Kein Musterjude
Als der zehnjährige Rafael Seligmann aus Israel nach München zieht, ist er plötzlich Analphabet. Deutsch ist seine Muttersprache, aber er kann sie zunächst weder lesen noch schreiben. Doch kommt er nie auf die Idee, seine jüdische Identität zu verleugnen auch nicht, als er feststellt, dass die israelische Militärgesellschaft nicht die seine ist. Mit wachsender Bindung an die deutsche Sprache und Kultur findet er seine Heimat in der Mehrheitsgesellschaft, nutzt aber die Sonderstellung, um seine Beobachtungsgabe zu schärfen. So wird er zu einem unverwechselbaren Romancier und Publizisten, der sich konsequent allen Erwartungshaltungen verweigert und dadurch als deutscher, jüdischer Autor und Chronist eminente Bedeutung erlangt hat.
Als der zehnjährige Rafael Seligmann aus Israel nach München zieht, ist er plötzlich Analphabet. Deutsch ist seine Muttersprache, aber er kann sie zunächst weder lesen noch schreiben. Doch kommt er nie auf die Idee, seine jüdische Identität zu verleugnen auch nicht, als er feststellt, dass die israelische Militärgesellschaft nicht die seine ist. Mit wachsender Bindung an die deutsche Sprache und Kultur findet er seine Heimat in der Mehrheitsgesellschaft, nutzt aber die Sonderstellung, um seine Beobachtungsgabe zu schärfen. So wird er zu einem unverwechselbaren Romancier und Publizisten, der sich konsequent allen Erwartungshaltungen verweigert und dadurch als deutscher, jüdischer Autor und Chronist eminente Bedeutung erlangt hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2011Doppeltes Lebensthema
Der unerschrockene Rafael Seligmann blickt zurück mit einem Schuss Ironie
Rafael Seligmann anhand einer einzigen Rolle zu charakterisieren erscheint beinahe unmöglich. Man kann ihn einen Wissenschaftler nennen, doch kommt damit sein literarisches Werk zu kurz. Ihn als Essayisten zu bezeichnen ist zutreffend, doch beschreibt dies seinen Einfluss als öffentlichen Intellektuellen nicht angemessen. Jetzt hat er seine Autobiographie vorgelegt, die von einem deutsch-jüdischen Leben erzählt. Dabei scheint es um gleich mehrere Biographien zu gehen, die sich in diesen bewegten Lebensbogen von dreiundsechzig Jahren spannen lassen.
1933 war die Familie von Bayern nach Palästina geflohen. Für Seligmanns Mutter war der Gedanke, nach dem Krieg in die verlassene Heimat zurückzukehren, unerträglich. Doch der Vater beschwichtigte den Sohn mit den Worten: "Deutschland wird dir gefallen." Zunächst ein Trostspruch des Vaters, wurde dieser Satz für den jungen Seligmann zu einer Verheißung und fortan zu einer prägenden Lebenslinie. Die Rückkehr nach München 1957 ging mit Erlebnissen der Ablehnung und Ausgrenzung einher. Nicht nur wurden ihm immer wieder Vorhaltungen wegen seiner jüdischen Herkunft gemacht, er sah auch, wie sehr er dem eigenen Land entfremdet war. Die deutsche Schriftsprache war für ihn eine Sprache, die er nachgerade neu erlernen musste.
Nach der Schule absolvierte Seligmann sehr halbherzig eine Lehre als Fernsehmechaniker, holte auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nach und fand mit dem Studium der Geschichte und Politik sein leidenschaftliches Interessengebiet. Seine wissenschaftlichen Arbeiten führten ihn nach Israel. Mit der Rückkehr in das Land seiner Kindheit verwirklichte Seligmann sich einen Traum, allerdings wurde ihm rasch klar, dass er mittlerweile ein "jüdischer Deutscher" geworden war. Später wurde er Journalist in Deutschland, schrieb als Essayist und wurde zum einflussreichen Kommentator des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik. In den achtziger Jahren stieß er in eine Lücke hinein, da das einschlägige Werk der jüdischen Gegenwartsliteratur bislang auf sich warten ließ. Mehrfach reüssierte Seligmann auch als Romanautor.
Zeit seines Lebens galt Seligmanns deutsch-jüdischer Lebensweg als Antrieb, Neues zu wagen, unbekannte Wege einzuschlagen. Seine Rastlosigkeit wurde oft mit persönlichem Glück belohnt, mündete jedoch auch in manche enttäuschende Niederlage. Gerade in dem doppelten Lebensthema jüdischer und deutscher Einflüsse liegt der Ursprung für Seligmanns Unerschrockenheit. Den Aufbruch zu neuen Ufern sowie die Lust am Unbekannten beschreibt er offenherzig, ganz ohne Umschweife und immer mit einem Schuss leiser Ironie. Entstanden ist ein luzide geschriebener Lebensbericht, der weder Rückschläge verschweigt, noch Eitelkeiten unerwähnt lässt.
Beharrlich hat Seligmann an seinen Zielen festgehalten, ließ sich keinerlei Denkverbote auferlegen, ignorierte bisweilen die guten Ratschläge anderer und war der Zukunft zugewandt. Wo ein Anfang zu wagen war, stand er nicht abseits. Bei der Ankunft in seiner alten Heimatstadt München vor fünfzig Jahren hatte Seligmann Angst vor Deutschland, doch längst fühlt er sich von den Menschen dieses Landes aufgenommen. "Meine Vatersprache ist Deutsch", bekennt Seligmann am Ende seiner Autobiographie, "mein Mutterland aber ist Israel, meine Geburtsstadt ist Tel Aviv." Die Prophezeiung, die der Vater einst dem Sohn mit auf den Weg gab, hat sich auf unzählige Male aufs Neue bewahrheitet.
HELGE JANI
Rafael Seligmann: Deutschland wird dir gefallen. Autobiographie. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 461 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der unerschrockene Rafael Seligmann blickt zurück mit einem Schuss Ironie
Rafael Seligmann anhand einer einzigen Rolle zu charakterisieren erscheint beinahe unmöglich. Man kann ihn einen Wissenschaftler nennen, doch kommt damit sein literarisches Werk zu kurz. Ihn als Essayisten zu bezeichnen ist zutreffend, doch beschreibt dies seinen Einfluss als öffentlichen Intellektuellen nicht angemessen. Jetzt hat er seine Autobiographie vorgelegt, die von einem deutsch-jüdischen Leben erzählt. Dabei scheint es um gleich mehrere Biographien zu gehen, die sich in diesen bewegten Lebensbogen von dreiundsechzig Jahren spannen lassen.
1933 war die Familie von Bayern nach Palästina geflohen. Für Seligmanns Mutter war der Gedanke, nach dem Krieg in die verlassene Heimat zurückzukehren, unerträglich. Doch der Vater beschwichtigte den Sohn mit den Worten: "Deutschland wird dir gefallen." Zunächst ein Trostspruch des Vaters, wurde dieser Satz für den jungen Seligmann zu einer Verheißung und fortan zu einer prägenden Lebenslinie. Die Rückkehr nach München 1957 ging mit Erlebnissen der Ablehnung und Ausgrenzung einher. Nicht nur wurden ihm immer wieder Vorhaltungen wegen seiner jüdischen Herkunft gemacht, er sah auch, wie sehr er dem eigenen Land entfremdet war. Die deutsche Schriftsprache war für ihn eine Sprache, die er nachgerade neu erlernen musste.
Nach der Schule absolvierte Seligmann sehr halbherzig eine Lehre als Fernsehmechaniker, holte auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nach und fand mit dem Studium der Geschichte und Politik sein leidenschaftliches Interessengebiet. Seine wissenschaftlichen Arbeiten führten ihn nach Israel. Mit der Rückkehr in das Land seiner Kindheit verwirklichte Seligmann sich einen Traum, allerdings wurde ihm rasch klar, dass er mittlerweile ein "jüdischer Deutscher" geworden war. Später wurde er Journalist in Deutschland, schrieb als Essayist und wurde zum einflussreichen Kommentator des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik. In den achtziger Jahren stieß er in eine Lücke hinein, da das einschlägige Werk der jüdischen Gegenwartsliteratur bislang auf sich warten ließ. Mehrfach reüssierte Seligmann auch als Romanautor.
Zeit seines Lebens galt Seligmanns deutsch-jüdischer Lebensweg als Antrieb, Neues zu wagen, unbekannte Wege einzuschlagen. Seine Rastlosigkeit wurde oft mit persönlichem Glück belohnt, mündete jedoch auch in manche enttäuschende Niederlage. Gerade in dem doppelten Lebensthema jüdischer und deutscher Einflüsse liegt der Ursprung für Seligmanns Unerschrockenheit. Den Aufbruch zu neuen Ufern sowie die Lust am Unbekannten beschreibt er offenherzig, ganz ohne Umschweife und immer mit einem Schuss leiser Ironie. Entstanden ist ein luzide geschriebener Lebensbericht, der weder Rückschläge verschweigt, noch Eitelkeiten unerwähnt lässt.
Beharrlich hat Seligmann an seinen Zielen festgehalten, ließ sich keinerlei Denkverbote auferlegen, ignorierte bisweilen die guten Ratschläge anderer und war der Zukunft zugewandt. Wo ein Anfang zu wagen war, stand er nicht abseits. Bei der Ankunft in seiner alten Heimatstadt München vor fünfzig Jahren hatte Seligmann Angst vor Deutschland, doch längst fühlt er sich von den Menschen dieses Landes aufgenommen. "Meine Vatersprache ist Deutsch", bekennt Seligmann am Ende seiner Autobiographie, "mein Mutterland aber ist Israel, meine Geburtsstadt ist Tel Aviv." Die Prophezeiung, die der Vater einst dem Sohn mit auf den Weg gab, hat sich auf unzählige Male aufs Neue bewahrheitet.
HELGE JANI
Rafael Seligmann: Deutschland wird dir gefallen. Autobiographie. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 461 S., 24,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Hier schreibt der Journalist Rafael Seligmann über den Menschen Rafael Seligmann, konstatiert Jan Scheper nach der Lektüre der Autobiografie "Deutschland wird dir gefallen". Der Titel sei angelehnt an den Trost des Vaters für den neunjährigen Rafael, als er und seine Frau - nach dem Holocaust aus Deutschland nach Palästina geflohen - wieder zurück nach München gehen wollen. Seligmann macht dort erst seinen Realabschluss, dann das Abitur, studiert, promoviert und wird zu einem erfolgreichen Journalisten und Israel-Experten. Seligmann resümiere sein wechselvolles Leben, wenn auch nicht sonderlich literarisch, wie der Rezensent meint, "menschlich packend", und zeige sich am Ende sehr versöhnt mit sich selbst.
© Perlentaucher Medien GmbH
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