§'Laws are silent in times of war.'
Cicero
There was a time when Cicero held Caesar's life in the palm of his hand. But now Caesar is the dominant figure and Cicero's life is in ruins.
Exiled, separated from his wife and children, his possessions confiscated, his life constantly in danger, Cicero is tormented by the knowledge that he has sacrificed power for the sake of his principles.
His comeback requires wit, skill and courage - and for a brief and glorious period, the legendary orator is once more the supreme senator in Rome.
But politics is never static and no statesman, however cunning, can safeguard against the ambition and corruption of others.
Riveting and tumultuous, DICTATOR encompasses some of the most epic events in human history yet is also an intimate portrait of a brilliant, flawed, frequently fearful yet ultimately brave man - a hero for his time and for ours. This is an unforgettable tour de force from a master storyteller.
Cicero
There was a time when Cicero held Caesar's life in the palm of his hand. But now Caesar is the dominant figure and Cicero's life is in ruins.
Exiled, separated from his wife and children, his possessions confiscated, his life constantly in danger, Cicero is tormented by the knowledge that he has sacrificed power for the sake of his principles.
His comeback requires wit, skill and courage - and for a brief and glorious period, the legendary orator is once more the supreme senator in Rome.
But politics is never static and no statesman, however cunning, can safeguard against the ambition and corruption of others.
Riveting and tumultuous, DICTATOR encompasses some of the most epic events in human history yet is also an intimate portrait of a brilliant, flawed, frequently fearful yet ultimately brave man - a hero for his time and for ours. This is an unforgettable tour de force from a master storyteller.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2015Wer schreibt, bleibt
Wenn man die römische Republik retten will, geht es um Leben und Tod: Robert Harris beschließt mit "Dictator" seine dreiteilige Romanbiographie des Marcus Tullius Cicero.
Das ist die Büchse der Pandora. Ein postumes, vergiftetes Geschenk an die Welt, das Übel über uns bringen wird." - Das Geschenk, von dem Cicero hier spricht, ist der in Caesars Testament als Sohn adoptierte und fortan als Gaius Julius Caesar Octavianus anzusprechende Teilerbe des Feldherrn, den man soeben, an den Iden des März, im Senat ermordet hat. Den achtzehnjährigen Sohn von Caesars Nichte Atia hatte auch Cicero nicht als kommenden Machtfaktor im Blick. Als dieser Adoptivsohn kurze Zeit später dem berühmten Staatsmann, Anwalt und Redner seine Aufwartung macht, ist der erste Eindruck nicht vorteilhaft.
Der blonde Jüngling mit den unschönen Zahnlücken hat einen Topfschnitt, sein käsiges Gesicht ist übersät von Pickeln. Aber Cicero ist bald beeindruckt von der Belesenheit und Klugheit des jungen Mannes, und er erkennt, dass er auch jene Portion Kaltblütigkeit besitzt, ohne die es keine Karriere gibt: "Aus ihm könnte eines Tages ein großer Staatsmann werden. Er muss nur lange genug überleben."
Ums Überleben geht es mehr denn je in dem dritten und abschließenden Band, "Dictator", mit dem der englische Schriftsteller Robert Harris seiner Romanbiographie über Marcus Tullius Cicero abschließt, die er mit "Imperium" (2006) begann und mit "Titan" (2009) fortsetzte. Dass er zwischendrin drei weitere Romane ("Ghost", "Angst", "Intrige") mit ganz anderen Themen schrieb, hat die Leser ein wenig bange werden lassen, ob und wie er nach dem schwachen zweiten Teil seinen Cicero wohl zu Ende bringen würde. Nun hat Harris geliefert.
Zwölf Jahre hat er sich mit dieser überragenden Figur beschäftigt, und gewiss muss er für lange Zeit keine Konkurrenz für sein Unternehmen fürchten - fachhistorisch abgesicherte Recherche in gut lesbare Fiktion gegossen. Denn der gelernte Journalist und versierte Thriller-Autor mag immer mal wieder schwächere Bücher schreiben, wenn er in Form ist, macht ihm so schnell keiner etwas vor.
So auch in diesem im Jahr 58 vor Christus einsetzenden letzten Wegstück der Biographie, die sich stärker als die Vorgänger auf das uns gleichzeitig nahe und doch ferne römische Leben einlässt. Harris vermeidet, anders als in den Vorgängern, allzu deutliche Parallelen zur Gegenwart - sein Blair-Trauma hat er sich in "Ghost" vom Leib geschrieben. Er zeigt stattdessen noch einmal einen Politiker ohne Netz und doppelten Boden, keinen Funktionär mit bequemem Posten-Fangzaun. Ein Mann, der sich umstellen muss, weil nun das Schwert und nicht mehr die Macht des Wortes regiert, der bei aller Finesse auch zu Fehlurteilen und Selbstüberschätzung neigt. Aber er hat Nehmerqualitäten. Zweimal muss er ins Exil, und zweimal schafft er die Rückkehr auf die politische Bühne. Seinen Intimfeind Publius Clodius hat er ebenso unterschätzt wie den Machtwillen des Triumvirats, jener unseligen Allianz aus Caesar, Pompeius und Crassus, die an den Fundamenten der Republik sägt und sich schließlich in einem Bürgerkrieg selbst zerfleischt. Aber sich aufzugeben, das kommt Cicero selbst dann nicht in den Sinn, als er für die Rückkehr nach Rom grünes Licht bei dem sich durch ferne Provinzen kämpfenden Caesar erbitten muss.
Caesar ist bei Harris ein schwer einzuschätzender Psychopath, der Vernichtungsfeldzüge führt, ohne Rücksicht auf eigene Verluste, ohne Gnade gegenüber seinen Gegnern. Am Ende lässt er sich sogar als Gott verehren, damit ist für seinen Zeitgenossen Cicero gleich mehrfach der Rubikon überschritten. Dem wiederum gesteht sein Biograph eine menschliche Entwicklung zu. Der sprachgewaltige Anwalt der frühen Jahre macht einem langfristiger planenden Politiker Platz, bei dem es gleichwohl, wenn er ans Rednerpult tritt, um Leben oder Tod geht. Und der die Lebensklugheit hat, aus den Diskussionen mit dem Freund Atticus Gedanken zu ziehen, die er in philosophische Werke, aber auch in Trostbücher gießt, die seit zweitausend Jahren gelesen werden.
Der Roman funktioniert auch wegen des ständig vorgenommenen Vergleichs, den man als Leser unwillkürlich anstellt: Wäre eine solche Figur heute vorstellbar? Der Autor tut nicht so, als wären diese Römer Zeitgenossen, als könnten wir uns umstandslos in sie hineinversetzen. Harris schildert sie eher so, wie sie Ross Thomas in seinem soeben neu übersetzten Roman "Dornbusch" von 1984 beschrieben hat - als Vertreter einer "nützlichen Geisteshaltung", die sich durch "Weltgewandtheit, kühle Distanz, absoluten Zynismus" auszeichnen. Und doch gibt es anrührende Augenblicke zeitloser Gefühlszustände, etwa wie Cicero den frühen Tod seiner geliebten Tochter Tullia nicht überwindet, während er die Scheidung von seiner Frau Terentia in aller Kühle hinnimmt. Er hat ja immer noch Tiro zur Seite, seinen langjährigen Schreiber und Sklaven, dem er schließlich die Freiheit und einen Bauernhof schenkt und der es doch nicht übers Herz bringt, ein eigenes Leben zu führen.
Diesem real existierenden Mann verdanken wir nicht nur wesentliche Teile der Überlieferung, er dient Harris in der Rolle des Ich-Erzählers dazu, die Balance zwischen Nähe und Distanz zu wahren - auch wenn Tiro nach Caesars Tod vieles nur noch vom Hörensagen berichtet, was den erzählerischen Schwung erheblich bremst. Es ist eine große Liebe zwischen diesen beiden Männern, und sie trägt emotional durch die am Ende immer blutiger werdende Geschichte. Sie ist am 7. Dezember 43 vor Christus zu Ende. Ciceros einstiger Zögling Octavian hat sich mit Marc Antonius und Marcus Lepidus zu einem zweiten Triumvirat verbündet, dieses ordnet seine Hinrichtung an. Der verpickelte Jüngling von einst aber wird sechzehn Jahre später die Republik zu Grabe tragen und als Alleinherrscher mit dem Ehrennamen Augustus das Kaisertum begründen.
HANNES HINTERMEIER
Robert Harris: "Dictator".
Roman.
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne Verlag, München 2015. 524 S., 2 Karten, geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn man die römische Republik retten will, geht es um Leben und Tod: Robert Harris beschließt mit "Dictator" seine dreiteilige Romanbiographie des Marcus Tullius Cicero.
Das ist die Büchse der Pandora. Ein postumes, vergiftetes Geschenk an die Welt, das Übel über uns bringen wird." - Das Geschenk, von dem Cicero hier spricht, ist der in Caesars Testament als Sohn adoptierte und fortan als Gaius Julius Caesar Octavianus anzusprechende Teilerbe des Feldherrn, den man soeben, an den Iden des März, im Senat ermordet hat. Den achtzehnjährigen Sohn von Caesars Nichte Atia hatte auch Cicero nicht als kommenden Machtfaktor im Blick. Als dieser Adoptivsohn kurze Zeit später dem berühmten Staatsmann, Anwalt und Redner seine Aufwartung macht, ist der erste Eindruck nicht vorteilhaft.
Der blonde Jüngling mit den unschönen Zahnlücken hat einen Topfschnitt, sein käsiges Gesicht ist übersät von Pickeln. Aber Cicero ist bald beeindruckt von der Belesenheit und Klugheit des jungen Mannes, und er erkennt, dass er auch jene Portion Kaltblütigkeit besitzt, ohne die es keine Karriere gibt: "Aus ihm könnte eines Tages ein großer Staatsmann werden. Er muss nur lange genug überleben."
Ums Überleben geht es mehr denn je in dem dritten und abschließenden Band, "Dictator", mit dem der englische Schriftsteller Robert Harris seiner Romanbiographie über Marcus Tullius Cicero abschließt, die er mit "Imperium" (2006) begann und mit "Titan" (2009) fortsetzte. Dass er zwischendrin drei weitere Romane ("Ghost", "Angst", "Intrige") mit ganz anderen Themen schrieb, hat die Leser ein wenig bange werden lassen, ob und wie er nach dem schwachen zweiten Teil seinen Cicero wohl zu Ende bringen würde. Nun hat Harris geliefert.
Zwölf Jahre hat er sich mit dieser überragenden Figur beschäftigt, und gewiss muss er für lange Zeit keine Konkurrenz für sein Unternehmen fürchten - fachhistorisch abgesicherte Recherche in gut lesbare Fiktion gegossen. Denn der gelernte Journalist und versierte Thriller-Autor mag immer mal wieder schwächere Bücher schreiben, wenn er in Form ist, macht ihm so schnell keiner etwas vor.
So auch in diesem im Jahr 58 vor Christus einsetzenden letzten Wegstück der Biographie, die sich stärker als die Vorgänger auf das uns gleichzeitig nahe und doch ferne römische Leben einlässt. Harris vermeidet, anders als in den Vorgängern, allzu deutliche Parallelen zur Gegenwart - sein Blair-Trauma hat er sich in "Ghost" vom Leib geschrieben. Er zeigt stattdessen noch einmal einen Politiker ohne Netz und doppelten Boden, keinen Funktionär mit bequemem Posten-Fangzaun. Ein Mann, der sich umstellen muss, weil nun das Schwert und nicht mehr die Macht des Wortes regiert, der bei aller Finesse auch zu Fehlurteilen und Selbstüberschätzung neigt. Aber er hat Nehmerqualitäten. Zweimal muss er ins Exil, und zweimal schafft er die Rückkehr auf die politische Bühne. Seinen Intimfeind Publius Clodius hat er ebenso unterschätzt wie den Machtwillen des Triumvirats, jener unseligen Allianz aus Caesar, Pompeius und Crassus, die an den Fundamenten der Republik sägt und sich schließlich in einem Bürgerkrieg selbst zerfleischt. Aber sich aufzugeben, das kommt Cicero selbst dann nicht in den Sinn, als er für die Rückkehr nach Rom grünes Licht bei dem sich durch ferne Provinzen kämpfenden Caesar erbitten muss.
Caesar ist bei Harris ein schwer einzuschätzender Psychopath, der Vernichtungsfeldzüge führt, ohne Rücksicht auf eigene Verluste, ohne Gnade gegenüber seinen Gegnern. Am Ende lässt er sich sogar als Gott verehren, damit ist für seinen Zeitgenossen Cicero gleich mehrfach der Rubikon überschritten. Dem wiederum gesteht sein Biograph eine menschliche Entwicklung zu. Der sprachgewaltige Anwalt der frühen Jahre macht einem langfristiger planenden Politiker Platz, bei dem es gleichwohl, wenn er ans Rednerpult tritt, um Leben oder Tod geht. Und der die Lebensklugheit hat, aus den Diskussionen mit dem Freund Atticus Gedanken zu ziehen, die er in philosophische Werke, aber auch in Trostbücher gießt, die seit zweitausend Jahren gelesen werden.
Der Roman funktioniert auch wegen des ständig vorgenommenen Vergleichs, den man als Leser unwillkürlich anstellt: Wäre eine solche Figur heute vorstellbar? Der Autor tut nicht so, als wären diese Römer Zeitgenossen, als könnten wir uns umstandslos in sie hineinversetzen. Harris schildert sie eher so, wie sie Ross Thomas in seinem soeben neu übersetzten Roman "Dornbusch" von 1984 beschrieben hat - als Vertreter einer "nützlichen Geisteshaltung", die sich durch "Weltgewandtheit, kühle Distanz, absoluten Zynismus" auszeichnen. Und doch gibt es anrührende Augenblicke zeitloser Gefühlszustände, etwa wie Cicero den frühen Tod seiner geliebten Tochter Tullia nicht überwindet, während er die Scheidung von seiner Frau Terentia in aller Kühle hinnimmt. Er hat ja immer noch Tiro zur Seite, seinen langjährigen Schreiber und Sklaven, dem er schließlich die Freiheit und einen Bauernhof schenkt und der es doch nicht übers Herz bringt, ein eigenes Leben zu führen.
Diesem real existierenden Mann verdanken wir nicht nur wesentliche Teile der Überlieferung, er dient Harris in der Rolle des Ich-Erzählers dazu, die Balance zwischen Nähe und Distanz zu wahren - auch wenn Tiro nach Caesars Tod vieles nur noch vom Hörensagen berichtet, was den erzählerischen Schwung erheblich bremst. Es ist eine große Liebe zwischen diesen beiden Männern, und sie trägt emotional durch die am Ende immer blutiger werdende Geschichte. Sie ist am 7. Dezember 43 vor Christus zu Ende. Ciceros einstiger Zögling Octavian hat sich mit Marc Antonius und Marcus Lepidus zu einem zweiten Triumvirat verbündet, dieses ordnet seine Hinrichtung an. Der verpickelte Jüngling von einst aber wird sechzehn Jahre später die Republik zu Grabe tragen und als Alleinherrscher mit dem Ehrennamen Augustus das Kaisertum begründen.
HANNES HINTERMEIER
Robert Harris: "Dictator".
Roman.
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne Verlag, München 2015. 524 S., 2 Karten, geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2015Im Räderwerk der Macht
Robert Harris erzählt vom Niedergang der Republik und von den letzten fünfzehn Lebensjahren des römischen
Staatsmannes Cicero. Mit „Dictator“ vollendet er eine packende Trilogie über Mechanismen und Gefahren der Politik
VON BERND GRAFF
Kann man Menschen, die vor über 2000 Jahren lebten, überhaupt verstehen, auch wenn ausreichend Zeugnisse aus ihrer Welt überliefert sind? Wenn Menschen nicht nur das Produkt ihrer Gene, sondern auch das ihrer Sozialisation sind, dann wird man nur schwer Empathie und Verständnis für sie aufbringen können, wenn man ihre Gesellschaften und sozialen Netzwerke, ihre Umgangsformen und umgangsförmlichen Verbindlichkeiten, das also, was ihren Alltag regelte und was ihnen selbstverständlich war, nicht kennt. Reagierten sie wie wir auf die Zumutungen, die das Leben für sie bereit hielt? Oder anders: Warum sollte uns die Mentalität von Menschen, die vor 2000 Jahren in Europa lebten, näher sein als die der autochthonen Völker, die heute auf einem fernen Kontinent leben – auch wenn wir ihre Sprache und die Dokumente, die sie uns hinterlassen haben, dem Wortsinn nach verstehen?
Man kann diese Fragen für unbeantwortbar halten. Dann muss man verstummen. Man kann aber, wenn man Menschen prinzipiell für verstehbar hält, auch den Tigersprung wagen und schauen, wie weit man kommt. Im Fall von Robert Harris: sehr, sehr weit!
Der britische Journalist und (inzwischen) Erfolgsschriftsteller hat gerade seine Cicero-Trilogie abgeschlossen, die ihn zwölf Jahre lang beschäftigte. „Wir sind zusammen alt geworden“, schreibt Harris. „Dictator“ ist dieser letzte Teil – nach „Imperium“ und „Titan“ – betitelt. Harris leitet ihn beherzt mit einem Zitat von Gustave Flaubert ein, um die mentale Differenz zwischen einst und heute zugleich zu belegen und zu überwinden: „Gerade, als die Götter schon nicht mehr da waren und Christus noch nicht gekommen, gab es diesen einzigartigen Augenblick in der Geschichte, von Cicero bis Mark Aurel, da stand der Mensch allein. Nirgends sonst finde ich diese besondere Majestät.“
Cicero also ist für Harris ein Mann der transzendentalen Obdachlosigkeit, ein Mann der Tat gleichwohl, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Und hier sieht Harris auch den plausiblen Zugang für einen Brückenschlag: Die Zeit, in der Cicero so selbstbewusst (und -verloren) wirkte, ähnelt unserer Zeit.
Denn wir befinden uns in der Zeit einer mit Luxus und Geld überausgestatteten Dekadenz, der Endphase einer Republik im Niedergang, der nur deswegen nicht sofort auffällt, weil sie in dieser Zeit, jedenfalls aus römischer Sicht, so unfassbar erfolgreich ist. Im römischen Imperium geht die Sonne (fast) nicht unter, und reichlich Geld und Gold aus siegreichen Feldzügen strömt in die Kassen. Und doch ist das Imperium nie groß genug. Globalisierung auf römisch heißt um 50 vor Christus , dass nahezu alles römisch dominiert ist. Der rücksichtslose Egomane Caesar hat eigenmächtig fast die gesamte europäische Nordhalbkugel unterworfen. Er hat Gallien besetzt, den Rhein auf einer provisorischen Brücke überschritten, Germanen massakriert, er selber spricht von 430 000 Niedergemetzelten.
Dann ging es zurück, die eigene Brücke wurde wieder eingerissen. Er setzte nach Britannien über, massakrierte auch hier, wieder zurück in Gallien ließ er jedem einzelnen Kämpfer der letzten aufständischen gallischen Garnisonen nach deren Kapitulation die Hände abhacken. Alles dies geschah unabgesprochen und selbstherrlich, der Mann hielt sich schließlich für einen Nachfahren der Göttin Venus. In Rom war man entsetzt: Cato, einer der hartnäckigsten Widersacher Caesars und der Mann, der sich später die eigenen Eingeweide aus dem Leib reißen wird, um nicht von Caesar gefangen genommen zu werden, beantragte im Senat, den zweifellos siegreichen Feldherrn doch an die Germanen auszuliefern.
Er konnte immerhin die Einsetzung einer Untersuchungskommission durchsetzen. Caesars Eigenmächtigkeit ist das prominenteste innenpolitische Thema. Auch Caesar weiß das. Und schert sich nicht drum. Jedenfalls solange seine Widersacher nicht mächtig und einig genug sind, um gegen ihn zu bestehen.
Marcus Tullius Cicero, der klügste Verächter Caesars, agiert bei Robert Harris in den Zwischenräumen dieses gigantischen Räderwerks der römischen Macht. Er ist genauso ehrgeizig und eitel wie Caesar, aber er ist kein Macht-, schon gar kein Kriegs-, sondern ein vor Intelligenz strotzender Tugendmensch. Ein Stoiker, ein Melancholiker auch. Er glaubt an die Republik und ihr Recht, ist selber Anwalt, Schriftsteller und Philosoph. Vor allem aber ist er ein begnadeter Redner und Feingeist, ein Idealist, dem die Republik als ein vom Senat regierter römischer Idealstaat vorschwebt. Dafür, dass er fast seine gesamte Amtszeit als Konsul im Jahr 63 v. Chr. damit zugebracht hatte, Sergius Catilina, der einen Staatsstreich plante, ins Exil zu befördern, wurde er mit dem Titel pater patriae (Vater des Vaterlandes) ausgezeichnet. Ein Vaterlandsvater also ist er, Übervater der Republik will er sein, der jedoch über Caesar sagen muss: „Er ist die Liebenswürdigkeit in Person. Er hat mir aber keine tieferen Einblicke in seinen monströsen Charakter gewährt. Ich habe nichts als die glatte, glitzernde Oberfläche gesehen.“
Mit seiner stets offen artikulierten Verachtung für die Feinde der Republik macht sich Cicero angreifbar – und er wird angegriffen. Wie nahezu alle politischen Akteure seiner Ära geht er Bündnisse auf Zeit ein. Cicero ist dabei der quirligste aller Wanderer zwischen den bis aufs Blut verfeindeten politischen Welten, in denen er abwechselnd sein Lager aufschlägt. Immer, wenn es ihm opportun scheint. Auch Caesar huldigt er irgendwann ausdrücklich. Alles in allem also ist Cicero der Gegenentwurf zum eiskalten Raubein Caesar. Doch wie dieser, wie eigentlich alle, agiert er allein und völlig auf eigene Faust. Denn die Politik der Republik wird von Tag zu Tag auf dem Forum ausgemacht, wobei der polierte politische Diskurs, wie ihn Cicero und Cato pflegen, nur eine Form der Willensbildung ist. Einer der schärfsten Widersacher Ciceros, Publius Clodius Pulcher, setzt dagegen ganz auf den Plebs und marodierende Banden, die vor tätlichen Angriffen und Brandanschlägen nicht zurückschrecken. Clodius erreichte etwa mit dem Zorn des aufgestachelten Plebs (und Caesars Hilfe) im Jahr 58 v. Chr. die Verbannung Ciceros, dessen Besitz konfisziert und dessen Haus niedergebrannt wurde.
Mit Ciceros überstürztem nächtlichen Aufbruch und seiner irrlichternden Reise ins Exil, die ihn getrennt von Frau und Familie, aber begleitet von seinem treu ergebenen Sekretär, dem Sklaven Tiro, nach Thessaloniki führen wird, beginnt der letzte Teil in Harris’ Trilogie: Cicero wird ab da nur noch 15 Jahre zu leben haben. Er wird, nur 20 Monate nach Caesars Ermordung, inzwischen begnadigt und wieder heimgekehrt, in der Hafenstadt Formia von gedungenen Mördern umgebracht werden. Als Vogelfreier. Denn auch mit den neuen Machthabern hatte er sich in 14 Philippischen Reden angelegt, wollte die Republik auch nach Caesars Ermordung verteidigen und war deswegen auf der Todesliste des Antonius ganz oben gelandet.
Diese 15 Jahre des Niedergangs der Republik und der Skrupellosigkeit im Zentrum der Macht schildert Robert Harris, als ob er den Stoff für eine TV-Staffel des in die Antike versetzten „House of Cards“ zusammengetragen hätte: Er tut es weder in einem Sandalen und wippenden Helmbusch tragenden hohen Ton noch in einer sich an unsere Gegenwart anbiedernden falschen Zeitgenossenschaft. Er schreibt modern, ohne die Geschichtlichkeit der Geschichte zu denunzieren.
Das gelingt, weil er die Geschichte Ciceros von seinem Sekretär Tiro erzählen lässt. Das sorgt einerseits dafür, dass Harris auch einen privaten Cicero in seinen Ängsten und Reflexionen schildern kann, ohne ihn subjektivistisch zu personifizieren. Dieser Abschlussband von Harris’ Trilogie, den man lesen kann, ohne die beiden ersten Teile zu kennen, ist ein packendes Lese-Spektakel.
Der begnadete Redner und
Feingeist glaubte an
das Ideal der Republik
Cicero ist der quirligste
aller Wanderer zwischen den
politischen Welten und Lagern
Harris lässt weder
Helmbüsche wippen, noch biedert
er sich der Gegenwart an
Robert Harris: Dictator. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne Verlag, München 2015.
528 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
Wie steht, wie blickt, wie verschränkt ein großer Redner seine Arme? Gottfried John als Cicero in weißer Toga in dem Fernsehfilm „Imperium – Augustus“ (deutscher Titel „Mein Vater, der Kaiser“) aus dem Jahr 2003.
Foto: EMS GmbH
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Robert Harris erzählt vom Niedergang der Republik und von den letzten fünfzehn Lebensjahren des römischen
Staatsmannes Cicero. Mit „Dictator“ vollendet er eine packende Trilogie über Mechanismen und Gefahren der Politik
VON BERND GRAFF
Kann man Menschen, die vor über 2000 Jahren lebten, überhaupt verstehen, auch wenn ausreichend Zeugnisse aus ihrer Welt überliefert sind? Wenn Menschen nicht nur das Produkt ihrer Gene, sondern auch das ihrer Sozialisation sind, dann wird man nur schwer Empathie und Verständnis für sie aufbringen können, wenn man ihre Gesellschaften und sozialen Netzwerke, ihre Umgangsformen und umgangsförmlichen Verbindlichkeiten, das also, was ihren Alltag regelte und was ihnen selbstverständlich war, nicht kennt. Reagierten sie wie wir auf die Zumutungen, die das Leben für sie bereit hielt? Oder anders: Warum sollte uns die Mentalität von Menschen, die vor 2000 Jahren in Europa lebten, näher sein als die der autochthonen Völker, die heute auf einem fernen Kontinent leben – auch wenn wir ihre Sprache und die Dokumente, die sie uns hinterlassen haben, dem Wortsinn nach verstehen?
Man kann diese Fragen für unbeantwortbar halten. Dann muss man verstummen. Man kann aber, wenn man Menschen prinzipiell für verstehbar hält, auch den Tigersprung wagen und schauen, wie weit man kommt. Im Fall von Robert Harris: sehr, sehr weit!
Der britische Journalist und (inzwischen) Erfolgsschriftsteller hat gerade seine Cicero-Trilogie abgeschlossen, die ihn zwölf Jahre lang beschäftigte. „Wir sind zusammen alt geworden“, schreibt Harris. „Dictator“ ist dieser letzte Teil – nach „Imperium“ und „Titan“ – betitelt. Harris leitet ihn beherzt mit einem Zitat von Gustave Flaubert ein, um die mentale Differenz zwischen einst und heute zugleich zu belegen und zu überwinden: „Gerade, als die Götter schon nicht mehr da waren und Christus noch nicht gekommen, gab es diesen einzigartigen Augenblick in der Geschichte, von Cicero bis Mark Aurel, da stand der Mensch allein. Nirgends sonst finde ich diese besondere Majestät.“
Cicero also ist für Harris ein Mann der transzendentalen Obdachlosigkeit, ein Mann der Tat gleichwohl, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Und hier sieht Harris auch den plausiblen Zugang für einen Brückenschlag: Die Zeit, in der Cicero so selbstbewusst (und -verloren) wirkte, ähnelt unserer Zeit.
Denn wir befinden uns in der Zeit einer mit Luxus und Geld überausgestatteten Dekadenz, der Endphase einer Republik im Niedergang, der nur deswegen nicht sofort auffällt, weil sie in dieser Zeit, jedenfalls aus römischer Sicht, so unfassbar erfolgreich ist. Im römischen Imperium geht die Sonne (fast) nicht unter, und reichlich Geld und Gold aus siegreichen Feldzügen strömt in die Kassen. Und doch ist das Imperium nie groß genug. Globalisierung auf römisch heißt um 50 vor Christus , dass nahezu alles römisch dominiert ist. Der rücksichtslose Egomane Caesar hat eigenmächtig fast die gesamte europäische Nordhalbkugel unterworfen. Er hat Gallien besetzt, den Rhein auf einer provisorischen Brücke überschritten, Germanen massakriert, er selber spricht von 430 000 Niedergemetzelten.
Dann ging es zurück, die eigene Brücke wurde wieder eingerissen. Er setzte nach Britannien über, massakrierte auch hier, wieder zurück in Gallien ließ er jedem einzelnen Kämpfer der letzten aufständischen gallischen Garnisonen nach deren Kapitulation die Hände abhacken. Alles dies geschah unabgesprochen und selbstherrlich, der Mann hielt sich schließlich für einen Nachfahren der Göttin Venus. In Rom war man entsetzt: Cato, einer der hartnäckigsten Widersacher Caesars und der Mann, der sich später die eigenen Eingeweide aus dem Leib reißen wird, um nicht von Caesar gefangen genommen zu werden, beantragte im Senat, den zweifellos siegreichen Feldherrn doch an die Germanen auszuliefern.
Er konnte immerhin die Einsetzung einer Untersuchungskommission durchsetzen. Caesars Eigenmächtigkeit ist das prominenteste innenpolitische Thema. Auch Caesar weiß das. Und schert sich nicht drum. Jedenfalls solange seine Widersacher nicht mächtig und einig genug sind, um gegen ihn zu bestehen.
Marcus Tullius Cicero, der klügste Verächter Caesars, agiert bei Robert Harris in den Zwischenräumen dieses gigantischen Räderwerks der römischen Macht. Er ist genauso ehrgeizig und eitel wie Caesar, aber er ist kein Macht-, schon gar kein Kriegs-, sondern ein vor Intelligenz strotzender Tugendmensch. Ein Stoiker, ein Melancholiker auch. Er glaubt an die Republik und ihr Recht, ist selber Anwalt, Schriftsteller und Philosoph. Vor allem aber ist er ein begnadeter Redner und Feingeist, ein Idealist, dem die Republik als ein vom Senat regierter römischer Idealstaat vorschwebt. Dafür, dass er fast seine gesamte Amtszeit als Konsul im Jahr 63 v. Chr. damit zugebracht hatte, Sergius Catilina, der einen Staatsstreich plante, ins Exil zu befördern, wurde er mit dem Titel pater patriae (Vater des Vaterlandes) ausgezeichnet. Ein Vaterlandsvater also ist er, Übervater der Republik will er sein, der jedoch über Caesar sagen muss: „Er ist die Liebenswürdigkeit in Person. Er hat mir aber keine tieferen Einblicke in seinen monströsen Charakter gewährt. Ich habe nichts als die glatte, glitzernde Oberfläche gesehen.“
Mit seiner stets offen artikulierten Verachtung für die Feinde der Republik macht sich Cicero angreifbar – und er wird angegriffen. Wie nahezu alle politischen Akteure seiner Ära geht er Bündnisse auf Zeit ein. Cicero ist dabei der quirligste aller Wanderer zwischen den bis aufs Blut verfeindeten politischen Welten, in denen er abwechselnd sein Lager aufschlägt. Immer, wenn es ihm opportun scheint. Auch Caesar huldigt er irgendwann ausdrücklich. Alles in allem also ist Cicero der Gegenentwurf zum eiskalten Raubein Caesar. Doch wie dieser, wie eigentlich alle, agiert er allein und völlig auf eigene Faust. Denn die Politik der Republik wird von Tag zu Tag auf dem Forum ausgemacht, wobei der polierte politische Diskurs, wie ihn Cicero und Cato pflegen, nur eine Form der Willensbildung ist. Einer der schärfsten Widersacher Ciceros, Publius Clodius Pulcher, setzt dagegen ganz auf den Plebs und marodierende Banden, die vor tätlichen Angriffen und Brandanschlägen nicht zurückschrecken. Clodius erreichte etwa mit dem Zorn des aufgestachelten Plebs (und Caesars Hilfe) im Jahr 58 v. Chr. die Verbannung Ciceros, dessen Besitz konfisziert und dessen Haus niedergebrannt wurde.
Mit Ciceros überstürztem nächtlichen Aufbruch und seiner irrlichternden Reise ins Exil, die ihn getrennt von Frau und Familie, aber begleitet von seinem treu ergebenen Sekretär, dem Sklaven Tiro, nach Thessaloniki führen wird, beginnt der letzte Teil in Harris’ Trilogie: Cicero wird ab da nur noch 15 Jahre zu leben haben. Er wird, nur 20 Monate nach Caesars Ermordung, inzwischen begnadigt und wieder heimgekehrt, in der Hafenstadt Formia von gedungenen Mördern umgebracht werden. Als Vogelfreier. Denn auch mit den neuen Machthabern hatte er sich in 14 Philippischen Reden angelegt, wollte die Republik auch nach Caesars Ermordung verteidigen und war deswegen auf der Todesliste des Antonius ganz oben gelandet.
Diese 15 Jahre des Niedergangs der Republik und der Skrupellosigkeit im Zentrum der Macht schildert Robert Harris, als ob er den Stoff für eine TV-Staffel des in die Antike versetzten „House of Cards“ zusammengetragen hätte: Er tut es weder in einem Sandalen und wippenden Helmbusch tragenden hohen Ton noch in einer sich an unsere Gegenwart anbiedernden falschen Zeitgenossenschaft. Er schreibt modern, ohne die Geschichtlichkeit der Geschichte zu denunzieren.
Das gelingt, weil er die Geschichte Ciceros von seinem Sekretär Tiro erzählen lässt. Das sorgt einerseits dafür, dass Harris auch einen privaten Cicero in seinen Ängsten und Reflexionen schildern kann, ohne ihn subjektivistisch zu personifizieren. Dieser Abschlussband von Harris’ Trilogie, den man lesen kann, ohne die beiden ersten Teile zu kennen, ist ein packendes Lese-Spektakel.
Der begnadete Redner und
Feingeist glaubte an
das Ideal der Republik
Cicero ist der quirligste
aller Wanderer zwischen den
politischen Welten und Lagern
Harris lässt weder
Helmbüsche wippen, noch biedert
er sich der Gegenwart an
Robert Harris: Dictator. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne Verlag, München 2015.
528 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
Wie steht, wie blickt, wie verschränkt ein großer Redner seine Arme? Gottfried John als Cicero in weißer Toga in dem Fernsehfilm „Imperium – Augustus“ (deutscher Titel „Mein Vater, der Kaiser“) aus dem Jahr 2003.
Foto: EMS GmbH
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Triumphant, compelling and deeply moving...the finest fictional treatment of Ancient Rome in the English language. They are distinguished by the mastery of the sources, sympathetic imagination, political intelligence and narrative skill...It's a wonderful, dramatic, story, wonderfully told Scotsman Allan Massie