Jakob Tuggener war eine außergewöhnliche Fotografenpersönlichkeit, wenngleich er zu seinen Lebzeiten finanziell erfolglos blieb. Gerade einmal drei Fotobücher hat er veröffentlicht, nur fünf Ausstellungen beschickt. Sein ureigenes Ausdrucksmittel waren seine insgesamt 70 Fotobuchmaquetten
(„Druckvorlagen“), die er „geschlossene Bücher“ nannte und die nur als Unikate existieren. Ihr Konzept war den…mehrJakob Tuggener war eine außergewöhnliche Fotografenpersönlichkeit, wenngleich er zu seinen Lebzeiten finanziell erfolglos blieb. Gerade einmal drei Fotobücher hat er veröffentlicht, nur fünf Ausstellungen beschickt. Sein ureigenes Ausdrucksmittel waren seine insgesamt 70 Fotobuchmaquetten („Druckvorlagen“), die er „geschlossene Bücher“ nannte und die nur als Unikate existieren. Ihr Konzept war den Zeitgenossen und Verlegern damals nicht vermittelbar: Ein Buch ohne jeden Text, Bilder ohne Legende, ohne nähere Erklärung. Nur eine Maquette-Serie wurde 1943 unter dem Titel „Fabrik“ veröffentlicht, die „4 Jahreszeiten“ ist tatsächlich erst der zweite Anlauf, über 30 Jahre nach Tuggeners Tod.
Jakob Tuggener erzählt in Bildern, deren Sequenzen etwas Filmisches haben, ohne dass man konkret sagen könnte, welche Geschichte dahinter steckt. Sie vermitteln Stimmungen und dadurch, dass sie ohne Ausnahme das Schweizer Landleben schildern, auch ein Lebensgefühl, das von großer Naturverbundenheit und sozialer Nähe getragen wird. Jede der vier Jahreszeiten hat ihren eigenen Erzählbogen, ihre eigene „Farbe“, obwohl alle Bilder schwarz-weiß sind. Jedes der vier Kapitel ist aber auch metaphorisch unterlegt, mit Anspielungen auf den Kreislauf des Lebens: Werden, Wachstum und Tod.
Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Fotos nicht gleichzeitig und am gleichen Ort entstanden, sondern über einen Zeitraum von 1941 bis 1974 und trotzdem wie aus einem Guss wirken. Sie greifen ineinander wie Szenen eines durchkomponierten Films, mit Close Ups und Totalen, expressionistischen Wischeffekten und klassischen Bildaufteilungen mit wunderbar austarierten Kontrasten. Sie zeigen, dass sich Tuggener immer wieder mit seinem Portfolio auseinandergesetzt, es immer wieder neu zusammengestellt und neu interpretiert hat. Auch wenn die ausgewählten Sequenzen nur einen Ausschnitt aus den etwas umfangreicheren Maquetten darstellen, ist es den Herausgebern hervorragend gelungen, dieses Gefühl des Flusses und die Atmosphäre der einzelnen Jahreszeiten zu bewahren. Jakob Tuggeners Stil wurde oft als „Dokumentarfotografie“ bezeichnet, aber bei allem dokumentarischen Inhalt griffe dies bei weitem zu kurz. Er, der sich dem Stummfilm tief verbunden fühlte, erzählte mit stummen Bildern Geschichten, die mehr sind als das, was sie zeigen, und so ist es kein Zufall, dass die Bildlegenden nicht integraler Teil des Buches geworden sind, sondern nur als Faltblatt beiliegen. Sie befriedigen zwar die Neugier des heutigen Lesers, aber sie gehören nicht zu Jakob Tuggeners künstlerischem Konzept.
Die Reprografie auf dem mattglänzenden Papier ist makellos und gibt jedem blattgroßen Bild genau den Raum, den es braucht, um zu wirken. Und mir ist diesmal wieder ganz besonders aufgefallen, dass ich Steidl-Bücher am Geruch erkenne. Sie duften, wenn man sie öffnet. Nach Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)