Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 8,80 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Deutschlandpolitik war immer 'Chefsache'. Auch Helmut Kohl hat sich hier seinen Führungsanspruch erkämpft. Der Autor hatte über viele Jahre als einziger Zugang zu geheimen Akten der Bundesregierung. Mit dem ersten Band der 'Geschichte der deutschen Einheit' legt er eine detaillierte Darstellung der Deutschlandpolitik vor. Zugleich zeigt Korte wie Kohl regiert. So entstand eine spannende zeitgeschichtliche Studie über die Kunst des politischen Machterhalts. Dr. rer. pol. habil. Dr. phil. Karl-Rudolf Korte, geboren 1958, Promotion 1988 in Mainz, 1991 Kennedy Fellow der Harvard University,…mehr

Produktbeschreibung
Deutschlandpolitik war immer 'Chefsache'. Auch Helmut Kohl hat sich hier seinen Führungsanspruch erkämpft. Der Autor hatte über viele Jahre als einziger Zugang zu geheimen Akten der Bundesregierung. Mit dem ersten Band der 'Geschichte der deutschen Einheit' legt er eine detaillierte Darstellung der Deutschlandpolitik vor. Zugleich zeigt Korte wie Kohl regiert. So entstand eine spannende zeitgeschichtliche Studie über die Kunst des politischen Machterhalts. Dr. rer. pol. habil. Dr. phil. Karl-Rudolf Korte, geboren 1958, Promotion 1988 in Mainz, 1991 Kennedy Fellow der Harvard University, Habilitation 1997 in München. Korte ist Leiter der Forschungsgruppe Deutschland am Centrum für angewandte Politikforschung und Privatdozent am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Zahlreiche Publikationen zum Regierungssystem, zur Demokratieforschung, zum Prozess der deutschen Einheit sowie zur Europäischen Integration.
Autorenporträt
Dr. rer. pol. habil. Dr. phil. Karl-Rudolf Korte, geboren 1958, Promotion 1988 in Mainz, 1991 Kennedy Fellow der Harvard University, Habilitation 1997 in München. Karl-Rudolf Korte ist Leiter der Forschungsgruppe Deutschland am Centrum für angewandte Politikforschung und Privatdozent am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Zahlreiche Publikationen zum Regierungssystem, zur Demokratieforschung, zum Prozeß der deutschen Einheit sowie zur Europäischen Integration.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.1998

Deutschlandpolitik und Machterhalt
Karl-Rudolf Kortes kritische Verlaufsstudie über die letzte Etappe westdeutscher Ostpolitik im geteilten Europa

Karl-Rudolf Korte: Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft. Regierungsstil und Entscheidungen 1982-1989. Geschichte der deutschen Einheit, 1. Band. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1998, 720 Seiten, DM 128,- (Subskriptionspreis DM 98,- Mark).

Im Sommer 1989 herrschte Umfragen zufolge Kanzlerdämmerung. Nur noch 27 Prozent der befragten Repräsentativbürger waren mit der Arbeit des Bundeskanzlers zufrieden. Als in der DDR die Revolution ausbrach, erlangte der von gewöhnlich gut informierten Kreisen des medialen Gunstgewerbes längst abgeschriebene Kanzler wieder die Initiative und trug Beträchtliches dazu bei, daß eine völlig veränderte politische Konstellation in Europa und Deutschland zum Tragen kam. Es gelang das beachtliche politische Kunststück, die Wiedervereinigung Deutschlands in einen allseitigen europäischen Vertrauenskonsens einzubinden.

Karl-Rudolf Korte hat in jahrelanger Forschungsarbeit einen Teil der Vorgeschichte dieses epochalen Umbruchs untersucht und nun ein bahnbrechendes Werk über Helmut Kohls Deutschlandpolitik vorgelegt. Korte konnte lange vor Ablauf der dreißigjährigen Sperrfrist die Arbeitsakten des Bundeskanzleramtes, des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen, der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie des Bundesvorstandes der CDU einsehen und auswerten.

Neuere Untersuchungen des doppeldeutschen Verhältnisses stützten sich bislang in erster Linie auf Primärquellen des SED-Regimes und der SPD. Die SPD und einige ihrer herausragenden Politiker wie Helmut Schmidt und Egon Bahr hatten ausgewählten Historikern exklusive Einblicke in ihre Parteiund Privatarchive gewährt. Jetzt hat erfreulicherweise auch das Bundeskanzleramt und die CDU nachgezogen und für eine zeitgeschichtlich einmalige Transparenz gesorgt. Nach wie vor unzugänglich bleiben die von FDP-Außenminister Genscher und seinem Nachfolger Kinkel unter Verschluß gehaltenen Bestände des DDR-Außenministeriums.

Gleichwohl ist nunmehr weiteren Untersuchungen zur deutschen Frage eine Offenheit beschert worden, von der man früher nur träumen konnte. Allerdings bestand vor 1989 bei dem dominanten Flügel der zuständigen Zunft kaum Neigung, sich mit der offenen deutschen Frage zu befassen. Man hielt sie nämlich für gelöst und arbeitete sich an ihrer Vorgeschichte ab, aus der sich allerlei historische Begründungen für die Existenz von zwei oder mehreren deutschen Staaten gewinnen ließen. Ganz in diesem Sinne erklärte ein Leithistoriker der Geschichtskommission beim Parteivorstand der SPD im Jahre 1987 auf einer Veranstaltung mit SED-Historikern: "Zur Begründung des Sinns einer staatlichen Wiedervereinigung taugt die deutsche Geschichte erst recht nicht. Im Gegenteil: Die Existenz mehrerer Staatswesen beziehungsweise Herrschaftsgebiete war der Normalfall deutscher Geschichte, das Projekt der deutschen Nationalstaatsbildung in der Mitte Europas hatte von Anfang an große ,Kosten' und mittelfristig katastrophale Folgen." Das kam bei den im Auftrag der SED angereisten ostelbischen "Erben deutscher Geschichte" gut an.

Das von Korte ausgewertete interne Arbeitsmaterial macht deutlich, auf welche Weise der Historiker im Bundeskanzleramt aus der deutschen Geschichte gegenteilige Konsequenzen zog wie seine Kritiker aus dem etablierten Zeitgeistfach. Trotz real existierender Teilung sollte die Erinnerung an die Nationalgeschichte gesamtdeutsche Konturen schärfen und das Thema Nation eine orientierende und integrierende Wirkung gewinnen. Das war, wie bei Korte nachzulesen ist, eines der drei Grundelemente, die Kohl im Oktober 1982 in der ersten gemeinsamen Besprechung über seine Regierungserklärung vortrug. Die beiden anderen: "europäische Integration als Schutz der Deutschen vor fragwürdigen Traditionsbeständen; USA als Garant der westlichen Werteordnung und der äußeren Sicherheit".

Wählerstimmen waren in jener Zeit mit dem Thema Deutschlandpolitik nicht zu gewinnen. Im Vordergrund des öffentlichen Interesses standen Arbeitsplatzsicherung, Staatsfinanzen, Umweltschutz und Abrüstung. Die nationale Frage war für das stets besserwissende westdeutsche Milieu nichts als ein "stinkender Leichnam". Man übte sich in der wenig sinnvollen Zuspitzung, dem nationalen Identifikationsmuster die Alternative eines westdeutschen Verfassungspatriotismus gegenüberzustellen.

Für den ersten großen programmatischen Auftritt des neuen Kanzlers, die Regierungserklärung, entwarfen seine Redenschreiber ein Manuskript, in dem die Deutschlandpolitik als Schlußakkord den emotionalen Höhepunkt markierte. Der konkret praktische Teil knüpfte unmittelbar an das vom Amtsvorgänger Helmut Schmidt Erreichte an, das es zu bewahren und auszubauen gelte. Die deutschlandpolitischen Perspektiven orientierten hingegen auf eine Richtungsänderung, die seinerzeit auch sofort unter Kritik der Opposition und des SED-Regimes stand. Zu einer "neuen Eiszeit", wie sie von den Kritikern prognostiziert wurde, kam es deswegen jedoch nicht. Das Gegenteil trat ein, nachdem die SED-Spitze begriffen hatte, was materiell mit der neuen Regierungskoalition unter Einbeziehung bayerischer Außenpolitik machbar war.

"Das deutschlandpolitische Instrumentarium war" in dieser Situation, laut Korte, "die konspirative Begegnung". Erst als durch die Einbindung von Franz Josef Strauß der Milliardenkredit für Helmut Kohl risikolos und machtabsichernd wirkte, kam Schwung in die Angelegenheit. In diesem wie in anderen Fällen wurde deutschlandpolitische Führung des Bundeskanzlers "hinter den Kulissen der Mediendemokratie" wirksam. Es sei ihm dabei häufig gelungen, Vertreter konträrer Positionen auf sich zu verpflichten. "Abwarten, nach allen Seiten absichern und aus dem Hintergrund Entwicklungen beeinflussen", beschreibt Korte diesen für Kohl typischen konsensualen Regierungsstil - fußballsportlich betrachtet ein klassischer Libero, der im entscheidenden Moment selbst Tordrang entwickelt.

Als zunächst abwartend schildert Korte auch das Regierungshandeln im Sommer und Herbst 1989. Der Bundeskanzler habe lange gezögert und sich öffentlich zurückgehalten. Erst am 6. November, drei Tage vor der Maueröffnung, fiel im Kanzlerbungalow bei einer Beratung zwischen Helmut Kohl, Rudolf Seiters und Wolfgang Schäuble die Entscheidung für eine offene Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR. Der bereits fertigen Rede, die der Bundeskanzler am 8. November zur Lage der Nation im geteilten Deutschland halten sollte, wurde eine entscheidende Passage hinzugefügt: "Ich erkläre gegenüber der neuen SED-Führung meine Bereitschaft, einen Weg des Wandels zu stützen, wenn sie zu Reformen bereit ist. Kosmetische Korrekturen genügen nicht. Wir wollen nicht unhaltbare Zustände stabilisieren. Aber wir sind zu umfassender Hilfe bereit, wenn eine grundlegende Reform der politischen Verhältnisse in der DDR verbindlich festgelegt wird."

Noch am 7. November 1989 erklärte der Kanzler vor der Unionsfraktion, das Ziel aktueller Politik gegenüber der SED müsse die Herbeiführung freier Wahlen sein. Zugleich warnte er aber auch vor unüberlegtem Aktionismus und einem "Deutschlandplan: Wie kommt man zur Wiedervereinigung?" Zwei Tage später schlug bekanntlich in Ost-Berlin die Stunde des unüberlegten Aktionismus. Ausgelöst durch den kommunistischen Spitzenfunktionär Günter Schabowski, nahm eine spontane Massenaktion ihren Lauf, die selbst Helmut Kohl, wie er sich des denkwürdigen Momentes erinnerte, "fast die Sprache" verschlug. Doch eben nur fast.

Historisch vergleichend betrachtet, trug die Bundesregierung ihren Teil dazu bei, daß diesmal, was die nationale Einheit betraf, 1848 und 1871 zusammenfielen, ganz ohne Krieg, Schießereien und Standgerichte. Die dominante linke Zeitgeschichtsschreibung war mit der grandiosen realpolitischen Widerlegung ihres im Lagerdenken festgefressenen Selbstverständnisses natürlich nicht einverstanden. Sie versucht seither nachholend vergessen zu machen, wie weit sie sich schon mit der geschichtspolitischen Selbstlegitimation des SED-Staates arrangiert hatte.

Karl-Rudolf Korte kommt das Verdienst zu, mit seinem Buch eine ganze Reihe von Forschungslücken geschlossen und etliche schiefe Perspektiven geradegerückt zu haben. Gezeigt wird in einer tiefgestaffelten Analyse des Regierungshandelns zwischen 1982 und 1989, wie neben deklaratorischen Signalen auf den verschiedenen Ebenen der Entscheidungsvorbereitung im Kanzleramt und anderen beteiligten Ressorts um eine Politik der Verminderung der Teilungsfolgen für die Bevölkerung in Ost und West gerungen wurde. Thematisiert wird auch, wo diese Politik mancherlei Querschüssen aus den eigenen Reihen ausgesetzt war.

Das Buch ist mit einem soliden Sach- und einem knapp kommentierten Personenregister versehen. In letzteres haben sich kleinere Mißverständlichkeiten zu SED-Biographien eingeschlichen. So könnte man meinen, Erich Mielke sei 1976 und Joachim Herrmann sei 1978 in das Politbüro gelangt. Tatsächlich nahmen aber beide zu diesen Zeitpunkten schon seit fünf Jahren als Kandidaten an dessen Arbeit teil. Schwierig gestaltet sich auch das Aufsuchen der Anmerkungen, da ihre Zuordnung zu den einzelnen Kapiteln aus der Titelei (Seitenüberschrift) nicht zu ersehen ist. Es heißt also blättern und Zettel einlegen. Doch das sind nur Mühen des Anhangs.

Der gewichtige Hauptteil entspricht dem Untersuchungsgegenstand und übertrifft alle Erwartungen. Karl-Rudolf Korte hat eine kritische Verlaufsstudie über die letzte Etappe westdeutscher Ostpolitik im geteilten Europa vorgelegt, die als Standardwerk zur Ära Kohl überdauern wird. Wer wissen will, wie das "System Kohl" in den entscheidenden Situationen der west-östlichen und innenpolitischen Reibungsgeschichte zwischen 1982 und 1989 funktioniert hat, muß dieses Buch zur Hand nehmen. Auch Andersmeinende werden in absehbarer Zeit keine umfassendere Informationsquelle zur Deutschlandpolitik des letzten Bundeskanzlers der Westrepublik finden.

Jochen Staadt

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr