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Sibylle Herbert bricht ein Tabu. Sie spricht aus, was niemand zu sagen wagt: Medizin ist ein knappes Gut, zu dem längst nicht mehr jeder Zugang hat. Opfer ist der Patient, der eine optimale Behandlung erwartet, aber sie längst nicht immer erhält. Eine Frau, 78 Jahre alt, hat einen fortschreitenden Lungenkrebs. Ein neues Krebsmedikament könnte ein Jahr Überleben bringen. Die Kasse lehnt die Übernahme der Kosten ab. Wie viel darf ein Jahr Überleben kosten? Knochenschwund-Untersuchungen - viele Jahre von den Kassen übernommen - zahlt inzwischen der Patient selbst. Wird Früherkennung unbezahlbar?…mehr

Produktbeschreibung
Sibylle Herbert bricht ein Tabu. Sie spricht aus, was niemand zu sagen wagt: Medizin ist ein knappes Gut, zu dem längst nicht mehr jeder Zugang hat. Opfer ist der Patient, der eine optimale Behandlung erwartet, aber sie längst nicht immer erhält. Eine Frau, 78 Jahre alt, hat einen fortschreitenden Lungenkrebs. Ein neues Krebsmedikament könnte ein Jahr Überleben bringen. Die Kasse lehnt die Übernahme der Kosten ab. Wie viel darf ein Jahr Überleben kosten? Knochenschwund-Untersuchungen - viele Jahre von den Kassen übernommen - zahlt inzwischen der Patient selbst. Wird Früherkennung unbezahlbar? Krankengymnastik hilft Rheumapatienten. Dauerhaft. Aber das Budget des Arztes ist begrenzt - und deshalb auch der Anspruch auf Krankengymnastik. Ein teureres Schmerzmittel bringt chronisch Kranken Linderung. Dem Arzt droht die Zahlung aus der eigenen Tasche. Krankenhäuser schicken Kranke zu früh nach Hause, empfehlen teure Medikamente und verlagern die Ausgaben in die Praxen. Bestimmte Untersuchungen, Medikamente und Therapien sind für gesetzlich Versicherte längst tabu. In Facharztpraxen und Krankenhäusern sind Privatpatienten willkommen, Kassenpatienten werden gerne vertröstet oder gar nicht mehr angenommen. Dabei werden Politiker nicht müde zu beteuern: Jeder bekommt in Deutschland die Versorgung, die medizinisch ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Doch wer entscheidet das? Und nach welchen Kriterien? Sibylle Herbert hat Ärzte in ihrem Alltag begleitet und Kassenvertreter mit diesen Praxisgeschichten konfrontiert. Das Ergebnis ihrer Recherchen: Die medizinische Entwicklung macht rasante Fortschritte, die Kosten explodieren, aber die Mittel sind begrenzt. Das Opfer ist der Patient.
Autorenporträt
Sibylle Herbert wurde 1956 in Köln geboren. Ihre journalistische Laufbahn begann 1981 beim WDR. Heute ist sie politische Redakteurin beim Hörfunk. Schwerpukt ihrer journalistischen Tätigkeit ist u. a. die Sozialpolitik. Sibylle Herbert wurde bisher mit drei Journalistenpreisen ausgezeichnet. Sie lebt in Köln und hat zwei Töchter.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2006

Heilen ist ein Geschäft
Sibylle Herberts Reportage aus der Zweiklassenmedizin

"Medizin ist eben in erster Linie ein Geschäft." Diese, den Kennern des bundesrepublikanischen Gesundheitswesens nicht überraschende Aussage, findet sich in einem aufrüttelnden Buch einer Journalistin, die sich nicht wie einst Wallraff verkleiden mußte, sondern auf die naheliegende Idee kam, im Stil von Egon Erwin Kisch die Sozialreportage auf die Medizin auszudehnen. Ihre Kronzeugen für das, was in unserem Medizinbetrieb (in diesem Falle stimmt ausnahmsweise das sprachliche Bild) schiefläuft, sind eine niedergelassene Hausärztin im Rheinland und ein Leiter einer Krankenkassengeschäftsstelle. Beide waren nur unter der Zusicherung der Anonymität bereit, sich in die Karten schauen zu lassen.

Aus den Gesprächen mit diesen Experten "vor Ort" wird deutlich, daß längst eine Zweiklassenmedizin praktiziert wird, wobei es eigentlich sogar eine Fünfklassenhierarchie gibt, an deren unterstem Ende sich die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung befinden, die über keine persönlichen Beziehungen, weder zu Mitarbeitern von Krankenkassen noch zu Ärzten und deren Personal, verfügen.

Nun wird man einwenden, das ist alles nicht neu. Aber so deutlich hat das noch niemand den Lesern, insbesondere denjenigen, die nicht zu den Privilegierten, also den Mitgliedern einer privaten Krankenversicherung, zählen, an zahlreichen Beispielen (Wartelisten für Operationen, Rheumatherapien, Anschaffung von Badewannenlifts, Verschreibung von Vakuumbehandlungen und Lymphdrainagen und so weiter) vor Augen geführt. Betroffen sind vor allem alte Menschen und chronisch Kranke. Die wahren Geschichten aus der Kassenpraxis, die in diesem Buch erzählt werden, stimmen einen nachdenklich darüber, warum in der gegenwärtigen Debatte um die Finanzierung unseres Gesundheitssystems Politiker den Wählern nicht reinen Wein einschenken.

Statt dessen wird getrickst, wo es nur geht. Der Allgemeinmediziner, der sich vor Regreßansprüchen der Kassenärztlichen Vereinigungen fürchtet, wenn er sein Behandlungsbudget überzieht, also mehr verschreibt als der Durchschnitt seiner Kollegen, verlegt seine Praxis in ein oberes Stockwerk, damit nicht mehr so viele alte Menschen zu ihm in die Praxis kommen. Die Krankenhäuser praktizieren "blutige", also vorzeitige Entlassungen und nehmen in Kauf, daß zur Weiterbehandlung nicht die Medikamente zur Anwendung kommen, die dem Kranken am meisten nützen, sondern die, die das Verordnungsbudget der niedergelassenen Ärzte nicht über Gebühr belasten. Die Hausärzte wehren sich gegen den Wahnsinn, der im Gesundheitswesen Methode hat, indem sie ihrerseits versuchen, den Schwarzen Peter kostspieliger Behandlungen an die Fachärzte weiterzureichen, was diese sich natürlich nicht gefallen lassen und ihrerseits wieder Gegenmaßnahmen treffen, damit sie nicht auf den Kosten sitzenbleiben.

Andererseits macht die Lektüre auch Mut. Zeigt dieses Buch doch, daß es immer noch Ärzte gibt, die Widerstand leisten und ihre Patienten so gut, wie es eben geht, behandeln und dabei auch finanzielle Nachteile in Kauf nehmen. Daß man auch bei den Krankenkassen gelegentlich auf einsichtige Sachbearbeiter und Geschäftsführer trifft, kann man den Geschichten entnehmen, die zeigen, daß Einsprüche sich lohnen, auch wenn der Spielraum, wie die Kommentare des Krankenkassenvertreters zeigen, immer geringer wird. Wer macht sich schon klar, daß auf einen Euro, den der Arzt für die Behandlung erhält, im Durchschnitt vier Euro weiterer Kosten für Heil- und Hilfsmittel kommen. In der Krebstherapie kostet ein gewonnenes Lebensjahr nicht selten über 40000 Euro. Das stellt erhebliche finanzielle Anforderungen an die Solidargemeinschaft.

Eine Patentlösung haben die beiden Protagonisten des medizinischen Alltags, die in diesem Buch ausführlich zu Wort kommen, auch nicht parat. Einzelne ihrer Vorschläge sind so vernünftig, daß man sie hätte schon längst umsetzen müssen. Wenn da nicht die vielen Regeln im deutschen Gesundheitswesen wären, die mit dem normalen Menschenverstand kaum zu begreifen sind, zum Beispiel unterschiedliche Verfahrensweisen bei der PET-Diagnostik im ambulanten und stationären Bereich zum Nachteil des Patienten. Und von den Politikern ist kaum Hilfe zu erwarten. Diese, so die Autorin, sind größtenteils privatversichert und wissen daher gar nicht, wo den Ärzten und den "normalen" Kranken der Schuh drückt.

ROBERT JÜTTE

Sibylle Herbert: "Diagnose unbezahlbar". Aus der Praxis der Zweiklassenmedizin. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 294 S., br., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erhellend findet Rezensent Robert Jütte diese engagierte Reportage über das deutsche Gesundheitswesen, die Sibylle Herbert vorgelegt hat. Der Autorin gelingt es seines Erachtens, anschaulich vor Augen zu führen, dass die Zweiklassenmedizin in Deutschland längst gang und gäbe ist. Wie er berichtet, führt Herbert für diesen Befund eine niedergelassene Hausärztin im Rheinland und einen Leiter einer Krankenkassengeschäftsstelle als Kronzeugen an, die bereit waren - unter Zusicherung der Anonymität -, sich in die Karten schauen zu lassen. Auch wenn manches bekannt sein mag, so deutlich wie Herbert hat für Jütte bisher niemand die Missstände im Medizinbetrieb, die Tricksereien von Hausärzten und die fragwürdigen Praktiken von Krankenhäusern benannt und mit zahlreichen Beispielen belegt. Zwar habe die Autorin auch kein Patentrezept. Aber die Vorschläge, die sie macht, scheinen ihm überaus vernünftig. Sein Fazit: ein "aufrüttelndes Buch".

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