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Produktdetails
  • suhrkamp taschenbuch 3396
  • Verlag: Suhrkamp
  • Seitenzahl: 406
  • Deutsch
  • Abmessung: 19mm x 109mm x 176mm
  • Gewicht: 253g
  • ISBN-13: 9783518398968
  • ISBN-10: 3518398962
  • Artikelnr.: 10289581
Autorenporträt
"Einige Seiten aus meinen Lieblingsbüchern lesen, die ich von Versteck zu Versteck mitgeschleppt habe. Die Zyankalikapsel griffbereit neben das Wasserglas auf den Nachtisch legen, weil ich denen auf keinen Fall lebendig in die Hände fallen will." Bereits 1983 wurde Rachid Boudjedra von den Fundamentalisten zu Tode verurteilt, seither pendelt der bedeutendste algerische Schriftsteller in Todesangst zwischen Algier und Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2000

Mit Djougachvili in der Wüste
Rachid Boujedras Roman "Die 1001 Jahre der Sehnsucht"

Dieser Roman ist ein Kaleidoskop arabischer Phantastereien, maghrebinischer Legenden und Mythen sowie eine historisch-politische Metapher. Er ist voller Ungereimtheiten, die seine Kraft und Farbigkeit ausmachen; alle Blumen und Spinnereien des Orients sind hier versammelt. Der Held ist ein gewisser Muhammed Namenlos, ältester Bruder einer Reihe von Zwillingen, der in den Augen der Mutter, der sagenhaft starken Witwe Messauda, die mit dem "Knallen ihres Büstenhalters" die Welt erschüttert, den Makel trägt, "Einzelkind" zu sein. Muhammed Namenlos ist also trotz seiner großen Familie ein einsamer Mensch, auch wenn alle Frauen in ihn verliebt sind; er ist eigen und eigenschaftslos; er kann mit Frauen schlafen, ohne sie zu entjungfern, er kann seinem Schatten befehlen, und wenn er vorübergeht, hören die Hühner zu gackern, die Kinder zu lachen und die Handmühlen zu mahlen auf; er spricht mit den Vögeln und kann sich sogar unsichtbar machen.

Er ist ein Muhammed al-Madschhul, ein Muhammed Anonymus, wobei madschhul auch "unwissend" oder "vorzeitlich, heidnisch, vorislamisch" und sogar "unvernünftig, töricht" bedeutet. Mythischer Held und Narr in einem, mit Zügen eines Heiligen oder eines Sufi-Mystikers ausgestattet, ist er eine klassische Trickster-Figur, ein "göttlicher Schelm", der komische und bösartige Streiche spielt. Im Zusammenwirken mit seiner erfinderischen Mutter ist er ein Kulturheroe und ein Prophet, der in Zungen - hebräisch, aramäisch, arabisch und berberisch - redet, einer, der die Geschichte deutet und überirdische Kräfte besitzt. Nun ja, ein maghrebinischer Araber eben.

Der Ort seines Wirkens, ein gottverlassenes Wüstennest mit Namen Manama, verfügt über Bordelle, Handwerker, einen Gouverneur samt Palast und vieles andere mehr. Der Name Manama wird dem deutschen Leser leider nicht erläutert: Er bedeutet "Ort des Schlafs". Es gibt tatsächlich eine Stadt namens Manamah in Bahrain, und von der Welt des traumhaften Reichtums eines Golffürsten oder Ölprinzen wird der schäbige Ort im Roman gelegentlich auf fragwürdige Weise wach geküsst. Manama ist der (Alb)Traum des Orients.

In diesem phantastischen Tollhaus existieren allenthalben Originale und schräge Vögel, betreten auf der Metaebene einer Traumwelt reale Figuren der Geschichte - der arabischen wie der Weltgeschichte - die Bühne, mitunter als Vogelscheuchen. Eine der Hauptrollen auf dieser Metaebene spielt Ibn Chaldun, der arabische Gelehrte aus dem vierzehnten Jahrhundert, in den sich am Ende Muhammed Namenlos verpuppt. Tatsächlich erinnert das sich wiederholende Auf und Ab der Ereignisse im Roman an Ibn Chalduns Lebensweg und an seine Theorie der Herausbildung dynastischer Macht, die er in seiner berühmten Einleitung zur siebenbändigen Geschichte der Berber niedergelegt hat.

In einer durch das ganze Buch wogenartig auf- und abschwellenden Strömung sich wiederholender Geschehnisse wird das Gewöhnliche, Alltägliche zur Groteske verzeichnet, wird maßlos übertrieben, wird das Unwahrscheinlichste zum Wahrscheinlichsten, das Komische zum Urkomischen. Der Roman kennt keine Unterteilung in Kapitel, bisweilen gibt es seitenlang nicht einmal einen Absatz. Das ist eine Weile lang aufregend, fremdartig, mutet wie eine exotisch geheimnisvolle Melodie an, irgendwann aber wirkt diese unendliche Vielfalt in der Eintönigkeit doch ermüdend. Etwa ab der Hälfte des Buchs drängen das Allegorische und die Metaphern immer massiver in den Vordergrund. Die Geburt der Fünflinge des Muhammed Namenlos und die Fertigstellung der Mühle, die Kontrolle der Wanduhren und die Fruchtbarkeit werden zur genealogischen Zeit, zu Zukunft und Geschichte in Beziehung gesetzt. Die Zwillingsgeburten stehen für soziale Einbettung, Identität und Kontrolle, sie garantieren die Stärke der Gruppe, während die Einzelgeburt den meskinen Trickster kennzeichnet.

Die Episode vom Einbruch eines Filmteams aus Hollywood in Manama - am "Ort des Schlafs" soll ein Film über die Traumwelt von "Tausendundeiner Nacht" gedreht werden - gerät zur Metapher vom Einbruch des Fremden. Um diese Episode wird eine Reihe platter und fragwürdiger politischer Metaphern gruppiert. Wenn die Leute vom Film "das Dorf verfälscht und in eine jüdische Siedlung verwandelt" haben, was bedeutet, dass sie sich dauerhaft in Manama niederließen und es in ein Bordell für obszöne und blutrünstige Orgien verwandelten, so soll mit der Metaphernklatsche der Westen, sollen insbesondere die Vereinigten Staaten und Israel geschlagen werden. Passagenweise wird das infam und albern obendrein und riecht fatal nach jenem Antisemitismus, dem man gelegentlich in der arabischen Presse begegnet.

Alles in allem ein schwer verständliches, schwer verdauliches Buch. Die deutsche Ausgabe ist ein Problem für sich. Dass der Satzspiegel fast bis zu den Seitenrändern ausgereizt wird, mag angesichts der Papierkosten noch verständlich erscheinen. Aber auch in Slowenien, wo das Buch gedruckt wurde, gibt es sicher Druckereien, deren Produkte an ein Buch und nicht an ein Fax erinnern. Schwerer wiegen schlampiges Lektorat und offenbar fehlende Korrektur. Die Druckfehler sind Legion. Da und dort brechen Sätze jämmerlich in sich zusammen, weil ihnen, wahrscheinlich per Computer, der Boden unter den Füßen entzogen wurde. Andere bleiben schlicht unverständlich, was wohl auch auf das Konto der Übersetzung geht. Sie kann sich in Anbetracht der Schwierigkeiten des vorliegenden Textes im Besonderen und von Übersetzungen aus dem Arabischen im Allgemeinen zumindest in der ersten Hälfte des Buches noch sehen lassen. "Asiatisches Produktionsmodell" statt "asiatische Produktionsweise" und die vielen Grammatikfehler sind freilich böse Patzer. Die Umschrift arabischer Namen ist ein leidiges Thema, das man nicht allzu pedantisch behandeln sollte. Hier aber gibt sie allzu viele Rätsel auf. Wenn auf einer Seite richtigerweise Port Sudan steht, wenige Zeilen darunter jedoch derselbe Ort in der französischen Schreibweise auftaucht, wenn auf einer Seite sowohl Farazdak als auch Farazdaq vorkommen - wie soll sich da der Leser noch auskennen? Und dass sich bei maghrebinischen Namen die französische Schreibweise eingebürgert hat, verpflichtet Übersetzer aus dem Arabischen nicht, Stalins Familiennamen "Dschugaschwili" gut französisch als "Djougachvili" zu präsentieren, wie es hier geschieht.

Man weiß um die Schwierigkeiten kleiner Verlage und möchte den Mut, ein solches Buch hierzulande herauszugeben, bewundern. Aber sosehr die Pflege arabischer Literatur zu begrüßen ist, mit solchen Editionen tut man ihren Autoren keinen Gefallen.

GENNARO GHIRARDELLI.

Rachid Boujedra: "Die 1001 Jahre der Sehnsucht". Roman. Aus dem Arabischen übersetzt von Angelika Rahmer und Nuha Sarraf Forst. Verlag Donata Kinzelbach, Mainz 1999. 290 S., geb., 38,- DM.

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