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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2011

Warnung: Schuldenfalle
Werner Abelshausers deutsche Wirtschaftsgeschichte

Nun liegt sie also vor: Werner Abelshausers Neuauflage der "Deutschen Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart". Der Kraftakt des 66 Jahre alten Wirtschaftshistorikers verdient Respekt, ist es doch kein Leichtes, 65 Jahre Wirtschaftsgeschichte so fortzuschreiben, dass der Leser 620 Seiten lang bei der Stange bleibt. Die Auflage zuvor (2004) war noch mit rund 100 Seiten weniger ausgekommen. Aber Abelshauser sah beträchtlichen Handlungsbedarf - für neue Fragen wie nach den Möglichkeiten und Grenzen nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik, nach den komparativen Vorteilen der deutschen Wirtschaft und ihrer Position im Wettbewerb der Wirtschaftsstrukturen, nach dem wachsenden Einfluss der Finanzbranche auf die Gesamtwirtschaft und den Konsequenzen, die dieser Einfluss für die Stabilität der nationalen wie internationalen Entwicklung haben wird.

In der Erweiterung der Themenpalette wählt der Autor nicht den Weg über ein zusätzliches Kapitel, sondern er erweitert die betroffenen Kapitel. Diese elegante Methode hat allerdings ihre Tücken: Sie führt zuweilen zu Überschneidungen oder zu nicht immer einsichtigen Aufsplitterungen von verwandten Fragen und Aspekten der Analyse.

In den Fragen zur Finanzmarktkrise, dem spannendsten aktuellen Kapitel, erweckt die Lektüre den Eindruck, als verliere sich der Autor zu oft in allgemeinverbindlichen, analytisch-abstrakten Erörterungen. Jedenfalls fehlt hier vielfach das pralle Leben in der Darstellung wie die Unterfütterung mit handelnden Personen und realen Vorgängen und Entwicklungen. Die amerikanische Immobilienkrise als Auslöser für den Crash wird in diesem Abschnitt nur am Rand erwähnt, die Abkehr der amerikanischen Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank vom stabilitätspolitischen Kurs durch den Ankauf von Staatspapieren wird nicht erwähnt.

Auf nur 18 Seiten handelt Abelshauser das brennend heiße Thema "Herausforderungen der Finanzmarktkrise" ab, wobei ein Vergleich der aktuellen Situation mit der Bankenkrise von 1931 im Mittelpunkt steht. So habe der Finanzsektor seit den siebziger Jahren seinen Anteil am Bruttoinlandsprodukt beträchtlich steigern können - verbunden mit einer stetigen Abkoppelung der Finanzmärkte von den Kontroll- und Steuerwirkungen der Geldpolitik sowie einer zunehmenden Krisenanfälligkeit des Finanzsystems. Andererseits seien die nationalen und internationalen Rahmenbedingungen jetzt von anderer Art als 1931. So stehe der Staat heute nicht in der Krise. Er habe seine Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Die Zentralbanken in Amerika, Europa und Ostasien hätten sich zudem nach der Lehman-Pleite rasch und gründlich auf ihre Rolle als "Kreditgeber der letzten Instanz" besonnen. Schließlich sei das Katastrophenbewusstsein gewachsen - im Gegensatz zu 1931, als man sich überwiegend auf die Selbstheilungskräfte des Marktes verlassen habe.

Trotz dieses tröstlichen Befundes weist der Autor aber darauf hin, dass die Finanzmarktkrise noch keinesfalls unter Kontrolle ist. Im engen Zusammenhang mit der Krise warnt Abelshauser vor der wachsenden Staatsverschuldung - vor einer Schuldenfalle, die den Handlungsspielraum des Staates lähmen werde. In die Rolle des Beraters schlüpfend, nennt er mehrere Möglichkeiten der Entschuldung: Staatsbankrott mit anschließender Währungsreform (diese Radikallösung sei aber wenig realistisch), eine Teilrückzahlung der Staatsschulden (die in historischer Perspektive auch sehr selten sei) oder eine volle Rückführung (die ökonomisch aber wohl auch nicht in Frage komme, weil der Staat eine Deflation heraufbeschwören könne). So blieben nur noch zwei Strategien: eine Konsolidierung der Staatsschuld in langfristige, niedrig verzinste Schuldtitel sowie eine Relativierung der Schuldenlast über Wachstum, verbunden mit einer "milden Inflation".

Im Übrigen bleibt Abelshauser auch in der Neuauflage seines Buches seinen früheren Bewertungen und Analysen, die ihm zum Teil deutliche Kritik eingetragen haben, treu. Dazu zählen seine Ausführungen über die Gründe des deutschen Wirtschaftswunders, wonach nicht die Währungsreform, der Marshallplan und die Politik Ludwig Erhards in erster Linie der Grund für den Wiederaufstieg gewesen seien, sondern die Kraft der Wirtschaft zu Neuordnung, die niedrigen Löhne, die aufnahmefähigen Weltmärkte, der zurückgestaute technische Fortschritt und die unterbewertete D-Mark sowie die korporative (soziale) Marktwirtschaft.

Als Anwalt des deutschen Modells traut er dem britisch-amerikanischen nicht über den Weg, wenn er auch Reformen und eine Entschlackung der sozialen Marktwirtschaft für notwendig hält. Seine Ausführungen über das deutsche Modell und die reformliberalen Ansätze nach der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren bis in die frühe Nachkriegszeit bleiben sein Markenzeichen in der Literatur zur deutschen Wirtschaftsgeschichte.

HORST DOHM.

Werner Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte.

Verlag C. H. Beck, 2. Auflage, München 2011, 620 Seiten, 19,95 Euro

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