60 Jahre deutsch-französischer Freundschaftsvertrag - eine Gelegenheit, die gemeinsam erzielten Fortschritte zu würdigen. Mutige Entscheidungen haben Frieden und die gemeinsam vorangetriebene europäische Integration ermöglicht. Doch aktuelle Krisen, nationalistische Bewegungen, eine gespaltene politische Bevölkerung und mangelndes ziviles Interesse an einer europäischen Gemeinschaft drohen diese Zusammenarbeit ins Wanken zu bringen.Christophe Braouet plädiert dafür, auch in Zukunft ein starkes Europa und die soziale Marktwirtschaft nicht durch Alleingänge, sondern durch gemeinsame Bestrebungen zu tragen.Das Wohlbefinden sollte zum politischen Maßstab werden, um das Interesse der Zivilgesellschaft zurückzugewinnen.Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Politologie an der Sciences Po war Christophe Braouet viele Jahre lang im Bankwesen in Frankreich wie in Deutschland tätig. Als Kind deutsch-französischer Eltern ist er Doppel-Staatler und setzt sich seit 2004 als Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft Frankfurt für die Verständigung beider Völker ein. Zudem war er Mitglied des Hochschulrats der Deutsch-Französischen Hochschule und ist Vorstandsmitglied des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg (dfi).
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2023Das ungleiche Paar
Perspektiven für Frankreich und Deutschland
Über die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland kann sich kaum ein Autor kompetenter äußern als Christophe Braouet. Der Sohn deutsch-französischer Eltern hat Schulen in beiden Ländern besucht. In Frankreich hat er studiert; gearbeitet hat er in Frankreich wie in Deutschland. Nicht nur als langjähriger Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft in Frankfurt setzt sich Braouet für die Verständigung zwischen den Ländern ein. Gerade als Kenner weiß er um die Schwierigkeiten. "Die deutsch-französischen Unterschiede prägen mich, seitdem ich bewusst um mich schaue", schreibt Braouet in einem lesenswerten Buch, das sich 60 Jahre nach dem Élysée-Vertrag weniger der Vergangenheit widmet als der Zukunft. "Deutschland und Frankreich schaffen das", titelt Braouet nahezu beschwörend.
Aber was können Deutschland und Frankreich schaffen? Braouet entfaltet das Panorama eines geeinten und souveränen Europas, in dem die Politiker durch eine Bewahrung der Sozialen Marktwirtschaft stärker die Wünsche ihrer Bürger nach einem glücklichen Leben respektieren. Ein glückliches Leben sieht der Verfasser aber nicht allein materiell definiert. Um diese Ziele zu erreichen, müssten Frankreich und Deutschland stärker aufeinander zugehen, fordert er. Wenn dies so einfach wäre! Denn die Mittel Europas passen nicht zu den Ambitionen.
Die - seit je stärker von Frankreich als von Deutschland geforderte - Souveränität Europas gerade gegenüber den Vereinigten Staaten scheitert schon am Rückstand Europas in der Verteidigungsfähigkeit, der allenfalls im Verlauf von Jahrzehnten überwunden werden könnte. Nicht zufällig sucht der Bundeskanzler seit dem 24. Februar 2022 demonstrativ eher die Nähe des amerikanischen als die des französischen Staatspräsidenten. Eine - eher von Frankreich als von Deutschland erhoffte - Herausforderung des Dollars durch den Euro erscheint auf unabsehbare Zeit als Folge politischer, militärischer und wirtschaftlicher Insuffizienzen Europas unrealistisch.
Gemeinsame Konzerne in Zukunftstechnologien, die mit amerikanischen Riesen wetteifern? Airbus, gerne als Vorbild zitiert, taugt nicht als Exempel: Airbus war das Ergebnis einer - sehr langwierigen - Konsolidierung vorhandener nationaler Flugzeugindustrien, aber kein Aufbruch in eine völlig neue Welt. Braouet ist natürlich zuzustimmen: Das deutsch-französische Verhältnis bedarf einer Wiederbelebung. Doch die Ziele müssen zu den Mitteln passen. Ein langer Weg lässt sich nicht mit wenigen großen Schritten bewältigen. GERALD BRAUNBERGER
Christophe Braouet: Deutschland und Frankreich schaffen das. Tectum Verlag, Baden-Baden 2023, 236 Seiten, 39 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perspektiven für Frankreich und Deutschland
Über die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland kann sich kaum ein Autor kompetenter äußern als Christophe Braouet. Der Sohn deutsch-französischer Eltern hat Schulen in beiden Ländern besucht. In Frankreich hat er studiert; gearbeitet hat er in Frankreich wie in Deutschland. Nicht nur als langjähriger Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft in Frankfurt setzt sich Braouet für die Verständigung zwischen den Ländern ein. Gerade als Kenner weiß er um die Schwierigkeiten. "Die deutsch-französischen Unterschiede prägen mich, seitdem ich bewusst um mich schaue", schreibt Braouet in einem lesenswerten Buch, das sich 60 Jahre nach dem Élysée-Vertrag weniger der Vergangenheit widmet als der Zukunft. "Deutschland und Frankreich schaffen das", titelt Braouet nahezu beschwörend.
Aber was können Deutschland und Frankreich schaffen? Braouet entfaltet das Panorama eines geeinten und souveränen Europas, in dem die Politiker durch eine Bewahrung der Sozialen Marktwirtschaft stärker die Wünsche ihrer Bürger nach einem glücklichen Leben respektieren. Ein glückliches Leben sieht der Verfasser aber nicht allein materiell definiert. Um diese Ziele zu erreichen, müssten Frankreich und Deutschland stärker aufeinander zugehen, fordert er. Wenn dies so einfach wäre! Denn die Mittel Europas passen nicht zu den Ambitionen.
Die - seit je stärker von Frankreich als von Deutschland geforderte - Souveränität Europas gerade gegenüber den Vereinigten Staaten scheitert schon am Rückstand Europas in der Verteidigungsfähigkeit, der allenfalls im Verlauf von Jahrzehnten überwunden werden könnte. Nicht zufällig sucht der Bundeskanzler seit dem 24. Februar 2022 demonstrativ eher die Nähe des amerikanischen als die des französischen Staatspräsidenten. Eine - eher von Frankreich als von Deutschland erhoffte - Herausforderung des Dollars durch den Euro erscheint auf unabsehbare Zeit als Folge politischer, militärischer und wirtschaftlicher Insuffizienzen Europas unrealistisch.
Gemeinsame Konzerne in Zukunftstechnologien, die mit amerikanischen Riesen wetteifern? Airbus, gerne als Vorbild zitiert, taugt nicht als Exempel: Airbus war das Ergebnis einer - sehr langwierigen - Konsolidierung vorhandener nationaler Flugzeugindustrien, aber kein Aufbruch in eine völlig neue Welt. Braouet ist natürlich zuzustimmen: Das deutsch-französische Verhältnis bedarf einer Wiederbelebung. Doch die Ziele müssen zu den Mitteln passen. Ein langer Weg lässt sich nicht mit wenigen großen Schritten bewältigen. GERALD BRAUNBERGER
Christophe Braouet: Deutschland und Frankreich schaffen das. Tectum Verlag, Baden-Baden 2023, 236 Seiten, 39 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht ganz realistisch findet Rezensent Gerald Braunberger, was Christoph Braouet in seinem Buch für die deutsch-französischen Beziehungen fordert. Natürlich ist auch der Kritiker für eine Wiederbelebung des Verhältnisses, doch die Perspektiven, die der Autor eröffnet, passen nicht zu den gegebenen Verhältnissen. So wendet der Rezensent gegen Braouets Forderung nach einer höheren Souveränität Europas gegenüber den USA ein, dass diese schon allein durch den europäischen "Rückstand in der Verteidigungsfähigkeit" im Moment nicht möglich ist. Der Kritiker plädiert dafür,was die europäische Politik angeht, eher in vielen, kleinen als in "wenigen großen Schritten" zu denken, wie es der Autor in diesem Buch tut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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