Dichter leben im Trubel der Metropolen, in beschaulichen Kleinstädten oder idyllischen Dörfern. Immer jedoch sind ihre Häuser höchst individuelle Schöpfungen. Sie bilden nicht nur den Mittelpunkt erfolgreicher Karrieren, sondern erzählen auch von verzwickten Lebenslagen, politisch bewegten Zeiten und den Mühen des Schreibens. Bodo Plachta und Achim Bednorz haben Dichterhäuser in ganz Deutschland besucht und den ein oder anderen Blick über die Grenze gewagt. Sie waren bei Lessing in Wolfenbüttel, bei Fontane in Neuruppin und bei Anna Seghers in Berlin. Thomas Bernhards Bauernhof in Ohlsdorf ist ebenso zu besichtigen wie Dürrenmatts "Schriftstellerwerkstatt" in Neuchâtel. Brillante Farbaufnahmen von Bücherbergen, Schreibmaschinen und Salons gewähren einen faszinierenden Einblick in die Privaträume berühmter Literaten und lassen uns die "Kunst, schön zu wohnen" (Hermann Hesse) entdecken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2017Ein wenig Höhle, ein bisschen Schule und Kloster
Was treibt so viele Menschen zum Besuch von Dichterhäusern? Ein prachtvoller Bildband verrät es
Als Heinrich Heine 1831 das Wohnhaus von Molière in Paris besuchte, wurde er plötzlich auf sein eigenes Verlangen aufmerksam, irdische Spuren großer Dichter mit geradezu "religiöser Andacht" aufzusuchen. Er nannte das "Kultus". Was treibt so viele Besucher in die Wohn- und Arbeitsstätten von Autorinnen und Autoren, beispielsweise jährlich rund 150 000 Besucher ins Weimarer Goethehaus? Offenbar ist es die Hoffnung und Erwartung, etwas vom Genius loci der Schaffenden zu erhaschen.
Von den rund zweihundert Dichterhäusern im deutschsprachigen Raum hat Bodo Plachta rund sechzig zusammen mit dem Fotografen Achim Bednorz besucht und beschrieben. Entstanden ist so ein großformatiger Band mit prachtvollen Bildern, der eine andere Art literarischer Gedächtniskultur vermittelt als steile Ausstellungsinszenierungen, etwa auf dem schwäbischen Parnass in Marbach. Bodo Plachta war mit dieser Idee schon einmal vor ein paar Jahren unterwegs. Der neue Band versieht aber nicht einfach ältere Textpassagen mit kunstvollen Fotografien, sondern nimmt viele Köpfe neu hinzu: Bachmann, Dehmel, Dürrenmatt, Herder, Hofmannsthal, Huchel, Kempowski, Lavant, Musil, Jean Paul.
Insgesamt ist die chronologische Reihe von Erinnerungsorten eine wunderbare Einladung, den Lesesessel zu verlassen oder beim Vorbeireisen einen Abstecher in verborgene Dichterlande zu unternehmen. Gerhart Hauptmanns Sommerdomizil auf Hiddensee erreicht man beispielsweise nur mit dem Fahrrad, was sich auch für Hans Falladas abgelegene Idylle am Carwitzer See in Mecklenburg empfiehlt. Das soziale Prunkspektrum reicht von Arno Schmidts äußerst bescheidener Bargfelder "Arbeitslandschaft", in die nicht nur Uwe Timm mit seiner Novelle "Freitisch" literarisch vorstößt, bis zu den adeligen Anwesen der von Arnims in Wiepersdorf oder Hofmannsthals Barockschlösschen in Rodaun, das einst der Kaiserin Maria Theresia gehört hatte.
Besonders viel zu sehen gibt es bei den großen Archivaren. Die Oberförsterei in Wilflingen auf dem Anwesen des Grafen Franz Schenk von Stauffenberg bot Ernst Jünger mit elf Zimmern Platz für seine Familie, die riesige Bibliothek und seine Käfer-Sammlung von rund 40 000 Exemplaren. Und Walter Kempowski nannte sein Haus Kreienhoop in Nartum bei Bremen - Herberge für Tausende von Dokumenten - "ein wenig Höhle, ein bißchen Gutshaus, Schule und Kloster". Die geöffnete Verandatür gibt den Blick auf eine endlose Sichtachse in die Moorlandschaft frei. Diese Perspektive gilt für Plachtas Buch insgesamt: Es gewährt intime, weitsichtige Einblicke in Werkstätten, Denkräume und Lebenssphären schriftstellerisch tätiger Menschen.
ALEXANDER KOSENINA.
Bodo Plachta: "Dichterhäuser". Mit Fotografien von Achim Bednorz.
Theiss Verlag / Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2017. 272 S., Abb., geb., 49,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was treibt so viele Menschen zum Besuch von Dichterhäusern? Ein prachtvoller Bildband verrät es
Als Heinrich Heine 1831 das Wohnhaus von Molière in Paris besuchte, wurde er plötzlich auf sein eigenes Verlangen aufmerksam, irdische Spuren großer Dichter mit geradezu "religiöser Andacht" aufzusuchen. Er nannte das "Kultus". Was treibt so viele Besucher in die Wohn- und Arbeitsstätten von Autorinnen und Autoren, beispielsweise jährlich rund 150 000 Besucher ins Weimarer Goethehaus? Offenbar ist es die Hoffnung und Erwartung, etwas vom Genius loci der Schaffenden zu erhaschen.
Von den rund zweihundert Dichterhäusern im deutschsprachigen Raum hat Bodo Plachta rund sechzig zusammen mit dem Fotografen Achim Bednorz besucht und beschrieben. Entstanden ist so ein großformatiger Band mit prachtvollen Bildern, der eine andere Art literarischer Gedächtniskultur vermittelt als steile Ausstellungsinszenierungen, etwa auf dem schwäbischen Parnass in Marbach. Bodo Plachta war mit dieser Idee schon einmal vor ein paar Jahren unterwegs. Der neue Band versieht aber nicht einfach ältere Textpassagen mit kunstvollen Fotografien, sondern nimmt viele Köpfe neu hinzu: Bachmann, Dehmel, Dürrenmatt, Herder, Hofmannsthal, Huchel, Kempowski, Lavant, Musil, Jean Paul.
Insgesamt ist die chronologische Reihe von Erinnerungsorten eine wunderbare Einladung, den Lesesessel zu verlassen oder beim Vorbeireisen einen Abstecher in verborgene Dichterlande zu unternehmen. Gerhart Hauptmanns Sommerdomizil auf Hiddensee erreicht man beispielsweise nur mit dem Fahrrad, was sich auch für Hans Falladas abgelegene Idylle am Carwitzer See in Mecklenburg empfiehlt. Das soziale Prunkspektrum reicht von Arno Schmidts äußerst bescheidener Bargfelder "Arbeitslandschaft", in die nicht nur Uwe Timm mit seiner Novelle "Freitisch" literarisch vorstößt, bis zu den adeligen Anwesen der von Arnims in Wiepersdorf oder Hofmannsthals Barockschlösschen in Rodaun, das einst der Kaiserin Maria Theresia gehört hatte.
Besonders viel zu sehen gibt es bei den großen Archivaren. Die Oberförsterei in Wilflingen auf dem Anwesen des Grafen Franz Schenk von Stauffenberg bot Ernst Jünger mit elf Zimmern Platz für seine Familie, die riesige Bibliothek und seine Käfer-Sammlung von rund 40 000 Exemplaren. Und Walter Kempowski nannte sein Haus Kreienhoop in Nartum bei Bremen - Herberge für Tausende von Dokumenten - "ein wenig Höhle, ein bißchen Gutshaus, Schule und Kloster". Die geöffnete Verandatür gibt den Blick auf eine endlose Sichtachse in die Moorlandschaft frei. Diese Perspektive gilt für Plachtas Buch insgesamt: Es gewährt intime, weitsichtige Einblicke in Werkstätten, Denkräume und Lebenssphären schriftstellerisch tätiger Menschen.
ALEXANDER KOSENINA.
Bodo Plachta: "Dichterhäuser". Mit Fotografien von Achim Bednorz.
Theiss Verlag / Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2017. 272 S., Abb., geb., 49,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eine wunderbare Literaturgeschichte" Schwäbisches Tagblatt
"Eine äußerst gelungene Mischung von Texten und Fotos, die sich zu einer informativen, atmosphärisch dichten Einheit verbinden." Buchkultur
"Eine äußerst gelungene Mischung von Texten und Fotos, die sich zu einer informativen, atmosphärisch dichten Einheit verbinden." Buchkultur