Im Rahmen der seit 1938 jeweils im Herbst in Weimar stattfindenden (groß)deutschen Dichtertage wurde am 24. Oktober 1941 auf Betreiben des Reichsministeriums für Propaganda und Volksaufklärung eine "Europäische Schriftsteller-Vereinigung" (ESV) als Zusammenschluß deutscher und europäischer Autoren gegründet. Die Vereinigung war als Gegenverband zu dem in London residierenden PEN-Club gedacht und sollte der intellektuellen Gleichschaltung eines das europäische Festland umspannenden 'Neu-Europa' unter deutscher Führung dienen. Dichter und Schriftsteller wurden plötzlich als nützliche Ideenmultiplikatoren betrachtet. Die Studie stützt sich auf Recherchen in 46 privaten und öffentlichen Archiven und Bibliotheken in elf Ländern und beschreibt die Gründung der ESV, zeichnet die ihr zu Werbezwecken vorgeschaltete Deutschlandrundreise europäischer Schriftsteller vom 5.-23. (27.) Oktober 1941 nach, rekonstruiert den Aufbau und die Zusammensetzung der einzelnen Ländergruppen und stellt die wichtigsten Bücher vor, die von den Mitgliedern der ESV während ihrer Zugehörigkeit verfaßt und ins Deutsche übertragen wurden. Sie enthält außerdem enthält Informationen zur auswärtigen Kulturpolitik des Nationalsozialismus, zur Reichsschrifttumskammer, zur deutschen Verlags- und Buchhandelsgeschichte sowie zur Literatur- und Übersetzungsgeschichte der betroffenen Länder. Besonderes Interesse dürfte dabei die ebenfalls auf dieser CD-Rom enthaltene Digitalisierung des Erinnerungsalbums finden, das jedem Teilnehmer der Deutschlandrundreise ausgehändigt wurde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2005Weltliteratur in brauner Klappe
Frank-Rutger Hausmanns Studie zu Goebbels' Gegen-PEN
Spätestens mit der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 stand den meisten deutschen Schriftstellern und Intellektuellen die Emigration als letzter Ausweg klar vor Augen. Fünf Monate darauf trat Deutschland aus dem Völkerbund aus, und am Tag vor der Reichspogromnacht folgte die Kündigung der internationalen Schriftstellervereinigung, des PEN-Clubs. Goebbels hielt dazu später im Tagebuch fest: "Der PEN-Klub wird von mir als ,Penn-Klub' gekennzeichnet, der nicht mehr das Recht habe, im Namen des intellektuellen Europa zu sprechen." Von da an hat Deutschland versucht, die angestrebte Oberherrschaft über Land, Wasser und Luft auch auf das Reich des Geistes auszudehnen. Seit Kriegsbeginn bemühte sich das Propagandaministerium im Verbund mit dem Erziehungs- und Außenministerium, in fast allen europäischen Hauptstädten deutsche (wissenschaftliche) Institute als Schaltstellen des ideologischen Sprach- und Kulturtransfers einzurichten.
Eine der logistisch ausgefeiltesten Initiativen betraf 1941 die gegen den PEN gegründete "Europäische Schriftsteller-Vereinigung" (ESV), die erst im Mai 1948 aufgelöst wurde. Der Freiburger Romanist Frank-Rutger Hausmann hat dieses perfekt organisierte Netzwerk jetzt nach Archivrecherchen in elf Ländern auf breitester Quellenbasis erschlossen. Thomas Mann brachte in einer seiner Radioreden das Ziel dieser "makabren Farce" auf den Punkt: "Nicht Deutschland soll europäisch werden, sondern Europa soll deutsch werden." Tatsächlich ging es bei solchen großdeutschen Visionen um eine Ausdehnung der Reichskulturkammer auf internationales Terrain. Als organisatorisches Forum dienten die seit 1938 etablierten und nach der kriegsbedingten Pause von 1939 jährlich stattfindenden Treffen linientreuer Schriftsteller in Weimar. Es versteht sich, daß sie für ihre Festvorträge gern Goethes Idee von Weltliteratur oder Herders Verständnis eines integrierenden Volkes mißbrauchten. Kritiker waren unter den Teilnehmern natürlich in der verschwindenden Minderheit. Einer wie Hans Leip, Verfasser der "Lili Marleen", verfolgte entsprechend empört, wie man den Begriff Weimar "zum Braunhemd zu verplätten" suche.
Nichts blieb bei der von Goebbels' Leuten gestalteten Dramaturgie dem Zufall überlassen. Die rasante Inthronisierung Hans Carossas als Präsident der ESV macht das besonders deutlich. Behutsam nach außen, aber eindringlich in der Bearbeitung des "Kandidaten", dirigierten die Propagandastrategen aus Berlin die pseudodemokratische und natürlich einstimmige Entscheidung. Als Carossa "das Fatale dieser Wahl" angesichts von Goebbels' persönlichem Dank begriff, war es bereits zu spät. So konnten die Nazis mit einem liberalen Kopf und seinem besonnenen, wenn politisch auch stärker involvierten Generalsekretär Carl Rothe dem schädlichen Vorwurf der Kulturfeindlichkeit entgegentreten. Zugleich gewannen sie zwei diplomatisch agierende Figuren, die sich ohne große Mühe instrumentalisieren ließen. Die Gründungsurkunde der ESV enthält indes keine Arierklausel und ist frei von ideologischen Parolen; man könnte sie, wie Hausmann bemerkt, noch heute akzeptieren.
Diese Schachzüge waren so geschickt, daß Vertreter aus sechzehn Ländern das Dokument unterzeichneten. Vereinzelte Vorschläge, auch jüdische Schriftsteller aufzunehmen, ließen sich diskret vereiteln. Schließlich waren die meisten Gäste handverlesen, also sorgfältig über die Botschaften rekrutiert und überprüft. Auf einer dreiwöchigen Rundreise durchs Reich - von Bonn über Heidelberg, Straßburg, München, Salzburg, Wien, Berlin bis nach Weimar - hatte man sie bereits auf Staatskosten verwöhnt und durch den Anschein gewogen gemacht, daß nichts zu verstecken sei. Diese Tour, die in ähnlicher Weise auch für Vertreter anderer Künste und Wissenschaften durchgeführt wurde, rekonstruiert Hausmann so minutiös wie anschließend die einzelnen Landesgruppen, die von den Delegierten der verschiedenen Nationen zu Hause aufgebaut und gepflegt werden sollten. Eine eigene Zeitschrift mit dem Titel "Europäische Literatur" flankierte von Mai 1942 bis September 1944 diese aufwendige Öffentlichkeitsarbeit.
Den beteiligten deutschen Autoren widmet sich Hausmann nur nebenbei, in erster Linie am exemplarischen Fall von Carossa. Kurz nach Kriegsende wollte Thomas Mann ihn, "der mit Goebbels fraternisierte und der Europäischen Nazi-Schriftsteller-Tagung in Weimar präsidierte", sowenig auf der Liste der inneren Emigration dulden wie Ernst Jünger, der ihm als "geistiger Wegbereiter und eiskalter Wollüstling der Barbarei" erschien. Später urteilte Mann milder über den "armen Carossa", der das aufgezwungene Präsidentenamt zu keinem Zeitpunkt mit Hingabe und Überzeugung ausgeübt haben dürfte. Seinem Lebensbericht entstammt auch die Aufforderung zur künstlerischen statt politischen Arbeit im Titel des Buches, mit der Hausmann ihn etwas in Schutz nimmt. Der ausgewogenen Nüchternheit seiner historischen Studie tut das keinen Abbruch. Sie besticht durch das erstmals präsentierte und zum Teil auf einer CD-ROM beigefügte Material, das die Organisationsstruktur dieser bisher wenig bekannten Vereinigung präzise dokumentiert.
ALEXANDER KOSENINA
Frank-Rutger Hausmann: "Dichte, Dichter, tage nicht!" Die Europäische Schriftsteller-Vereinigung in Weimar 1941-1948. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2004. 409 S., Abb. auf CD-ROM, br., 39,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frank-Rutger Hausmanns Studie zu Goebbels' Gegen-PEN
Spätestens mit der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 stand den meisten deutschen Schriftstellern und Intellektuellen die Emigration als letzter Ausweg klar vor Augen. Fünf Monate darauf trat Deutschland aus dem Völkerbund aus, und am Tag vor der Reichspogromnacht folgte die Kündigung der internationalen Schriftstellervereinigung, des PEN-Clubs. Goebbels hielt dazu später im Tagebuch fest: "Der PEN-Klub wird von mir als ,Penn-Klub' gekennzeichnet, der nicht mehr das Recht habe, im Namen des intellektuellen Europa zu sprechen." Von da an hat Deutschland versucht, die angestrebte Oberherrschaft über Land, Wasser und Luft auch auf das Reich des Geistes auszudehnen. Seit Kriegsbeginn bemühte sich das Propagandaministerium im Verbund mit dem Erziehungs- und Außenministerium, in fast allen europäischen Hauptstädten deutsche (wissenschaftliche) Institute als Schaltstellen des ideologischen Sprach- und Kulturtransfers einzurichten.
Eine der logistisch ausgefeiltesten Initiativen betraf 1941 die gegen den PEN gegründete "Europäische Schriftsteller-Vereinigung" (ESV), die erst im Mai 1948 aufgelöst wurde. Der Freiburger Romanist Frank-Rutger Hausmann hat dieses perfekt organisierte Netzwerk jetzt nach Archivrecherchen in elf Ländern auf breitester Quellenbasis erschlossen. Thomas Mann brachte in einer seiner Radioreden das Ziel dieser "makabren Farce" auf den Punkt: "Nicht Deutschland soll europäisch werden, sondern Europa soll deutsch werden." Tatsächlich ging es bei solchen großdeutschen Visionen um eine Ausdehnung der Reichskulturkammer auf internationales Terrain. Als organisatorisches Forum dienten die seit 1938 etablierten und nach der kriegsbedingten Pause von 1939 jährlich stattfindenden Treffen linientreuer Schriftsteller in Weimar. Es versteht sich, daß sie für ihre Festvorträge gern Goethes Idee von Weltliteratur oder Herders Verständnis eines integrierenden Volkes mißbrauchten. Kritiker waren unter den Teilnehmern natürlich in der verschwindenden Minderheit. Einer wie Hans Leip, Verfasser der "Lili Marleen", verfolgte entsprechend empört, wie man den Begriff Weimar "zum Braunhemd zu verplätten" suche.
Nichts blieb bei der von Goebbels' Leuten gestalteten Dramaturgie dem Zufall überlassen. Die rasante Inthronisierung Hans Carossas als Präsident der ESV macht das besonders deutlich. Behutsam nach außen, aber eindringlich in der Bearbeitung des "Kandidaten", dirigierten die Propagandastrategen aus Berlin die pseudodemokratische und natürlich einstimmige Entscheidung. Als Carossa "das Fatale dieser Wahl" angesichts von Goebbels' persönlichem Dank begriff, war es bereits zu spät. So konnten die Nazis mit einem liberalen Kopf und seinem besonnenen, wenn politisch auch stärker involvierten Generalsekretär Carl Rothe dem schädlichen Vorwurf der Kulturfeindlichkeit entgegentreten. Zugleich gewannen sie zwei diplomatisch agierende Figuren, die sich ohne große Mühe instrumentalisieren ließen. Die Gründungsurkunde der ESV enthält indes keine Arierklausel und ist frei von ideologischen Parolen; man könnte sie, wie Hausmann bemerkt, noch heute akzeptieren.
Diese Schachzüge waren so geschickt, daß Vertreter aus sechzehn Ländern das Dokument unterzeichneten. Vereinzelte Vorschläge, auch jüdische Schriftsteller aufzunehmen, ließen sich diskret vereiteln. Schließlich waren die meisten Gäste handverlesen, also sorgfältig über die Botschaften rekrutiert und überprüft. Auf einer dreiwöchigen Rundreise durchs Reich - von Bonn über Heidelberg, Straßburg, München, Salzburg, Wien, Berlin bis nach Weimar - hatte man sie bereits auf Staatskosten verwöhnt und durch den Anschein gewogen gemacht, daß nichts zu verstecken sei. Diese Tour, die in ähnlicher Weise auch für Vertreter anderer Künste und Wissenschaften durchgeführt wurde, rekonstruiert Hausmann so minutiös wie anschließend die einzelnen Landesgruppen, die von den Delegierten der verschiedenen Nationen zu Hause aufgebaut und gepflegt werden sollten. Eine eigene Zeitschrift mit dem Titel "Europäische Literatur" flankierte von Mai 1942 bis September 1944 diese aufwendige Öffentlichkeitsarbeit.
Den beteiligten deutschen Autoren widmet sich Hausmann nur nebenbei, in erster Linie am exemplarischen Fall von Carossa. Kurz nach Kriegsende wollte Thomas Mann ihn, "der mit Goebbels fraternisierte und der Europäischen Nazi-Schriftsteller-Tagung in Weimar präsidierte", sowenig auf der Liste der inneren Emigration dulden wie Ernst Jünger, der ihm als "geistiger Wegbereiter und eiskalter Wollüstling der Barbarei" erschien. Später urteilte Mann milder über den "armen Carossa", der das aufgezwungene Präsidentenamt zu keinem Zeitpunkt mit Hingabe und Überzeugung ausgeübt haben dürfte. Seinem Lebensbericht entstammt auch die Aufforderung zur künstlerischen statt politischen Arbeit im Titel des Buches, mit der Hausmann ihn etwas in Schutz nimmt. Der ausgewogenen Nüchternheit seiner historischen Studie tut das keinen Abbruch. Sie besticht durch das erstmals präsentierte und zum Teil auf einer CD-ROM beigefügte Material, das die Organisationsstruktur dieser bisher wenig bekannten Vereinigung präzise dokumentiert.
ALEXANDER KOSENINA
Frank-Rutger Hausmann: "Dichte, Dichter, tage nicht!" Die Europäische Schriftsteller-Vereinigung in Weimar 1941-1948. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2004. 409 S., Abb. auf CD-ROM, br., 39,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Sehr gute Noten vergibt Rezensent Alexander Kosenina an diese Studie über die nationalsozialistische "Europäische Schriftstellervereinigung". Der Freiburger Romanist Frank-Rutger Hausmann habe dieses kaum noch bekannte, perfekt organisierte und erst 1948 aufgelöste Netzwerk zur kulturellen Annexion der europäischen Literatur nach Archivrecherchen in elf Ländern jetzt auf breitester Quellenbasis erschlossen und präzise dokumentiert. Dabei widme sich Hausmann den beteiligten Autoren wie Verbandspräsident Hans Carossa nur nebenbei. Die Studie bestach den Rezenten besonders durch ihre ausgewogene Nüchternheit und durch dass erstmals präsentierte und zum Teil auf einer CD-Rom beigefügte Material zur Organisationsstrukur der Vereinigung.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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