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Vier Jahreszeiten und vier Himmelsrichtungen gibt es. Vier Reisen hat Helmut Krausser unternommen. In alle Winkel Deutschlands ist er gereist. Mit dem Flugzeug, mit dem Zug, mit dem Taxi und zu Fuß. Helmut Krausser charakterisiert Städte aufmerksamer und sensibler als andere Autoren ihre Romanfiguren. Er ist ein scharfsinniger Beobachter unserer Gegenwart, knallhart zu sich selbst und zu allen, die ihm über den Weg laufen. Ergänzt um die Poetikvorlesungen 'Pathos und Präzision', die der Autor an der LMU München hielt, werden die Reiseberichte und Tagebuchaufzeichnungen so zum intimsten…mehr

Produktbeschreibung
Vier Jahreszeiten und vier Himmelsrichtungen gibt es. Vier Reisen hat Helmut Krausser unternommen. In alle Winkel Deutschlands ist er gereist. Mit dem Flugzeug, mit dem Zug, mit dem Taxi und zu Fuß. Helmut Krausser charakterisiert Städte aufmerksamer und sensibler als andere Autoren ihre Romanfiguren. Er ist ein scharfsinniger Beobachter unserer Gegenwart, knallhart zu sich selbst und zu allen, die ihm über den Weg laufen. Ergänzt um die Poetikvorlesungen 'Pathos und Präzision', die der Autor an der LMU München hielt, werden die Reiseberichte und Tagebuchaufzeichnungen so zum intimsten Einblick in sein Werk.»Es ist seltsam, in ein Alter gekommen zu sein, da man die meisten Städte, die man bereist, mit Siegen oder Niederlagen in Verbindung bringen kann. Die Landkarte wird historisch, wird zum Schlachtfeld.«
Autorenporträt
Helmut Krausser, geboren 1964, lebt in Berlin. Bei DuMont erschienen neben dem Gedichtband 'Plasma' (2007), 'Verstand und Kürzungen' (2014), die Romane 'Eros' (2006), 'Die kleinen Gärten des Maestro Puccini' (2008), 'Einsamkeit und Sex und Mitleid' (2009) 'Die letzten schönen Tage' (2011) und 'NIcht ganz schlechte Menschen' (2012) sowie die Tagebücher 'Substanz' (2010) und 'Deutschlandreisen' (2014) und der Kriminalroman 'Aussortiert' (DuMont Taschenbuch 2011). Seine Romane 'Der große Bagarozy', 'Fette Welt' und 'Einsamkeit und Sex und Mitleid' wurden fürs Kino verfilmt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2014

Ungeduscht, geduzt und ausgebuht
Schriftsteller sind Handlungsreisende in eigener Sache. Auf seinen Lesereisen zwischen Flensburg und München
hat Helmut Krausser kaum einen Saal ausgelassen und immer wieder festgestellt: Deutschland hat ihn nicht verdient
VON JÖRG MAGENAU
Der Gedanke, dass die Welt, in der man lebt, auch von anderen mitbenutzt wird, ist nur schwer zu verkraften – jedenfalls für jemanden wie Helmut Krausser, der es gewohnt ist, sich als Zentralgestirn seiner Welt zu betrachten. Nichts gegen Narzissmus und Künstlereitelkeit, denn die sind Produktionsbedingungen jeder Kunst. Aber es sollte dann doch wohl darum gehen, das Ego zu überschreiten und umzuwandeln und Erkenntnisse zu produzieren, die über das wiederholte Genießen der eigenen Herrlichkeit hinausgelangen.
  Krausser hat sich zu diesem Zweck auf Deutschlandreisen begeben. Zu reisen könnte ja der Einsicht dienen, dass die Welt auch von anderen Menschen bewohnt wird, die sich ihrerseits als deren Mittelpunkt empfinden. Das könnte dann erfreuliche Verunsicherungseffekte auslösen. Tatsächlich sind derartige Momente die stärksten dieses Buches: wenn Krausser mit einem cholerischen Ausländer im Internetcafé aneinandergerät, der sich gleich rassistisch beleidigt sieht, wenn man ihn bittet, nicht allzu dicht heranzutreten; oder wenn er sich mit einer schwarzen Frau in der Berliner U-Bahn auseinandersetzt, deren Fingerschnipsen im Rhythmus ihrer Kopfhörermusik ihm gewaltig auf die Nerven geht.
  Meistens aber dreht es sich doch nur um Krausser selbst: um seine Lesungen, um die meistens zu wenigen Besucher, und immer wieder und endlos um Literaturkritiker, die seine Bücher nicht verstehen und nicht gebührend zu würdigen wissen. Das ist für einen Autor, der davon überzeugt ist, dass seine Werke auch in 3000 Jahren noch gelesen werden, sehr, sehr schmerzlich.
  Der moderne Schriftsteller ist ein Handlungsreisender in eigener Sache, der sein Geld damit verdient, in Orten wie Hennef oder Troisdorf aus seinen Büchern vorzulesen und zwischen Flensburg und München keinen Gemeindesaal auszulassen. Ob diese Form des Gelderwerbs dem Schreiben zugute kommt, ist eine andere Frage; es ist aber schon aus ökonomischen Gründen ratsam, darüber dann auch wieder zu schreiben und damit den Zirkel zwischen Verwertung und Produktion sinnvoll zu schließen.
  Vom Sommer 2006 bis zum Frühjahr 2012 hat Krausser vier Reisen zum Rundkurs durch Deutschland und durch die Jahreszeiten gefügt. Dem äußeren Ordnungsschema entspricht aber keine innere Entwicklung und auch kein sich veränderndes Deutschlandbild, weil es bei Krausser naturgemäß immer nur um Krausser geht. Zwischen den Reisepassagen stehen drei Kapitel Poetikvorlesungen zum Thema Pathos, die er an der LMU München gehalten hat und die das Bild eines sich selbst reflektierenden Autors abrunden sollen. Nun ist das Denken aber nicht gerade seine Stärke.
  Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn er dieses Defizit nicht durch permanente Meinungs- und Behauptungs-Überproduktion auszugleichen versuchen würde. „Ich bin kein Thesenmensch“, sagt er von sich selbst, und schon das ist eine These, die er mit einer weiteren These abrundet: „doch ich glaube dies: Kunst ohne Pathos ist unmenschlich simpel und blutleer.“
  Kraussers Plädoyer für Pathos und Kitsch ist aller Ehren wert, und er scheut sich nicht, das auch gleich anzuwenden: „Auf den Stelzen des Pathos steigt der Mensch hinweg über die quälenden Untiefen der Existenz.“ Das ist zweifellos fettformuliert, aber auch ein wenig wackelig: Sind Stelzen nicht vielleicht ein wenig zu dünn für diese Last? Eine griffige, brauchbare Definition von Pathos sucht man vergeblich. Krausser geht es vor allem um den Gebrauchswert und darum, der Kunst möglichst viele verschiedene Ausdrucksformen zu eröffnen. Dass er sich dabei auf die abgedroschenste Weise von der „Suhrkamp-Kultur“ absetzen muss, ist vielleicht auch schon einem gewissen Pathos-Überschuss geschuldet. Und dass das Pathos in Deutschland nach 1945 wie alles wegen der Nazis in Misskredit geraten ist (Goebbels-Reden!), klingt plausibel, ist aber nun auch nicht besonders originell.
  Zum zentralen Thema des Buches wird mehr und mehr die Kritik der Literaturkritik. Sie ist Kraussers Obsession. Dass sie ungerecht ist und schlecht, selbstherrlich und ihrerseits kritikresistent – da hat er sicher nicht unrecht; am Zustand der Literaturkritik gibt es in der Tat viel auszusetzen. Doch Krausser bleibt beim Ressentiment und dringt nicht zu wirklicher Kritik der Kritik vor. Da spricht der beleidigte Autor, und das ist keine attraktive Position. Wenn er vorschlägt, nicht einzelne Kritiker sollten darüber entscheiden, was ein gutes Buch ist (was sie sowieso nicht tun), sondern „letztlich die Mehrheit der Leserschaft“, macht er sich zum Büttel der Bestsellerlisten, die nun wahrlich nicht immer die besten Bücher nach oben bringen – und auch nicht die von Helmut Krausser.
  Eine bloß geschmäcklerische Kritik der Literaturkritik bringt wenig; es nützt ja nichts, falsche Urteile aufzuzählen und sie durch andere falsche Urteile zu ersetzen. Systematische Probleme, die mit Aktualitätsdruck, Beschleunigung, Sensationszwang und anderen medialen Gesetzmäßigkeiten zu tun haben, bekommt Krausser nicht in den Blick – geschweige denn die grundsätzliche Frage, ob das aufklärerische Prinzip der Kritik nicht in bloßer Geschäftigkeit verloren zu gehen droht und durch das Prinzip der Zustimmung abzulösen wäre. Dann ginge es darum auszuprobieren, wie weit man mit einer bestimmten Denk- und Wahrnehmungsweise kommt, und nicht primär darum, ihr ihre Grenzen vorzuführen.
  Wie Krausser sich die Sache vorstellt, lässt sich nur ahnen. So lobt er im Buch seinen Freund Daniel Kehlmann überschwänglich als Allergrößten der Großen, der immer noch, und trotz all seines Erfolges, weit unterschätzt sei (von der Kritik). Kehlmann dankt, indem er einen Blurb für den Buchrücken zur Verfügung gestellt hat: „Diese Tagebücher werden gelesen werden, solange Menschen sich für deutsche Literatur interessieren.“ Das hat nun zwar wirklich viel Pathos, Zustimmung als Erproben der Möglichkeiten müsste aber anders aussehen.
  Da ist dann eben doch einstweilen das Prinzip der Kritik vorzuziehen.
„Ich bin kein Thesenmensch“,
lautet schon mal die erste, starke
These dieses Autors
        
    
  
  
  
Helmut Krausser:
Deutschlandreisen. DuMont Buchverlag, Köln 2014. 302 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Dass die Welt, in der man lebt, auch von anderen mitbenutzt wird, ist nicht nur in der Berliner U-Bahn schwer zu verkraften.
Foto: Rolf Walter
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Daniela Strigl ist entsetzt. Dass der eigentlich von ihr bewunderte Autor derart wenig Selbstironie oder Geist und Witz, dafür umso mehr Eitelkeit und Testosteron an den Tag legen könnte, hätte sie nicht gedacht. Was Helmut Krausser hier abliefert, Reisetagebuchausschnitte an Poetikvorlesungen, macht Strigl verlegen. Auch wenn zwischen Notaten über Hotelniveaus, Lesungshonorare und Zuhörerzahl immer mal wieder Kraussers dramatisches Talent aufblitzt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2014

Immerhin, die Kohle stimmt
Schleich di: Helmut Krausser geht selbstverliebt auf Reisen und bewirbt sich für den "Ring" in Bayreuth

Dies ist ein Verlegenheitsbuch. Ein Buch von der Sorte, die ein Verlag mit seinem Autor auf den Markt wirft, um wieder einmal ein Lebenszeichen zu geben. So produktiv Helmut Krausser ist: Sein letzter Roman "Nicht ganz schlechte Menschen" erschien 2012.

"Deutschlandreisen" vereinigt vier nach Jahreszeiten geordnete Abschnitte aus Kraussers Reisetagebüchern und, jeweils dazwischen, seine Poetikvorlesungen an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Das eine hat mit dem anderen nicht viel zu tun, sieht man von Kraussers Autorschaft ab und dem Umstand, dass München, "diese überzuckerte Stadt", für jemanden, der in Berlin wohnt, ein Reiseziel darstellt.

Dies ist aber auch deshalb ein Verlegenheitsbuch, weil das Ich, das sich darin ausbreitet und entblößt, seine Leser verlegen macht; indem es Sätze wie diesen von sich gibt: "Ein Künstler zu sein und Erfolg über Jahrzehnte zu haben ist ein beneidenswerter und jedem zu empfehlender Umstand, mit dem sich auch das Alter würdevoll bewältigen läßt." Oder, mit einem stilistischen Stolperer: "Ich bin in fast jedes europäische Land übersetzt worden, nur in kein skandinavisches. Mit nicht einem Buch. Unfaßbar an sich." Gern würde man dem Autor wenigstens ein Fünkchen Selbstironie attestieren, doch er besteht ernstlich darauf: "Selbstbewunderung ist eine feine Sache."

So reist dieses Ich, das Helmut Krausser heißt, von Stadt zu Stadt und sieht alles bloß als Kulisse und Spiegelbild, von Eisenach ("Hier wurde nie etwas von mir aufgeführt, und es regnet") bis Mannheim, wo der Autor einst mit seiner Band spielte und nun zur Erkenntnis gelangt, es sei "seltsam, in ein Alter gekommen zu sein, da man die meisten Städte, die man bereist, mit Siegen oder Niederlagen in Verbindung bringen kann". Nicht nur seltsam, sondern bedenklich ist es, wenn man augenscheinlich nichts anderes tut.

Krausser beschreibt Lesereisen als, vom eigentlichen Vorlesen abgesehen, überaus enervierende Unternehmungen. Notierenswert erscheinen ihm das jeweilige Hotelniveau, die Zuhörerzahl, die Manieren der Veranstalter und die Entlohnung: "Immerhin, die Kohle stimmt." Leipzig reizt ihn vor allem als Schauplatz seines Romans "Eros" - "ich gehe sofort zur Connewitzer Buchhandlung, um mich am Anblick der elf verschiedenen Titel von mir zu erigieren, die da im Regal stehen. Wir Schriftsteller sind schon ein albern eitles Volk." Auf rätselhafte Weise gelingt es Krausser, auch noch Selbstkritik als eine Spielart der Eitelkeit zu betreiben.

Seine Prosa-Schnitzel liest dieser Reisende recht wahllos vom Wegesrand auf: "Alles ist ja für irgendwas gut. Wenn man darüber schreiben kann, ist es gut. Viele können das nicht. Welch angestautes Leben müssen jene führen?" Hier hingegen kann einer sein Wasser nicht halten und verwandelt jedes Ärgernis in ein Notat. Zum Beispiel seine Unbill mit dem Management des Kölner Hilton oder seinen Zusammenstoß mit einem Münchner Kriminalen in Zivil, der dem kritischen Beobachter einer fragwürdigen Amtshandlung einen nicht minder fragwürdigen Platzverweis erteilt, und zwar mit den demütigenden Worten: "Schleich di." Auch in anderen Szenen blitzt Kraussers Kunst der dramatischen Konfrontation auf, etwa wenn er mit Zollbeamten über die Klassifikation eines Puccini-Briefes verhandeln muss oder ein wütender weinender Perser ihn in einem Internetcafé verprügeln will.

Krausser erklärt sich als Komponist und bewirbt sich recht explizit als Regisseur für den "Ring" in Bayreuth, er wirbt für seine Idole, den großen Puccini und den immer noch unbekannten Alberto Franchetti, er "verbessert" dreist Brechts "Erinnerung an Marie A." und Rilkes "Panther", würdigt einleuchtend die Verdienste Ernst Jüngers und kommt zu der erfrischenden Einsicht, "daß Mädchen vielleicht gnadenlos unterschätzt werden. Gäbe es kein Testosteron, Mädchen würden kaum wahrgenommen werden, außer als Belästigung." Ja, möchte man den Autor trösten, vielleicht ist wirklich das Testosteron an allem schuld.

Denn diesem Buch mangelt es an jener Portion Geist und Witz, die den Leser mit der übellaunigen Misanthropie des Autors versöhnen könnte. Krausser ist nicht die Steigerung von Kraus. Seine Poetikvorlesungen ("Theorie war nie meine Stärke") drehen sich um Pathos, Präzision und Polemik - die seine, gegen die Kollegen oder die Literaturkritik, geht aber eher unpräzis zu Werke, mit dem Dreschflegel, nicht mit dem Florett. Über eine Schlingensief-Installation urteilt er bündig: "Meine Herren, was für ein Mist." Aber er muss ja "verkünden, nicht begründen".

Thomas Glavinic, als Schachspieler, Schriftsteller und Foto-Finsterling auf Kraussers Spuren, hat mit "Das bin doch ich" im Jahr 2007 vorgezeigt, wie ein Selbstporträt die Balance zwischen ironischer Egozentrik und Betriebssatire halten kann. "Deutschlandreisen" hingegen ist das Werk eines großen Autors, der sich ohne Not kleiner macht und als Mann in den besten Jahren weiß: "Auf den eigenen Verfall ästhetisch angemessen zu reagieren gelingt kaum noch wem." Vielleicht gelingt's mit dem nächsten Roman.

DANIELA STRIGL.

Helmut Krausser: "Deutschlandreisen".

Dumont Buchverlag, Köln 2014. 302 S., geb., 19,99 [Euro].

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