Zum WerkMit der großen 9. GWB-Novelle wird die EU-Kartellschadenersatzrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Damit eingeführt wird eine Konzernhaftung (gesamtschuldnerische Haftung der Muttergesellschaft), die Schließung der Sanktionslücke im deutschen Kartellordnungswidrigkeitenrecht, durch die sich Unternehmen durch gezielte Umstrukturierungen einer Geldbuße entziehen konnten (sog. "Wurstlücke"), eine Ausweitung der Fusionskontrolle (Zusammenschlüsse müssen fortan auch bei geringerer Inlandsumsatzschwelle angemeldet werden), schließlich eine neue Missbrauchskontrolle auf digitalen Märkten.Vorteile auf einen Blick- hochaktuell zur 9. GWB-Novelle- ausgewiesenes Autorenteam- schnellster Zugriff auf aktuellste VeränderungenZur NeuerscheinungDie neuen Regeln im GWB, etwa zur Schadensvermutung (§ 33a), zu Schadensabwälzung und Preisaufschlägen (§ 33c - passing-on-Einwand), Gesamtschuldnerausgleich (§ 33d), Privilegierung von KMU und Kronzeugen (§§ 33 d und e), der Herausgabe von Beweismitteln (§ 33g), Verjährung (§ 33h), Kosten von Nebeninterventionen (§ 89a), werden ausführlich und im Kontext erläutert.ZielgruppeFür Wirtschaftsjuristen, Richter und Anwälte, Kartellrechtler.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungNeue Definition von Markt
Zu Veränderungen im Wettbewerbsrecht
Reformen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) seien Operationen am offenen Herzen der Marktwirtschaft, schreiben Christian Kersting und Rupprecht Podszun von der Universität Düsseldorf. Nicht umsonst werde das GWB immer wieder als "Grundgesetz der Marktwirtschaft" bezeichnet: "Es legt die grundlegenden Regeln fest, an die sich Unternehmen halten müssen, damit der Schrittmacher der Marktwirtschaft, der Wettbewerb, funktioniert. Eingriffe durch Behörden und Gerichte erfolgen in diesem Rechtsgebiet nicht, um bestimmte staatliche Interessen durchzusetzen, sondern um die unternehmerische Freiheit der Marktteilnehmer selbst zu sichern."
GWB-Novellen seien insofern immer auch eine Bestandsaufnahme des aktuellen Standes der Wirtschaftspolitik: Wo sehen die an der Gesetzgebung beteiligten Personen und Gremien die wichtigsten Herausforderungen für das Funktionieren der Marktwirtschaft? Wie tarieren sie die Interessen von Unternehmen auf verschiedenen Marktstufen und den Verbrauchern aus? Und wie fügt sich das angepasste Regelwerk in das Mehrebenensystem der deutschen und europäischen Wirtschaftsordnung? "Die Herzchirurgen der Wirtschaftspolitik haben mit der 9. GWB-Novelle eine ausgesprochen komplizierte Operation vollzogen." Was sich genau geändert hat, beschreiben die beiden Herausgeber und neun weitere Autoren in einem gut strukturierten und klar verständlichen Werk.
So stellt eine neue Norm im GWB klar, dass ein Markt auch dann vorliegt, wenn eine Leistung unentgeltlich erbracht wird: "Verteilt ein Unternehmen kostenfrei Software, stellt eine Plattenfirma kostenlos Musikclips im Internet zur Verfügung oder verlangt ein Makler von einem Kunden keine Provision für seine Beratung, liegen unzweifelhaft unentgeltliche Leistungen in Form von Angebot und Nachfrage und also Märkte vor", schreibt Podszun, der die Neuregelung begrüßt. Damit würde die Verknüpfung von Leistungen auf mehrseitigen Märkten umfasst. Zuvor entschieden die Gerichte darüber unterschiedlich, das Oberlandesgericht Düsseldorf war etwa 2015 noch davon ausgegangen, dass im Verhältnis einer Hotelplattform zu seinem Nutzer kein Markt vorliegen würde.
Von der jetzt erfolgten Neuregelung sind nach Podszuns Ansicht auch kostenlose Kundenkarten, etwa von Fluggesellschaften, umfasst. Rechtsfolge ist, dass das Kartellrecht schneller angewendet werden kann. Die neue Norm erinnert an ein über Jahre eingeschliffenes Defizit im Kartellrecht: Es war, gerade in seiner Prägung durch den "more economic approach", auf Preise und Entgeltlichkeit fixiert. Das war schon immer ein Problem bei nichtpreissensitiven Gütern. "Daher ist der Praxis von Anwälten, Behörden und Gerichten nun Zeit einzuräumen, um neue Herangehensweisen für unentgeltliche Märkte am konkreten Einzelfall zu entwickeln", meint Podszun.
Konkretisiert wurde auch das sogenannte "Anzapfverbot". Gemeint ist damit der Missbrauch der Nachfragemacht, etwa durch marktbeherrschende Handelsunternehmen. Diese könnten unberechtigte Zahlungen von Lieferanten verlangen, mit der Drohung, bei Nichtzahlung würden Produkte des Herstellers ausgelistet. Der Hersteller ist Opfer solcher Maßnahmen, aber auch Täter, wenn er mitmacht, und damit kleinere Konkurrenten verdrängt. Durch die GWB-Novelle wurde das Kriterium der "Ausnutzung der Marktstellung" gestrichen. Damit muss es keine Kausalität mehr geben zwischen Marktstellung und Forderung, schon die Aufforderung zur Vorteilsgewährung ist nun rechtswidrig - wenn keine Rechtfertigungsgründe greifen, die der Gesetzgeber konkretisiert hat.
Umstritten bleibt vermutlich weiterhin die Frage, ob allgemeine Investitionen eines Handelsunternehmens in seine Verkaufsräume die Gewährung eines konkreten Vorteils rechtfertigen können. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat 2015 eine Rechtfertigung für solche Forderungen grundsätzlich möglich erachtet, da eine attraktivere Warenpräsentation auch die Absatzchancen der Lieferanten hebe. In der Wissenschaft wurde die Gewährung eines Vorteils für Investitionen, die nicht lieferanten-, warengruppen- oder artikelbezogen sind, überwiegend als eine unzulässige Abwälzung unternehmerischer Risiken des Handels auf Lieferanten eingestuft. Der neue Wortlaut des Gesetzes sei nun auch in diese Richtung zu interpretieren, meint Lisa Murach.
Während der Arbeiten an der 9. GWB-Novelle kam es zu dem Übernahmefall Edeka/Kaiser's-Tengelmann, in dem eine Ministererlaubnis beantragt, erteilt und gerichtlich gestoppt wurde. Der Vorsitzende der Monopolkommission trat zurück. "Die Wendungen dieses Verfahrens mussten zwangsläufig dazu führen, dass die Regeln zur Ministererlaubnis im GWB angepasst werden", schreiben Podszun und Stephan Kreifels, die das Instrument grundsätzlich kritisieren: Die konkreten Fälle der Vergangenheit würden in politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht nicht zu den Sternstunden der Entscheidungskunst zählen. Immerhin gebe es nun mehr Transparenz, und die Stellung der Monopolkommission sei gestärkt.
Allerdings sei die faktische Abschaffung des Beschwerderechts von Dritten gegen die Ministererlaubnis ein hoher Preis für ein schnelleres Verfahren. In weiteren Kapiteln des Buches werden unter anderem die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kartellschadensersatz behandelt und die neuen Kompetenzen des Bundeskartellamtes im Verbraucherrecht begrüßt. Die Bonner Behörde darf nun systematisch Verstöße gegen Verbraucherrecht aufdecken - das ist ein Einstieg in behördlichen Verbraucherschutz, den es so in Deutschland bislang nicht gab. Auch die Neuregelungen zur Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskartellamtes werden gutgeheißen, da sie Schadensersatzprozesse erleichtern. Bislang seien Bußgeldmitteilungen nämlich nicht in systematischer Form zugänglich gewesen.
JOCHEN ZENTHÖFER
Christian Kersting/Rupprecht Podszun: Die 9. GWB-Novelle. Verlag C. H. Beck, München 2017. 494 Seiten. 89 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu Veränderungen im Wettbewerbsrecht
Reformen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) seien Operationen am offenen Herzen der Marktwirtschaft, schreiben Christian Kersting und Rupprecht Podszun von der Universität Düsseldorf. Nicht umsonst werde das GWB immer wieder als "Grundgesetz der Marktwirtschaft" bezeichnet: "Es legt die grundlegenden Regeln fest, an die sich Unternehmen halten müssen, damit der Schrittmacher der Marktwirtschaft, der Wettbewerb, funktioniert. Eingriffe durch Behörden und Gerichte erfolgen in diesem Rechtsgebiet nicht, um bestimmte staatliche Interessen durchzusetzen, sondern um die unternehmerische Freiheit der Marktteilnehmer selbst zu sichern."
GWB-Novellen seien insofern immer auch eine Bestandsaufnahme des aktuellen Standes der Wirtschaftspolitik: Wo sehen die an der Gesetzgebung beteiligten Personen und Gremien die wichtigsten Herausforderungen für das Funktionieren der Marktwirtschaft? Wie tarieren sie die Interessen von Unternehmen auf verschiedenen Marktstufen und den Verbrauchern aus? Und wie fügt sich das angepasste Regelwerk in das Mehrebenensystem der deutschen und europäischen Wirtschaftsordnung? "Die Herzchirurgen der Wirtschaftspolitik haben mit der 9. GWB-Novelle eine ausgesprochen komplizierte Operation vollzogen." Was sich genau geändert hat, beschreiben die beiden Herausgeber und neun weitere Autoren in einem gut strukturierten und klar verständlichen Werk.
So stellt eine neue Norm im GWB klar, dass ein Markt auch dann vorliegt, wenn eine Leistung unentgeltlich erbracht wird: "Verteilt ein Unternehmen kostenfrei Software, stellt eine Plattenfirma kostenlos Musikclips im Internet zur Verfügung oder verlangt ein Makler von einem Kunden keine Provision für seine Beratung, liegen unzweifelhaft unentgeltliche Leistungen in Form von Angebot und Nachfrage und also Märkte vor", schreibt Podszun, der die Neuregelung begrüßt. Damit würde die Verknüpfung von Leistungen auf mehrseitigen Märkten umfasst. Zuvor entschieden die Gerichte darüber unterschiedlich, das Oberlandesgericht Düsseldorf war etwa 2015 noch davon ausgegangen, dass im Verhältnis einer Hotelplattform zu seinem Nutzer kein Markt vorliegen würde.
Von der jetzt erfolgten Neuregelung sind nach Podszuns Ansicht auch kostenlose Kundenkarten, etwa von Fluggesellschaften, umfasst. Rechtsfolge ist, dass das Kartellrecht schneller angewendet werden kann. Die neue Norm erinnert an ein über Jahre eingeschliffenes Defizit im Kartellrecht: Es war, gerade in seiner Prägung durch den "more economic approach", auf Preise und Entgeltlichkeit fixiert. Das war schon immer ein Problem bei nichtpreissensitiven Gütern. "Daher ist der Praxis von Anwälten, Behörden und Gerichten nun Zeit einzuräumen, um neue Herangehensweisen für unentgeltliche Märkte am konkreten Einzelfall zu entwickeln", meint Podszun.
Konkretisiert wurde auch das sogenannte "Anzapfverbot". Gemeint ist damit der Missbrauch der Nachfragemacht, etwa durch marktbeherrschende Handelsunternehmen. Diese könnten unberechtigte Zahlungen von Lieferanten verlangen, mit der Drohung, bei Nichtzahlung würden Produkte des Herstellers ausgelistet. Der Hersteller ist Opfer solcher Maßnahmen, aber auch Täter, wenn er mitmacht, und damit kleinere Konkurrenten verdrängt. Durch die GWB-Novelle wurde das Kriterium der "Ausnutzung der Marktstellung" gestrichen. Damit muss es keine Kausalität mehr geben zwischen Marktstellung und Forderung, schon die Aufforderung zur Vorteilsgewährung ist nun rechtswidrig - wenn keine Rechtfertigungsgründe greifen, die der Gesetzgeber konkretisiert hat.
Umstritten bleibt vermutlich weiterhin die Frage, ob allgemeine Investitionen eines Handelsunternehmens in seine Verkaufsräume die Gewährung eines konkreten Vorteils rechtfertigen können. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat 2015 eine Rechtfertigung für solche Forderungen grundsätzlich möglich erachtet, da eine attraktivere Warenpräsentation auch die Absatzchancen der Lieferanten hebe. In der Wissenschaft wurde die Gewährung eines Vorteils für Investitionen, die nicht lieferanten-, warengruppen- oder artikelbezogen sind, überwiegend als eine unzulässige Abwälzung unternehmerischer Risiken des Handels auf Lieferanten eingestuft. Der neue Wortlaut des Gesetzes sei nun auch in diese Richtung zu interpretieren, meint Lisa Murach.
Während der Arbeiten an der 9. GWB-Novelle kam es zu dem Übernahmefall Edeka/Kaiser's-Tengelmann, in dem eine Ministererlaubnis beantragt, erteilt und gerichtlich gestoppt wurde. Der Vorsitzende der Monopolkommission trat zurück. "Die Wendungen dieses Verfahrens mussten zwangsläufig dazu führen, dass die Regeln zur Ministererlaubnis im GWB angepasst werden", schreiben Podszun und Stephan Kreifels, die das Instrument grundsätzlich kritisieren: Die konkreten Fälle der Vergangenheit würden in politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht nicht zu den Sternstunden der Entscheidungskunst zählen. Immerhin gebe es nun mehr Transparenz, und die Stellung der Monopolkommission sei gestärkt.
Allerdings sei die faktische Abschaffung des Beschwerderechts von Dritten gegen die Ministererlaubnis ein hoher Preis für ein schnelleres Verfahren. In weiteren Kapiteln des Buches werden unter anderem die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kartellschadensersatz behandelt und die neuen Kompetenzen des Bundeskartellamtes im Verbraucherrecht begrüßt. Die Bonner Behörde darf nun systematisch Verstöße gegen Verbraucherrecht aufdecken - das ist ein Einstieg in behördlichen Verbraucherschutz, den es so in Deutschland bislang nicht gab. Auch die Neuregelungen zur Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskartellamtes werden gutgeheißen, da sie Schadensersatzprozesse erleichtern. Bislang seien Bußgeldmitteilungen nämlich nicht in systematischer Form zugänglich gewesen.
JOCHEN ZENTHÖFER
Christian Kersting/Rupprecht Podszun: Die 9. GWB-Novelle. Verlag C. H. Beck, München 2017. 494 Seiten. 89 Euro.
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