„Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt“ … so beginnt Goethes „Dichtung und Wahrheit“. Die zwischen 1808 und 1831 entstandene Autobiografie des großen deutschen Klassikers besteht aus vier Teilen, die 1811, 1812, 1814 und 1833 publiziert
wurden.
Goethe fasste wohl schon im Sommer 1808 den Entschluss, seine Jugendjahre, seinen…mehr„Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt“ … so beginnt Goethes „Dichtung und Wahrheit“. Die zwischen 1808 und 1831 entstandene Autobiografie des großen deutschen Klassikers besteht aus vier Teilen, die 1811, 1812, 1814 und 1833 publiziert wurden.
Goethe fasste wohl schon im Sommer 1808 den Entschluss, seine Jugendjahre, seinen Lebensweg bis zur Übersiedlung nach Weimar, kritisch und historisch distanziert festzuhalten. Den vierten Teil hielt er noch fast zwanzig Jahre zurück, um lebende Personen nicht zu verärgern. Die endgültige Redaktion bewerkstelligte Goethe in seinen beiden letzten Lebensjahren, sodass Band IV erst nach seinem Tod erschien.
Mit gewissenhafter Bemühung suchte sich Goethe in die eigene Jugend und ihre Erleb-nisse zu versetzen, die vielfältigen Einflüsse seiner Umgebung und der literarischen und politischen Umstände zu erkennen und aufzudecken. Goethe kam es nicht so sehr darauf an, nur eine Selbstbiografie zu schreiben, sondern ein allgemeines Kulturbild seiner Zeit wiederzugeben, die er stärker als irgendeiner miterlebt und mitbestimmt hatte. In vielfach überarbeiteter Form schildert Goethe, was ihn geprägt hat: nicht chronologisch, nicht thematisch, sondern nach Möglichkeit immer "das Ganze".
So ist „Dichtung und Wahrheit“ eine Mischung aus Autobiografie, Geschichtsschreibung und literarisch gestaltetem Roman. Die halb poetische und halb historische Behandlung ist zum Vorbild realistischer Autobiografien in der deutschen Literatur geworden. Es war Goethes Wille, sein Leben hier gestaltend zu interpretieren und zu erkunden.
Im Reclam Verlag ist eine umfangreiche und kommentierte Ausgabe von „Dichtung und Wahrheit“ erschienen, die nun nach 1991 in einer zweiten und korrigierten Auflage vorliegt. Der Text folgt dabei der Berliner Akademie-Ausgabe von 1970, die für die Teile 1-3 die Erstdrucke von 1811, 1812 und 1814 zugrunde legte. Teil 4 folgt der Ausgabe von Goethes Werken von 1833.
Der ausführliche Kommentarteil (immerhin 340 Seiten) ist inhaltsreich und spiegelt den heutigen Stand der Goethe-Forschung wider. Die detaillierten Anmerkungen enthalten zahlreiche zum Verständnis der Texte notwendige Erklärungen. Der Leser erfährt alles, was er zum Nachvollziehen der historischen und biografischen Vorgänge wissen muss. Mit bemerkenswerter Genauigkeit werden durch die Kommentare alle möglichen Fragen beantwortet, die dem Leser bei der Lektüre kommen könnten.
Der Kommentarteil wird durch eine umfangreiche Bibliografie und mehrere Register ergänzt. Darüberhinaus beleuchtet ein Nachwort des Herausgebers Walter Hettche die Entstehungsgeschichte und den Aufbau des literarischen Werkes.
Fazit: Die ausführlich kommentierte Edition liefert die Grundlagen dafür, sich mit Goethes Lebensbericht zu beschäftigen.
Manfred Orlick