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1944 wird der 18jährige Ruben Jablonski, Alter ego Edgar Hilsenraths, von den Russen aus einem ukrainischen Ghetto befreit. Damit beginnt die abenteuerliche Geschichte eines jüdischen Jungen, der sich auf die Suche nach einer neuen Heimat macht. Quer durch den Balkan und den Nahen Osten reist er in das vom Krieg zerrissene, gerade im Entstehen begriffene Israel. Nicht zuletzt aber spielt die Erotik eine Rolle während der Odyssee; immer wieder begegnet Ruben Frauen, die ihn locken, und so ist dieses erschütternde Zeitzeugnis zugleich die Geschichte seines Erwachsenwerdens.

Produktbeschreibung
1944 wird der 18jährige Ruben Jablonski, Alter ego Edgar Hilsenraths, von den Russen aus einem ukrainischen Ghetto befreit. Damit beginnt die abenteuerliche Geschichte eines jüdischen Jungen, der sich auf die Suche nach einer neuen Heimat macht. Quer durch den Balkan und den Nahen Osten reist er in das vom Krieg zerrissene, gerade im Entstehen begriffene Israel. Nicht zuletzt aber spielt die Erotik eine Rolle während der Odyssee; immer wieder begegnet Ruben Frauen, die ihn locken, und so ist dieses erschütternde Zeitzeugnis zugleich die Geschichte seines Erwachsenwerdens.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Erlösung im Bistro
Edgar Hilsenrath erzählt noch etwas aus seiner Biographie / Von Heinz Ludwig Arnold

Edgar Hilsenrath ist in der deutschen Literatur erst spät angekommen. Zwar publizierte der Kindler-Verlag seinen ersten Roman "Nacht" bereits 1964, doch in einer Auflage von tausend Exemplaren, also gleichsam unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Sein Thema, die Schuld von Juden im Überlebenskampf der Verfolgung auch aneinander, mußte in dem von staatlicher Aussöhnung mit dem Staate Israel tabuisierten und philosemitisch bestimmten Klima als dicke atmosphärische Störung empfunden werden - soweit war man noch nicht.

Der Roman war seiner Zeit weit voraus, weil er schon damals realistisch vor Augen führte, wie Menschen nicht nur einfach vernichtet, sondern systematisch entmenschlicht wurden. Erst ein gutes Dutzend Jahre später, als sich die Bundesrepublik gewandelt und ihre Gesellschaft sich gründlich demokratisiert hatte, kam Hilsenrath dann wirklich in der (west)deutschen Literatur an: mit seinem zweiten Roman "Der Nazi und der Friseur", einer erzählerischen Metapher auf die philosemitische Verwandlung eines Antisemiten. Sein Erfolg zog auch eine Neuausgabe des ersten Romans nach sich.

Danach stürzte der Erzähler Hilsenrath ab mit zwei Büchern ("Gib acht, Genosse Mandelbaum" und "Bronskys Geständnis"), denen die Kritik eine Nähe zum Trivialen vorwarf, und kam mit zwei beeindruckenden Romanen wieder: "Das Märchen vom letzten Gedanken" von 1989 behandelte den Völkermord der Türken an den Armeniern zu Beginn dieses Jahrhunderts; in "Jossel Wassermanns Heimkehr", vier Jahre später, erzählt Hilsenrath die Geschichte des Lebens im Schtetl, dem besonderen Lebensgrund der osteuropäischen Juden.

Ich erinnere an diese Entwicklung des Erzählers Hilsenrath und seiner Themen, weil sich daran etwas abbildet, das ich auch in seinem neuesten Buch zu erkennen glaube. Hilsenrath schildert in dem "autobiographischem" Roman "Die Abenteuer des Ruben Jablonski" nicht bloß "eine bislang unbekannt gebliebene Passage aus seiner Biographie", wie der Klappentext es merkwürdigerweise formuliert, sondern tatsächlich deren entscheidende Jahre über die gesamte Chronologie von 1938 bis 1951: vom Umzug der Familie - ohne den Vater, der später nach Frankreich geht - im Sommer 1938, noch vor dem Judenpogrom vom November, aus Halle an der Saale zu Verwandten ins rumänische Sereth, bis 1951, zur Auswanderung Hilsenraths aus Palästina in die Vereinigten Staaten.

Das Buch folgt genau der, soweit bekannten, Biographie seines Autors: nach der Übernahme der Macht in Rumänien durch die Faschisten 1941 Deportation von Sereth ins jüdische Ghetto der zerstörten ukrainischen Stadt Moghilev-Podelsk, 1944 Befreiung durch die Russen, Flucht nach Bukarest, nach der Kapitulation Rumäniens über Bulgarien, die Türkei, Syrien und den Libanon schließlich mit gefälschten Papieren in das von den Engländern "verwaltete" Palästina. Der Roman setzt am Scheitelpunkt dieser Chronologie ein: "20. März 1944. Die Russen sind da! Mit dem Einmarsch der russischen Armee kam die Befreiung". - ",Die verdammten Russen', sagte meine Mutter. ,Sie haben uns das Leben gerettet', sagte ich. ,Vergiß das nicht.'"

Das Leben davor - das sommerlich unbeschwerte in Sereth und das schwere im verwüsteten Moghilev-Podelsk - wird auf nur wenigen Seiten reportiert. Hilsenrath vermittelt in solcher Lakonie, wie er und seine Familie in der Gefahr noch privilegiert waren, weil sie Unterkunft in einer Schule gefunden hatten und sich mit Schwarzhandel versorgen konnten, und wie auch sie sich selbst die Nächsten waren: "Vor unserer Schule standen oft Schlangen Obdachloser, aber wir wollten niemandem Quartier geben, aus Angst vor Typhus. Die Obdachlosen waren verlaust, und wer eine Laus erwischte, der war verloren. Wir konnten nur überleben, wenn wir uns vor der Seuche in acht nahmen. Trotzdem taten wir viel für die Armen. Aus Resten und Abfällen wurde Suppe gekocht und verteilt. Es beruhigte unser schlechtes Gewissen." Denn schließlich ging es ums Überleben. Und da ist es wie immer: "Wir hatten etwas Schmuck mitgenommen, aber die meisten hatten das nicht gewagt. Die Armen hatten sowieso keinen Schmuck oder Wertsachen, und so kam es, daß die Armen als erste verhungerten."

Gerade diese vordergründig kaum dramatisierende Erzählweise macht das Buch auf den ersten hundertvierzig Seiten eindrucksvoll. Doch es mag sein, daß die erzählerische Kargheit deshalb so eindringlich wirkt, weil sie ein Kondensat dessen ist, was Hilsenrath in seinen gelungenen Büchern bereits sehr viel anschaulicher in Szene gesetzt hat. Dagegen ist der größere Teil des Romans, der in Palästina spielt, eher locker erzählt und deutlich als Schelmengeschichte angelegt. Auch hier taucht wieder das Motiv der mangelnden Solidarität unter den Verfolgten auf: Die meisten, weil es ja um die Existenz geht, versuchen nicht immer sauber auf ihre Rechnung zu kommen. Hilsenraths Erzählung springt hin und her zwischen ständigem Suchen nach Arbeit und Geld, Begegnungen mit anderen Immigranten und unentwegten Amouren, die der Autor ziemlich handfest schildert und die er sämtlich nach demselben Muster inszeniert.

Obgleich gerade die Zeit in Palästina, jene offensichtlich bislang unbekannte Lebenspassage, das Zentrum des neuen Buchs sein soll, enttäuscht ihre Darstellung. Zu schematisch ist der Ablauf, zu wenig anschaulich die Sprache: In Jerusalem ". . . bahnte ich mir meinen Weg zur Altstadt. Hier tat sich die Geschichte der Stadt wie ein Bilderbuch vor mir auf. Ich sah die Stadtmauern, die die ganze Altstadt umgaben, besonders beeindruckten mich das Jaffator, die Zitadelle und der Davidsturm. Ich ging durch das Tor und kam direkt zur Klagemauer. Ein alter Jude mit einem weißen Bart reichte mir einen Gebetsmantel und gab mir ein Gebetbuch. Er schlug die richtige Stelle auf, die ich beten sollte. Ich betete laut und blickte dabei auf die Klagemauer."

Dem Leser kommt das nicht wie aus einem Bilderbuch vor, sondern wie aus einem Reiseführer - nur der weiß, daß die Stadtmauern die ganze Altstadt umgeben; und was ist schon "die richtige Stelle", die gebetet wird? Man hörte sie lieber als die Tatsache, daß der Betende auf die Klagemauer blickt, denn dies versteht sich von selbst.

Doch solch faktische Beschreibungsimpotenz wird hier nicht absichtsvoll vorgeführt, etwa um zu illustrieren, wie vergeblich sich Hilsenrath in Palästina müht, jener Schriftsteller zu werden, als der er sich damals manchmal schon ausgibt. Denn noch mißlingt alles, was er schreibt. Und dieses vergebliche Mühen, einen Roman übers Ghetto zu schreiben, ist das neben seiner praktizierten Virilität zweite, ja zu ihr parallel geführte Thema dieses Romanteils. Es bricht auf wie eine unverheilte Wunde, als ihn der Vater, den er inzwischen ausfindig gemacht hat, nach Frankreich holt und zu einem Kürschner in die Lehre vermittelt: "Ich gab das Schreiben tatsächlich auf und verfiel in eine schwarze Depression." Und Hilsenrath wird mit dieser Depression impotent. In der geschlechtlichen wird die durch den Verzicht eingestandene Schreib-Unfähigkeit virulent. Nichts hilft da, weder Elektroschocks noch Besuche bei Prostituierten: rien ne va plus. Bis schließlich - das letzte Kapitel erzählt es - im Herbst 1949 ihn die Lektüre von Remarques "Arc de Triomphe" verwandelt: ". . . Die Art und Weise, wie Remarque mit scheinbar leichter Hand eindrucksvoll Szenen beschrieb und mit ganz eigenen Dialogen würzte, wollte ich auch hinbekommen." Der Bann war gebrochen: In einem Bistro "bat ich um ein Glas Rotwein, einige Bögen Papier und einen Bleistift . . . Ich spürte plötzlich, daß es soweit war. Ich trank Wein und schrieb wie besessen." Und er schrieb nicht nur so: ",Na junger Mann. Sie haben ja einen riesigen Ständer'", läßt Hilsenrath, nach anderem Tun, "eine Nutte bewundernd" zu ihm sagen.

Ein merkwürdig unausgeglichenes Buch, mit anscheinend leichter Hand geschrieben: clever und naiv zugleich, manchmal sehr knapp und passagenweise redundant; aber in seiner im Grunde naiven Erzählhaltung dann doch wieder authentisch wirkend - wie eine Versammlung aller Höhen und Tiefen des Hilsenrathschen Gesamtwerks. Man liest es flott und nicht ohne ein gewisses, freilich meist triviales Vergnügen.

Edgar Hilsenrath: "Die Abenteuer des Ruben Jablonski". Ein autobiographischer Roman. Piper Verlag, München 1997. 328 S., geb., 44,- DM.

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