Bis vor wenigen Jahren hieß es in Deutschland stets, jüdisches Leben sei ein selbstverständlicher Teil der Normalität. Aber spätestens nach dem Überfall auf die Synagoge in Halle 2019 und der massiven Ausbreitung von antisemitischen Verschwörungsmythen in der Corona-Krise bekam dieses Bild tiefe Risse. Eva Gruberová und Helmut Zeller sind durch Deutschland gereist und haben zugehört - von Rostock über Berlin bis Dortmund und nach München, mit einem Abstecher nach Wien. Dabei zeigt sich, dass Juden hierzulande kein normales Leben führen können, es sei denn, man hält Polizei und Sicherheitszäune vor jüdischen Kindergärten, Brandanschläge auf Synagogen, oder perfide Witze für etwas, das zur deutschen Normalität gehört. Jüdinnen und Juden erleben Übergriffe und Anfeindungen auch aus muslimisch geprägten Milieus. Was aber viele nicht sehen: Antisemitismus kam und kommt aus der "bürgerlichen Mitte". Die Reportagen, Interviews und Analysen machen sichtbar, dass der Judenhass tief in derGesellschaft verwurzelt ist - und uns alle angeht.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Rezensentin Helen Roth spricht eine klare Leseempfehlung für Eva Gruberovás und Helmut Zellers Buch aus, in dem die JournalistInnen, die beide mit der Gedenkstätte Dachau arbeiten, sich auf die Spuren des Antisemitismus in Deutschland begeben. Aus den von Gruberovà und Zeller analysierten Interviews mit jüdischen Bürgern und Bürgerinnen der Republik muss die Rezensentin erfahren, dass antisemitische Haltungen nicht nur von rechts oder von außen in die bürgerliche Mitte schwappen, sondern dort fest verankert sind: Jeder vierte Deutsche sei nach einer von Gruberová und Zeller referierten Studie antisemitisch eingestellt. Wie die AutorInnen wünscht sich auch die Rezensentin mehr von der Politik als "Solidaritätsbekundungen" - Aufklärung wie in Form dieses Buches können nur hilfreich sein, schließt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2021Wo beginnt der deutsche Sonderweg?
Eine Reportage und eine gewichtige historische Studie zum Antisemitismus in Deutschland
Alle Statistiken, die amtliche des Innenministeriums wie die Berichte und Zählungen von Stiftungen und Vereinen, die das Thema verfolgen, zeigen einen klaren Trend: Die Zahl antisemitischer Straftaten und Vorkommnisse ist in den vergangenen Jahren steil angestiegen. Dazu kommt noch ein großes Dunkelfeld, auf das manchmal ein grelles Schlaglicht fällt, etwa wenn den Hintergründen des Attentats von Halle nachrecherchiert wird. Dass dabei der Hass, der sich im Internet austobt, eine wichtige Rolle spielt, ist offensichtlich. Genauso wie sich immer wieder zeigt, dass Verschwörungstheorien, die bei "Querdenkern" und anderen Protestgruppen kursieren, fast durchweg einen antisemitischen Kern haben.
Wie eng Rechtsextremismus und Antisemitismus zusammenhängen, bedarf keiner besonderen Erläuterung. Doch ist Antisemitismus, wie die beiden Journalisten Eva Gruberová und Helmut Zeller schreiben, tatsächlich schon "salonfähig" geworden? Das wird man bestreiten können: Wer sich antisemitisch äußert, kann, jedenfalls im öffentlichen Leben, weder mit Sympathien noch mit Gehör rechnen. Das schließt allerdings nicht aus, dass in der Gesellschaft antisemitische Stereotypen verbreitet sind oder dass es Netzwerke von Rechtsradikalen und Antisemiten auch im öffentlichen Dienst gibt - ein Phänomen, das lange verdrängt wurde und erst seit kurzem in den Fokus der Politik geraten ist.
Gruberová und Zeller sprechen im Untertitel ihres Reportagebuches, das sie durch ganz Deutschland geführt hat - zu jüdischen Gemeinden, in Schulen, zu Muslimen, in rechtsextremistische "Hotspots" -, vom "Judenhass" als "Wiederkehr einer deutschen Krankheit". Auch das ist nicht richtig, wie Ronen Steinke in seiner exzellenten Analyse (F.A.Z. vom 11. Juli 2020) nachgewiesen hat: Der Antisemitismus war seit Beginn in der Bundesrepublik präsent, von der man hätte annehmen sollen, dass sie mit der fortschreitenden Aufklärung über die NS-Zeit und nach Prozessen wegen des Mordes an den europäischen Juden dagegen immunisiert worden sei. Man darf auch bezweifeln, dass es sich nur um eine "deutsche" Krankheit handelt, denn antisemitische Vorfälle und mörderische Attentate hat es auch in anderen europäischen Ländern gegeben - ein Blick nach Frankreich genügt.
Ungewollte Folgen der Debatten um Emanzipation
Ob der Antisemitismus in Deutschland eine besondere Geschichte hat, für die manchmal der Begriff des "eliminatorischen" (Daniel Goldhagen) oder Vernichtungs-Antisemitismus verwendet wird (so auch bei Gruberová und Zeller), ist Gegenstand der Studie des Historikers Peter Longerich. Sein Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes ein dicker Brocken und beruht auf stupender Quellenkenntnis. Der Autor ist als Kenner des "Dritten Reichs" und seiner "Judenpolitik" ausgewiesen, und deshalb wird man seinem Urteil, dass es sich bei der Ausbreitung des Antisemitismus im neunzehnten Jahrhundert um ein gesamteuropäisches Phänomen gehandelt habe, "mit sehr starken - jeweils unterschiedlichen - nationalen Wurzeln", Gewicht beimessen müssen.
In seiner Geschichte, die mit der Aufklärung beginnt und bis in die Gegenwart reicht, zeigt Longerich, dass der Antisemitismus "heterogen und eklektisch" war und ist. Es ist gerade seine Wandlungs- und vielfältige Anschlussfähigkeit, die seine Entwicklung und seinen Fortbestand bis heute möglich gemacht hat. So weist Longerich darauf hin, dass schon der frühe, von religiösen Motiven ("Gottesmord") getragene Antisemitismus auch säkulare Elemente enthielt, genauso wie sich im "modernen" Antisemitismus vielerlei Motive vermischen und überlagern, ganz ungeachtet der Widersprüche und Gegensätze, die es zwischen ihnen gibt.
Longerichs Generalthese lautet, dass die "Judenfrage" in Deutschland im Zuge der Nationwerdung entstanden, geradezu geschaffen worden sei, paradoxerweise parallel zu den Bemühungen zur "bürgerlichen Verbesserung der Juden". Das war der Titel einer programmatischen Schrift aus dem Jahr 1781, die zum Auftakt einer über Jahrzehnte geführten Debatte wurde. In dieser wurde von allen Seiten die Frage beleuchtet, "ob die Angehörigen der jüdischen Minderheit nach religionsethischen, moralischen, kulturellen, ethnischen und sonstigen Kriterien die notwendigen Voraussetzungen erfüllten, um sich als gleichberechtigte deutsche Staatsbürger zu qualifizieren". Damit, meint Longerich, habe die "Judenfrage" im öffentlichen Bewusstsein "eine solche Dimension und Bedeutung erlangt, dass sie mit der formalen Gleichstellung nicht erledigt war, sondern auf andere Weise immer und immer wieder neu aufgeworfen werden" konnte.
Longerich verfolgt diese Debatte, die bald unter dem Stichwort "Emanzipation" geführt wurde, ungemein detailliert durch ihre vielen Verästelungen und Entwicklungen, die schließlich im rassistischen, völkischen Antisemitismus mündeten, und er erörtert auch ihre Ergebnisse: Trotz vieler antisemitischer Schriften und Vereine wurde den Juden, schrittweise und phasenverschoben in den verschiedenen Ländern, die zuerst den Norddeutschen Bund, dann das Deutsche Reich bildeten, schließlich die rechtliche Gleichstellung gewährt.
Es ist seine These, dass im Kaiserreich der Antisemitismus - ein Begriff, der erst 1879 geprägt wurde - im Grunde mit einem anrüchigen Odium behaftet blieb, auch wenn es schon früh Vertreibungs- und Vernichtungsphantasien gab. Das klingt doch etwas exkulpierend angesichts des von dem prominenten Historiker Heinrich von Treitschke im Berliner Antisemitismusstreit (1879) zitierten Spruchs aus den Kreisen "der höchsten Bildung": "Die Juden sind unser Unglück!"
Unangenehme Fragen zu heutigen Formen der Aufklärung
Was das Kaiserreich von der Weimarer Republik unterschied, war allerdings, dass der Antisemitismus nicht zur politischen Systemkritik wurde, er blieb gewissermaßen kaiser- und reichstreu. Seine volle Ausprägung und Wirkkraft, glaubt Longerich, sei erst in der Weimarer Republik zutage getreten, als der Antisemitismus von der Rechten zum Synonym für die Beseitigung des verhassten "Weimarer Systems" umgemünzt wurde, also eine revolutionäre Stoßrichtung bekam.
Der Mord an Rathenau kann dafür als Symbol stehen, Parteien - etwa die Deutschnationale Volkspartei - nahmen Juden nicht mehr als Mitglieder auf, der gesellschaftliche Ausschluss der Juden und Boykottbewegungen gegen sie begannen, und zwar schon lange vor 1933. Den deutschen Sonderweg des Antisemitismus sieht Longerich schließlich darin, "dass es der NSDAP als Speerspitze der antisemitischen Bewegung gelang, an die Macht zu kommen, die nun als erstes daranging, eine alles umfassende judenfeindliche Politik durchzusetzen" - im Unterschied zum faschistischen Italien. Im Gegensatz zu Goldhagens These vom "eliminatorischen" Antisemitismus der Nationalsozialisten sieht Longerich den Weg zur Judenvernichtung als improvisiert an, jedenfalls nicht als kontinuierliche Radikalisierung mit dem von vornherein geplanten Ziel der "Endlösung".
Im letzten Teil seines Buches beschreibt Longerich das Fortleben des Antisemitismus in Deutschland nach dem Krieg am Leitfaden von Ereignissen wie dem ersten Mord an einem jüdischen Repräsentanten in Erlangen (1980) bis zum als Massenmord geplanten Anschlag auf die Synagoge in Halle (2019). Dazu kommen zentrale Debatten: ganz früh etwa über den Regisseur Veit Harlan ("Jud Süß"), es gab den Frankfurter Theaterstreit und den Historikerstreit, und es gab heftige Diskussionen über die Wehrmachtsausstellung oder über Martin Walsers Rede zur Verleihung des Friedenspreises. Begleitet wurde das von einer zunehmend maßlosen Kritik am Staat Israel und seiner Besatzungspolitik.
Abschließend weist Longerich auf Leerstellen bei der Erforschung des Antisemitismus hin. So sieht er beispielsweise eine frappierende "Diskrepanz zwischen den Kenntnissen über das Ausmaß des muslimischen Antisemitismus und der verstärkten Medienaufmerksamkeit" für ihn. Longerich konstatiert, dass Antisemitismus in Deutschland wesentlich stärker verbreitet sei als in anderen westeuropäischen Ländern. Und er stellt auch unangenehme Fragen, die für Streit sorgen könnten, etwa ob die Anstrengungen zur historischen Vermittlung des Themas in der Schule kontraproduktiv sein könnten und, generell, ob die Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus zielführend und wirksam seien. Die Berichte und Reportagen von Gruberová und Zeller machen solche Überlegungen plausibel. Und niemand weiß wirklich Antworten auf die in beiden Büchern ausdrücklich oder implizit gestellten Fragen.
GÜNTHER NONNENMACHER
Eva Gruberová
und Helmut Zeller:
"Diagnose: Judenhass". Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit.
C. H. Beck Verlag,
München 2021. 279 S., geb., 16,95 [Euro].
Peter Longerich:
"Antisemitismus". Eine deutsche Geschichte. Von der Aufklärung bis heute.
Siedler Verlag, München 2021. 631 S., geb., 34,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Reportage und eine gewichtige historische Studie zum Antisemitismus in Deutschland
Alle Statistiken, die amtliche des Innenministeriums wie die Berichte und Zählungen von Stiftungen und Vereinen, die das Thema verfolgen, zeigen einen klaren Trend: Die Zahl antisemitischer Straftaten und Vorkommnisse ist in den vergangenen Jahren steil angestiegen. Dazu kommt noch ein großes Dunkelfeld, auf das manchmal ein grelles Schlaglicht fällt, etwa wenn den Hintergründen des Attentats von Halle nachrecherchiert wird. Dass dabei der Hass, der sich im Internet austobt, eine wichtige Rolle spielt, ist offensichtlich. Genauso wie sich immer wieder zeigt, dass Verschwörungstheorien, die bei "Querdenkern" und anderen Protestgruppen kursieren, fast durchweg einen antisemitischen Kern haben.
Wie eng Rechtsextremismus und Antisemitismus zusammenhängen, bedarf keiner besonderen Erläuterung. Doch ist Antisemitismus, wie die beiden Journalisten Eva Gruberová und Helmut Zeller schreiben, tatsächlich schon "salonfähig" geworden? Das wird man bestreiten können: Wer sich antisemitisch äußert, kann, jedenfalls im öffentlichen Leben, weder mit Sympathien noch mit Gehör rechnen. Das schließt allerdings nicht aus, dass in der Gesellschaft antisemitische Stereotypen verbreitet sind oder dass es Netzwerke von Rechtsradikalen und Antisemiten auch im öffentlichen Dienst gibt - ein Phänomen, das lange verdrängt wurde und erst seit kurzem in den Fokus der Politik geraten ist.
Gruberová und Zeller sprechen im Untertitel ihres Reportagebuches, das sie durch ganz Deutschland geführt hat - zu jüdischen Gemeinden, in Schulen, zu Muslimen, in rechtsextremistische "Hotspots" -, vom "Judenhass" als "Wiederkehr einer deutschen Krankheit". Auch das ist nicht richtig, wie Ronen Steinke in seiner exzellenten Analyse (F.A.Z. vom 11. Juli 2020) nachgewiesen hat: Der Antisemitismus war seit Beginn in der Bundesrepublik präsent, von der man hätte annehmen sollen, dass sie mit der fortschreitenden Aufklärung über die NS-Zeit und nach Prozessen wegen des Mordes an den europäischen Juden dagegen immunisiert worden sei. Man darf auch bezweifeln, dass es sich nur um eine "deutsche" Krankheit handelt, denn antisemitische Vorfälle und mörderische Attentate hat es auch in anderen europäischen Ländern gegeben - ein Blick nach Frankreich genügt.
Ungewollte Folgen der Debatten um Emanzipation
Ob der Antisemitismus in Deutschland eine besondere Geschichte hat, für die manchmal der Begriff des "eliminatorischen" (Daniel Goldhagen) oder Vernichtungs-Antisemitismus verwendet wird (so auch bei Gruberová und Zeller), ist Gegenstand der Studie des Historikers Peter Longerich. Sein Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes ein dicker Brocken und beruht auf stupender Quellenkenntnis. Der Autor ist als Kenner des "Dritten Reichs" und seiner "Judenpolitik" ausgewiesen, und deshalb wird man seinem Urteil, dass es sich bei der Ausbreitung des Antisemitismus im neunzehnten Jahrhundert um ein gesamteuropäisches Phänomen gehandelt habe, "mit sehr starken - jeweils unterschiedlichen - nationalen Wurzeln", Gewicht beimessen müssen.
In seiner Geschichte, die mit der Aufklärung beginnt und bis in die Gegenwart reicht, zeigt Longerich, dass der Antisemitismus "heterogen und eklektisch" war und ist. Es ist gerade seine Wandlungs- und vielfältige Anschlussfähigkeit, die seine Entwicklung und seinen Fortbestand bis heute möglich gemacht hat. So weist Longerich darauf hin, dass schon der frühe, von religiösen Motiven ("Gottesmord") getragene Antisemitismus auch säkulare Elemente enthielt, genauso wie sich im "modernen" Antisemitismus vielerlei Motive vermischen und überlagern, ganz ungeachtet der Widersprüche und Gegensätze, die es zwischen ihnen gibt.
Longerichs Generalthese lautet, dass die "Judenfrage" in Deutschland im Zuge der Nationwerdung entstanden, geradezu geschaffen worden sei, paradoxerweise parallel zu den Bemühungen zur "bürgerlichen Verbesserung der Juden". Das war der Titel einer programmatischen Schrift aus dem Jahr 1781, die zum Auftakt einer über Jahrzehnte geführten Debatte wurde. In dieser wurde von allen Seiten die Frage beleuchtet, "ob die Angehörigen der jüdischen Minderheit nach religionsethischen, moralischen, kulturellen, ethnischen und sonstigen Kriterien die notwendigen Voraussetzungen erfüllten, um sich als gleichberechtigte deutsche Staatsbürger zu qualifizieren". Damit, meint Longerich, habe die "Judenfrage" im öffentlichen Bewusstsein "eine solche Dimension und Bedeutung erlangt, dass sie mit der formalen Gleichstellung nicht erledigt war, sondern auf andere Weise immer und immer wieder neu aufgeworfen werden" konnte.
Longerich verfolgt diese Debatte, die bald unter dem Stichwort "Emanzipation" geführt wurde, ungemein detailliert durch ihre vielen Verästelungen und Entwicklungen, die schließlich im rassistischen, völkischen Antisemitismus mündeten, und er erörtert auch ihre Ergebnisse: Trotz vieler antisemitischer Schriften und Vereine wurde den Juden, schrittweise und phasenverschoben in den verschiedenen Ländern, die zuerst den Norddeutschen Bund, dann das Deutsche Reich bildeten, schließlich die rechtliche Gleichstellung gewährt.
Es ist seine These, dass im Kaiserreich der Antisemitismus - ein Begriff, der erst 1879 geprägt wurde - im Grunde mit einem anrüchigen Odium behaftet blieb, auch wenn es schon früh Vertreibungs- und Vernichtungsphantasien gab. Das klingt doch etwas exkulpierend angesichts des von dem prominenten Historiker Heinrich von Treitschke im Berliner Antisemitismusstreit (1879) zitierten Spruchs aus den Kreisen "der höchsten Bildung": "Die Juden sind unser Unglück!"
Unangenehme Fragen zu heutigen Formen der Aufklärung
Was das Kaiserreich von der Weimarer Republik unterschied, war allerdings, dass der Antisemitismus nicht zur politischen Systemkritik wurde, er blieb gewissermaßen kaiser- und reichstreu. Seine volle Ausprägung und Wirkkraft, glaubt Longerich, sei erst in der Weimarer Republik zutage getreten, als der Antisemitismus von der Rechten zum Synonym für die Beseitigung des verhassten "Weimarer Systems" umgemünzt wurde, also eine revolutionäre Stoßrichtung bekam.
Der Mord an Rathenau kann dafür als Symbol stehen, Parteien - etwa die Deutschnationale Volkspartei - nahmen Juden nicht mehr als Mitglieder auf, der gesellschaftliche Ausschluss der Juden und Boykottbewegungen gegen sie begannen, und zwar schon lange vor 1933. Den deutschen Sonderweg des Antisemitismus sieht Longerich schließlich darin, "dass es der NSDAP als Speerspitze der antisemitischen Bewegung gelang, an die Macht zu kommen, die nun als erstes daranging, eine alles umfassende judenfeindliche Politik durchzusetzen" - im Unterschied zum faschistischen Italien. Im Gegensatz zu Goldhagens These vom "eliminatorischen" Antisemitismus der Nationalsozialisten sieht Longerich den Weg zur Judenvernichtung als improvisiert an, jedenfalls nicht als kontinuierliche Radikalisierung mit dem von vornherein geplanten Ziel der "Endlösung".
Im letzten Teil seines Buches beschreibt Longerich das Fortleben des Antisemitismus in Deutschland nach dem Krieg am Leitfaden von Ereignissen wie dem ersten Mord an einem jüdischen Repräsentanten in Erlangen (1980) bis zum als Massenmord geplanten Anschlag auf die Synagoge in Halle (2019). Dazu kommen zentrale Debatten: ganz früh etwa über den Regisseur Veit Harlan ("Jud Süß"), es gab den Frankfurter Theaterstreit und den Historikerstreit, und es gab heftige Diskussionen über die Wehrmachtsausstellung oder über Martin Walsers Rede zur Verleihung des Friedenspreises. Begleitet wurde das von einer zunehmend maßlosen Kritik am Staat Israel und seiner Besatzungspolitik.
Abschließend weist Longerich auf Leerstellen bei der Erforschung des Antisemitismus hin. So sieht er beispielsweise eine frappierende "Diskrepanz zwischen den Kenntnissen über das Ausmaß des muslimischen Antisemitismus und der verstärkten Medienaufmerksamkeit" für ihn. Longerich konstatiert, dass Antisemitismus in Deutschland wesentlich stärker verbreitet sei als in anderen westeuropäischen Ländern. Und er stellt auch unangenehme Fragen, die für Streit sorgen könnten, etwa ob die Anstrengungen zur historischen Vermittlung des Themas in der Schule kontraproduktiv sein könnten und, generell, ob die Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus zielführend und wirksam seien. Die Berichte und Reportagen von Gruberová und Zeller machen solche Überlegungen plausibel. Und niemand weiß wirklich Antworten auf die in beiden Büchern ausdrücklich oder implizit gestellten Fragen.
GÜNTHER NONNENMACHER
Eva Gruberová
und Helmut Zeller:
"Diagnose: Judenhass". Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit.
C. H. Beck Verlag,
München 2021. 279 S., geb., 16,95 [Euro].
Peter Longerich:
"Antisemitismus". Eine deutsche Geschichte. Von der Aufklärung bis heute.
Siedler Verlag, München 2021. 631 S., geb., 34,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Sie zeigen schonungslos, dass der Antisemitismus erstens nach 1945 nie verschwunden und zweitens gesellschaftlich tief verwurzelt ist."
Süddeutsche Zeitung Dachau, Thomas Radlmaier
"Über zwei Jahre Recherche, Gespräche mit über 80 jüdischen Mitbürgern (...) Praktisch alle hatten Antisemitismus persönlich erlebt." ARD ttt, Claudia Kuhland
"Ein informatives, wichtiges Buch (...) eine schonungslose Zustandsbeschreibung jüdischen Lebens in Deutschland."
Berliner Morgenpost, Ulrike Borowczyk
"Ein dicht recherchierter Reportageband voller Fakten und voller Gespräche." Deutschlandfunk Kultur, Christian Rabhansl
"Umfassend und eindrücklich (...) eine klare Leseempfehlung für dieses Buch" die tageszeitung, Helen Roth
"Ein Gewinn sind die Passagen aus den Gesprächen quer durch die Republik." Jüdische Allgemeine, Leticia Witte
"Für ihr Buch schöpfen die beiden Autoren aus einer Fülle an Material zu Straftaten und anderen Vorkommnissen und zitieren aus Umfragen (...) Dazwischen finden sich Zitate aus Gesprächen und reportagehafte Elemente. Diese Mischung ergibt einen informativen und dichten Text."
KNN, Leticia Witte
"Eine beeindruckende Fallsammlung."
SWR 2 Forum, Thomas Ihm
"Sehr wichtiges, insgesamt faktenreiches und erschütterndes Werk." Ostsee Zeitung, Thomas Hoppe
"Deutschland sollte sich gleichermaßen um die Sicherheit des jüdischen Lebens sorgen. Ein Anfang wäre, es genauso zu machen wie die Gruberová und Zeller: Jüdinnen und Juden zuhören und ihre Wünsche, Sorgen und Forderungen endlich ernst nehmen."
Bell Tower, Maximilian Kristein
"Rüttelt auf."
Weser Kurier, Iris Hetscher
Süddeutsche Zeitung Dachau, Thomas Radlmaier
"Über zwei Jahre Recherche, Gespräche mit über 80 jüdischen Mitbürgern (...) Praktisch alle hatten Antisemitismus persönlich erlebt." ARD ttt, Claudia Kuhland
"Ein informatives, wichtiges Buch (...) eine schonungslose Zustandsbeschreibung jüdischen Lebens in Deutschland."
Berliner Morgenpost, Ulrike Borowczyk
"Ein dicht recherchierter Reportageband voller Fakten und voller Gespräche." Deutschlandfunk Kultur, Christian Rabhansl
"Umfassend und eindrücklich (...) eine klare Leseempfehlung für dieses Buch" die tageszeitung, Helen Roth
"Ein Gewinn sind die Passagen aus den Gesprächen quer durch die Republik." Jüdische Allgemeine, Leticia Witte
"Für ihr Buch schöpfen die beiden Autoren aus einer Fülle an Material zu Straftaten und anderen Vorkommnissen und zitieren aus Umfragen (...) Dazwischen finden sich Zitate aus Gesprächen und reportagehafte Elemente. Diese Mischung ergibt einen informativen und dichten Text."
KNN, Leticia Witte
"Eine beeindruckende Fallsammlung."
SWR 2 Forum, Thomas Ihm
"Sehr wichtiges, insgesamt faktenreiches und erschütterndes Werk." Ostsee Zeitung, Thomas Hoppe
"Deutschland sollte sich gleichermaßen um die Sicherheit des jüdischen Lebens sorgen. Ein Anfang wäre, es genauso zu machen wie die Gruberová und Zeller: Jüdinnen und Juden zuhören und ihre Wünsche, Sorgen und Forderungen endlich ernst nehmen."
Bell Tower, Maximilian Kristein
"Rüttelt auf."
Weser Kurier, Iris Hetscher