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Die neue zweibändige kommentierte Ausgabe bietet einen repräsentativen Querschnitt durch das Gesamtwerk von Karl Philipp Moritz. Band 1 zeigt Moritz als Autor der drei großen Gattungen und als Erfahrungsseelenkundler. Zum ersten Mal seit 1781 werden die Sechs deutschen Gedichte wieder abgedruckt. Die Abteilung 'Dramatisches' enthält neben den beiden Blunt-Fassungen auch sämtliche überlieferten Dramenfragmente. Die Prosa ist vertreten durch den Anton Reiser, die beiden Romane Andreas Hartknopf. Eine Allegorie und Andreas Hartknopfs Predigerjahre sowie die Fragmente aus dem Tagebuche eines…mehr

Produktbeschreibung
Die neue zweibändige kommentierte Ausgabe bietet einen repräsentativen Querschnitt durch das Gesamtwerk von Karl Philipp Moritz. Band 1 zeigt Moritz als Autor der drei großen Gattungen und als Erfahrungsseelenkundler. Zum ersten Mal seit 1781 werden die Sechs deutschen Gedichte wieder abgedruckt. Die Abteilung 'Dramatisches' enthält neben den beiden Blunt-Fassungen auch sämtliche überlieferten Dramenfragmente. Die Prosa ist vertreten durch den Anton Reiser, die beiden Romane Andreas Hartknopf. Eine Allegorie und Andreas Hartknopfs Predigerjahre sowie die Fragmente aus dem Tagebuche eines Geistersehers. Neben Moritz' "letzten Blättern", der Neuen Cecilia, wird ein vergessenes Erzählungsfragment ediert, das auch als aufschlußreiche Studie zum Anton Reiser verstehen ist: Aus K...s Papieren. Der Ausschnitt aus dem Themenbereich Psychologie umfaßt neben programmatischen Texten charakteristische Beiträge zu den unterschiedlichen Schwerpunkten des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde.
Autorenporträt
Moritz, Karl Philipp
Karl Philipp Moritz wurde am 15. September 1756 in Hameln geboren. Er wuchs in ärmlichen, vom Pietismus geprägten Verhältnissen auf. Eine Hutmacherlehre in Braunschweig brach er wegen unerträglicher Behandlung ab. Ab 1771 besuchte er das Gymnasium in Hannover. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, Schauspieler zu werden, wurde Moritz 1778 Lehrer und später Gymnasialprofessor am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster. 1779 trat er den Freimaurern bei und pflegte Kontakte zu den führenden Berliner Aufklärern. Zudem war er mit Goethe, der ihn wie einen jüngeren Bruder ansah, Moses Mendelssohn und Asmus Jakob Carstens befreundet. 1789 erhielt Moritz eine Professur der Theorie der schönen Künste an der Königlichen Akademie der Künste in Berlin. Zu seinen Schülern zählen unter anderen Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder und Alexander von Humboldt. Er war ein großer Bewunderer von Jean Paul. 1791 wurde Moritz in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und zum preußischen Hofrat ernannt. Moritz starb am 26. Juni 1793 in Berlin an einem Lungenödem, der Folge einer Krankheit, an der er seit seiner Jugend litt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.1999

Höllenfahrt der Selbsterkenntnis
Das Grenzgenie: Karl Philipp Moritz in einer neuen Ausgabe

Früher begann jede Äußerung über Karl Philipp Moritz mit Arno Schmidts Wort von den "Schreckensmännern", denen er zugehörte. Dass es ebenso falsch war wie das von Schmidt gefeierte Geburtsjahr 1757 (statt 1756), tat seiner Wirkung fürs Wunschdenken keinen Abbruch. Man hatte einen neuen Außenseiter von unten und eine Identifikationsfigur. Naturgemäß mussten dagegen Goethes Ansprüche auf Moritz zurücktreten. Einen "jüngeren Bruder von mir" nannte der den Unglücksmann, der sich in Rom gleich den Arm gebrochen hatte, "von derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich begünstigt und vorgezogen bin". Und er kümmerte sich um den römischen "Gesellen" und korrigierte das Schicksal, führte ihn in die Weimarer Gesellschaft ein, schickte ihn in Begleitung des Herzogs nach Berlin, so dass der schlendernde Fußreisende zum Professor der Theorie der schönen Künste, "Königlich Preußischen Hofrat" und Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften aufsteigen konnte. Der "Wilhelm Meister" porträtiert ihn in der Figur des Laertes: Wenigstens diesmal blieb da kein Opfer auf der Strecke.

Doch nicht die glimpfliche Karriere, sondern die frühen Katastrophen machten den "jüngsten deutschen Klassiker" interessant. Erst wenn man ihn, wie auch seine neuesten Herausgeber, aus dem "Schatten Goethes" herausholt, leuchtet das dunkle Licht seiner Melancholie. Das "passive" oder "Grenz-Genie" (so Jean Paul über seinen Entdecker) wurde zum Kronzeugen für das gewöhnliche Unglück seines Jahrhunderts, das doch das Glück der Menschheit auf seine Fahnen geschrieben hatte. Und der Unglückliche selbst schwang eine solche Fahne, obwohl die "Höllenfahrt der Selbsterkenntnis" ihn immer wieder zwischen die "Sonderbaren Zweifel und Trostgründe eines hypochondrischen Metaphysikers" (so einer seiner Titel) hin und her warf; notwendiges Unglück, prinzipielle Unzufriedenheit mit sich und der Welt, Seelenlähmung. "Uralt" wirkte er deshalb, erklärte Peter Handke und kehrte so Goethes Rede vom "jüngeren Bruder" um. Buchstäblich von unten, aus dem Untergrund kindlicher Schäden, die er erstmals bis ins Kleinste analysierte, als Therapeut des eigenen Unglücks, wird Moritz zum Anwalt der Aufklärung und zu ihrem entdeckerischen Pionier auf vielen Gebieten. Fast überall ist der Leidensdruck spürbar. Was der Autobiograph wahrnimmt, sind "oft nichts als Zwecklosigkeit, abgerissene Fäden, Verwirrung, Nacht und Dunkelheit". Das ist noch milde gesagt, vergleicht man damit die Fremdheits-, Kleinheits-, Vernichtungs- und Zerstückelungsphantasien, die Anton Reiser etwa angesichts einer Hinrichtung befallen - und Moritz als Meister des schwarzen Stils zeigen. Umso beschwörender meldet sich die Sehnsucht nach der verlorenen Teleologie: "Die Zwecklosigkeit verliert sich allmählich, die abgerissenen Fäden knüpfen sich wieder an, das Untereinandergeworfene und Verwirrte ordnet sich - und das Mißtönende löset sich unvermerkt in Harmonie und Wohlklang auf." Für den fragmentarischen "Anton Reiser" blieb das ein Wunsch. Seine Lebensaufgabe reichte der Autobiograph an den Pädagogen und Freimaurer, an den Popularphilosophen und Linguisten, vor allem aber an den Theoretiker einer autonomen Ästhetik weiter. Und an die moderne Philologie. Denn auf ihre Art leidet auch sie noch unter der Zerrissenheit Reisers und seines Autors. Die Unübersichtlichkeit und Zerstückelung von Moritz' Schriftstellerei sucht ihresgleichen. Kein Wunder, dass seit zwanzig Jahren der Ruf nach dem ganzen Moritz ertönt, nach einer großen, womöglich historisch-kritischen Ausgabe. Von dreißig Bänden war die Rede, aber noch sind, bei aller Sympathie, nicht einmal die bibliographischen Bestandsaufnahmen abgeschlossen. Die wohl noch langwierige Wartezeit füllt jetzt eine zweibändige Ausgabe des Deutschen Klassiker Verlags (F.A.Z. vom 24. Januar 1998). Sie bietet den ganzen Moritz immerhin in Auswahl, so dass alle seine Interessenfelder aufscheinen. Und sie entschädigt für den Kompromiss durch editorische Sorgfalt und beträchtliche kommentatorische Energien, womit sie auch ihre gediegenen Vorgänger übertrifft.

Der Band, den Heide Hollmer und Albert Meier jetzt vorlegen, enthält die am besten bekannten Texte, den "Anton Reiser" und die "Hartknopf"-Romane sowie wichtige Stücke aus dem "Magazin zur Erfahrungsseelenkunde" (mit den übrigen "Dichtungen", den lyrischen und dem dramatischen "Blunt", ist kein Staat zu machen). Erstmals unter einem Dach vereint sind damit die Zeugnisse, die den Ruhm des Erfahrungsseelenkundlers und Anthropologen Moritz ausmachen. Das ist bequem, auch wenn man deshalb keineswegs auf die schönen Reprint-Ausgaben des "Magazins" von Anke Bennhold-Thomsen und Alfredo Guzzoni (1978/79) oder Petra und Uwe Nettelbeck (1986) verzichten kann. Von den zehn Bänden des "Magazins", der ersten deutschen psychologischen Zeitschrift, finden gerade einhundert Seiten Platz, und das sind noch nicht einmal alle Beiträge von Moritz selbst. Aus der Fundgrube ist notgedrungen ein wohlgeordnetes (und vorzüglich kommentiertes) Sortiment geworden.

Da steht nun also Anton Reiser, der empfindsame Selbstentblößer, der quietistisch-pietistisch geschulte (und gequälte) Selbstbeobachter, der Selbstaufklärer und Arzt an der eigenen Seele, neben dem Archiv, das auch seine Leiden einer Schule des Menschenstudiums "für Gelehrte und Ungelehrte" einfügt. "Fakta, und kein moralisches Geschwätz" - so lautete die Devise, die Moritz "mit Zittern" dem Unternehmen voranstellte. Er löste eine Lawine aus, die sich nicht lange von der Kategorientafel "Seelennaturkunde, Seelenkrankheitskunde, Seelenzeichenkunde, Seelendiätetik" bändigen ließ. Psychopathologisches in jeglicher Form und namentlich parapsychologische Erfahrungsberichte wurden herangeschwemmt. Es kommt darüber zu einer scharfen Kontroverse zwischen Moritz und dem Ersatzherausgeber Pockels, dem er das "Magazin" während seiner italienischen Reise überlassen hatte. Im Gestus kämpferischer Aufklärung machte Pockels Front gegen "Aberglauben" und "Schwärmerei". Moritz hingegen beharrte auf "Unparteilichkeit" und wollte sich seine Neugier auf den individuellen Fall von keinem eifernden "Glaubensreformator" nehmen lassen. Sein Bekenntnis (man findet es leider nur im Kommentarteil unseres Bandes): "Der kühne Fuß des Menschen steigt in die tiefen Schachten der Erde hinab, und unser denkendes Wesen sollte es nicht wagen, in seine eigenen Tiefen herabzusteigen . . . Auf dem Punkte, wo unser Wesen sich vollendet, darf es wahrlich nicht vor sich selbst erschrecken . . . denn nichts ist wahrhaft schrecklich als der Irrtum, welcher das Schreckliche erzeugt." Also doch ein "Schreckensmann" - nur etwas anders, als es Arno Schmidt gemeint hatte.

HANS-JÜRGEN SCHINGS.

Karl Philipp Moritz: "Dichtungen und Schriften zur Erfahrungsseelenkunde". Herausgegeben von Heide Hollmer und Albert Meier. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1999. 1361 S., geb., 178,- DM.

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