricht, das dann nicht gehalten wird. Wir haben es hier nicht mit einer "Deutschen Geschichte" im vollen Sinne dieses Begriffs zu tun. Innenpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik werden nur ab und an flüchtig berührt, nie erhellend dargestellt. Zum Beispiel wird die Anfang 1957 eingeführte dynamische Rente, eine politisch stabilisierende, wenn auch unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten vielleicht etwas problematische Leistung des zweiten Kabinetts Adenauer, zwar einmal erwähnt. Jedoch werden weder Gründe und Vorgeschichte dargeboten noch Bedeutung und Wirkung klargemacht. Die Dokumentensammlung ist um ein großes Thema gruppiert: die Entstehung und Verfestigung der Spaltung Deutschlands, die Auseinanderentwicklung der beiden deutschen Staaten und schließlich deren Wiedervereinigung.
HERMANN GRAML
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dokumente zur deutschen Geschichte seit 1955
Rolf Steininger: Deutsche Geschichte. Darstellung und Dokumente in vier Bänden. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2002. Band 3 (1955-1974), 454 Seiten, und Band 4 (1974 bis zur Gegenwart), 499 Seiten, je Band 13,90 [Euro].
Während des vergangenen Bundestagswahlkampfs begann ein Zeitungsleitartikel mit der Behauptung, es sei "schon eine neue Erfahrung", daß bei der Wahlentscheidung die Außenpolitik - gemeint war natürlich die Irak-Frage - "eine wichtige Rolle spielen soll". Offenbar sind die dramatischen Kämpfe, die jedenfalls bei Wahlen in der alten Bundesrepublik um außenpolitische Fragen ausgefochten wurden - etwa die Kontroversen um die Westintegration, um die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition oder um den Nato-Doppelbeschluß -, selbst bei professionellen Beobachtern der politischen Szenerie in Vergessenheit geraten. Manchmal drängt sich der Eindruck auf, daß allzu viele Angehörige gerade der intellektuellen Elite heutzutage zwar ein Bild von zentralen Aspekten des "Dritten Reiches" haben, jedoch die Ereignisse und Vorgänge nach dem Zweiten Weltkrieg nur selektiv wahrnehmen, nicht selten sogar reduziert auf die Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre. Jedenfalls scheint die Gefahr zu bestehen, daß die heute bestimmenden Generationen ihre ureigene Geschichte verlieren und die heranwachsenden Generationen ihre historischen Wurzeln nicht mehr kennen.
Bücher wie die Biographie Willy Brandts aus der Feder Peter Merseburgers werden der Gefahr gewiß entgegenwirken. Aber ebenso notwendig sind Materialien und Hilfsmittel, mit denen Lehrer, Schüler und Studenten arbeiten können. Daher ist es sehr zu begrüßen, daß der Fischer Taschenbuch Verlag jetzt Band 3 und 4 einer Sammlung wichtiger Dokumente zur deutschen Geschichte zwischen 1955 und unseren Tagen vorgelegt hat, mit denen zwei Vorläuferbände ergänzt und fortgesetzt werden; Edition und Kommentar sind, wie schon zuvor, das Werk Rolf Steiningers.
Zunächst ist zu sagen, daß die beiden Studienbücher klar gegliedert, übersichtlich und folglich leicht zu handhaben sind. Nicht der geringste Vorzug der Gliederung besteht darin, daß Steininger für jede Phase der Entwicklung das Geschehen in der Bundesrepublik und der DDR parallel behandelt; der Erkenntnisgewinn ist unverkennbar. Steininger, der zu den besten Kennern der neuesten deutschen Zeitgeschichte zählt, ist überdies Garant für die wissenschaftliche Solidität der Auswahl der Dokumente. In den letzten Jahren sind nicht wenige exzellente und gewichtige Quelleneditionen erschienen, zum Beispiel die vom Institut für Zeitgeschichte herausgegebenen "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland"; Bearbeiter von Dokumentenkompendien zur deutschen Nachkriegsgeschichte dürfen also mittlerweile aus dem vollen schöpfen. Aber um schöpfen zu können, muß man die Quellen kennen, und das ist bei Steininger der Fall, dem außerdem auch jene Schätze kein Geheimnis sind, die unediert in den Archiven lagern.
Wer sich bequem und rasch einen guten Überblick über die Stationen der internationalen Positionierung der beiden deutschen Staaten und nicht zuletzt über die deutsch-deutschen Beziehungen verschaffen will, findet trefflich ausgewählte Dokumente und hilfreiche Erläuterungen. Angesichts dieser Qualität kann es als läßliche Sünde gelten, daß im Kommentar manchmal Einschübe auftauchen, die offensichtlich nur der Befriedigung eines Dranges des Herausgebers und nicht der Unterrichtung der Leser dienen. Zum Beispiel ließ sich Steininger, obwohl sein Unternehmen ein Literaturbericht weder sein will noch sein kann, in Band 3 unvermittelt zu einem Vergleich der Adenauer-Biographien von Hans-Peter Schwarz und Henning Köhler hinreißen, der notwendigerweise unscharf ausgefallen ist, beiden Werken nicht gerecht wird und den Benutzer in völlige Verwirrung stürzt. Gelegentlich wird auch der Herausgeber Steininger vom Forscher Steininger auf die Seite gedrängt. So teilt er an einer Stelle mit, jüngst aufgefundene Dokumente aus dem sowjetischen Außenministerium bestätigten seine, Steiningers, Interpretation der notorischen Stalin-Note vom 10. März 1952. Er sagt aber nicht, wie denn diese Interpretation aussieht, und er kann danach logischerweise keine Argumente bieten, inwiefern die aufgefundenen Quellen seine Version jenes Notengefechts stützen; abermals bleibt der Leser etwas ratlos.
Aber das sind Randerscheinungen, die den Wert der beiden Bände nicht mindern. Allerdings muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß der Titel etwas verspricht, das dann nicht gehalten wird. Wir haben es hier nicht mit einer "Deutschen Geschichte" im vollen Sinne dieses Begriffs zu tun. Innenpolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik werden nur ab und an flüchtig berührt, nie erhellend dargestellt. Zum Beispiel wird die Anfang 1957 eingeführte dynamische Rente, eine politisch stabilisierende, wenn auch unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten vielleicht etwas problematische Leistung des zweiten Kabinetts Adenauer, zwar einmal erwähnt. Jedoch werden weder Gründe und Vorgeschichte dargeboten noch Bedeutung und Wirkung klargemacht. Die Dokumentensammlung ist um ein großes Thema gruppiert: die Entstehung und Verfestigung der Spaltung Deutschlands, die Auseinanderentwicklung der beiden deutschen Staaten und schließlich deren Wiedervereinigung.
HERMANN GRAML
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach Einschätzung von Rezensent Hermann Graml droht heute die Gefahr, dass die bestimmenden Generationen ihre ureigene Geschichte verlieren und die heranwachsenden Generationen ihre historischen Wurzeln nicht mehr kennen. Um so mehr begrüßt er das Erscheinen der von Rolf Steiningers edierten und kommentierten Bände 3 und 4 der "Deutschen Geschichte", einer Sammlung wichtiger Dokumente zur deutschen Geschichte zwischen 1955 und heute. Die Bände sind zu Gramls Freude "klar gegliedert, übersichtlich und folglich leicht zu handhaben". Er hebt hervor, dass Steininger für jede Phase der Entwicklung das Geschehen in der Bundesrepublik und der DDR parallel behandle. "Der Erkenntnisgewinn", lobt Graml, "ist unverkennbar." Graml würdigt Steininger, für ihn einer der "besten Kennern der neuesten deutschen Zeitgeschichte", als "Garant für die wissenschaftliche Solidität der Auswahl der Dokumente". Um eine "Deutsche Geschichte" im Vollsinn des Begriffs handle es sich bei Steiningers Dokumentensammlung indes nicht. Aber: "Wer sich bequem und rasch einen guten Überblick über die Stationen der internationalen Positionierung der beiden deutschen Staaten und nicht zuletzt über die deutsch-deutschen Beziehungen verschaffen will", resümiert der Rezensent, "findet trefflich ausgewählte Dokumente und hilfreiche Erläuterungen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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