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Ode des Blinden Drüben raunen die Chöre der Seher: ihre Zehen tasten die Furchen ab, zerstampfen aber die erdwarmen Früchte. Worte wippen auf seiner Zunge, er fühlt die Nähe eines Satzes. Irislose weiße Äpfel in den Schädelhöhlen. Keinem steht das Gesehene zu Gesicht. Zuckende Worte wie schwengellose Glocken im Turm über der Grotte; Vergib dieser Stunde, denn sie weiß nicht, was sie schlägt. Blindschleichen schieben sich vor Zwischen die Füße, zwischen die Leiber. Schemen huschen durch den Milchdunst. Er wühlt in der Asche der Stille und bläst in den Korb voller Münder. Bald brennt die Dunkelheit.…mehr

Produktbeschreibung
Ode des Blinden Drüben raunen die Chöre der Seher: ihre Zehen tasten die Furchen ab, zerstampfen aber die erdwarmen Früchte. Worte wippen auf seiner Zunge, er fühlt die Nähe eines Satzes. Irislose weiße Äpfel in den Schädelhöhlen. Keinem steht das Gesehene zu Gesicht. Zuckende Worte wie schwengellose Glocken im Turm über der Grotte; Vergib dieser Stunde, denn sie weiß nicht, was sie schlägt. Blindschleichen schieben sich vor Zwischen die Füße, zwischen die Leiber. Schemen huschen durch den Milchdunst. Er wühlt in der Asche der Stille und bläst in den Korb voller Münder. Bald brennt die Dunkelheit.
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Autorenporträt
Rüdiger Görner, geb. 1957 in Rottweil am Neckar, lebt seit 1981 als Schriftsteller und Kritiker in London und lehrt Neuere deutsche und vergleichende Literatur an der Queen Mary University of London. Gründer des Ingeborg Bachmann Centre for Austrian Literature an der University of London. Rüdiger Görner ist Träger des Deutschen Sprachpreises (2012) und des Reimar Lüst-Preises der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für sein Lebenswerk (2015).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Harald Hartung wundert sich nur kurz über den etwas antiquierten Titel und die Entstehungszeit dieser Gedichte von Rüdiger Görner. Dass der Autor Texte aus den Jahren 1978 bis 1991 publiziert, geht für ihn in Ordnung. Zeitlos scheinen ihm die Gedichte über "Kollegen" wie Hölderlin und Kafka oder "Dichter-Orte" wie Dublin und Rodaun. Überzeugend findet er Görner nicht zuletzt, weil sich in dessen Bewunderung für das Dichterschicksal immer auch ein gewisser Pessimismus mischt und der Autor witzig das Vergebliche aller Poeterei benennt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2022

Alles Fahren vergeblich
Poetische Jugend: Rüdiger Görners frühe Gedichte

Ein Gedichtbuch mit dem Titel "Dichterlos" - gehört derlei ins achtzehnte oder neunzehnte Jahrhundert? Irrtum, es ist von heute, eben erschienen, ein Werk Rüdiger Görners, der Neuere deutsche Literatur an der Queen Mary University of London unterrichtet. Mehr noch, der Autor, der neben vielen wissenschaftlichen Arbeiten auch Lyrik und Prosa veröffentlicht hat, legt hier seine frühen Gedichte vor, Texte, die er in seinen Studien- und frühen Dozentenjahren 1978 bis 1991 geschrieben hat.

Aus einem beigegebenen Brief Ilse Aichingers vom März 1992 erfahren wir, dass sie den Druck der damaligen Auswahl unterstützte. Dazu kam es freilich nicht. Erst im Umfeld des hundertsten Geburtstags der Aichinger kam Görner auf die Frage einer Publikation zurück und beschloss, "die Zeitwertigkeit dieser Gedichte, ihre innere Stimmigkeit und ihr Verhältnis zueinander" zu prüfen.

Die Frage der Zeitwertigkeit dürfte schon mit dem Titel geklärt sein. Rüdiger Görner interessiert sich nicht bloß für Kunst und Künstler generell, sondern nicht minder für die Schicksale seiner Kollegen. Autoren wie Hölderlin, Büchner, Kafka, Beckett und Achmatowa werden mit Gedichten bedacht, dazu Dichter-Orte wie Dublin oder Rodaun. Bewunderung und Skepsis kommen fast immer zusammen. Am meisten Bitternis spricht aus dem Epitaph "1924, im Mai": "In Kierling bei Wien / zerfiel ein Kehlkopf; / er röchelte / Sätze seien / Gekröse der Sprache. / Ratlose Ärzte / verordnen K. / daraufhin / konzentriertes Träumen." Im Sanatorium Kierling ist Kafka am 3. Juni 1924 gestorben.

Görner betrachtet das Dichterlos ohne Mitleid, übrigens auch ohne Selbstmitleid. Zur literarischen Karriere formuliert er ein spruchhaftes Verdikt in eigener Sache: Der Titel "Aufgabe" bekommt dabei einen traurigen Doppelsinn: "Beim Sprachspiel verloren: / mein stummer Einsatz zählt / nur noch als Grabspruch / auf gepflügtem Totenacker."

Ein erstaunlicher Pessimismus prägt das lyrische Weltbild überhaupt. Ihn kann man weder loben noch kritisieren. So gelingt Görner ein Stück heroische Landschaftsmalerei, etwa mit "Am Jungfraujoch": "Aus der starren Brandung des Eismeers / steigen Alpendohlen / und Schneedünen hängen lippengleich / über den Gletscherzungen, / die am Nichts lecken."

Wie bei Gottfried Benn ist auch bei Görner alles "Fahren vergeblich". Laut "Reisetagebuch" sind "Anreise und Abreise garantiert vertauschbar". Witzig, ja weise konstatiert am Schluss von "Auf Reisen" der sensible Reisende: "Sommer für Sommer / zahlt es sich überall aus / nicht länger zu bleiben."

Und der Leser, die Leserin? Man wird gefordert. Und wer sich in Görners kunstvoller, melancholischer Welt zurechtfindet, wird auch einem fehlenden Inhaltsverzeichnis nicht nachtrauern. HARALD HARTUNG

Rüdiger Görner: "Dichterlos".

Frühe Gedichte 1978-1991.

Mit einem Geleitwort von Ilse Aichinger. Löcker Verlag, Wien 2022.

147 S., br., 19,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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