Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 3,50 €
  • Gebundenes Buch

Der Generaldirektor einer argentinischen Baufirma ist von linksperonistischen Rebellen entführt worden, was im Argentinien der Siebzigerjahre tatsächlich häufiger vorkam. Allerdings fordern die Rebellen für seine Freilassung diesmal, dass in der Firmenzentrale 92 Evita-Büsten aufgestellt werden müssen. Besorgen soll diese Ernesto Marroné, der karrieregeile Einkaufsleiter der Firma und begeisterte Leser von Wirtschaftsratgebern à la Wie man Freunde gewinnt, Samurai-Prinzipien für Manager oder Don Quijote - Der fahrende Manager von der Mancha. Natürlich wittert er vor allem eine Beförderung,…mehr

Produktbeschreibung
Der Generaldirektor einer argentinischen Baufirma ist von linksperonistischen Rebellen entführt worden, was im Argentinien der Siebzigerjahre tatsächlich häufiger vorkam. Allerdings fordern die Rebellen für seine Freilassung diesmal, dass in der Firmenzentrale 92 Evita-Büsten aufgestellt werden müssen.
Besorgen soll diese Ernesto Marroné, der karrieregeile Einkaufsleiter der Firma und begeisterte Leser von Wirtschaftsratgebern à la Wie man Freunde gewinnt, Samurai-Prinzipien für Manager oder Don Quijote - Der fahrende Manager von der Mancha. Natürlich wittert er vor allem eine Beförderung, jedoch gestaltet sich die Suche nach den Büsten schwieriger als gedacht: Zuerst besetzen Arbeiter die Gipsfabrik, die sie produzieren sollte. Dann geht es Schlag auf Schlag und er gerät mitten in den gesellschaftlichen Aufruhr in einem Argentinien, in dem tagtäglich der nächste Militärputsch oder die nächste Guerilla-Aktion droht; in dem aber auch die ärmere Bevölkerungsschicht nach wie vor ihrer "Evita" und der ersten Perón-Regierung nachtrauert.

Das Buch ist nicht nur ein satirischer Bildungsroman, in dem Marroné seine Sozialisierung in der Oberschicht und sein bisheriges Leben zu hinterfragen beginnt, es hält trotz aller Groteske eine international verständliche Botschaft bereit: Die historische Verklärung der Vergangenheit, oder auch mancher umstrittener Führerfiguren, führt zuweilen schwerstens in die Irre.
Autorenporträt
Gamerro, Carlos
CARLOS GAMERRO, geboren 1962 in Buenos Aires, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des heutigen Argentiniens. Neben mehreren Romanen und einem Erzählband veröffentlichte er auch Essays und übersetzte u. a. Werke von Graham Greene und William Shakespeare. Darüber hinaus schrieb er das Drehbuch zu dem Film Tres de Corazones. Ein Teil seiner Romane wurde ins Englische und Französische übertragen sowie für das Theater adaptiert. Seit 2013 erscheint sein Werk auf Deutsch bei Septime.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2018

Ein großer Revolutionär
Carlos Gamerros Argentinien-Satire „Die 92 Büsten der Eva Perón“
Als das Militär den gewählten Präsidenten stürzte, 1955 in Argentinien, da witterten Bilderstürmer ihre große Stunde. Nichts mehr sollte an Juan Perón erinnern, absolut gar nichts an seine drei Jahre zuvor jung verstorbene Frau Evita, die das Volk ungebrochen verehrte; sogar gestandene, unromantische Militärs lagen ihr zu Füßen.
Also zertrümmerten sie Denkmäler, Statuen und Büsten. Aber damit kommen sie bei Carlos Gamerro nicht durch. In seinem neuen Roman lässt er Perón-Büsten retten und in einen Plattenbau schaffen, wo sie lange Jahre überdauern. Das klingt plausibel, denn die Aktion soll in Ciudad Evita passiert sein, jener Stadt, die Perón zu Ehren seiner Frau errichten ließ und deren Gebäude, aus der Luft betrachtet, das Profil von Evita nachzeichnen, einschließlich des Haarknotens. Der Flughafen von Buenos Aires liegt ganz in der Nähe.
Der Roman, „Die 92 Büsten der Eva Perón“, spielt in der ersten Hälfte der Siebziger Jahre, nicht mehr lang hin, ehe wieder geputscht wird. Schrecken verbreiten die Montoneros, eine Art Stadtguerilla mit linksperonistischem Drall. Nachdem sie den Boss eines Bauunternehmens entführt haben, fordern sie eine hohe Summe Lösegeld und, weil das linksromantische Argentinien ohne Evita nicht auskommt, die Aufstellung einer Büste in jedem Büro.
Ernesto Marroné überschlägt im Kopf, wie viele Büsten sie brauchen, 92 mal Eva für 92 Büros. Marroné ist der Held dieser Satire, eigentlich nur ein Manager unter vielen, der ein höherer Manager werden will, aber früher als die vielen erkennt er die Chance auf einen Karrieresprung – wenn er den Boss mit Eva-Büsten rettet. Dass Montoneros nicht spaßen und auch nicht ewig Zeit haben, teilen sie per Post mit: Der erste abgetrennte Finger vom Boss trifft in der Firma ein.
Der Autor Carlos Gamerro, geboren 1962, stammt aus Buenos Aires. Er schreibt Romane, Erzählungen und Essays. Und er hat Werke von Graham Greene und William Shakespeare übersetzt. Im Wiener Septime Verlag sind bereits zwei seiner Romane auf Deutsch erschienen, „Das offene Geheimnis“ und „Der Traum des Richters“.
Überhaupt scheint Septime, wie offenbar nicht mehr allzu viele Verlage, ein Auge auf lateinamerikanische Literatur zu werfen. Von der Chilenin Nona Fernández hat der Verlag konsequent ein Buch nach dem anderen herausgebracht. Und in einem Erzählband aus und über Lateinamerika sind Geschichten von Julio Cortázar, Juan Villoro, Roberto Bolaño und Guillermo Cabrera Infante versammelt, Cortázars Seiten noch dazu mit Comics illustriert.
Comics ließen sich auch aus Gamerros Roman gewinnen. Auch hier jagt ein Bild das andere. Anfangs stottert die Geschichte noch ein bisschen herum wegen der Manager-Klischees und der öden Ratgeber-Literatur: „Samurai-Prinzipien für Manager“ oder „Wie man Freunde gewinnt“. Ganz ähnlich geht es in einem anderen Roman zu, der ebenfalls in diesem Jahr in Mexiko erschienen ist: „Der schwarze Gürtel“ von Eduardo Rabasa. Sowohl Rabasas als auch Gamerros Held hören, während die Autos im Stau stecken, Ratgeberliteratur – der eine auf CD, der andere, weil wir in den Siebzigerjahren sind, auf Kassette.
Aber gibt es wirklich Manager, die sich von solcher Einfalt anregen lassen, wo sie doch in einem einzigen guten Roman unendlich viel mehr über Mensch und Welt erfahren könnten? Immerhin erfindet Gamerro einen „Don Quijote“-Ratgeber, „der fahrende Manager von der Mancha“. Der verspricht realistisch Kompliziertes. Auch Che Guevara soll ja Don Quijote geliebt haben, das Revolutionsmanagement, den Kampf gegen Windmühlen.
Als Marroné, der Windmühlenkämpfer für 92 Eva-Büsten, in einer Gipsfabrik vorspricht, wird die Fabrik von Arbeitern besetzt und die Leitung in Geiselhaft genommen. Geschickt schlägt er sich auf die Seite der Arbeiter und entwickelt sich zum Anführer und Agitator. Bald halten ihn alle für einen großen Revolutionär (obwohl es ihm im Stillen nur darum geht, die Arbeiter zur Produktion der Büsten anzutreiben).
So ist auch dieser Roman, mit einem Schreckenswort benannt, ein Schelmenroman, wenn auch gesättigt mit historischen Bezügen. Als der Widerstand gewaltsam niedergeschlagen wird, steigt Marroné in ein Becken mit frischem Gips, taucht geweißt wieder auf und stellt sich, gut sichtbar, doch ebenso gut getarnt, als „Statue des armen Tagelöhners“ auf. Tatenlos muss er zusehen, wie ein Schulfreund, der sich „proletarisiert“ hat, totgeprügelt wird.
Er flüchtet in ein Elendsviertel von Buenos Aires. Mit seiner dunklen Haut, die Marroné an seine Herkunft erinnert – marrón heißt braun – und seinen abgerissenen Klamotten fällt er dort nicht weiter auf. Jetzt, in einem rauschhaften Trip, entfaltet der Roman seine ganze Kraft. Marroné folgt einer jungen Frau, die wie Eva aussieht oder wenigstens wie Evas Geist. Er folgt ihr bis zur Eva-Perón-Stiftung, dem berühmten Sozialwerk, aber es entpuppt sich als Bordell, mit Evas und Evitas für jeden Geschmack, die Madonna der Armen, die Kleine in Hotpants, das Filmsternchen, die drei Grazien, die Domina mit der Peitsche. Er nimmt das billigste Angebot und verspritzt seinen Samen, noch ehe er hätte eindringen können.
Viel Spott teilt Gamerro aus über argentinischen Leidenschaften, unverdauten Mythen und politischen Verirrungen. Aber Evita kriegt er nicht klein. Und er scheint es auch gar nicht zu wollen. Ein Hauch von Faszination bleibt an ihr haften. So stattet er selbst eine junge Guerillera mit Zügen von Evita aus. In der Gipsfabrik liest sie Proust, also verpönte
bürgerliche Literatur, getarnt durch einen Einband von Frantz Fanons „Die Verdammten dieser Erde“.
Als Marroné in Ciudad Evita auf die in den Fünfzigern zusammengetragenen Büsten trifft, gepflegt und regelmäßig abgestaubt, begreift er, dass er seine Mission so gut wie erfüllt hat. Auf einem Pick-Up bringt er die Büsten nach Buenos Aires, nicht mehr als zwanzig Kilometer, bis vor das Gebäude der Firma. Doch leider kommt er, der fahrende Manager von der Mancha, diesmal zu spät.
RALPH HAMMERTHALER
Geduldig sind die Erpresser
nicht: Der erste abgetrennte
Finger liegt bald im Briefkasten
Che Guevara soll Don Quijote
geliebt haben, diese Parabel auf
das Revolutionsmanagement



Carlos Gamerro: Die 92 Büsten der Eva Perón. Roman. Aus dem argentinischen Spanisch von Birgit Weilguny. Septime Verlag, Wien 2018. 408 Seiten,
24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralph Hammerthaler liest Carlos Gamerros in den siebziger Jahren in Argentinien spielende Satire mit Schmunzeln. Wie der Autor sich mit dem Perronismus und dem heraufziehenden Putsch befasst, findet er lustig. Außer einem rauschhaften Schelmenroman liefert ihm der Autor jede Menge historische Bezüge, Spott über argentinische Leidenschaften, Mythen und politische Irrwege. Dass Gamerro den Mythos Evita nicht kleinkriegt und sie im Buch mit einem Hauch von Faszination betrachtet, fällt Hammerthaler allerdings auch auf.

© Perlentaucher Medien GmbH