Die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg war ein europäisches Phänomen, von dem keineswegs nur Deutsche betroffen waren, sondern - neben anderen - auch Polen. Nach Kriegsende behielt die Sowjetunion einen Großteil der annektierten polnischen Ostgebiete; dafür erhielt Polen die ehemaligen deutschen Ostgebiete. Als Folge dieses international gesteuerten Prozesses mußten Millionen Polen und Deutsche ihre Heimat verlassen. Philipp Ther behandelt die Vertriebenenproblematik im Vergleich zwischen Polen und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)/DDR; auch Westdeutschland wird in die Betrachtung mit einbezogen.Wie kam es zu den massenhaften, gewaltsamen Bevölkerungsverschiebungen? Warum scheiterte die geplante "ordnungsgemäße und humane Durchführung" der Vertreibung? Wie wurden die Vertriebenen aufgenommen? Während in Polen die Vertriebenen unter dem Dach des polnischen Nationalismus integriert werden sollten, betrieb die SBZ/DDR eine egalitäre Politik: Durch Umverteilungen sollten die Vertriebenen in die Gesellschaft eingebunden werden. Nach dem Scheitern dieser Ansätze griffen beide Regime Ende der vierziger Jahre zunehmend zu polizeistaatlichen Maßnahmen. Die Vertriebenenproblematik wurde nun eher unterdrückt als gelöst. Eine negative, von Konflikten geprägte Einstellung anderer Bevölkerungsgruppen zu den Vertriebenen hatte die integrative Politik unterlaufen.Die Anwesenheit von Millionen Vertriebenen hatte einen prägenden Einfluß auf die Nachkriegszeit in der SBZ/DDR und in Polen. Diese Studie geht daher über eine reine Vertriebenengeschichte hinaus: Sie trägt wesentlich zum allgemeinen Verständnis der Staaten und Gesellschaften Mittel- und Osteuropas bei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2000Die Friedensgrenze
Wie die Bruderstaaten DDR und Polen mit der Vertreibung umgingen
Philipp Ther: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 127. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen und Zürich 1998. 382 Seiten, 74,- Mark.
Die brandenburgische Vertriebenenverwaltung schrieb 1946: "Alle waren des Glaubens, in ihre alten Heimatgebiete zurückkehren zu können." Es blieb nicht bei Hoffnungen. Hunderttausende machten sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst wieder auf den Weg nach Hause in die östlichen Provinzen des Reiches. Jedes Gerücht über Veränderungen der Nachkriegsordnung wurde begierig aufgegriffen. Die thüringische Vertriebenenverwaltung hatte Mühe, Gartenparzellen an Vertriebene aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße zu vergeben. Bodenreformland wurde nur zögernd angenommen, weil man nicht damit rechnete, dauerhaft zu bleiben. Die "Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" fand, dass Jugendliche "reaktionärer, revanchelüsterner Rückkehrpropaganda" anheimfielen.
Die SED, die schon bald die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Linie reklamieren sollte, hatte noch 1946 Hoffnungen auf eine Revision der Grenze geschürt. Der Parteivorstand wollte sich auf einer Friedenskonferenz für die Stimme des Volkes einsetzen. Ein Flugblatt des Bezirksvorstands in Cottbus fordert eine "Revision im Sinne des deutschen Volkes". Die Block-CDU, welche die Vertriebenen umwarb, forderte in ihren lokalen Verbänden bis 1949 eine Grenzänderung. Danach verstummten solche Forderungen. Die sowjetische Militärmission sah darin die ideologische Vorbereitung eines Krieges. In den Kreisen Hoyerswerda und Bad Muskau wurde die CDU zeitweise verboten.
Doch schon bald gab es in der DDR nur noch eine Linie: Es war von der Oder-Neiße-Friedensgrenze die Rede, nicht mehr von einer Rückkehr der Vertriebenen. Im Gegensatz dazu standen Forderungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, die sich bis zum Ende des Jahrhunderts nicht selten gegen die eigene Überzeugung aus wahltaktischen Gründen zu Verfechtern von Vertriebeneninteressen machten.
Anders als die Bundesrepublik grenzte die DDR unmittelbar an die Vertreibungsgebiete. Das hatte Auswirkungen auf das Verhalten der Betroffenen. Das brandenburgische Amt für Information stellte fünf Jahre nach Kriegsende fest, dass viele Vertriebene trotz sehr schlechter Lebensbedingungen an der Grenze ihr Leben fristeten. Sie waren nicht dazu zu bewegen, den Wohnsitz zu wechseln, weil sie die Hoffnung hatten, dass sie eines Tages wieder über die Neiße in ihre alte Heimat würden zurückkehren können.
Die polnischen Vertriebenen, die aus den früher ostpolnischen Gebieten zwangsweise in die alten deutschen Ostgebiete umgesiedelt wurden, neigten eher dazu, die neue Ostgrenze des Landes zu akzeptieren. Viele fühlten sich für Orte und Landschaften nicht verantwortlich. "Die ungeklärte Eigentumsfrage, die fortwährende Unsicherheit, ob die Westgebiete auf Dauer polnisch bleiben würden, sowie allgemeine Misswirtschaft und Versorgungsmängel verursachten einen Verfall der Bausubstanz und der Landwirtschaft", schreibt Philipp Ther.
In Polen fehlte das, was die SED eine aus dem Westen kommende "Propaganda gegen die Friedensgrenze" nannte. Vergleiche zwischen dem Lebensstandard in den ehemaligen polnischen Ostgebieten und den neuen "Westgebieten" sowie die Berichte von Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion trugen nach Auffassung des Autors dazu bei, dass der Verlust der Heimat als endgültig hingenommen wurde. Widersprechen muss man dem Befund, die "Bevölkerungsverschiebungen" hätten sich für die Staaten nicht gelohnt, die daran beteiligt waren.
REINHARD MÜLLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie die Bruderstaaten DDR und Polen mit der Vertreibung umgingen
Philipp Ther: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 127. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen und Zürich 1998. 382 Seiten, 74,- Mark.
Die brandenburgische Vertriebenenverwaltung schrieb 1946: "Alle waren des Glaubens, in ihre alten Heimatgebiete zurückkehren zu können." Es blieb nicht bei Hoffnungen. Hunderttausende machten sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst wieder auf den Weg nach Hause in die östlichen Provinzen des Reiches. Jedes Gerücht über Veränderungen der Nachkriegsordnung wurde begierig aufgegriffen. Die thüringische Vertriebenenverwaltung hatte Mühe, Gartenparzellen an Vertriebene aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße zu vergeben. Bodenreformland wurde nur zögernd angenommen, weil man nicht damit rechnete, dauerhaft zu bleiben. Die "Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler" fand, dass Jugendliche "reaktionärer, revanchelüsterner Rückkehrpropaganda" anheimfielen.
Die SED, die schon bald die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Linie reklamieren sollte, hatte noch 1946 Hoffnungen auf eine Revision der Grenze geschürt. Der Parteivorstand wollte sich auf einer Friedenskonferenz für die Stimme des Volkes einsetzen. Ein Flugblatt des Bezirksvorstands in Cottbus fordert eine "Revision im Sinne des deutschen Volkes". Die Block-CDU, welche die Vertriebenen umwarb, forderte in ihren lokalen Verbänden bis 1949 eine Grenzänderung. Danach verstummten solche Forderungen. Die sowjetische Militärmission sah darin die ideologische Vorbereitung eines Krieges. In den Kreisen Hoyerswerda und Bad Muskau wurde die CDU zeitweise verboten.
Doch schon bald gab es in der DDR nur noch eine Linie: Es war von der Oder-Neiße-Friedensgrenze die Rede, nicht mehr von einer Rückkehr der Vertriebenen. Im Gegensatz dazu standen Forderungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, die sich bis zum Ende des Jahrhunderts nicht selten gegen die eigene Überzeugung aus wahltaktischen Gründen zu Verfechtern von Vertriebeneninteressen machten.
Anders als die Bundesrepublik grenzte die DDR unmittelbar an die Vertreibungsgebiete. Das hatte Auswirkungen auf das Verhalten der Betroffenen. Das brandenburgische Amt für Information stellte fünf Jahre nach Kriegsende fest, dass viele Vertriebene trotz sehr schlechter Lebensbedingungen an der Grenze ihr Leben fristeten. Sie waren nicht dazu zu bewegen, den Wohnsitz zu wechseln, weil sie die Hoffnung hatten, dass sie eines Tages wieder über die Neiße in ihre alte Heimat würden zurückkehren können.
Die polnischen Vertriebenen, die aus den früher ostpolnischen Gebieten zwangsweise in die alten deutschen Ostgebiete umgesiedelt wurden, neigten eher dazu, die neue Ostgrenze des Landes zu akzeptieren. Viele fühlten sich für Orte und Landschaften nicht verantwortlich. "Die ungeklärte Eigentumsfrage, die fortwährende Unsicherheit, ob die Westgebiete auf Dauer polnisch bleiben würden, sowie allgemeine Misswirtschaft und Versorgungsmängel verursachten einen Verfall der Bausubstanz und der Landwirtschaft", schreibt Philipp Ther.
In Polen fehlte das, was die SED eine aus dem Westen kommende "Propaganda gegen die Friedensgrenze" nannte. Vergleiche zwischen dem Lebensstandard in den ehemaligen polnischen Ostgebieten und den neuen "Westgebieten" sowie die Berichte von Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion trugen nach Auffassung des Autors dazu bei, dass der Verlust der Heimat als endgültig hingenommen wurde. Widersprechen muss man dem Befund, die "Bevölkerungsverschiebungen" hätten sich für die Staaten nicht gelohnt, die daran beteiligt waren.
REINHARD MÜLLER
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Die ehemaligen deutschen Ostgebiete in Polen sind ein politisch brisantes Thema, weshalb ein Großteil der Literatur über die Vertreibungen von Vertriebenen für Vertriebene verfasst wurde. Um so lobenswerter findet Sabine Vogel das Dissertationsthema von Philipp Ther, der sich dem Sujet als einem europäischen Phänomen nähert, wie Vogel erläutert. Er untersucht, was mit den deutschstämmigen Vertriebenen in der SBZ und in den westlichen Besatzungszonen geschah; dies konfrontiert er mit den Erfahrungen der polnischen Umsiedler, die aus dem Russland zugeschlagenen Teil Polens in die "ehemaligen Ostgebiete" längs der Oder-Neiße-Grenze transferiert wurden. Wen wundert`s, so Vogel, Ther konstatiert hier wie da großes Leid: denn die polnischen Neubauern waren andere Siedlungsformen und Anbaumethoden gewohnt. Ingesamt wurden die Vertriebenen in der SBZ schneller integriert als in Westdeutschland, berichtet Vogel von Thers Untersuchungen, weshalb die Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik so lange politisches Kapital daraus schlagen konnten. Das Buch sei eine überzeugende Verbindung von Politik- und Alltagsgeschichte, resümiert die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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