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Das Buch Dobberahns ist bei aller Wissenschaftlichkeit und theologischen Gedankenschärfe ein spannend zu lesendes Epos. Dies nicht nur wegen seiner erzählerischen Partien, einzelner Biographiefragmente und Innenansichten damaliger Kriegsteilnehmer, Theologen, Pädagogen, Künstler und einer Kriegsgedichte sammelnden nachdenklichen Konfirmandin, sondern auch wegen der dokumentarischen Fülle aus Predigten, Liturgien, Kriegsliedern und ritualien, Tagebucheinträgen, Briefen und Kriegspostkarten. Der Rahmen ist weit gespannt; er setzt bei den Freiheitskriegen an, geht über 1918 hinaus und nimmt…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch Dobberahns ist bei aller Wissenschaftlichkeit und theologischen Gedankenschärfe ein spannend zu lesendes Epos. Dies nicht nur wegen seiner erzählerischen Partien, einzelner Biographiefragmente und Innenansichten damaliger Kriegsteilnehmer, Theologen, Pädagogen, Künstler und einer Kriegsgedichte sammelnden nachdenklichen Konfirmandin, sondern auch wegen der dokumentarischen Fülle aus Predigten, Liturgien, Kriegsliedern und ritualien, Tagebucheinträgen, Briefen und Kriegspostkarten. Der Rahmen ist weit gespannt; er setzt bei den Freiheitskriegen an, geht über 1918 hinaus und nimmt wesentliche Entwicklungen der deutschen Kriegstheologie bis zum Holocaust in den Blick. Dobberahn versetzt in seiner engagierten Darstellung Leser und Leserin an die Front, in die Etappe, in Schulklassen und Kirchenräume, an den Potsdamer Kaiserhof; er lässt sie die Ungeheuerlichkeit des Krieges ebenso schmerzlich spüren wie die Blutbereitschaft des Wortes, die menschenverachtende Kriegsästhetik des worldmakings , das theologische Ornament als Verbrechen .

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Autorenporträt
Friedrich Erich Dobberahn, geb. 1950, Dr. theol., Dr. phil., lehrte an verschiedenen Hochschulen des In- und Auslands Altes Testament, Semitische Sprachen, Islamkunde und Allgemeine Religionswissenschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2022

Wenn Gott im Schlachtendonner spricht

Verschönerung des Barbarischen: Friedrich E. Dobberahn schildert den theologischen Alltag in Deutschland während des Ersten Weltkriegs.

Das fünfte Gebot aus dem Dekalog lässt an Prägnanz wenig zu wünschen übrig: "Du sollst nicht töten", so hieß es schon bei Luther, in anderen Übersetzungen ist von "morden" die Rede. Dass kein Mensch einem anderen das Leben nehmen darf, war Kern der jüdischen Ethik und wurde von dem jüdischen Propheten Jesus sogar noch verschärft. Gleichwohl entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte auch Regeln für Situationen, in denen das Töten nicht untersagt war. Der Krieg war eine herausragende Ausnahme. Und so konnte im Februar 1915 der Pädagoge Heinrich Spanuth in seinem Handbuch "Der Weltkrieg im Unterricht" das fünfte Gebot von dessen Umkehrung her denken: "das gebotene Töten der Feinde im Kriege, Menschlichkeit im Kriege, die Hingabe des Lebens im Kampfe fürs Vaterland; Kriegshilfe, Verwundetenhilfe, Rotes Kreuz".

Eine ganze Reihe von Rücksichten umfloren hier den Umstand, dass das Töten nun, da Deutschland einen Krieg erklärt hatte, nicht mehr untersagt, sondern geboten war. Spanuth ging noch weiter und drehte den ganzen Dekalog auf passend: "Fast alle Gebote sind irgendwie zum Kriege in Beziehung zu setzen." Das häufig so genannte Keuschheitsgebot, das sechste, sprach nun "von dem Opfer der Frauen, die ihre Ehegatten dahingeben". Das achte Gebot wurde auf den "Lügenfeldzug der Gegner" und auf die "List im Krieg" bezogen, allerdings pochte Spanuth auf "Gerechtigkeit im Urteil auch über den Feind". Über allem stand dabei Gott als "Herr über Leben und Tod" und als Lenker des Schicksals.

Das Handbuch von Heinrich Spanuth ist eines von vielen Zeugnissen, die Friedrich Erich Dobberahn in seiner Untersuchung "Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda" aufruft. Er beschäftigt sich, so der Untertitel, mit "Umdeutung von Bibel, Gesangbuch und Liturgie" in der Zeit von 1914 bis 1918 und präsentiert dabei in enormer Detailfülle den theologischen Alltag in Deutschland während des Ersten Weltkriegs. Spanuth etwa steht für ihn, wie er mit weiteren Stellen belegt, in einer Tradition des Populärdarwinismus. Dobberahn bescheinigt ihm ein "biomythisches Deutungsmuster". Der Gott dieser Theologie spricht nicht nur in der Bibel, sondern auch im Schlachtendonner, die Gottbefohlenen haben dafür zu sorgen, dass sie in der Hand Gottes Hammer oder Axt sind und nicht Amboss oder Baum.

Dobberahn interessiert sich für Spanuth auch deswegen, weil er durch ihn den Kern seines Buches akzentuieren kann. Als zentrale Quelle dienen ihm nämlich Aufzeichnungen über einen Pfarrer und eine Konfirmandin in Potsdam im ersten Kriegsjahr: Theodor Krummacher bereitete damals junge Frauen auf ihre Konfirmation vor, selbstverständlich konnte er die aktuelle Situation nicht aussparen, er trug also die christliche Glaubenslehre unter dem Eindruck einer intensiven "Kriegstheologie" vor. Mit diesem Begriff fasst Dobberahn zusammen, worum es ihm in seinem Buch insgesamt geht.

Eine junge Frau, die bei Krummacher genau und reflektierend mitschrieb, war Ellen Richter. Ihr Protokollbuch kam auf Friedrich Erich Dobberahn als Familienbesitz, denn er ist mit einer Enkelin der damaligen Konfirmandin verheiratet. Seine Untersuchung ist also auf eine gewisse Weise befangen, er versucht diesen persönlichen Bezug allerdings durch ein Höchstmaß an Kontext zu erweitern.

"Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda" ist als historiographisches Buch, aber auch dem Selbstverständnis des Autors nach ein Außenseiterwerk, "nicht nach Schablone gearbeitet", sondern durchpulst von einem umfassenden Interesse, den deutschen Protestantismus und seine nationalistischen Verirrungen zu verstehen. Dobberahn hat eine spannende intellektuelle Biographie, er promovierte über "Fünf äthiopische Zauberrollen", unterrichtete acht Jahre in Brasilien Bibelwissenschaften und semitische Sprachen, beschäftigte sich dort mit Befreiungstheologie und hat seit seiner Rückkehr nach Deutschland als Religionswissenschaftler und Sprachlehrer gearbeitet.

Seine Beschäftigung mit dem Potsdamer Zeugnis (das Konfirmandenheft ist im Anhang des Buches auch vollständig ediert und aus der Sütterlinschrift transkribiert) wuchs sich zu dem umfangreichen Buch aus, das er nun als "Nachzügler" zu den gewichtigen Untersuchungen anlässlich des Zentenariums des Ersten Weltkriegs vorlegt. Das gibt ihm auch Gelegenheit, noch die eine oder andere Position einzuarbeiten. So beschäftigt er sich mit Herfried Münkler, für den die "Hypertrophie der deutschen Kriegsphilosophie und Kriegstheologie" darin begründet lag, dass kein plausibler Grund für den Kriegseintritt vorlag. Dobberahn hält dagegen, er legt zwar selbst jede Menge religiöse Propaganda vor, sie deckte für ihn aber nicht das "Sinndefizit", mit dem Deutschland in den Krieg gegangen war.

Der biographische Kern des Buchs wird in beiden historischen Richtungen ausführlich mit Zeugnissen ummantelt. Pfarrer Krummacher und Ellen Richter werden für Dobberahn zu zwei Individuen, in deren Rezeption sich zuerst ein ganzes Jahrtausend deutscher Nationalmythik bricht, von den Staufertraditionen über Luther bis zu den Befreiungskriegen und der Reichsgründung. Immer war auch die Theologie kräftig dabei, die deutsche Geschichte als Heilsgeschichte auszuweisen. Zugleich liest er alles immer schon "im vorausfallenden Schatten des Hitlerreiches", zu dem sowohl Krummacher wie Richter sich später auch verhalten mussten, er ambivalent, sie mit konkreten Akten des Widerstands.

Dobberahn geht weit über die Theologie hinaus und zieht auch zahlreiche literarische Texte zu Rate, immer auf der Suche nach einem Verhältnis zwischen "Konjunkturpoesien" und "Friedenswissen". Robert Musil ist eine der Figuren, deren Zeitgenossenschaft er im Hintergrund immer mitführt und den er gelegentlich zur Verdeutlichung klarer Positionen bemüht: Der Begriff der "metaphysischen Krachschlägerei" macht en passant vielleicht genauso viel vom Geist der Stunde deutlich wie Dobberahn mit seiner extensiven Hermeneutik. Zentral für die Kriegstheologie ist für Dobberahn schließlich, dass sie sich als Ästhetizismus erweist, als Ornament, als "derealisierende trughafte Verschönerung des Barbarischen". Damit wird sie endgültig zu einer Blasphemie, die ihren Ausdruck auf den vielen Kriegspostkarten und anderen ephemeren Äußerungen fand, die Dobberahn anführt.

Man könnte das Buch als eine gigantische Materialsammlung benutzen, zumal die Lektüre durch den Umstand nicht leichter wird, dass in den mehr als 300 Seiten Anmerkungen amerikanisch zitiert wird. Man muss also zweimal nachschlagen, um zum Beispiel darauf zu stoßen, dass Dobberahn sich immer wieder auch von neueren Autoren inspirieren lässt - den Begriff "Massakergesellschaft" entlehnt er von Tzvetan Todorov aus dessen Buch über "Die Eroberung Amerikas", also einem durchaus anderen Zusammenhang. "Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda" ist ein gelehrtes, ein engagiertes, auch ein empörtes Buch. Es gewinnt seine Berechtigung gerade aus der Verbindung dieser Aspekte und würde es eigentlich verdienen, das akademische Ghetto, das der Verlag mit einem realitätsfremden Preis maximal klein hält, zu verlassen. Eine Volksausgabe, das wäre hier tatsächlich angebracht. BERT REBHANDL

Friedrich E. Dobberahn: "Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda". Umdeutung von Bibel, Gesangbuch und Liturgie 1914-1918.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2021. 1287 S., Abb., geb., 200,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Bert Rebhandl bekommt mit dem Buch von Friedrich E. Dobberahn ein gelehrtes wie engagiertes Werk, dem er ein größeres Publikum auch jenseits des akademischen wünscht. Allerdings scheint der Autor dem selbst im Weg zu stehen, wenn er 300 Seiten Anmerkungen (teils in englischer Sprache) anfügt. Dobberahns Versuch, das theologische Leben während des Ersten Weltkriegs zu schildern, wird für Rebhandl zur Herausforderung auch dadurch, dass der Autor mit "enormer Detailfülle" unter anderem aus einer Familien-Quelle schöpft und so den historiografischen Rahmen beinahe sprengt. Auch über die Theologie geht der Autor weit hinaus, wenn er etwa literarische Texte (z. B. von Musil) in seine Untersuchung zu deutscher Nationalmythik mit einbezieht, meint Rebhandl.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Was Dobberahn gelingt, ist eine Analyse der kriegsverherrlichenden Theologensprache, die aus dem Kaiserreich stammend bis weit in die Zeiten des Zweiten Weltkrieges sich dauerhaft durchhielt und in fataler Weise bis in die Gegenwart virulent bleibt [...]. Dobberahn geht es um eine minutiöse, detaillierte Rekonstruktion der Verirrungen deutscher Theologie und die damit verbundenen Sensibilisierung für Vergewaltigungen des theologischen Erbes, vor denen auch die Gegenwart nicht gefeit scheint [...]. Aus Sicht des Rezensenten besticht [...] vor allem die erstmalig gewagte Zusammenschau und Rekonstruktion der Entstehung einer Theologie, die häufig retrospektiv und mit dem Wissen der Nachkriegszeiten einhellig abgewertet und verurteilt wurde und wird. Sie lässt die Wahrnehmung des Buches für alle an der Theologie- und Kirchengeschichte des 20. Jh.s Interessierten als dringlich und geboten erscheinen. [...] Die Studie von Dobberahn sensibilisiert [...] für die "Dämonen der Vergangenheit", die bald nach einem Jahrhundert längst nicht überwunden oder gar vertrieben sind [...]. Es ist dem Buch zu wünschen, dass es in seinen einzelnen Abschnitten intensiv wahrgenommen und im Bereich der akademischen Lehre wie auch der kirchlich-theologischen Erwachsenenbildung gelesen und diskutiert wird." Prof. Dr. Markus Wriedt (Goethe-Universität Frankfurt a.M.), Theologische Literaturzeitung(06/2022, Sp. 581 ff.)