Unzählige Deutungsversuche, unzählige Bücher. Und doch: Sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wissen wir noch immer nicht, was diese Katastrophe eigentlich bedeutete. Fünfundfünfzig Millionen Kriegstote weltweit sprengen alle Dimensionen unserer Vorstellungskraft. Daß nahezu die ganze Welt in den tödlichsten Konflikt der Menschheitsgeschichte geriet, ausgelöst durch einen Mann, Adolf Hitler, bleibt unbegreiflich. Und dennoch: Wir sind gehalten, immer weiter nach den Ursachen, dem oft absurden Sinn, den Folgen dieses Krieges zu fragen. Wir müssen wissen, was Hitler dazu befähigte, einen Weltkrieg auszulösen, wer ihm dabei half, wer ihm widerstand, wie und warum die "Volksgenossen" mitmachten, was die Faszination dieses Eroberungskrieges ausmachte.
Michael Salewski legt einen Gesamtüberblick vor, der diese Fragen neu zu beantworten versucht. Er hat ihn mit der erzählerischen Kraft und dem pointierten Urteil, die ihn auszeichnen, geschrieben. Menschen stehen im Mittelpunkt seiner Darstellung, und folgerichtig auch die Erfahrungen, die Illusionen und die Schrecken, die der Krieg für sie bereithielt. Auch das Entsetzlichste, dessen Menschen in diesem Kriege fähig waren, nimmt Salewski in den Blick: die geplante und weitgehend vollzogene Vernichtung aller "Rassenfeinde", insbesondere der europäischen Juden.
Michael Salewski hat ein Buch geschrieben, in dem auch Erfahrungen der letzten Kriegsgeneration, zu der er sich noch zählt, reflektiert werden. Vor allem aber hat er ein Buch geschrieben, das, mit großem Atem erzählt, zu neuem Nachdenken über die "Geschichte, die nie vergeht", anregen will.
Der Autor:
Michael Salewski, Prof. Dr. phil., geb. 1938, ist em. Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Kiel.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Michael Salewski legt einen Gesamtüberblick vor, der diese Fragen neu zu beantworten versucht. Er hat ihn mit der erzählerischen Kraft und dem pointierten Urteil, die ihn auszeichnen, geschrieben. Menschen stehen im Mittelpunkt seiner Darstellung, und folgerichtig auch die Erfahrungen, die Illusionen und die Schrecken, die der Krieg für sie bereithielt. Auch das Entsetzlichste, dessen Menschen in diesem Kriege fähig waren, nimmt Salewski in den Blick: die geplante und weitgehend vollzogene Vernichtung aller "Rassenfeinde", insbesondere der europäischen Juden.
Michael Salewski hat ein Buch geschrieben, in dem auch Erfahrungen der letzten Kriegsgeneration, zu der er sich noch zählt, reflektiert werden. Vor allem aber hat er ein Buch geschrieben, das, mit großem Atem erzählt, zu neuem Nachdenken über die "Geschichte, die nie vergeht", anregen will.
Der Autor:
Michael Salewski, Prof. Dr. phil., geb. 1938, ist em. Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Kiel.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2005Düstere Aussichten
Michael Salewskis Geschichte des Zweiten Weltkriegs
Michael Salewski: Deutschland und der Zweite Weltkrieg. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2005. 442 Seiten, 39,90 [Euro].
Michael Salewski ist der Alt- und Großmeister der deutschen Marinehistoriker. Jetzt hat er ein Buch vorgelegt, mit dem er eine Gesamtgeschichte des Zweiten Weltkriegs anbietet - besser gesagt: eine Gesamteinordnung. Der Band bietet neue, manchmal unkonventionelle Bezüge, Analogien und Interpretationen. Er ist aus einer Vorlesung entstanden, und so greift der Autor manchmal zu Parallelen über Epochengrenzen hinweg, um der Zuhörer-, sprich: Leserschaft seine Bewertung besonders prägnant zu vermitteln. Das ist eine der großen Stärken des Bandes: Salewski scheute noch nie die geschliffene Formulierung, den griffigen Vergleich und das treffende Beispiel. Oder wie könnte man die vielbeschriebene Wissenschaftsfeindlichkeit des "Dritten Reiches" griffiger charakterisieren als mit Salewskis Diktum, man habe "auf Blut und Boden und nicht auf Bits und Bytes" gesetzt? Daher ist es eine Freude, diesen Band zu lesen - jedenfalls, wenn man schon das Wesentliche über den Kriegsverlauf weiß, was der Autor voraussetzt.
Salewskis Interpretation ist stark an der Person Hitlers orientiert; er positioniert sich eher intentionalistisch als funktionalistisch, neigt eher dem "starken Diktator" zu als dem schwachen - hier hätte man sich etwas mehr Reflexion der unterschiedlichen Forschungspositionen gewünscht. Manche flotte Formulierung übertüncht, daß das alles so selbstverständlich nicht ist, wie es hier scheint. Der Satz "Daraus ergibt sich, daß die Ermordung der Juden sich nicht so peu à peu ergeben hat, sondern von Anfang an vorgesehen war" bezieht Stellung in einer wichtigen und noch andauernden Debatte um die Interpretation des "Dritten Reiches" und des Holocaust - ohne diese Diskussion zu reflektieren. Wer allerdings Grundinformationen zum Holocaust sucht, der blättert hier wiederum vergebens: Auschwitz wird erwähnt, aber Treblinka, Sobibor und andere Vernichtungslager geraten aus dem Blick - auch hier setzt Salewski bei seiner Interpretation wieder Grundkenntnisse der Daten und Fakten voraus.
Da es - in der Sichtweise dieses Buches - Hitler war, der in seiner Verblendung das Unheil zu verantworten hat, bleibt die Verantwortung aller anderen eher konturenlos. Die Militärs - Manstein, Halder, gelegentlich Göring und natürlich Dönitz als Befehlshaber der U-Boote, später Oberbefehlshaber der Marine - finden gelegentlich Erwähnung. Gerade an Dönitz läßt Salewski kaum ein gutes Haar. Aber alle übrigen: die Diplomatie, Wirtschaft und Industrie, Journalisten, Schauspieler und Künstler, kurz: die ganze Kriegsgesellschaft, sie alle finden kaum statt.
Besonders bereichernd ist Salewskis Schilderung der Lebenswirklichkeit während des Krieges. Gewiß: er stellt Schleswig-Holstein und sein heimatliches Ostpreußen gelegentlich spürbar in den Vordergrund, aber auch die Existenz in den westdeutschen Großstädten während des Bombenkrieges, auf dem Lande oder die immer geringer werdenden Möglichkeiten des Reisens und der Kommunikation weiß er anschaulich zu schildern.
In einem separaten Kapitel führt das Buch vor Augen, wie sehr sich die Erwartungen sowohl der Alliierten als auch der deutschen Bevölkerung im Sommer 1944 auf die Invasion richteten: Beide Seiten sahen in ihr die eigentliche Entscheidungsschlacht in einem Krieg, der in der Realität - Salewski stellt es plastisch dar - schon längst entschieden war. Mit dem endgültigen Gelingen der Invasion wurde auch vielen Deutschen im Reich klar, daß die Aussichten auf einen "günstigen" Kriegsausgang schwanden.
Letztlich bedeutete der Ausgang des Zweiten Weltkriegs ein Abrücken der Westalliierten von ihrem ursprünglichen Kriegsziel, der Erhaltung der territorialen Integrität Polens. Statt dessen bedeutete die Anerkennung der zwischen Hitler und Stalin 1939 vereinbarten Westgrenze der Sowjetunion die Aufgabe großer polnischer Gebiete. Daß Polen anstandslos dem stalinistischen Machtbereich und damit dem strategischen Vorfeld der Sowjetunion zugeschlagen wurde, ließ erkennen, wie sich die eigentlichen Absichten der Westalliierten hin zu dem einen Ziel einer Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes gewandelt hatten.
Da, wo Salewski das Geschehen des Zweiten Weltkriegs in eine Gesamtgeschichte des 20. Jahrhunderts einbaut, sind seine Interpretationen und Vergleiche immer luzide und anregend. Stalins Forderung nach einem strategischen Glacis für die Sowjetunion aus den Erfahrungen mit dem westlich orientierten cordon sanitaire der zwanziger und dreißiger Jahre zu erklären oder Hitlers Drang nach Osten mit einer ideologischen Kontinuität seit dem späten 19. Jahrhundert in Verbindung zu bringen: das erfordert einen großen Überblick über die deutsche Geschichte der letzten 250 Jahre, und den beweist der Kieler Historiker mit diesem Buch allemal.
WINFRIED HEINEMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Salewskis Geschichte des Zweiten Weltkriegs
Michael Salewski: Deutschland und der Zweite Weltkrieg. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2005. 442 Seiten, 39,90 [Euro].
Michael Salewski ist der Alt- und Großmeister der deutschen Marinehistoriker. Jetzt hat er ein Buch vorgelegt, mit dem er eine Gesamtgeschichte des Zweiten Weltkriegs anbietet - besser gesagt: eine Gesamteinordnung. Der Band bietet neue, manchmal unkonventionelle Bezüge, Analogien und Interpretationen. Er ist aus einer Vorlesung entstanden, und so greift der Autor manchmal zu Parallelen über Epochengrenzen hinweg, um der Zuhörer-, sprich: Leserschaft seine Bewertung besonders prägnant zu vermitteln. Das ist eine der großen Stärken des Bandes: Salewski scheute noch nie die geschliffene Formulierung, den griffigen Vergleich und das treffende Beispiel. Oder wie könnte man die vielbeschriebene Wissenschaftsfeindlichkeit des "Dritten Reiches" griffiger charakterisieren als mit Salewskis Diktum, man habe "auf Blut und Boden und nicht auf Bits und Bytes" gesetzt? Daher ist es eine Freude, diesen Band zu lesen - jedenfalls, wenn man schon das Wesentliche über den Kriegsverlauf weiß, was der Autor voraussetzt.
Salewskis Interpretation ist stark an der Person Hitlers orientiert; er positioniert sich eher intentionalistisch als funktionalistisch, neigt eher dem "starken Diktator" zu als dem schwachen - hier hätte man sich etwas mehr Reflexion der unterschiedlichen Forschungspositionen gewünscht. Manche flotte Formulierung übertüncht, daß das alles so selbstverständlich nicht ist, wie es hier scheint. Der Satz "Daraus ergibt sich, daß die Ermordung der Juden sich nicht so peu à peu ergeben hat, sondern von Anfang an vorgesehen war" bezieht Stellung in einer wichtigen und noch andauernden Debatte um die Interpretation des "Dritten Reiches" und des Holocaust - ohne diese Diskussion zu reflektieren. Wer allerdings Grundinformationen zum Holocaust sucht, der blättert hier wiederum vergebens: Auschwitz wird erwähnt, aber Treblinka, Sobibor und andere Vernichtungslager geraten aus dem Blick - auch hier setzt Salewski bei seiner Interpretation wieder Grundkenntnisse der Daten und Fakten voraus.
Da es - in der Sichtweise dieses Buches - Hitler war, der in seiner Verblendung das Unheil zu verantworten hat, bleibt die Verantwortung aller anderen eher konturenlos. Die Militärs - Manstein, Halder, gelegentlich Göring und natürlich Dönitz als Befehlshaber der U-Boote, später Oberbefehlshaber der Marine - finden gelegentlich Erwähnung. Gerade an Dönitz läßt Salewski kaum ein gutes Haar. Aber alle übrigen: die Diplomatie, Wirtschaft und Industrie, Journalisten, Schauspieler und Künstler, kurz: die ganze Kriegsgesellschaft, sie alle finden kaum statt.
Besonders bereichernd ist Salewskis Schilderung der Lebenswirklichkeit während des Krieges. Gewiß: er stellt Schleswig-Holstein und sein heimatliches Ostpreußen gelegentlich spürbar in den Vordergrund, aber auch die Existenz in den westdeutschen Großstädten während des Bombenkrieges, auf dem Lande oder die immer geringer werdenden Möglichkeiten des Reisens und der Kommunikation weiß er anschaulich zu schildern.
In einem separaten Kapitel führt das Buch vor Augen, wie sehr sich die Erwartungen sowohl der Alliierten als auch der deutschen Bevölkerung im Sommer 1944 auf die Invasion richteten: Beide Seiten sahen in ihr die eigentliche Entscheidungsschlacht in einem Krieg, der in der Realität - Salewski stellt es plastisch dar - schon längst entschieden war. Mit dem endgültigen Gelingen der Invasion wurde auch vielen Deutschen im Reich klar, daß die Aussichten auf einen "günstigen" Kriegsausgang schwanden.
Letztlich bedeutete der Ausgang des Zweiten Weltkriegs ein Abrücken der Westalliierten von ihrem ursprünglichen Kriegsziel, der Erhaltung der territorialen Integrität Polens. Statt dessen bedeutete die Anerkennung der zwischen Hitler und Stalin 1939 vereinbarten Westgrenze der Sowjetunion die Aufgabe großer polnischer Gebiete. Daß Polen anstandslos dem stalinistischen Machtbereich und damit dem strategischen Vorfeld der Sowjetunion zugeschlagen wurde, ließ erkennen, wie sich die eigentlichen Absichten der Westalliierten hin zu dem einen Ziel einer Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes gewandelt hatten.
Da, wo Salewski das Geschehen des Zweiten Weltkriegs in eine Gesamtgeschichte des 20. Jahrhunderts einbaut, sind seine Interpretationen und Vergleiche immer luzide und anregend. Stalins Forderung nach einem strategischen Glacis für die Sowjetunion aus den Erfahrungen mit dem westlich orientierten cordon sanitaire der zwanziger und dreißiger Jahre zu erklären oder Hitlers Drang nach Osten mit einer ideologischen Kontinuität seit dem späten 19. Jahrhundert in Verbindung zu bringen: das erfordert einen großen Überblick über die deutsche Geschichte der letzten 250 Jahre, und den beweist der Kieler Historiker mit diesem Buch allemal.
WINFRIED HEINEMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Recht angetan zeigt sich Winfried Heinemann von Michael Salewskis Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Eine der großen Stärken dieser aus einer Vorlesung entstandenen Geschichte sieht er in den geschliffenen Formulierungen, den griffigen Vergleichen und den treffenden Beispielen. Er hebt hervor, dass der Band auch "neue" und "manchmal unkonventionelle" Bezüge, Analogien und Interpretationen bietet, dass er aber auch Grundkenntnisse über den Kriegsverlauf voraussetzt. Nicht verschweigen will der Rezensent, dass durch manche "flotte Formulierung" übertüncht wird, dass das alles so selbstverständlich nicht ist, wie es hier scheine. Insbesondere bei Salewskis eher intentionalistischen Interpretation Hitlers hätte sich Heinemann eine stärkere Reflexion der Forschungspositionen gewünscht. Durch die Akzentuierung auf den Hitler als "starken Diktator" bleibe die Verantwortung des weiteren Personals Nazi-Deutschlands anderen eher unterbleichtet. "Besonders bereichernd" findet Heinemann dagegen Salewskis Schilderung der Lebenswirklichkeit während des Krieges. Insbesondere wo Salewski das Geschehen des Zweiten Weltkriegs in eine Gesamtgeschichte des 20. Jahrhunderts einbaue, so der Rezensent, "sind seine Interpretationen und Vergleiche immer luzide und anregend."
© Perlentaucher Medien GmbH
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