Die hier versammelten Porträts - u.a. von Günter Eich, Antonio Tabucchi, Johannes Bobrowski - gehen von privaten, unspektakulären Begegnungen aus. Meckels subjektive Auswahl läßt ganz beiläufig eine kleine Literaturgeschichte der Nachkriegszeit entstehen, die den Leser dazu verführt, Autoren und Künstler neu zu entdecken.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.1998Mistfuhren und Wortlawinen
Gesammelt: Christoph Meckels "Dichter und andere Gesellen"
In seinem neuen Buch vereinigt Christoph Meckel, Schriftsteller und Graphiker, zweiunddreißig literarische Porträts. Der Graphiker bleibt erkennbar in der Kunst, mit sparsamen Strichen das Wesentliche und die eigene kritische Ansicht herauszuskizzieren, aber der Schriftsteller ist nur voll bei der Sache, wenn Freundschaft oder zumindest geheime Verwandtschaft mit im Spiel sind.
So verharrt auch das kritische Wort in der Aura des Wohlwollens. Das zeigte zuletzt auf nicht unproblematische Weise der Band "Ein unbekannter Mensch" (1997), in dem Meckel das Leben eines Bauern beschrieb, seines Nachbarn in einem Dorf der südfranzösischen Drôme, Meckels zweitem Wohnsitz neben Berlin. Aber der neue Band versammelt literarische Porträts im engeren Sinne, Essays über Schriftsteller- und Malerkollegen, über "Dichter und andere Gesellen" (Meckels Buchtitel variiert einen Romantitel Eichendorffs). Besonders Nähe, aber auch die Reibung der Nähe spürt man bei den "Doppelbegabungen", so bei Peter Weiss, der - anders als Meckel selbst - das Nebeneinander der Künste aufgab, als Maler begann und als Autor endete.
Die Mehrzahl der Beiträge erschien schon in Zeitschriften oder Sammelbänden, einige sind Preisreden. Meckels Porträtreihe ist keine Galerie der Berühmtheiten. Gewiß, Pier Paolo Pasolini oder Antonio Tabucchi, Günter Eich und Johannes Bobrowski zählen zu ihnen, aber die meisten Porträtierten sonnten sich nicht im Licht der Öffentlichkeit; erst Meckel holt sie aus dem Abseits. Versagt hat sich Meckel jeden parodistischen Schlenker. Ironie, vornehme Ironie, entdeckt man nur im distanzierten Bericht über seinen Besuch bei Marie Luise Kaschnitz im badischen Bollschweil.
Einmal brennen die Sicherungen des Wohlwollens durch, in Meckels Gedicht "Mistfuhre", einer Polemik gegen Fritz Rudolf Fries. Der Text ist Ausdruck des Zorns über einen Informanten der Staatssicherheit, den Meckel immer für einen "integren Autor" der DDR gehalten hatte. Begründet wird im Kommentar nun eine leichte Textkorrektur, die von der Enttäuschung nichts zurücknimmt, aber auch sich scheut, den Angeklagten als "Monster" erscheinen zu lassen.
Meckels Favoriten sind Schriftsteller und Künstler, deren Formensprache das Laute meidet. Und wie er in seinem lyrischen Manifest "Rede vom Gedicht" seine Absage an das Wunschdenken im Wort von den "klapprigen Utopien" zusammenfaßte, so verweigert er hier den Kotau vor dem Ansinnen moralisch-politischer Appelle in der Kunst. Bei Günter Eich schätzt er die Antiparolen, "die manchem heute zuständiger oder einleuchtender erscheinen mögen als die Spruchbänder des Superklassikers Brecht". Die Chance der Sprache sei "ihre Subversion".
Freilich schleicht sich in den Widerstand der Sprache gegen die Zeit oft auch das Ressentiment gegen den Fortgang der Geschichte ein. Wer Lyrik und Technik für unvereinbar hält und die "moderne Lyrik" als Produkt "von Autofahrern" schmäht wie Georg von der Vring, verrät damit nur den Mangel an dichterischer Automobilität. Meckels Ehrenrettung von der Vrings in Ehren, aber Verse, die er als Beispiele vollkommener Poesie anpreist ("Wär' ich ein Wild . . ."), wirken, zumal mit den schwachen Schlußzeilen, auf mich keineswegs "entwaffnend".
Meckel hat die Bestürzung über die spät entdeckte Aktivität seines Vaters beim "Aufbau der Nazikultur" im Bericht "Suchbild. Über meinen Vater" (1980) dokumentiert. Aber ihm war auch der "deutsche Philosemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg" eine "widerwärtige Erscheinung", deren falscher Ton ihn als Kind bedrückte. So kommen seine Bemühungen, jüdische Autoren wie Lotte Paepcke und Judith Herzberg, Jehuda Amichai und Asher Reich bei uns bekannt zu machen, nicht in den Verdacht bloßer Wiedergutmachungs-Sentimentalität. Durchschlagende Wirkung war seinen Einbürgerungsversuchen bisher nicht beschieden.
Einzelgänger geraten leichter in Vergessenheit als die in einer Gruppensolidarität Aufgehobenen. Ein solcher Einzelgänger war Erwin Sylvanus: ein Humanist; aber kein Traumtänzer, sondern ein knorriger, handelnder Humanist. Zu Unrecht in der Bühnenversenkung verschwand sein Theaterstück über den Arzt Janusz Korczak, der den Kindern ins Vernichtungslager folgte. Sylvanus, der nie Seßhafte, erlag den Folgen eines Anschlags in Chile (zur Zeit der Junta). Wenn Meckel die Literatur als "offenen Basar" definiert, so ist sein "unvergleichlicher Freund" Sylvanus gewiß kein Kronzeuge: Ihm ging es um mehr "moralischen" Ernst.
In der Mitte des Bandes, und das nicht nur der Seitenzahl nach, findet sich Meckels von Einsichten und Aperçus sprühender Essay über den Sprachjongleur Oskar Pastior. Wie er die Wortfindungskunst des in Hermannstadt geborenen Pastior aus der siebenbürgisch-sächsischen Mundart und überhaupt der Vielsprachigkeit des Elternhauses und aus den Zwängen der Zensur im sozialistischen Rumänien erklärt, wie er in den Wortschöpfungen Pastiors den "versierten Fallensteller in der Wildnis der Sprache", die "verbalen Slapsticks", die "Silbengewitter", die "Wortlawinen" und "Kettenreaktionen", die "sinn- und unsinngemäßen Materialschlachten en miniature" entdeckt und beschreibt - das läßt auf artistische Brüderschaft schließen. Und tatsächlich kennen wir ein ähnlich anarchisch-originelles Textgebilde von Meckel, seinen Bericht über die Entstehung der "Weltkomödie" (1985), eines Zyklus von rund neunhundert Radierungen: Die Imagination wird zum Magneten, an den die Wörter anschießen. WALTER HINCK
Christoph Meckel: "Dichter und andere Gesellen". Carl Hanser Verlag, München 1998. 192 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gesammelt: Christoph Meckels "Dichter und andere Gesellen"
In seinem neuen Buch vereinigt Christoph Meckel, Schriftsteller und Graphiker, zweiunddreißig literarische Porträts. Der Graphiker bleibt erkennbar in der Kunst, mit sparsamen Strichen das Wesentliche und die eigene kritische Ansicht herauszuskizzieren, aber der Schriftsteller ist nur voll bei der Sache, wenn Freundschaft oder zumindest geheime Verwandtschaft mit im Spiel sind.
So verharrt auch das kritische Wort in der Aura des Wohlwollens. Das zeigte zuletzt auf nicht unproblematische Weise der Band "Ein unbekannter Mensch" (1997), in dem Meckel das Leben eines Bauern beschrieb, seines Nachbarn in einem Dorf der südfranzösischen Drôme, Meckels zweitem Wohnsitz neben Berlin. Aber der neue Band versammelt literarische Porträts im engeren Sinne, Essays über Schriftsteller- und Malerkollegen, über "Dichter und andere Gesellen" (Meckels Buchtitel variiert einen Romantitel Eichendorffs). Besonders Nähe, aber auch die Reibung der Nähe spürt man bei den "Doppelbegabungen", so bei Peter Weiss, der - anders als Meckel selbst - das Nebeneinander der Künste aufgab, als Maler begann und als Autor endete.
Die Mehrzahl der Beiträge erschien schon in Zeitschriften oder Sammelbänden, einige sind Preisreden. Meckels Porträtreihe ist keine Galerie der Berühmtheiten. Gewiß, Pier Paolo Pasolini oder Antonio Tabucchi, Günter Eich und Johannes Bobrowski zählen zu ihnen, aber die meisten Porträtierten sonnten sich nicht im Licht der Öffentlichkeit; erst Meckel holt sie aus dem Abseits. Versagt hat sich Meckel jeden parodistischen Schlenker. Ironie, vornehme Ironie, entdeckt man nur im distanzierten Bericht über seinen Besuch bei Marie Luise Kaschnitz im badischen Bollschweil.
Einmal brennen die Sicherungen des Wohlwollens durch, in Meckels Gedicht "Mistfuhre", einer Polemik gegen Fritz Rudolf Fries. Der Text ist Ausdruck des Zorns über einen Informanten der Staatssicherheit, den Meckel immer für einen "integren Autor" der DDR gehalten hatte. Begründet wird im Kommentar nun eine leichte Textkorrektur, die von der Enttäuschung nichts zurücknimmt, aber auch sich scheut, den Angeklagten als "Monster" erscheinen zu lassen.
Meckels Favoriten sind Schriftsteller und Künstler, deren Formensprache das Laute meidet. Und wie er in seinem lyrischen Manifest "Rede vom Gedicht" seine Absage an das Wunschdenken im Wort von den "klapprigen Utopien" zusammenfaßte, so verweigert er hier den Kotau vor dem Ansinnen moralisch-politischer Appelle in der Kunst. Bei Günter Eich schätzt er die Antiparolen, "die manchem heute zuständiger oder einleuchtender erscheinen mögen als die Spruchbänder des Superklassikers Brecht". Die Chance der Sprache sei "ihre Subversion".
Freilich schleicht sich in den Widerstand der Sprache gegen die Zeit oft auch das Ressentiment gegen den Fortgang der Geschichte ein. Wer Lyrik und Technik für unvereinbar hält und die "moderne Lyrik" als Produkt "von Autofahrern" schmäht wie Georg von der Vring, verrät damit nur den Mangel an dichterischer Automobilität. Meckels Ehrenrettung von der Vrings in Ehren, aber Verse, die er als Beispiele vollkommener Poesie anpreist ("Wär' ich ein Wild . . ."), wirken, zumal mit den schwachen Schlußzeilen, auf mich keineswegs "entwaffnend".
Meckel hat die Bestürzung über die spät entdeckte Aktivität seines Vaters beim "Aufbau der Nazikultur" im Bericht "Suchbild. Über meinen Vater" (1980) dokumentiert. Aber ihm war auch der "deutsche Philosemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg" eine "widerwärtige Erscheinung", deren falscher Ton ihn als Kind bedrückte. So kommen seine Bemühungen, jüdische Autoren wie Lotte Paepcke und Judith Herzberg, Jehuda Amichai und Asher Reich bei uns bekannt zu machen, nicht in den Verdacht bloßer Wiedergutmachungs-Sentimentalität. Durchschlagende Wirkung war seinen Einbürgerungsversuchen bisher nicht beschieden.
Einzelgänger geraten leichter in Vergessenheit als die in einer Gruppensolidarität Aufgehobenen. Ein solcher Einzelgänger war Erwin Sylvanus: ein Humanist; aber kein Traumtänzer, sondern ein knorriger, handelnder Humanist. Zu Unrecht in der Bühnenversenkung verschwand sein Theaterstück über den Arzt Janusz Korczak, der den Kindern ins Vernichtungslager folgte. Sylvanus, der nie Seßhafte, erlag den Folgen eines Anschlags in Chile (zur Zeit der Junta). Wenn Meckel die Literatur als "offenen Basar" definiert, so ist sein "unvergleichlicher Freund" Sylvanus gewiß kein Kronzeuge: Ihm ging es um mehr "moralischen" Ernst.
In der Mitte des Bandes, und das nicht nur der Seitenzahl nach, findet sich Meckels von Einsichten und Aperçus sprühender Essay über den Sprachjongleur Oskar Pastior. Wie er die Wortfindungskunst des in Hermannstadt geborenen Pastior aus der siebenbürgisch-sächsischen Mundart und überhaupt der Vielsprachigkeit des Elternhauses und aus den Zwängen der Zensur im sozialistischen Rumänien erklärt, wie er in den Wortschöpfungen Pastiors den "versierten Fallensteller in der Wildnis der Sprache", die "verbalen Slapsticks", die "Silbengewitter", die "Wortlawinen" und "Kettenreaktionen", die "sinn- und unsinngemäßen Materialschlachten en miniature" entdeckt und beschreibt - das läßt auf artistische Brüderschaft schließen. Und tatsächlich kennen wir ein ähnlich anarchisch-originelles Textgebilde von Meckel, seinen Bericht über die Entstehung der "Weltkomödie" (1985), eines Zyklus von rund neunhundert Radierungen: Die Imagination wird zum Magneten, an den die Wörter anschießen. WALTER HINCK
Christoph Meckel: "Dichter und andere Gesellen". Carl Hanser Verlag, München 1998. 192 S., geb., 36,- DM.
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