Produktdetails
- Texte, Thesen Bd.266
- Verlag: Edition Interfrom
- 1995.
- Deutsch
- Gewicht: 294g
- ISBN-13: 9783720152662
- ISBN-10: 3720152669
- Artikelnr.: 05517885
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Nachdem Frauen noch Menschen waren: die Deutschen bleiben trauerunwillig
Brigitte Rauschenbach: Deutsche Zusammenhänge. Zeitdiagnose als politische Psychologie. Reihe Texte + Thesen 266. Verlag A. Fromm Edition Interfrom, Zürich und Osnabrück 1995. 234 Seiten, 22,- Mark.
Wenn ich ein Wort wäre, würde ich zusehen, daß ich nicht da bin, wenn Brigitte Rauschenbach kommt. Aber vermutlich würde das nicht viel nützen, denn Frau Rauschenbach kennt ihre Wörter wie Pappenheimer und holt gerade die aus der Ecke, die bocken. Gesetzt also den Fall, ich wäre das unumwundene Wort Identität oder das noch unumwundenere Wort Entdifferenzierung oder das sagenhaft unumwundene Wort Bezugsdimension, dann bliebe mir nur noch, mich zwar äußerlich akkurat zur Verfügung zu stellen, aber inhaltlich zu verpuffen. Piff.
Normalerweise merkt das eh niemand, weil sinnvolle Bücher, wie sie Autoren wie Brigitte Rauschenbach schreiben, sowieso nur vom eingeweihten Fachpersonal gelesen werden, das schon alles weiß und nur noch durch ein paar neue Schlaufen muß. "Deutsche Zusammenhänge" sind es jedenfalls, die uns Frau Rauschenbach diagnostiziert; jeder weiß natürlich, daß Diagnosen Patienten gelten. Denn selbstverständlich ist der deutsche Zusammenhang krank und schwach und außerdem wehleidig.
Da tun anscheinend kalte Sätze not, die, schwer vor chirurgischer Bemessenheit, ihre kategorischen Messer wetzen und ansetzen, wo immer Wörter wie Identität, Identitätsstrategie oder Identitätsfigur anwendbar, pardon: operabel sind. Leider fließt, trotz einiger Ossi-O-Töne, kein Tröpfchen Blut, was auf einen unter der Sachlage liegenden Menschen verweisen könnte, in unserem Fall den geteilten Deutschen - aber warum jemand mit Farbe ausstatten, der sowieso unter Anämie leidet? Also klemmt man den armen Tor, die arme Torin, lieber mit den Hauptwörtern des Diskurses ab, so daß eventuelle Leser in eine Art Nominaltrance verfallen und erst wieder aufwachen, wenn das Buch zu Ende ist.
Dann aber! Dann wimmelt es im kollektiven Kopf nur so von Identitätsstrategien, die in "kollektiven Krisen entstehen und auf kollektive Verhältnisse zielen", die übrigens, soso, durchaus verschieden ausfallen können. Oder es hechelt vor geschnürtem Diskurs - sei's zum Thema Heimat ("formuliert der Heimatbegriff gegen den Zwang oder die Freiheit wegzugehen einen Einspruch"), zum Eigenen und zum Fremden, zur geteilten Alltagserfahrung (Zusammenwachs-Strategie: "zivilisiertes Bewußtsein der Störung"), zum Frauenbewußtsein (wonach "Frauen in der DDR Menschen waren" wegen des Menschenrechts auf Arbeit). Einiges atmet wenigstens manchmal, wie die Ausführungen über die Unwilligkeit zu Trauern und die Melancholie, die verfehlten deutschen Abschiede, die Lahmheit der Linken angesichts ihrer einstürzenden alten Überbauten.
Fazit, schlicht: Wir sind nicht eins, sondern zwei. Und: Eigentlich könnten alle besser sein, wenn nur alle ihre Biographien in zivilisationsadäquaten Kommunikationsprozessen, sprich: Gesprächen, durcharbeiteten und ihre eigentliche deutsche Nicht-Identität anerkennten. Der west-östliche Diwan wäre heute besser eine Therapiecouch. Selbstverständlich tun wir Brigitte Rauschenbach, Privatdozentin für Politische Psychologie und Sozialphilosophie an der FU Berlin, unrecht. Sie hat ja nichts Geringeres im Sinn, als aus der "politischen Spaltung das Dispositiv einer mentalen Spaltung" herauszusezieren und Strategien zu entwickeln, diese zu überwinden. Aber daß Politpsychologie und selbst Staatsphilosophie, wenn sie den Leuten nicht nur vor-, sondern auch zugedacht ist, verständlich, ja sogar unterhaltsam sein darf, haben schon ganz andere bewiesen.
Kurzum, auch wenn man noch so unlesbar schreibt, bleibt am Ende übrig: daß es durchaus an Menschen liegt, daß die Spaltung eine Spaltung ist. Und daß nur, wer sich persönlicher und allgemeiner Schattenseiten annimmt, aus seiner Geschichte lernt. Ach ja. Erst das setzt ja Veränderung voraus. Eine hübsche Veränderung hin zur Ich-Stärke, die keine krankhafte Abgrenzung und keinen Haß mehr braucht, um die eigene Schwäche zu kompensieren. Und die einen deutschen Zusammenhang jenseits von nationalem Pathos ermöglichen könnte. Klingt nicht gerade neu, macht aber nichts. Vielleicht müßte man es nur noch mal rumerzählen. Vielleicht mit noch ein paar mehr Verben. Tu-Wörtern. Damit das auch mal jemand macht.
CLAUDIA KOHLHASE
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