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Gabor Steingarts intelligente und pointierte Analyse über Aufstieg und Absturz des Wohlfahrtsstaates Deutschland hat eine Debatte über die Zukunft unseres Landes ausgelöst. Und er weiß, wovon er spricht: Als Chef des Berliner Spiegel-Büros arbeitet er im Zentrum des politischen Geschehens. Er zieht eine überraschende Schlussbilanz, denn unsere Art zu arbeiten, zu leben und Politik zu machen, ist längst überholt. Die Summe der Neuerungen kommt einer Neugründung des Staates gleich.

Produktbeschreibung
Gabor Steingarts intelligente und pointierte Analyse über Aufstieg und Absturz des Wohlfahrtsstaates Deutschland hat eine Debatte über die Zukunft unseres Landes ausgelöst. Und er weiß, wovon er spricht: Als Chef des Berliner Spiegel-Büros arbeitet er im Zentrum des politischen Geschehens. Er zieht eine überraschende Schlussbilanz, denn unsere Art zu arbeiten, zu leben und Politik zu machen, ist längst überholt. Die Summe der Neuerungen kommt einer Neugründung des Staates gleich.
Autorenporträt
Gabor Steingart, geb. 1962, studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft in Marburg und Berlin und absolvierte die Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalismus. Seit 1990 arbeitet er beim Spiegel und übernahm 2001 die Leitung des Hauptstadtbüros in Berlin. Im Juli 2007 wechselt er als Autor und Korrespondent in das Büro in Washington. Sein Bestseller »Deutschland. Der Abstieg eines Superstars« entfachte eine leidenschaftliche Diskussion um die deutsche Dauerkrise und ihre Ursachen. Angeregt durch Steingarts Analyse entstanden die große ZDF-Dokumentation 'Der Fall Deutschland' und das Buch 'Der Fall Deutschland. Abstieg eines Superstars' (Stefan Aust, Claus Richter, Gabor Steingart unter Mitarbeit von Matthias Ziemann). 2004 wurde Steingart zum Wirtschaftsjournalisten des Jahres gewählt, 2007 erhielt er den Helmut-Schmidt-Journalistenpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2004

Rezepte für den kranken Mann
Die Politik macht Reformpause. Aber die Reformbücher haben Konjunktur

VON RAINER HANK

Vor zwanzig Jahren zählte Deutschland zu den reichsten Ländern Europas. Im Jahr 2003 fiel das Prokopfeinkommen hierzulande zum erstenmal um ein Prozent unter den europäischen Durchschnitt. Gerade vier der 15 EU-Mitgliedsländer sind ärmer als die Deutschen.

Wir steigen ab. Und keiner merkt es. Denn Deutschland ist nach wie vor ein reiches Land. Und der Abstieg vollzieht sich schleichend. Aber unsere Nachbarn konnten in den vergangenen Jahren ihren Wohlstand deutlicher mehren. Erst haben die Briten uns überholt, dann die Franzosen. "Wenn das so weitergeht, wird die Bundesrepublik in zehn Jahren auf dem Stand von Portugal angekommen sein", prophezeit Klaus F. Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Gar nicht so übel, entgegnen Spötter, wenn es dazu auch die Sonne der Algarve gibt. Doch der Spott bleibt im Halse stecken beim Gedanken an wachsende Lasten zur Vorsorge für Krankheit und Alter, die zusätzlich das verfügbare Einkommen der Menschen schrumpfen lassen.

Die Politik hat zur Zeit andere Sorgen. Leider. Rot-Grün ist damit beschäftigt, die eigene Klientel bei Laune zu halten mit Debatten über Ausbildungsplatzabgaben und Erbschaftssteuererhöhungen. Das kann im schlimmsten Fall bis zur nächsten Bundestagswahl dauern. Und auch die Opposition sorgt sich mehr um die nächste Kanzlerkandidatin als um den Standort. Wenn die Politik schon nicht hilft, dann helfen womöglich Bücher. In ungewöhnlich großer Zahl drängen in diesem Frühjahr Reformautoren auf den Markt. Ökonomen, Historiker und Wirtschaftsjournalisten präsentieren Vorschläge zum Umbau und zur Rettung des Sozialstaates. Die Autoren stellen zugleich die Frage, warum den Deutschen Reformen offenbar schwerer fallen als den Nachbarn.

Doch nur wegen der anhaltenden Reformdebatte gleich von einer "Generation Reform" zu sprechen, hätte jemand rechtzeitig dem Beck-Verlag und seinem Autor Paul Nolte ausreden sollen. Denn der - ohnehin ziemlich inflationär gebrauchte - Generationenbegriff bezieht sich auf die soziale und kulturelle Prägung einer Alterskohorte - die Erfahrung der Flakhelfer in den 40er Jahren oder der Familienausflug im Golf in den Siebzigern. Diejenigen aber, die heute über Reformen schreiben, wurden in ihrer Jugend gerade nicht von Reformen geprägt, sondern - ganz im Gegenteil - vom fröhlichen Ausbau des Wohlfahrtsstaates.

Die Generationengemeinsamkeiten liegen woanders: Der Historiker Paul Nolte (Jahrgang 1963) oder die Wirtschaftsjournalisten Gabor Steingart (Jahrgang 1962) und Christoph Keese (Jahrgang 1964) teilen die Erfahrung der Babyboomer: "Den Protest an den Universitäten kannten sie nur noch vom Hörensagen, die 68er begegneten ihnen bereits als freundliche und bärtige, aber auch etwas unsichere Studienräte", schreibt Nolte. Wer in den 60er Jahren geboren wurde, wuchs auf in einer eigenartigen Übergangszeit zwischen Nachkriegsgesellschaft und Massenwohlstand: vor ihnen die träge gewordenen linken Systemveränderer, nach ihnen die Freunde der Spaßgesellschaft. Während die Älteren bis heute gegenüber Kapitalismus und Globalisierung das skeptische Ressentiment pflegen, leben Nolte und seine Genossen die Überzeugung, daß der Markt nicht nur das effizienteste, sondern auch das moralisch überlegene Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sei. Das Feindbild Neoliberalismus - "jene Panzersperre aller Reformverhinderer" - schreckt sie nicht.

Keese geht noch weiter: "Wer links ist, sollte Kapitalist sein." Offene Märkte in einer globalen Welt sind zuverlässige Garanten für Wachstum und Wohlstand der Dritten Welt. Und der Abbau von Handelsschranken ist für die Armen besser als alle Entwicklungshilfe, welche die Linke in den 70er und 80er Jahren als Heilmittel zum Abbau weltweiter Ungleichheit predigte. Das Rezept der Globalisierungsgegner von heute - Mindestlöhne oder Umweltstandards - ist nichts anderes als Protektionismus im moralischen Gewand: Begüterte Mittelschichten der reichen Welt, die befürchten, im Wettbewerb mit den Entwicklungsländern ihr Einkommen nicht mehr halten zu können, kämpfen für ihre Privilegien.

Mit dem gleichen moralischen Impetus blicken die Autoren auch auf den deutschen Sozialstaat am Beginn des 21. Jahrhunderts. Kann es gerecht sein, daß 4,5 Millionen Menschen dauerhaft ohne Arbeit sind? Wohin führt es, wenn Arbeit durch die Lohnpolitik des Tarifkartells und die Sozialpolitik der Regierung immer teurer wird? Wie kann der weitere Abstieg Deutschlands aufgehalten werden?

Die Alternativen liegen auf dem Tisch. Es braucht mehr Markt und mehr Wettbewerb gerade dort, wo das "deutsche Modell" diesen bislang unterband: auf dem Arbeitsmarkt, in den Steuersystemen, in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Diese Überzeugung teilen alle Reformbücher: Die Menschen müssen - und dürften - mehr Eigenverantwortung übernehmen. Solche Empfehlungen werden in den Büchern dieses Frühjahrs nicht zum erstenmal gegeben, weshalb bei der Lektüre zuweilen Langeweile aufkommen kann (besonders groß ist diese Gefahr bei Norbert Walter).

Weitaus überraschender sind hingegen die Hinweise, warum Reformen in Deutschland schwerer ins Werk zu setzen sind als etwa in England oder in Schweden. Es gibt hierzulande besonders viele Vetospieler (von den Gewerkschaften bis zum Verfassungsgericht), die gute Ideen rasch beerdigen. Besonders krank ist der deutsche Föderalismus: Während die Bundesländer alle Einnahmen- und Gestaltungsautonomie verloren, gewannen sie zugleich große Blockademacht im Bund. Der Bundesrat hat sich zu einer Gegenregierung entwickelt.

Doch warum hat sich Deutschland diese Fesseln selbst angelegt? Die gängige These lautet: In Deutschland geht Gleichheit vor Effizienz und Umverteilungsgerechtigkeit vor Wachstum. Das allein befriedigt nicht, gilt das Primat der Gleichheit doch für alle Länder Kontinentaleuropas. Eine nationale Erklärung führt zurück zum historischen Trauma der Deutschen im 20. Jahrhundert. Nach der Katastrophe der Nazizeit sollte politische Macht durch möglichst viel Gegenmacht begrenzt werden. Und die Erfahrung radikaler Instabilität brachte die Sehnsucht nach größtmöglicher Stabilität. Paul Nolte nennt das die "Equilibrium-Gesellschaft": eine Gesellschaft, in der sich alles im Gleichgewicht befindet. Das ist das Gegenteil einer Wettbewerbsgesellschaft - und kostet Wachstum. Steingart spricht vom "Anti-Führer-Staat", dessen oberstes Prinzip lautet: "Keine Macht für niemanden." Die Väter des deutschen Modells wollten politische "Führer" verhindern, weil sie erfahren hatten, daß Macht in verbrecherischer Absicht mißbraucht wurde. Sie bauten ein Land auf der Basis von "Checks and Balances". Der Preis dafür ist hoch. Die politischen Akteure blockieren einander.

Die Konsequenz aus diesem historischen Befund wird am radikalsten im Buch zweiter Autoren aus der Schweiz gezogen (Heiniger/Straubhaar): Deutschland braucht "Leadership". Was der Schumpetersche Unternehmer in der Marktwirtschaft ist, muß der Schumpetersche Reformer in der Politik sein.

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Ein Buch wie ein Gewittervogel, der eine neue Wetterlage ankündigt. Die scharfsichtige Analyse der Fehlentwicklungen ist in dieser Klarheit und Konsequenz neu in Deutschland. (Die Zeit)