Dorothee Schmitz-Köster hat frühere Lebensborn-Heime in Deutschland und Norwegen aufgesucht. In vielen Gesprächen mit Zeitzeuginnen und durch Archivstudien hat sie ein genaues Bild vom Alltag der Organisation und von den Menschen gewonnen, die mit dem Lebensborn zu tun hatten. Einfühlsam schildert sie die Motive von Müttern, die in den Heimen ihre Kinder auf die Welt brachten, und von Lebensborn-Angestellten. Außerdem zeichnet sie Schicksale von ´Lebensborn-Kindern´nach - von Frauen und Männern. die sich bis heute mit der Last ihrer Geburt auseinandersetzen. Denn viele sind immer noch auf der Suche nach ihren Wurzeln, nicht wenige sind gescheitert, einige wurden von der Stasi zynisch mißbraucht. In ihrem Buch, in einer Wanderausstellung, in Artikeln und Radio-Features setzt sich Dorothee Schmitz-Köster auch mit dem Mythos von "nationalsozialistischen Zuchtanstalten" und mit der "Rassenpolitik" auseinander und eröffnet so neue Perspektiven auf Frauen, Alltag und Ideologie im Nationalsozialismus. Für die Taschenbuchausgabe hat die Autorin den Text durch neuerschlossene Materialien ergänzt.Im Dezember 1935 veranlaßte Heinrich Himmler, Reichsführer SS, die Gründung des Lebensborn e.V. - einer Organisation, die sich die Vermehrung der "arischen Rasse" auf die Fahnen schrieb und bis heute von einer geheimnisvollen Aura umgeben ist. "Das Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich weder mit klischeehaften Vorstellungen noch mit emotionsloser Akteneinsicht über den Lebensborn begnügen, sondern sich auch in der Gegenwart mit der Frage nach den Folgen der monströsen Einstellung der NS-Gesellschaft auseinandersetzen wollen." Der Tagesspiegel "Die Autorin läßt die betroffenen Frauen sprechen, die bislang in den Veröffentlichungen über den Lebensborn kaum zu Wort gekommen sind. Sie vermittelt ein eindringliches Bild vom Alltag im Lebensborn und der nationalsozialistischen Rassenpolitik in Deutschland." TAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.1998Die lebten da wie Prinzessinnen
Der "Lebensborn" und die menschenzüchterischen Ideen Himmlers
Dorothee Schmitz-Köster: "Deutsche Mutter, bist du bereit . . .". Alltag im Lebensborn. Aufbau-Verlag, Berlin 1997. 245 Seiten, 19 Abbildungen und Faksimiles, 36,- Mark.
"Ich habe wirklich die Absicht, germanisches Blut in der ganzen Welt zu holen, zu rauben und zu stehlen, wo ich kann." Dieser berühmt-berüchtigte Satz aus Heinrich Himmlers Geheimreden macht deutlich, daß der Organisator millionenfachen Mordens auch in der Beschaffungskriminalität von Menschen aktiv war. Etwa ab 1942 ließ er "augenscheinlich gutrassige" Kleinkinder aus den besetzten Gebieten Osteuropas und ab 1944 Besatzungskinder aus Norwegen (zum Teil auch mit ihren zu Hause verachteten Müttern) nach Deutschland verschleppen. "Eindeutschung" dieser Kinder war der Plan, "Aufordnung" des deutschen Volkes das Fernziel. Orte ihrer Unterbringung waren die Mütter- und Kinderheime jener Organisation, die sich "Lebensborn" nannte.
Dieser Einrichtung sind, wie Dorothee Schmitz-Köster bemerkt, innerhalb der Nationalsozialismus-Forschung verhältnismäßig wenige Spezialstudien gewidmet. Sie erklärt sich das mit einer dem Thema anhaftenden Täter-Opfer-Ambivalenz. Um hier Lücken zu schließen, legt sie eine sorgfältig dokumentierte Reportage vor, hat indessen darauf verzichtet, der Vorgeschichte rassehygienischer Obsessionen nachzugehen, wie sie sich schon im ersten Drittel des Jahrhunderts zum Beispiel in einigen Zirkeln der Lebensreformbewegung ausprägten (Germanische Glaubensgemeinschaft, Neutemplerorden, Mitgarbund, Treubund). "Die Geschicke der Völker entscheiden sich weder auf dem Schlachtfeld noch am grünen Tisch der Diplomaten, sondern im Bett." Äußerungen wie diese eines Arztes aus der Vegetarierkolonie Eden bei Oranienburg von 1921 kennzeichnen ja bereits die Züchtermentalität, die dann auch dem Lebensborn zugrunde lag.
So erklärte Himmler 1937, die politische Führung liege zwar bei der NSDAP, die Aufgabe der SS aber gehe "ins Menschenzüchterische". Wie der Lebensborn das gehandhabt, wie er seine Auslese getroffen und seine Entbindungs- und Kinderheime betrieben hat, recherchierte Dorothee Schmitz-Köster durch Archivarbeit, Ortsbesichtigungen und Interviews. Schwierig genug, nach mehr als einem halben Jahrhundert Zeitzeugen mit einigermaßen intaktem Gedächtnis und einigermaßen aufrichtiger Erinnerungsbereitschaft zu finden. Unter 42 ermittelten Nachbarn, Angestellten, Müttern, Vätern und Lebensborn-"Kindern" konnte sie etwa die Hälfte befragen. Ergiebig waren nur wenige Interviews. "Ich kann Ihnen aber nichts Schlechtes über den Lebensborn erzählen", eröffnete eine der Befragten das Gespräch. Ungern mochten die Mütter als Privilegierte eines Systems erkannt werden, das im öffentlichen Bewußtsein - und gegebenenfalls auch von ihnen selbst - längst negativ bewertet ist.
Zehn Jahre hat der Lebensborn e.V. existiert. 1935 war er, um auch Immobilien erwerben zu können, in der juristischen Form eines eingetragenen Vereins gegründet worden. Innerorganisatorisch gehörte er jedoch zum persönlichen Stab des Reichsführers SS. Damit sollte der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) die Schwangeren- und Mütterbetreuung der "arischen Elite" entzogen werden. Rassen- und Erbgesundheitsnachweise waren wichtigste Aufnahmekriterien für werdende Mütter. Dasselbe galt für die Väter, die sämtlich in der Zentrale registriert wurden, auch Unterhalt zahlen mußten, deren Anonymität im übrigen aber auf Wunsch gewahrt blieb. Etwa 50 Prozent, zumeist SS-Mitglieder, profitierten von dieser Regelung. Mit eigenen Standesämtern in den neun Heimen des Inlands und elf Heimen des besetzten Nord- und Westeuropa umging man die staatliche Meldepflicht und übernahm auch die Vormundschaft für einen Teil der unehelich geborenen Kinder. Keine Frage, daß viele ledige Mütter - man schätzt: 50 bis 60 Prozent bei insgesamt etwa 7000 Geburten in den deutschen Heimen - froh waren, hier ihrer Nöte und Konflikte fürs erste enthoben zu sein.
Ordentliche Gesundheits- und Säuglingspflege sowie ideologische Unterweisung in deutschem Muttertum wurden geboten. "Die lebten da wie Prinzessinnen", erinnert sich eine Hebamme. Nach dem Motto "Die rassisch hochwertige Mutter verzichtet grundsätzlich nicht auf ihr Kind" war Kollektiverziehung jedenfalls im Kleinkindalter nicht erwünscht. Zu den Widersprüchen unter dem Naziregime zählten die Gebärappelle einerseits (Abtreibung wurde 1943 mit dem Tode bedroht, Unfruchtbarkeit galt als Scheidungsgrund) und die Restriktionen andererseits (Beamtinnen wurden entlassen, NSV-Schwestern und Hebammen verloren ihre Stellung, wenn sie unverheiratet ein Kind erwarteten). Ein aktiver Wehrmachtoffizier durfte, selbst wenn er der Vater des Kindes war, eine ledige Mutter nur mit Sondererlaubnis heiraten, und SS-Offiziere brauchten ohnehin immer die Heiratserlaubnis ihres obersten Chefs.
Im Verlauf des Krieges wurden Himmlers "Befehle", auch außerhalb der Ehe "Leben für Deutschland weiterzugeben", immer dringlicher. So ranken sich bis heute allerlei lüsterne Legenden um den Lebensborn. Die Reporterin fand jedoch keine Belege dafür, daß die Häuser als "Begattungsheime" fungierten und SS-Leute als "Zuchtbullen" dorthin abkommandiert oder eingeschleust worden wären. Außer dem Verwalter, dem Arzt und dem Gärtner wurden Männer in den Heimen kaum angetroffen. Ob sich nach den Feiern zur Namensgebung mit geladenen SS-Gästen, wobei ein Ehrendolch über das Baby gehalten und ein Gelöbnis nationalsozialistischer Erziehung und Sippengemeinschaft mit Handschlag besiegelt wurde, "Zeugungswut" und "Schwanzeslust" austobten, bleibt Spekulation.
Rund um die Heime herrschte jedenfalls viel Geheimniskrämerei, da sie in der Bevölkerung und selbst bei der SS nicht den besten Ruf hatten. Auf der Suche nach "Zeugungshelfern" entwickelte das Rasse-und Siedlungshauptamt etliche Modelle, erwog und verwarf dann auch wieder die künstliche Befruchtung. Aktenkundig ist Himmlers Empfehlung, eine angeblich germanische Sitte wiederzubeleben, wonach junge Frauen ohne Freund oder Bräutigam auf dem Ahnengrab ihres Dorfes anonym begattet werden sollten. Albernheiten dieser Art, aber auch Fortpflanzungsprogramme, die nach dem (gewonnenen) Krieg umgesetzt werden sollten, rücken erst recht die Grausamkeiten der Aussonderung und Vernichtung derer ins Blickfeld, deren Leben als "unwert" angesehen wurde. CORONA HEPP
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Der "Lebensborn" und die menschenzüchterischen Ideen Himmlers
Dorothee Schmitz-Köster: "Deutsche Mutter, bist du bereit . . .". Alltag im Lebensborn. Aufbau-Verlag, Berlin 1997. 245 Seiten, 19 Abbildungen und Faksimiles, 36,- Mark.
"Ich habe wirklich die Absicht, germanisches Blut in der ganzen Welt zu holen, zu rauben und zu stehlen, wo ich kann." Dieser berühmt-berüchtigte Satz aus Heinrich Himmlers Geheimreden macht deutlich, daß der Organisator millionenfachen Mordens auch in der Beschaffungskriminalität von Menschen aktiv war. Etwa ab 1942 ließ er "augenscheinlich gutrassige" Kleinkinder aus den besetzten Gebieten Osteuropas und ab 1944 Besatzungskinder aus Norwegen (zum Teil auch mit ihren zu Hause verachteten Müttern) nach Deutschland verschleppen. "Eindeutschung" dieser Kinder war der Plan, "Aufordnung" des deutschen Volkes das Fernziel. Orte ihrer Unterbringung waren die Mütter- und Kinderheime jener Organisation, die sich "Lebensborn" nannte.
Dieser Einrichtung sind, wie Dorothee Schmitz-Köster bemerkt, innerhalb der Nationalsozialismus-Forschung verhältnismäßig wenige Spezialstudien gewidmet. Sie erklärt sich das mit einer dem Thema anhaftenden Täter-Opfer-Ambivalenz. Um hier Lücken zu schließen, legt sie eine sorgfältig dokumentierte Reportage vor, hat indessen darauf verzichtet, der Vorgeschichte rassehygienischer Obsessionen nachzugehen, wie sie sich schon im ersten Drittel des Jahrhunderts zum Beispiel in einigen Zirkeln der Lebensreformbewegung ausprägten (Germanische Glaubensgemeinschaft, Neutemplerorden, Mitgarbund, Treubund). "Die Geschicke der Völker entscheiden sich weder auf dem Schlachtfeld noch am grünen Tisch der Diplomaten, sondern im Bett." Äußerungen wie diese eines Arztes aus der Vegetarierkolonie Eden bei Oranienburg von 1921 kennzeichnen ja bereits die Züchtermentalität, die dann auch dem Lebensborn zugrunde lag.
So erklärte Himmler 1937, die politische Führung liege zwar bei der NSDAP, die Aufgabe der SS aber gehe "ins Menschenzüchterische". Wie der Lebensborn das gehandhabt, wie er seine Auslese getroffen und seine Entbindungs- und Kinderheime betrieben hat, recherchierte Dorothee Schmitz-Köster durch Archivarbeit, Ortsbesichtigungen und Interviews. Schwierig genug, nach mehr als einem halben Jahrhundert Zeitzeugen mit einigermaßen intaktem Gedächtnis und einigermaßen aufrichtiger Erinnerungsbereitschaft zu finden. Unter 42 ermittelten Nachbarn, Angestellten, Müttern, Vätern und Lebensborn-"Kindern" konnte sie etwa die Hälfte befragen. Ergiebig waren nur wenige Interviews. "Ich kann Ihnen aber nichts Schlechtes über den Lebensborn erzählen", eröffnete eine der Befragten das Gespräch. Ungern mochten die Mütter als Privilegierte eines Systems erkannt werden, das im öffentlichen Bewußtsein - und gegebenenfalls auch von ihnen selbst - längst negativ bewertet ist.
Zehn Jahre hat der Lebensborn e.V. existiert. 1935 war er, um auch Immobilien erwerben zu können, in der juristischen Form eines eingetragenen Vereins gegründet worden. Innerorganisatorisch gehörte er jedoch zum persönlichen Stab des Reichsführers SS. Damit sollte der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) die Schwangeren- und Mütterbetreuung der "arischen Elite" entzogen werden. Rassen- und Erbgesundheitsnachweise waren wichtigste Aufnahmekriterien für werdende Mütter. Dasselbe galt für die Väter, die sämtlich in der Zentrale registriert wurden, auch Unterhalt zahlen mußten, deren Anonymität im übrigen aber auf Wunsch gewahrt blieb. Etwa 50 Prozent, zumeist SS-Mitglieder, profitierten von dieser Regelung. Mit eigenen Standesämtern in den neun Heimen des Inlands und elf Heimen des besetzten Nord- und Westeuropa umging man die staatliche Meldepflicht und übernahm auch die Vormundschaft für einen Teil der unehelich geborenen Kinder. Keine Frage, daß viele ledige Mütter - man schätzt: 50 bis 60 Prozent bei insgesamt etwa 7000 Geburten in den deutschen Heimen - froh waren, hier ihrer Nöte und Konflikte fürs erste enthoben zu sein.
Ordentliche Gesundheits- und Säuglingspflege sowie ideologische Unterweisung in deutschem Muttertum wurden geboten. "Die lebten da wie Prinzessinnen", erinnert sich eine Hebamme. Nach dem Motto "Die rassisch hochwertige Mutter verzichtet grundsätzlich nicht auf ihr Kind" war Kollektiverziehung jedenfalls im Kleinkindalter nicht erwünscht. Zu den Widersprüchen unter dem Naziregime zählten die Gebärappelle einerseits (Abtreibung wurde 1943 mit dem Tode bedroht, Unfruchtbarkeit galt als Scheidungsgrund) und die Restriktionen andererseits (Beamtinnen wurden entlassen, NSV-Schwestern und Hebammen verloren ihre Stellung, wenn sie unverheiratet ein Kind erwarteten). Ein aktiver Wehrmachtoffizier durfte, selbst wenn er der Vater des Kindes war, eine ledige Mutter nur mit Sondererlaubnis heiraten, und SS-Offiziere brauchten ohnehin immer die Heiratserlaubnis ihres obersten Chefs.
Im Verlauf des Krieges wurden Himmlers "Befehle", auch außerhalb der Ehe "Leben für Deutschland weiterzugeben", immer dringlicher. So ranken sich bis heute allerlei lüsterne Legenden um den Lebensborn. Die Reporterin fand jedoch keine Belege dafür, daß die Häuser als "Begattungsheime" fungierten und SS-Leute als "Zuchtbullen" dorthin abkommandiert oder eingeschleust worden wären. Außer dem Verwalter, dem Arzt und dem Gärtner wurden Männer in den Heimen kaum angetroffen. Ob sich nach den Feiern zur Namensgebung mit geladenen SS-Gästen, wobei ein Ehrendolch über das Baby gehalten und ein Gelöbnis nationalsozialistischer Erziehung und Sippengemeinschaft mit Handschlag besiegelt wurde, "Zeugungswut" und "Schwanzeslust" austobten, bleibt Spekulation.
Rund um die Heime herrschte jedenfalls viel Geheimniskrämerei, da sie in der Bevölkerung und selbst bei der SS nicht den besten Ruf hatten. Auf der Suche nach "Zeugungshelfern" entwickelte das Rasse-und Siedlungshauptamt etliche Modelle, erwog und verwarf dann auch wieder die künstliche Befruchtung. Aktenkundig ist Himmlers Empfehlung, eine angeblich germanische Sitte wiederzubeleben, wonach junge Frauen ohne Freund oder Bräutigam auf dem Ahnengrab ihres Dorfes anonym begattet werden sollten. Albernheiten dieser Art, aber auch Fortpflanzungsprogramme, die nach dem (gewonnenen) Krieg umgesetzt werden sollten, rücken erst recht die Grausamkeiten der Aussonderung und Vernichtung derer ins Blickfeld, deren Leben als "unwert" angesehen wurde. CORONA HEPP
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