»Ein Buch für Schreibende jeder Art soll dieses sein, kein Leitfaden für Schriftsteller.« - Eduard Engel
Die Andere Bibliothek bevorzugt das Original - andere veröffentlichen bis heute die Kopie.
Der Klassiker unter den Büchern zur Stilkritik deutscher Sprache stammt von Ludwig Reiners - 1943 als Deutsche Stilkunst erstmals veröffentlicht, bis heute als Stilkunst im Handel, hunderttausendfach gelesen und viel zitiert. Das Original aber schrieb 1911 Eduard Engel, ein bekanntes Standardwerk -bis zum Publikationsverbot 1933. Auf Ludwig Reiners' Stilkunst lastet der schwerwiegende Vorwurf des Plagiats. Denn 1911 erschien die Deutsche Stilkunst von Eduard Engel zum ersten Mal: ein Werk, zu dem Reiners' Fassung erstaunliche Parallelen aufweist. Die Gliederung, ein großer Teil der Belege, vor allem aber die Kriterien für guten oder schlechten Stil - all diese Elemente kehren, so wie sie bei Eduard Engel entfaltet sind, bei Ludwig Reiners wieder. Eduard Engels Korrekturen in späteren Auflagen übersah Reiners, er hatte sich in seiner »Abschreibkunst« an früheren Fassungen orientiert. Bis 1931 erschienen 31 Auflagen von Eduard Engels Stilkunst. Nach 1933 wurde Engel jedoch aufgrund seiner jüdischen Herkunft mit einem Publikationsverbot belegt. Er starb einsam und verarmt 1938 und erlebte so den Erfolg seines »Nachfolgers« Ludwig Reiners nicht mehr. Dass der Münchner Kaufmann Ludwig Reiners Eduard Engel viel verdankte, war 1943 und kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wohl bekannt, geriet aber, ebenso wie Engel selbst, in den folgenden Jahren in Vergessenheit.
Den ursprünglichen »Klassiker«, das »Original« der Stillehre von Eduard Engel macht die Andere Bibliothek nun wieder in einer zweibändigen Ausgabe zugänglich. Eduard Engel nannte seine Deutsche Stilkunst das »Ergebnis der Erfahrungen eines Schreibers, der sich durch mehr als ein Menschenalter um Sprache und Stil bemüht hat«. Die Grundfragen von Satzbau und Wortwahl, Ausdruck und Aufbau, Ton, Schönheit und Stilgattungen, die Warnung vor den immer wiederkehrenden Unglücken des Schreibhandwerks und die Mittel, dieses Handwerk zur Meisterschaft zu bringen, behandelt Eduard Engel in seinem Werk - wobei die Sprache natürlich einem auch bei Engel unterschätzten Wandel unterliegt und sein damals verbreitetes deutschnationales Denken mitunter auch zum Fremdwort-Furor ausarten kann.
Eduard Engel (1851-1938), ein Deutscher jüdischer Herkunft, war ein hochgebildeter Philologe, Literaturhistoriker, Literaturkritiker, Stilist und Publizist. Seine Tätigkeit blieb allerdings nicht auf die Literatur beschränkt: er befasste sich kurioserweise ebenfalls mit dem Eisenbahnwesen und gilt als der Erfinder der Bahnsteigkarte. Engels Erfahrung war vielfältig. Als Herausgeber des »Magazins für die Literatur des In- und Auslandes « schrieb er Literaturvermittlungsgeschichte: Er entdeckte Theodor Fontane als Erzähler und förderte Wilhelm Raabe, Detlev von Liliencron, Émile Zola und Edgar Allan Poe. Er veröffentlichte auflagenstarke Literaturgeschichten verschiedener Sprachen. Als Beamter war er mehr als 30 Jahre stellvertretender Vorsteher des Stenographenbüros im Preußischen Abgeordnetenhaus und dann des Reichstags. In dieser Zeit habe er, so schreibt er, Zehntausende langer und kurzer Reden pflichtmäßig auf ihre Form geprüft.
Die Andere Bibliothek bevorzugt das Original - andere veröffentlichen bis heute die Kopie.
Der Klassiker unter den Büchern zur Stilkritik deutscher Sprache stammt von Ludwig Reiners - 1943 als Deutsche Stilkunst erstmals veröffentlicht, bis heute als Stilkunst im Handel, hunderttausendfach gelesen und viel zitiert. Das Original aber schrieb 1911 Eduard Engel, ein bekanntes Standardwerk -bis zum Publikationsverbot 1933. Auf Ludwig Reiners' Stilkunst lastet der schwerwiegende Vorwurf des Plagiats. Denn 1911 erschien die Deutsche Stilkunst von Eduard Engel zum ersten Mal: ein Werk, zu dem Reiners' Fassung erstaunliche Parallelen aufweist. Die Gliederung, ein großer Teil der Belege, vor allem aber die Kriterien für guten oder schlechten Stil - all diese Elemente kehren, so wie sie bei Eduard Engel entfaltet sind, bei Ludwig Reiners wieder. Eduard Engels Korrekturen in späteren Auflagen übersah Reiners, er hatte sich in seiner »Abschreibkunst« an früheren Fassungen orientiert. Bis 1931 erschienen 31 Auflagen von Eduard Engels Stilkunst. Nach 1933 wurde Engel jedoch aufgrund seiner jüdischen Herkunft mit einem Publikationsverbot belegt. Er starb einsam und verarmt 1938 und erlebte so den Erfolg seines »Nachfolgers« Ludwig Reiners nicht mehr. Dass der Münchner Kaufmann Ludwig Reiners Eduard Engel viel verdankte, war 1943 und kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wohl bekannt, geriet aber, ebenso wie Engel selbst, in den folgenden Jahren in Vergessenheit.
Den ursprünglichen »Klassiker«, das »Original« der Stillehre von Eduard Engel macht die Andere Bibliothek nun wieder in einer zweibändigen Ausgabe zugänglich. Eduard Engel nannte seine Deutsche Stilkunst das »Ergebnis der Erfahrungen eines Schreibers, der sich durch mehr als ein Menschenalter um Sprache und Stil bemüht hat«. Die Grundfragen von Satzbau und Wortwahl, Ausdruck und Aufbau, Ton, Schönheit und Stilgattungen, die Warnung vor den immer wiederkehrenden Unglücken des Schreibhandwerks und die Mittel, dieses Handwerk zur Meisterschaft zu bringen, behandelt Eduard Engel in seinem Werk - wobei die Sprache natürlich einem auch bei Engel unterschätzten Wandel unterliegt und sein damals verbreitetes deutschnationales Denken mitunter auch zum Fremdwort-Furor ausarten kann.
Eduard Engel (1851-1938), ein Deutscher jüdischer Herkunft, war ein hochgebildeter Philologe, Literaturhistoriker, Literaturkritiker, Stilist und Publizist. Seine Tätigkeit blieb allerdings nicht auf die Literatur beschränkt: er befasste sich kurioserweise ebenfalls mit dem Eisenbahnwesen und gilt als der Erfinder der Bahnsteigkarte. Engels Erfahrung war vielfältig. Als Herausgeber des »Magazins für die Literatur des In- und Auslandes « schrieb er Literaturvermittlungsgeschichte: Er entdeckte Theodor Fontane als Erzähler und förderte Wilhelm Raabe, Detlev von Liliencron, Émile Zola und Edgar Allan Poe. Er veröffentlichte auflagenstarke Literaturgeschichten verschiedener Sprachen. Als Beamter war er mehr als 30 Jahre stellvertretender Vorsteher des Stenographenbüros im Preußischen Abgeordnetenhaus und dann des Reichstags. In dieser Zeit habe er, so schreibt er, Zehntausende langer und kurzer Reden pflichtmäßig auf ihre Form geprüft.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2016Ein Volk mit
schlechter Prosa
Eduard Engels „Deutsche Stilkunst“ kann
in einer Neuauflage wiederentdeckt werden
VON HERMANN UNTERSTÖGER
Die zweibändige, von der Anderen Bibliothek mit der von ihr gewohnten Akkuratesse besorgte Neuausgabe von Eduard Engels „Deutscher Stilkunst“ umfasst reichlich 900 Seiten und hat, wie alles aus diesem Haus, Anspruch darauf, nicht der Hudelei verdächtigt zu werden. Dies soll auch hier nicht geschehen, jedenfalls nicht generell, aber wenn der Schreiber des Vorworts, Stefan Stirnemann, als Mitarbeiter am „Thesaurua lingua Latinæ“ bezeichnet wird, kommt Verwunderung auf.
Wenn man dann einen stilistisch interessanten Brief Wallensteins, der laut Querverweis auf Seite 219 stehen soll, erst nach langem Forschen und Abgleichen mit dem Original auf Seite 393 findet, weicht die Verwunderung leisem Ärger. Vollends kurios wird es bei Lektüre der Stelle, wonach uns die Klassiker „durch das mundartliche Geschmückte“ noch herzlicher vertraut werden. Geschmückte? Im Original von 1911 hieß es „Gschmäckle“, in der Ausgabe von 1922 immerhin „Geschmäckle“.
Damit genug der Tüftelei und zum Großen, Wichtigen, Entscheidenden der Neuauflage. An Sprach- und Stilbüchern hat es weiß Gott keinen Mangel, das Land ist vollgestellt mit einschlägigen Ratgebern. Ein Großteil von ihnen ist, ob den Autoren das nun bewusst ist oder nicht, der Engelschen „Stilkunst“ verpflichtet, die 1911 in Wien und Leipzig herauskam und sich bei den Lesern mit einer Granate von Befund einführte: „Unter allen schreibenden Kulturvölkern sind die Deutschen das Volk mit der schlechtesten Prosa.“ In der Ausgabe letzter Hand, der von 1931, stand dieser Satz wieder, nur dass die „Kultur-“ zu „Bildungsvölkern“ geworden waren. Wie kann das einem Autor unterlaufen, dessen messerscharfem Sprachsinn es doch nicht entgangen sein konnte, dass „Kultur“ und „Bildung“ keine deckungsgleichen Synonyme sind?
In einer Einzelheit wie dieser spiegeln sich Größe und Tragik Eduard Engels. Die Rüge für die miserable Prosa der Deutschen erwuchs bei ihm ja nicht aus Missgunst oder eitler Besserwisserei, sondern aus dem heißen Wunsch, den Deutschen zu einer besseren, jener der Nachbarvölker ebenbürtigen oder überlegenen Prosa zu verhelfen. Engel schmerzte die Kluft zwischen einer poetischen Literatur, „die sich an Adel und feinstem Reize der Form mit der jedes noch so sprachkünstlerischen Volkes messen kann“, und einer Prosa, wie sie mangelhafter und unkünstlerischer nicht vorstellbar sei.
Diese Kluft zu überbrücken war er angetreten, und die Hilfstruppen, die er ins Feld führte, waren die Besten der Besten, wobei es Kritiker Thomas Manns erfreuen dürfte, dass er diesen der „Geckerei“ bezichtigt und für die Ansicht, Mann sei der größte deutsche Stilist, nur noch den Stoßseufzer „Gott ist groß und sein Erbarmen grenzenlos“ übrig hat. Wie immer sich das verhalten mag, Engel sieht in seiner „Stilkunst“ eine Tat des Patriotismus. In dieser Gesinnung schließt er sein Vorwort denn auch mit einem Zitat aus einem Gedicht Conrad Ferdinand Meyers: „Was kann ich für die Heimat tun, / Bevor ich geh’ im Grabe ruhn?“
Die Grabesruhe trat er, der 87 Jahre alt wurde, im November 1938 an. Da war es um seine „Deutsche Stilkunst“ schon sehr ruhig geworden, geisterhaft ruhig, da man ihn, den jüdischen Deutschen, mit einem Publikationsverbot belegt hatte. Widersinniger hätte so ein Verbot nicht ausgesprochen werden können, da Engel an Deutschtum schwer zu überbieten war – an einem insofern wohlverstandenen Deutschtum, als ihm, bei allem patriotischen Drang, nationalistische Enge nicht nachgesagt werden konnte. Dass er das Deutsche und davon vornehmlich die Sprache über alles schätzte, muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es selten einen weltoffeneren Deutschtümler als ihn gegeben haben dürfte. Bis ins hohe Alter war Engel ein leidenschaftlicher Reisender, und das Repertoire der ihm geläufigen oder jedenfalls vertrauten Sprachen umfasste Latein, Alt- und Neugriechisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Sanskrit, Japanisch und Arabisch. Das Studium der klassischen und romanischen Philologie hatte er mit einer Dissertation über die Syntax des Altfranzösischen abgeschlossen.
Es war also nicht Borniertheit, sondern aus Weit- und Übersicht gewonnene Souveränität, die Engel zur Fremdwortfrage trieb und auf diesem Feld so rigoros wirtschaften ließ, dass der die Sprache hegende Stilmeister in der allgemeinen Wahrnehmung irgendwann von dem sie reinigenden Zuchtmeister überlagert wurde. Das Geschäft der Sprachreinigung ist bis heute nicht erledigt, und auf weiten Strecken vollzieht sich dieser Kampf auch jetzt noch wie zu Engels Zeiten: „. . . durch den groben oder feinen Spott des Häufleins der Sprachreiniger über das Massenheer der Sprachverschmutzer, durch frechen Hohn der übermächtigen Fremdwörtler über die Sprachsäuberer“.
Auf den ersten Blick entbehrt es nicht der Komik zu beobachten, wie Engel allmählich selbst zum Opfer seines Reinigungsfurors wird. Auf den zweiten Blick freilich macht es frösteln, weil man hinter dem Mann, der in seinem eigenen Text „philologisch“ durch „sprachlich“ und „unphilologisch“ durch „unwissenschaftlich“ ersetzt, schon das Unheil heraufziehen sieht. Das „Mikroskop“ der Erstausgabe wird zum „Vergrößerungsglas“, was sachlich zwar kaum haltbar ist, aber der Intention dessen entspricht, der sich nicht mehr mit dem ursprünglichen Schimpfwort „Küchenlatein“ begnügt, sondern die Fremdwörter nun einem „verquatschten Rackerlatein“ zuordnet.
Es ehrt die Andere Bibliothek, dass sie dieses Standardwerk der Sprachkritik in so vornehmer Ausstattung vorlegt: Deutlicher denn je sieht man nun, was ein großer Mann zu leisten vermag, und ebenso deutlich tritt zutage, wo und in welchem Ausmaß seine Nachfolger sich ihre Inspiration holten. Es muss an dieser Stelle der Name Ludwig Reiners fallen, dessen unendlich erfolgreiche Sprachbücher mit dem Vorwurf leben, sie seien aus Eduard Engels Unglück erblüht. Mit diesem Tenor wird auch die Neuausgabe beworben, doch sind Zweifel angebracht, ob man frank und frei sagen kann, Reiners habe Engel gewissermaßen ausgeweidet und ruchlos plagiiert. Engel war nicht, wie glauben gemacht wird, verschwiegen und vergessen. An der Bamberger Universität sind unter der Obhut von Helmut Glück zwei umfassende Arbeiten zum Thema entstanden, die eine von Anke Sauter, die andere von Heidi Reuschel. Weder dieser noch jener lässt sich entnehmen, dass Reiners ein übler Plagiator gewesen sei. Er stand in einer bis heute nicht erloschenen Abschreibtradition, und wenn, wie Reuschel fordert, der Reinersche Erfolg auf Eduard Engel übergehen sollte, so ist diese Neuausgabe der aussichtsreichste Weg dazu.
Die „Stilkunst“ erschien
1911 zum ersten Mal und erlebte
31 Auflagen bis 1931
Hat Ludwig Reiners das Werk
von Eduard Engel ausgeweidet
und ruchlos plagiiert?
Eduard Engel: Deutsche Stilkunst. Mit einem Vorwort von Stefan Stirnemann. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. Zwei Bände im Schuber,
933 Seiten, 78 Euro.
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schlechter Prosa
Eduard Engels „Deutsche Stilkunst“ kann
in einer Neuauflage wiederentdeckt werden
VON HERMANN UNTERSTÖGER
Die zweibändige, von der Anderen Bibliothek mit der von ihr gewohnten Akkuratesse besorgte Neuausgabe von Eduard Engels „Deutscher Stilkunst“ umfasst reichlich 900 Seiten und hat, wie alles aus diesem Haus, Anspruch darauf, nicht der Hudelei verdächtigt zu werden. Dies soll auch hier nicht geschehen, jedenfalls nicht generell, aber wenn der Schreiber des Vorworts, Stefan Stirnemann, als Mitarbeiter am „Thesaurua lingua Latinæ“ bezeichnet wird, kommt Verwunderung auf.
Wenn man dann einen stilistisch interessanten Brief Wallensteins, der laut Querverweis auf Seite 219 stehen soll, erst nach langem Forschen und Abgleichen mit dem Original auf Seite 393 findet, weicht die Verwunderung leisem Ärger. Vollends kurios wird es bei Lektüre der Stelle, wonach uns die Klassiker „durch das mundartliche Geschmückte“ noch herzlicher vertraut werden. Geschmückte? Im Original von 1911 hieß es „Gschmäckle“, in der Ausgabe von 1922 immerhin „Geschmäckle“.
Damit genug der Tüftelei und zum Großen, Wichtigen, Entscheidenden der Neuauflage. An Sprach- und Stilbüchern hat es weiß Gott keinen Mangel, das Land ist vollgestellt mit einschlägigen Ratgebern. Ein Großteil von ihnen ist, ob den Autoren das nun bewusst ist oder nicht, der Engelschen „Stilkunst“ verpflichtet, die 1911 in Wien und Leipzig herauskam und sich bei den Lesern mit einer Granate von Befund einführte: „Unter allen schreibenden Kulturvölkern sind die Deutschen das Volk mit der schlechtesten Prosa.“ In der Ausgabe letzter Hand, der von 1931, stand dieser Satz wieder, nur dass die „Kultur-“ zu „Bildungsvölkern“ geworden waren. Wie kann das einem Autor unterlaufen, dessen messerscharfem Sprachsinn es doch nicht entgangen sein konnte, dass „Kultur“ und „Bildung“ keine deckungsgleichen Synonyme sind?
In einer Einzelheit wie dieser spiegeln sich Größe und Tragik Eduard Engels. Die Rüge für die miserable Prosa der Deutschen erwuchs bei ihm ja nicht aus Missgunst oder eitler Besserwisserei, sondern aus dem heißen Wunsch, den Deutschen zu einer besseren, jener der Nachbarvölker ebenbürtigen oder überlegenen Prosa zu verhelfen. Engel schmerzte die Kluft zwischen einer poetischen Literatur, „die sich an Adel und feinstem Reize der Form mit der jedes noch so sprachkünstlerischen Volkes messen kann“, und einer Prosa, wie sie mangelhafter und unkünstlerischer nicht vorstellbar sei.
Diese Kluft zu überbrücken war er angetreten, und die Hilfstruppen, die er ins Feld führte, waren die Besten der Besten, wobei es Kritiker Thomas Manns erfreuen dürfte, dass er diesen der „Geckerei“ bezichtigt und für die Ansicht, Mann sei der größte deutsche Stilist, nur noch den Stoßseufzer „Gott ist groß und sein Erbarmen grenzenlos“ übrig hat. Wie immer sich das verhalten mag, Engel sieht in seiner „Stilkunst“ eine Tat des Patriotismus. In dieser Gesinnung schließt er sein Vorwort denn auch mit einem Zitat aus einem Gedicht Conrad Ferdinand Meyers: „Was kann ich für die Heimat tun, / Bevor ich geh’ im Grabe ruhn?“
Die Grabesruhe trat er, der 87 Jahre alt wurde, im November 1938 an. Da war es um seine „Deutsche Stilkunst“ schon sehr ruhig geworden, geisterhaft ruhig, da man ihn, den jüdischen Deutschen, mit einem Publikationsverbot belegt hatte. Widersinniger hätte so ein Verbot nicht ausgesprochen werden können, da Engel an Deutschtum schwer zu überbieten war – an einem insofern wohlverstandenen Deutschtum, als ihm, bei allem patriotischen Drang, nationalistische Enge nicht nachgesagt werden konnte. Dass er das Deutsche und davon vornehmlich die Sprache über alles schätzte, muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es selten einen weltoffeneren Deutschtümler als ihn gegeben haben dürfte. Bis ins hohe Alter war Engel ein leidenschaftlicher Reisender, und das Repertoire der ihm geläufigen oder jedenfalls vertrauten Sprachen umfasste Latein, Alt- und Neugriechisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Sanskrit, Japanisch und Arabisch. Das Studium der klassischen und romanischen Philologie hatte er mit einer Dissertation über die Syntax des Altfranzösischen abgeschlossen.
Es war also nicht Borniertheit, sondern aus Weit- und Übersicht gewonnene Souveränität, die Engel zur Fremdwortfrage trieb und auf diesem Feld so rigoros wirtschaften ließ, dass der die Sprache hegende Stilmeister in der allgemeinen Wahrnehmung irgendwann von dem sie reinigenden Zuchtmeister überlagert wurde. Das Geschäft der Sprachreinigung ist bis heute nicht erledigt, und auf weiten Strecken vollzieht sich dieser Kampf auch jetzt noch wie zu Engels Zeiten: „. . . durch den groben oder feinen Spott des Häufleins der Sprachreiniger über das Massenheer der Sprachverschmutzer, durch frechen Hohn der übermächtigen Fremdwörtler über die Sprachsäuberer“.
Auf den ersten Blick entbehrt es nicht der Komik zu beobachten, wie Engel allmählich selbst zum Opfer seines Reinigungsfurors wird. Auf den zweiten Blick freilich macht es frösteln, weil man hinter dem Mann, der in seinem eigenen Text „philologisch“ durch „sprachlich“ und „unphilologisch“ durch „unwissenschaftlich“ ersetzt, schon das Unheil heraufziehen sieht. Das „Mikroskop“ der Erstausgabe wird zum „Vergrößerungsglas“, was sachlich zwar kaum haltbar ist, aber der Intention dessen entspricht, der sich nicht mehr mit dem ursprünglichen Schimpfwort „Küchenlatein“ begnügt, sondern die Fremdwörter nun einem „verquatschten Rackerlatein“ zuordnet.
Es ehrt die Andere Bibliothek, dass sie dieses Standardwerk der Sprachkritik in so vornehmer Ausstattung vorlegt: Deutlicher denn je sieht man nun, was ein großer Mann zu leisten vermag, und ebenso deutlich tritt zutage, wo und in welchem Ausmaß seine Nachfolger sich ihre Inspiration holten. Es muss an dieser Stelle der Name Ludwig Reiners fallen, dessen unendlich erfolgreiche Sprachbücher mit dem Vorwurf leben, sie seien aus Eduard Engels Unglück erblüht. Mit diesem Tenor wird auch die Neuausgabe beworben, doch sind Zweifel angebracht, ob man frank und frei sagen kann, Reiners habe Engel gewissermaßen ausgeweidet und ruchlos plagiiert. Engel war nicht, wie glauben gemacht wird, verschwiegen und vergessen. An der Bamberger Universität sind unter der Obhut von Helmut Glück zwei umfassende Arbeiten zum Thema entstanden, die eine von Anke Sauter, die andere von Heidi Reuschel. Weder dieser noch jener lässt sich entnehmen, dass Reiners ein übler Plagiator gewesen sei. Er stand in einer bis heute nicht erloschenen Abschreibtradition, und wenn, wie Reuschel fordert, der Reinersche Erfolg auf Eduard Engel übergehen sollte, so ist diese Neuausgabe der aussichtsreichste Weg dazu.
Die „Stilkunst“ erschien
1911 zum ersten Mal und erlebte
31 Auflagen bis 1931
Hat Ludwig Reiners das Werk
von Eduard Engel ausgeweidet
und ruchlos plagiiert?
Eduard Engel: Deutsche Stilkunst. Mit einem Vorwort von Stefan Stirnemann. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. Zwei Bände im Schuber,
933 Seiten, 78 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eine schöne, wenn auch mit einigen Fehlern behaftete Ausgabe, die zeigt, was ein großer Mann schaffen kann, meint Rezensent Hermann Unterstöger. Für Eduard Engel war es Patriotenpflicht, der deutschen Prosa Eleganz beizubringen. Er ging mit größtem Furor daran, Fremdwörter auszumerzen und den Sprachstil der Deutschen zu verbessern. Ein engstirniger Nationalist war er dabei doch nicht, so der Rezensent, immerhin war der Mann weitgereist und konnte mindestens ein halbes Dutzend Sprachen lesen. Dass ausgerechnet ihm die Publikation 1933 verboten wurde, weil er Jude war, findet Unterstöger geradezu absurd. Ob diese zweibändige Stilkunde für den heutigen Sprachgebrauch noch etwas taugt, dazu sagt der Rezensent leider nichts.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Eduard Engel war ein hochgebildeter, nie um ein treffendes Zitat verlegener Autor, den man bis heute mit Gewinn liest." Manfred Papst Neue Zürcher Zeitung am Sonntag 20161204