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Der Krieg wirft Wladimir Gelfand, einen jungen ukrainischen Juden, aus seiner Lebensbahn. Zuerst an der Front, dann im besiegten Deutschland, erlebt er Tod und Zerstörung, erfährt Kameradschaft und Niedertracht. In seinen Tagebüchern aus den Jahren 1945 und 1946 setzt sich Gelfand schonungslos mit dem ungeliebten Soldatenleben auseinander. Er schildert die Kämpfe, seine Politarbeit und die Zeit der Besatzung, während der er für den Transport von Reparationsgütern zuständig ist. Er macht seine ganz eigenen Erfahrungen - auch mit Frauen. Sensibler Beobachter und Mittäter in einer Person,…mehr

Produktbeschreibung
Der Krieg wirft Wladimir Gelfand, einen jungen ukrainischen Juden, aus seiner Lebensbahn. Zuerst an der Front, dann im besiegten Deutschland, erlebt er Tod und Zerstörung, erfährt Kameradschaft und Niedertracht. In seinen Tagebüchern aus den Jahren 1945 und 1946 setzt sich Gelfand schonungslos mit dem ungeliebten Soldatenleben auseinander. Er schildert die Kämpfe, seine Politarbeit und die Zeit der Besatzung, während der er für den Transport von Reparationsgütern zuständig ist. Er macht seine ganz eigenen Erfahrungen - auch mit Frauen. Sensibler Beobachter und Mittäter in einer Person, schließt er in seinen Schilderungen auch Racheakte und Beutenahmen nicht aus.
Autorenporträt
Wladimir Gelfand, geboren am 1923 in Nowo-Archangelsk (Ukraine), Jude, einziger Sohn seiner Eltern. Die Familie zieht 1928 nach Dneprodzerschinsk (Ukraine). Wegen Anrückens deutscher Truppen wurde die Stadt evakuiert. Gelfand meldete sich im April 1942 zur Roten Armee und marschierte mit seiner Einheit Anfang Mai 1945 in Berlin ein. Im September 1946 kehrte er nach Dnepropetrowsk zurück, wo auch die Eltern wieder lebten. Gelfand arbeitete bis zu seinem Tode ununterbrochen in der gleichen städtischen Polytechnischen Berufsschule in Dnepropetrowsk. Er leitete dort einen Geschichtszirkel, schrieb für verschiedenen regionale Zeitungen und Zeitschriften. Er war aktives Parteimitglied.Wladimir N. Gelfand starb 1983.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2005

So dachten die Sieger
Zwei einzigartige Dokumente: Osmar Whites „Straße des Siegers” und Wladimir Gelfands „Deutschland-Tagebuch”
„Sie betreten Deutschland - keine Fraternisierung”, stand auf einem Schild, das Soldaten aus Pattons 3. Armee im März 1945 an eine notdürftig wiederhergestellte Brücke über die Sauer nagelten. Der Kriegsberichterstatter Osmar White sah es und erinnerte sich, gelesen zu haben, dass die Russen andere Warnschilder verwendeten: „Die Höhle der Bestie”. Nun fragte sich der australische Reporter an der Seite der US-Streitkräfte, „worin der Unterschied bestand”.
Der Anblick zerbombter Städte, der Trümmer von Bitburg, Jülich oder Düren, schien die Soldaten mit „einer Art stiller Genugtuung” zu erfüllen. White „hörte förmlich, wie ihnen durch den Kopf ging: ,Das geschieht ihnen recht‘.” Ein zwanzigjähriger Kampfpilot erzählte dem Reporter aus Australien nach Tiefflugeinsätzen gegen Wehrmachtskolonnen: „Es war wie die Jagd auf Ratten. Ja, Rattenjagd. Du stöberst sie auf. Du holst aus. Du schlägst auf das Ungeziefer drauf. Du tötest es.”
Einen Monat zuvor, im Februar, hatte der sowjetische Leutnant Wladimir Gelfand, in einer Granatwerferstellung auf dem Oderdeich von einem deutschen Frauenbataillon gehört, dass völlig aufgerieben worden sein sollte. In seinem Tagebuch notierte der 21-Jährige: „Ich weiß nicht, was man mit ihnen gemacht hat, aber man sollte sie ohne Erbarmen hinrichten. Unsere Soldaten schlagen vor, diese Schurkinnen durch die Geschlechtsorgane zu pfählen, doch ich würde sie schlicht und einfach liquidieren.”
Und spucke auf Berlin
Ende April 1945, Gelfand hatte soeben Fahrrad fahren gelernt, traf er in einem Berliner Außenbezirk auf eine Gruppe schwer bepackter deutscher Frauen, die unter Tränen auf ihn einredeten. Er wollte unbedingt herausfinden, was sie quälte. „Schreckerfüllt erzählten sie von dem Leid, das ihnen die Sturmtruppen in der ersten Nacht, als die Rote Armee einrückte, zugefügt hatten.” Später wird der junge Leutnant die „Störenfriede und Provokateure” als „Feinde und Halunken” verfluchen: „Diese Bastarde müssen gnadenlos aus unserer Mitte entfernt werden, permanent, täglich gezüchtigt werden.” Im Reichstag aber hinterlässt er eine unmissverständliche Inschrift: „Auf dem Balkon eines Berliner Hauses / Steh ich mit den Kameraden / Und schaue und spucke auf Deutschland / Auf Berlin, das besiegte, spuck ich”.
White wie Gelfand erzählen von den letzten Kämpfen im Frühjahr 1945, von ersten Begegnungen mit den besiegten Deutschen, vom Verhalten ihrer Kameraden. Die beiden unterscheiden sich grundsätzlich: White, Jahrgang 1909, hatte, bevor er nach Deutschland kam, mit „Green Armour” bereits ein erfolgreiches Buch über den Krieg im Pazifik geschrieben und konnte sich weitgehend frei bewegen. Er berichtet von der Befreiung des KZ Buchenwald und der Kapitulation der Wehrmachtsführung, von Vertriebenen und Gesprächen mit mehr oder weniger durchschnittlichen Deutschen. „Die Straße des Siegers” sollte bereits 1946 in den USA und Großbritannien erscheinen, aber die Verleger verzichteten ohne Erklärung auf die Publikation. Erst in den achtziger Jahren holte White das Manuskript wieder hervor und überarbeitete es.
Gelfand hingegen, der sechzehn Monate in Deutschland blieb, hatte 1945 gerade erst begonnen, sich und das Leben kennen zu lernen. Er wurde 1923 in der Ostukraine geboren, seine Eltern gehörten zur proletarisierten jüdischen Minderheit. Im April 1942 meldete er sich zur Front. Seine Erlebnisse und Gedanken hielt er in Heften, auf Notizblöcken und losen Blättern fest. Das bot ihm seelischen Rückhalt und erlaubte ihm, sich im Formulieren zu üben. Noch lange nach seiner Rückkehr in die Heimat, wo er in Perm und Dnepropetrowsk als Berufsschullehrer arbeitete, plante er, das Material für einen großen Kriegsroman zu nutzen. Die Geschichten und Artikel, die er in den siebziger Jahren schrieb, folgen allerdings überwiegend den Vorgaben der offiziellen Erinnerungspolitik. Als Wladimir Gelfand 1983 starb, übernahm sein Sohn Vitali die Sammlung, 1995 wanderte er nach Deutschland aus. Elke Scherstjanoi hat sie für den Aufbau-Verlag durchgesehen, eine Auswahl getroffen und diese um Briefe ergänzt und kommentiert. Zum ersten Mal können wir nun auf Deutsch das Tagebuch eines Offiziers der Roten Armee lesen.
Eines aber ist White und Gelfand gemeinsam. So deutlich sie auf der Seite der Alliierten stehen, so kritisch beobachten sie das Treiben der Siegermächte, Übergriffe, Illusionen, Inkonsequenzen. Im August und September 1945 trafen in Berlin Waggonladungen von Flüchtlingen aus Schlesien und Ostpreußen ein. Eine Frau zupfte White am Ärmel und bettelte um Essen. „Ich fragte mich, ob sie, nur weil sie Deutsche war, weniger Mitleid verdiente als die wandelnden Skelette am Fuß des Hügels in Buchenwald.”
Gelfand, der als Parteimitglied in den Krieg ziehen und zeitweise Politoffizier werden wollte, wirkt durchgängig naiver, befangener. Als Schöngeist und Jude wird er in der Armee gedemütigt, zurückgesetzt, bei Auszeichnungen übergangen. Bestätigung findet er unter den Frauen, denen er mit seinem Aussehen und seinen Manieren imponiert. Er trifft sich mit vielen, pflegt halb Versorgungs-, halb Liebesverhältnisse und genießt die Zärtlichkeiten in vollen Zügen, auch wenn ihm, dessen Verwandte umgebracht worden waren, eine Deutsche rassistische Lehren auftischt. Dennoch bleibt da Distanz: „Mit den deutschen Frauen stimme ich ideologisch und moralisch nicht überein. Es gibt hübsche, ja sogar Schönheiten unter ihnen, doch vermögen sie es nicht, meine Gefühle durch Liebe und Geist in Wallung zu versetzen.” Die Aufzeichnungen zeigen vor allem, wie selbstbewusst die Frontkämpfer der Roten Armee geworden waren. Er wolle, notiert er, „Freiheit!”. Gegen diesen neuen Geist bot Stalin nach dem Sieg die gesamte Unterdrückungs- und Propagandamaschinerie auf. Gelfand glaubte an den „großen Führer” und wurde doch sein Unbehagen nicht los.
Als in einem Kriegsgefangenenlager in Norddeutschland, so berichtet White, ein Film über das KZ Belsen vorgeführt wurde, schrieen die Wehrmachtssoldaten: „Was ist mit den hungernden Indianern?” Gegen diesen Geist der Aufrechnung, gegen den Rückzug in eine Wagenburgmentalität, sind persönliche Erinnerungen nach wie vor das beste Gegengift, ermöglichen sie es doch, die Sicht der anderen zu verstehen. Whites Reportagen und Gelfands Tagebuch zeugen von den Kleinigkeiten, die in den großen Geschichtserzählungen nicht auftauchen, ohne die diese aber unverständlich sind.
JENS BISKY
OSMAR WHITE: Die Straße des Siegers. Eine Reportage aus Deutschland 1945. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer. Mit Originalphotos des Autors. Piper Verlag, München 2005. 294 Seiten, 14 Euro.
WLADIMIR GELFAND: Deutschland-Tagebuch 1945-1946. Aufzeichnungen eines Rotarmisten. Aus dem Russischen von Anja Lutter und Hartmut Schröder. Ausgewählt und kommentiert von Elke Scherstjanoi. Aufbau-Verlag, Berlin 2005, 357 Seiten, 22,90 Euro.
Erst in Berlin lernte Wladimir Gelfand Fahrrad fahren.
Foto: Aufbau Verlag
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Interessante Einblicke in das Innenleben der Roten Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs" findet Rezensent Wolfram Wette in Wladimir Gelfands "Deutschland-Tagebuch 1945-1946". Wette beschreibt den Leutnant, einen überzeugten Kommunisten und Stalin-Verehrer, als intelligenten, sympathischen und gutaussehenden jungen Mann, der zu seiner Enttäuschung keinen Orden bekam, obwohl er bei den Kämpfen an der Oder mehrfach an vorderster Front gekämpft hatte - wohl weil er den raubeinigen Truppenoffizieren wegen seiner Schriftstellerei suspekt war. Erstaunlich findet Wette, wie "frei und selbstbewusst" sich Gelfand nach Kriegsende in Berlin bewegen konnte, wo er mit vielen Deutschen in Kontakt kam. Die Urteile über die Deutschen erscheinen dem Rezensenten ambivalent. Manche habe Gelfand sympathisch gefunden, andere hätten ihn wegen ihres "Herrenmenschendünkels" abgestoßen. Ein Vergewaltiger sei Gelfand nicht gewesen, wohl aber ein Frauenschwarm, dessen "offenherzigen Schilderungen" seiner Frauenbekanntschaften einen beträchtlichen Teil seiner Tagebucheintragungen  ausmachen. Für deutsche Leser interessant macht diese Aufzeichnungen nach Ansicht Wettes der "andere Blick" auf 1945, der dazu anrege, "eigene Vorurteile zu überprüfen". 

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