Ein absolut begeisterndes Buch - obwohl man keinerlei Tendenzen zum 'Kriegshandwerk' verspürt
Das Interesse an dem Buch wurde bei mir durch den Autoren Sänke Neitzel geweckt. Er ist als renommierter Militärhistoriker anerkannt. Seine Kommentare innerhalb der entsprechenden Sendungen auf ZDF info
sind von einer umgangssprachlichen Ausdrucksweise, die jeder versteht geprägt. Jeder kann die…mehrEin absolut begeisterndes Buch - obwohl man keinerlei Tendenzen zum 'Kriegshandwerk' verspürt
Das Interesse an dem Buch wurde bei mir durch den Autoren Sänke Neitzel geweckt. Er ist als renommierter Militärhistoriker anerkannt. Seine Kommentare innerhalb der entsprechenden Sendungen auf ZDF info sind von einer umgangssprachlichen Ausdrucksweise, die jeder versteht geprägt. Jeder kann die vorherrschende Stimmungslage zu Zeiten des Ersten Weltkrieges, des Zweiten Weltkrieges sowohl in der Zivilbevölkerung, der Reichswehr, der Wehrmacht nachvollziehen. Ebenso wie Sönke Neitzels Erläuterungen zu den militärischen Operationen samt deren Fehler, die Entwicklungen der verheerenden Waffentechnik verstehen.
Die Erwartungshaltung, noch mehr über die verschiedenen Schlachten der genannten Kriege und auch über die grauenhaften Verbrechen der deutschen Wehrmacht vor allem während des Vernichtungskrieges in Polen, in der Sowjetunion, auf dem Balkan und ll den anderen Ländern musste während der Lektüre sehr schnell korrigiert werden. Denn diese Ereignisse sind nicht das Thema.
Es geht um die Einstellung der Deutschen zum jeweiligen Militär. Von der gelinde ausgedrückt 'Bewunderung' der Reichswehr über das Ansehen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, zu den Anfängen der Bundeswehr bis hin zu den aktuellen Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan, Mali und so weiter.
Sönke Neitzel sagt im Klartext auch, wie die jeweilige militärische 'Organisation' für ihr 'Handwerk' (aus-) gebildet wurde und wird. Wie sich in den verschiedenen Truppenteilen eine unterschiedliche Sub-Kultur, Gruppen-Kulturen, 'tribal cultures'. Fallschirmjäger zum Beispiel entwickeln ganz andere Rituale als die 'Fußgänger', sprich die Infanterie.
Die geschichtlich bedingte Unterdrückung des historischen Bezuges der Bundeswehr zur Wehrmacht wird vom Autoren ebenso beleuchtet wie die Fehler der Politik beziehungsweise der offiziellen Verlautbarungen durch Politiker hinsichtlich des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan und Mali. Dort geht es nicht darum, möglichst viele Brunnen zu bohren und die entlegensten Ansiedlungen mit Strom zu versorgen. Es ist ein Krieg, in den die Bundeswehr-Soldaten geschickt wurden. Und nach wie vor geschickt werden. Der deutschen Öffentlichkeit muss das allerdings anders 'verkauft' werden.
Sönke Neitzel geht dem Buchtitel entsprechend natürlich auch auf die Entwicklungen in der DDR mit den zunächst bewaffneten Polizeitruppen ein. Aus denen sich dann die NVA entwickelt hat. Auf deren Struktur, Führung, Bewaffnung, die dahinter stehende Ideologie, Steuerung aus der Sowjetunion.
Der kalte Krieg mit dem im Hintergrund lauernden atomaren Konflikt spielt natürlich auch eine Rolle. Die Einordnung und Einschätzung der Bundeswehr innerhalb der NATO analysiert und dokumentiert Sönke Neitzel. Das Quellen- und Literaturverzeichnis mitsamt den Anmerkungen umfasst 192 der insgesamt mit Personen- und Ortsregister 816 Seiten. Viele in zwei zusammen gehaltenen Teilen vorhandene Reproduktionen von Originalfotos, angefangen beim Wehrpflichtigen Wilhelm Janeke als Angehöriger des sächsischen Jägerbataillons 12 aus dem Jahr 1892 bis hin zum Traditionsbild an der Wand einer Kaserne aus dem Jahr 2017 illustrieren die Feststellungen des Autoren.
Sowohl die Auflistung der hierarchischen Dienstgrade der Wehrmacht, der Bundeswehr und der NVA, die militärische Gliederung von der 12 Mann starken Gruppe bis zur mehrere Armeen umfassenden Heeresgruppe samt jeweiliger Führung bringen für den militärischen Laien das Verständnis der Feststellungen von Sönke Neitzel nahe. Ebenso die Auflistungen und Diagramme der Verteidigungshaushalte von 1955 bis 1989. Einige Karten, im Anhang zwei davon leider doppelt, ermöglichen ebenfalls ein besseres Verständnis.
Fazit:
Selbst oder ganz besonders für diejenigen, die dem Militär, den Soldaten, der Führung der beiden Weltkriege, der Bundeswehr und/oder der NVA sehr kritisch und distanziert gegenüber stehen ist das Werk ein